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Hietzinger Tor

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Heute ist Dienstag, der 6. Juni. Es ist 17 Uhr 26. Autostau, Unruhe und Hektik umgibt mich. Ich gehe gerade über die Kennedybrücke in Wien Hietzing. Die Ampel zeigt rot, ich bleibe stehen und gebe mir meine Ohrenstöpsel in die Ohren. Es ist laut. Die Ampelphase ist lang und die Autos rasen vorbei. Alles ist Schwingung habe ich doch gerade irgendwo gelesen, die ganze Welt ist Klang. Im Moment höre ich nur Missklang, Lärm! Die Ampel steht noch immer auf rot. Da rast er dahin im Auto, das Handy am Ohr, betäubt vom Lärm – der Mensch im Jahr 2012. In allen Städten der Welt ein ähnliches Bild: Das Gehirn heiß gekocht vom Handy, das Ohr abgestumpft, das Auge mit Eindrücken überreizt. Eingespannt in den Elektrosmog und in die künstliche Hochfrequenzstrahlung. „Bella, heute siehst du die Welt zu düster“, sage ich zu mir. Ich will zu einem Lächeln ansetzen, in dem Moment erreicht mich gerade eine Abgaslawine. Mit eingefrorenem Lächeln stehe ich noch immer an der Kreuzung, die Autokolonne kommt gerade am Fußgängerweg zum Stehen. Stau! Hoffentlich sehe ich wenigstens einen hübschen Mann im Auto, der mir zulächelt, dann wäre der Tag schon gerettet. Aber nein, nichts, mein Lächeln bleibt eingefroren. Könnte ja auch ein weniger hübscher Mann heraus lächeln. Aber auch nichts.

Jetzt wird es grün für uns Fußgänger, wir schlängeln uns durch die Autos auf die andere Straßenseite. Wenigstens dieses Erfolgserlebnis. Laute Musik dröhnt mir aus den Autos entgegen. Wenn es doch schöne Musik wäre. Die Ohrenstöpsel sind den Bässen nicht gewachsen und es stinkt nach Abgasen. Ein feiner Tag! Da hilft nur schneller gehen.

Oh, what a wunderful world. Wem gefällt denn das?

Ich gehe noch schneller zum Eingang nach Schönbrunn beim Hietzinger Platz. Dort erreiche ich mein Refugium. „Schönbrunn.“ Um 18 Uhr treffe ich mich mit Susi beim Palmenhaus.

Susi und ich sind in der Mittelschule jahrelang nebeneinander gesessen. Im Gegensatz zu mir war sie immer eine gute Schülerin gewesen und ich habe von ihr abgeschrieben. Ich wusste in der Schule schon, dass es für mich etwas Wichtigeres als die Schule gibt, nämlich meine Visionen und Träume. Dementsprechend war das Ergebnis. Knapp vor der Matura wechselte ich in die Maturaschule, die mir genug Freiraum gab, um die Matura zu bestehen.

Jetzt stehe ich vor dem Eingang in den herrlichen Schlosspark von Schönbrunn. Ich kann es nicht lassen und drehe mich noch einmal zum Parkhotel auf der vis à vis Seite um. Wie ein Fluss umrundet die Autoschlange das schöne gelbe Parkhotel. Stilvolle Architektur gegen die Blechlawine mit den freudlosen und aggressiven Gesichtern in den Autos. Immer wieder frage ich mich, wem das einen Nutzen bringt? Nur den Konzernen?

Ich drehe mich wieder zum Eingang in den Park, hier tauche ich in eine Besonderheit ein. Beim Eingang empfängt mich eine Lindenallee, die ihren balsamischen Duft und ihre heilende Wirkungsweise der Welt vor dem schwarzen großen Eingangsgittertor entgegenhält. Zwei Welten durch Eisenstäbe voneinander getrennt.

Zehn Meter nach dem Durchgang durch das Tor biege ich nach rechts ab und das Palmenhaus glänzt mir mit theatralischer Pracht entgegen. Gleichgewicht zwischen Mensch, Architektur und Natur strömt zu mir. Wie wohl ich mich hier fühle. Mildes Frühlingswetter gestaltet den Anblick noch reizvoller, alles ist belebt von blühenden Beeten.

Ich setze mich auf eine Bank und schaue einfach in die Atmosphäre. Ich trinke die Bilder in mich hinein. Meine Augen werden sanft, der Bauch locker. Die Welt, aus der wir alle geschaffen sind, fließt in mich ein. Hingegeben an die durchseelte Umgebung – nur sitzen in der Sonne, keinen Lärm hörend. Sich spüren. Ist das schön. Stille.

Plötzlich knallt sich jemand neben mich auf die Bank.

„Hallo Bella!“

Ich fühle mich wie aus einem schönen Traum gerissen.

„Hallo Susi“ bringe ich stammelnd hervor.

„Jetzt haben wir uns zehn Jahre nicht gesehen“, euphorisiert Susi vor sich hin. „Ist das schön, dich wiederzusehen.“

„Ja, ja, ich freue mich auch“, gebe ich zurück. Es ist erst viertel vor 18 Uhr. Ich wollte mich ja ein wenig einstimmen auf Susi, aber daraus wird wohl nichts, sie ist ja schon hier.

Wir sitzen auf der Bank in der milden Sonne. Ich erinnere mich, dass wir uns vor dem letzten Treffen sogar 20 Jahre lang aus den Augen verloren hatten. Ich fühle diesmal noch eine große Distanz zwischen uns.

„Susi, wie geht es dir?“, frage ich.

„Ja weißt du“, antwortet sie, in dem Moment läutet ihr Handy; sie bespricht sich kurz mit jemandem und fährt fort „weißt du, es war eine sehr schwere Zeit in den letzten drei Jahren“, und wieder läutet ihr Handy.

„Entschuldige mich bitte ganz kurz“, und sie entfernt sich einige Meter von der Bank. Nachdem 5 Minuten vergangen sind, lehne ich mich auf der Bank zurück und entspanne mich. Zumindest tue ich vor mir selbst so, weil eigentlich bin ich verärgert.

Dann kommt Susi freudestrahlend zurück. Ein ehemaliger Arbeitskollege hat mich angerufen.

„Das freut mich“, kontere ich ärgerlich. Da sie ihr Handy nicht ausschaltet, frage ich sie:

„Kannst du den Quälgeist nicht ausschalten – ich meine ausschalten, nicht nur abschalten auf lautlos.“

„Wie meinst du denn das?“, fragt Susi.

„So wie ich es sagte, bitte schalte das Handy aus.“

„Ganz ausschalten kann ich es nicht.“

„Warum“, frage ich „du bist doch in Pension?“

„Ja, aber ich möchte schon persönlich erreichbar sein“, und wieder läutet das Handy. „So viele Anrufe bekomme ich sonst nie, wirklich nicht“, sagt sie und stellt das Handy freundlicherweise auf lautlos. Ich frage sie:

„Ich würde gerne verstehen, warum du das Handy nicht ganz ausschalten kannst?“

„Das möchte ich auch wissen“, scherzt sie. „Aber“ - und ihr Gesicht wird sehr ernst „ich möchte mich auch nicht rechtfertigen müssen, warum ich das Handy nicht ausschalte.“

„Es fehlt dir offensichtlich an Informationen über die Auswirkungen der Handytechnologie“, kontere ich.

„Ich zerbreche mir nicht groß den Kopf darüber. Ich finde es positiv, überall erreichbar zu sein und davon mache ich Gebrauch. Das ist alles“, sagt sie. Ich lache!

„Hat es einen Sinn, ein weiteres Gespräch in Gang zu bringen?“, denke ich. Im Zweifelsfall ist es förderlich nichts zu tun – fällt mir ein. Also, ich tue nichts. Ich schaue Susi in die Augen – sie begegnet meinem Blick. Pause. Ich lehne mich auf der Bank zurück und warte. Pause. Wir schweigen beide.

„Zwischen zwei Handys kann man ein Ei kochen; falls du einmal einen Gasausfall hast, ist es vielleicht eine Hilfe!“, fahre ich fort.

„Na siehst du, ich bin für Notfälle gerüstet, ich habe nämlich sogar vier Handys“, entgegnet sie.

„Und mit welchem der Handys kochst du das Ei und mit welchem telefonierst du dann?“, frage ich.

„Wahrscheinlich werde ich verhungern, weil ich mich nicht entscheiden werde können“, hält sie mir entgegen.

„Ich habe eine Idee, am besten komme ich im Notfall zu dir und du kochst für dich und für mich jeweils ein Ei, dann musst du dich nicht entscheiden“, sage ich. Wir lachen beide auf.

„Bella, das war jetzt aber ein guter Scherz mit dem Ei kochen?“, fragt sie.

„Nein, das ist eine Tatsache“, antworte ich.

Susi glaubt es noch immer nicht.

„In der Schule warst du ja nicht gerade ein technisches Genie, glaubst du nicht, dass du jetzt etwas verwechselst?“, sagt sie.

„Nein, sicher nicht, lese es doch im Internet nach!“, antworte ich. „Und wie lange muss ich auf das Ei warten?“, fragt sie.

„Sieben Stunden“, antworte ich.

„Hm“, Susi wirkt nachdenklich. „naja, ich werde im Internet nachschlagen. Dann reden wir weiter darüber.“

Ich kann es nicht lassen und frage Susi: „Beim Telefonieren mit dem Handy kochst du dein Gehirn hart oder weich?“ Susi schaut mich an, dann versteht sie.

„Weich“, antwortet sie mit einem genervten Blick. Wir lachen etwas gekünstelt.

„Bella“, fährt sie fort „ich werde nachdenken darüber, aber ich sage dir gleich, ich bin und bleibe ein Handyfan.“

„Ja, das ist deine Entscheidung, nur wie komme ich dazu, dass ich mit verstrahlt werde in deiner Nähe?“, halte ich ihr entgegen.

„Wer A sagt muss auch B sagen, du lebst nun einmal in dieser Welt“, fährt sie fort. „Wer sagt denn das, dass ich auch B sagen muss. Ich kann doch entscheiden. Zum Beispiel, dass ich mich aus deiner Strahlenatmosphäre wegbegebe. Ich kann auch aufstehen und gehen“, antworte ich.

„Natürlich kannst du das. Aber sind wir uns ehrlich, wer tut das schon?“, fragt sie.


„Das klingt wie eine Provokation“, füge ich hinzu; und ich stehe auf und schaue sie an, dann sage ich:

„Komm, gehen wir ein Stück weiter bis zum Palmenhaus.“

Die Uhr der Kirche am Hietzinger Platz schlägt 18 Uhr 15. Die Sonne ist angenehm, das uns umgebende Grün tut wohl. Der Springbrunnen im Teich singt vor sich hin und Enten schlängeln sich zwischen den aufblühenden Seerosen. Eine Idylle.

„Ich nehme wahr, dass zu der etablierten Welt sich eine zweite Welt heranbildet“, sage ich.

„Das hat es immer gegeben“, antwortet Susi „Querdenker gegen das Etablierte, das ist nichts Neues.“

„Da hast du recht, doch die Nuance ist eine andere, immer mehr Menschen, und es sind schon sehr viele, sind hier, die eine Welt gründen wollen, die auf einer neuen Ordnung steht“, füge ich hinzu.

„Ohne Handy“, wirft Susi ein.

„Zum Beispiel“, sage ich. Womit wir wieder beim Thema wären.

„Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, was du gegen das Handy hast?“, hält sie mir entgegen.

„Die Hochfrequenzstrahlung in diesem Ausmaß erzeugt künstliche Magnetfelder, die sich mit den natürlichen Magnetfeldern des Menschen nicht vertragen und den Menschen gesundheitliche Schäden zufügen“, sage ich entschieden.

„Das ist nicht wirklich erwiesen.“

„Oh ja, und diese Informationen werden systematisch zurückgehalten. Jemand muss über den finanziellen Nutzen hinaus interessiert daran sein, dass die Menschheit ihr Gehirn kocht. Weißt du nicht, dass der Gehörnerv mit dem Gehirn verbunden ist?“, entgegne ich.

„Das klingt ja nach einer Verschwörungstheorie“, hält sie mir entgegen.

Ich gebe für heute auf und zucke mit den Achseln.

Jetzt sind wir beim japanischen Garten angelangt. Über die Stufen hinweg bewegt sich das ruhig fließende, strömende Wasser. Wie ein ewiger Strom rinnt es dahin, fast lautlos, entschieden in jede Ritze eindringend. Kühle kommt mir entgegen. Plötzlich, vom Tiergarten, der gleich dahinter liegt, hören wir das Trompeten der Elefanten und das Brüllen der Löwen. Der beruhigende Anblick des Wassers ist wieder dahin.

Das Schweigen zwischen uns tut gut und wir konzentrieren uns wieder auf die Bewegung des Wassers. Doch hoch oben in den Lüften orten wir ein Störgeräusch; ein Flugzeug und nach einigen Minuten ein zweites in Richtung Schwechater Flughafen. Ein mir bekanntes Phänomen: an mehreren Tagen in der Woche fliegen den ganzen Tag im Rhythmus von ca. einer Minute Flugzeuge hörbar über den Westen von Wien.

Ein sogenannter chemischer Dauerregen. Die Idylle lässt sich nur immer kurz aufrechterhalten. Harmloses Handy, harmlose Lärmbelästigung, harmlose Hochfrequenzstrahlung, harmloser Elektrosmog, harmlose Flugzeuge…

Sternengeflüster

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