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IX

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„Ich bringe frohe Kunde, Dante. König Eldanas möchte dich in seiner Ehrengarde und Leibwache sehen. Er hat von deinen außerordentlichen Fähigkeiten erfahren, wie es scheint. Es ist dir gestattet, mitzunehmen so viel du möchtest, denn wie alle Streiter seiner Garde beziehst du ein eigenes Quartier in der Burg. Deine Leistung verleiht deinem Namen Flügel, Dante.“ Der Elf lächelte nicht.

Dantes leuchtende Augen genügten als Antwort. Für ihn war soeben ein Traum in Erfüllung gegangen. Seitdem er als kleiner Junge schreiend und mit einem mickrigen Holzschwert bewaffnet, durch die Gassen seiner Heimat gerannt war, hatte er darauf gehofft, eines Tages in die Garde König Eldanas‘ aufgenommen zu werden. Und nun brach eine neue Zeit an; ein neues Leben.

Die königliche Garde bestand aus etwa dreihundert hervorragenden Fechtern, die sich Tag und Nacht um die Sicherheit des Königs sorgten. Jeder in der Garde gelangte zu Reichtum und Ehre. Sie waren anerkannte Leute. Sein Vater wäre mit Sicherheit stolz auf ihn, schließlich würde sein Sohn bald zu den bekanntesten Kriegern der Menschen gehören. Dante konnte sein Glück kaum fassen.

„Wann kann ich abreisen?“ Seine Stimme vibrierte vor Erwartung. Es war ein langer Weg nach Mentél. Doch durch solche Banalitäten konnte er sich nicht aufhalten lassen.

„Sobald du möchtest. Es steht dir frei zu gehen, sobald du Abschied genommen hast, Dante. Ich nehme an, du wirst uns Morgen verlassen.“ Es wirkte, als hätte ein winziges Fünkchen Trauer sich in die Stimme des Elfen verirrt.

„Ich werde im frühen Morgengrauen aufbrechen. Ich verabschiede mich sogleich von meinen Freunden.“ glühte Dante.

„Sehr wohl.“ Solúnis stieß dies mit geheuchelt-wirkendem Trübsal hervor, welche den jungen Menschenkrieger jedoch zu Zweifeln führte. Er hatte in der Vergangenheit eine solche Kälte ausgestrahlt, dass der Gedanke ihm schlichtweg abwegig vorkam. Die Situation erwies sich als Dilemma. Er konnte sich als ein leichtes Opfer scharfer Abweisung darstellen, indem er seinen Lehrer fragte, ob alles in Ordnung sei, oder sich für die Ratschläge und Hilfe bedanken und sich aus dem Staub machen. Er rang nach einer Antwort. Schließlich wagte er es doch, zu fragen.

„Solúnis. Du – “

Doch in diesem Augenblick stürmte ein wuseliger Junge auf den Elfen zu, um ihm eine kerzengelbe Schriftrolle in die Hand zu drücken. Mit einem knappen Nicken bedeutete Solúnis dem Kind sich zurückzuziehen und begann damit, sich dem Geschriebenen zu widmen. Die Pupillen des Elfen schienen unsicher, ob sie ängstlich zucken, oder vor Freude galoppieren sollten.

„Ich habe soeben erfahren, dass du nicht zur Ehrengarde gehören wirst, sondern unverzüglich in die Festung Eisenturm reisen sollst. Torabur, der König der Zwerge, erwartet dich. Eldanas befindet sich ebenfalls im Eisenturm, da dort in diesem Augenblick über die Zukunft Santúrs beraten wird.“

„Torabur. Wie kommt es, dass mir diese Ehre zu Teil wird?“ Ehrfurcht schwang in seiner Stimme mit und kaschierte eine leichte Trauer.

„Das geht aus dieser Nachricht nicht hervor.“ erklärte der Elf knapp. „Und nun verabschiede dich.“

„Ich werde meine Freunde von meinem Schicksal in Kenntnis setzen.“ Trauer schwang nun deutlich hörbar in Dantes Stimme mit. Er bevorzugte es, zur Ehrengarde des Königs zu gehören, als mit den Zwergen zu tun zu haben. Andererseits befand sich Eldanas ebenfalls in der Festung. Womöglich würde sein Traum sich dennoch erfüllen.

Dante wandte sich ab, als Solúnis ihn noch einmal zu sich heranzog und ihn freundschaftlich umarmte. Der junge Krieger war vollkommen überrascht, doch spürte, dass er seinen Lehrer gewähren lassen sollte.

Anschließend verschwand der Elf ohne sich ein weiteres Mal umzudrehen. Er hob lediglich seine Hand zum Gruß, bevor er zwischen den niedrigen Türmchen verschwand, deren Mauern durch die Abendsonne in ein sanftes Kirschrot getaucht wurden. Dante erwog flüchtig, Solúnis zu folgen, entschied sich jedoch dafür, sich von seinen Kameraden zu verabschieden. Das faszinierende Meer aus Rot- und Orangetönen am Horizont wehmütig beobachtend, schlenderte er zum Gemeinschaftsraum der Schule zurück. Endlich hatte er es geschafft. Endlich würde sein Leben sich wenden.

„Meine Freunde, dies ist ein Abschied. Torabur, der König der Zwerge, erwartet mich in der Festung Eisenturm. Auch Eldanas wird dort sein.“ eröffnete Dante getragen und berührt.

Verwundert starrte ihn die bunte Gruppe Schüler an.

„Weshalb.“ warf einer der Lehrlinge verdutzt im allgemeinen Interesse in die Stille.

„Ich weiß es nicht. Entweder will Solúnis es mir nicht sagen, oder er selber weiß es auch nicht. Jedenfalls werden zwei Krieger mich als Garde begleiten, weswegen ich vermute, dass es sich um etwas Gewichtiges handelt.“

Die Blicke der anderen Schüler senkten sich gen Boden, verwandelten sich in den betrübter Glaskugeln, als er jeden einzelnen seiner Freunde kräftig und lange umarmte und sich verabschiedete. Er hatte seine wenigen Sachen bereits zusammengepackt und die beiden grimmig dreinblickenden Krieger warteten vor der beinahe niedlichen Burg, welche ihm eine gute Heimat gewesen war, seit seine Mutter eines düsteren Abends vor einigen Wintern abgeschlachtet worden war. Sein Vater hatte damals dafür gesorgt, ihn hier unterzubringen, während dieser über den Tod räsonierte und die Einsamkeit sich zu seinem besten, seinem einzigen, Gefährten entwickelt hatte.

Diese Ereignisse spielten jedoch in ferner Vorzeit und Dante dachte, er hatte sie bereits beinahe vergessen, hatte sie akzeptiert. Die Frauen und Männer in der kleinen Burg inmitten der Stadt waren seine neue Familie geworden. Nun war die Zeit gekommen, sie zu verlassen.

Mit einer verlorenen Träne im Augenwinkel machte Dante sich auf den Weg nach draußen. Die beiden schwer bewaffneten, kräftigen Wachen stiegen auf ihre gigantischen Schimmel, während Dante den weiß-braunen Hengst sattelte, den sie die Soldaten eigens für ihn mitgebracht hatten. Solúnis erschien in der Tür seines bequemlichen Hauses, welches direkt an das seiner Lehrlinge grenzte.

„Viel Glück, Dante. Ich hoffe wir sehen uns wieder.“ Der Elf hatte die größte Gabe seines Volkes wieder unter Kontrolle. Es war unmöglich, Emotionen von seinem starren Antlitz abzulesen. Auf eine merkwürdige Art beruhigte diese Tatsache Dante. Nun ließ er alles zumindest in bester Ordnung hinter sich. Die Kehle des Jünglings schnürte sich zu und er brachte lediglich einen erstickten Dank heraus.

Er drehte sich ein letztes Mal um, damit er jedem seiner Freunde, welche nun gemeinsam aus der Pforte zum Eingang ihres Wohnhauses strömten, noch einmal zuwinken konnte und verschwand hinter einer Staubwolke der dumpfen Hufe von Eldanas‘ Pferden.

Die kühle Nachmittagsluft umspielte ihre Silhouetten, als sie durch einen Ozean aus dichtem Gestrüpp schwammen. Der Wald war unglaublich dicht. Diverse, tierische Geräusche erfüllten den Himmel und drangen aus dem erdrückenden, grünen Vorhang. Obgleich einige von ihnen nicht klangen, als gehörten sie zu besonders freundlichen Wesen, fühlte Dante sich geborgen und glücklich. Es würde mit Sicherheit eine schöne Reise zur Festung Eisenturm werden, trotz der Tatsache dass keiner seiner beiden Begleiter gesprächig war und sie ihn bisweilen lediglich fragten, ob er eine Pause bräuchte.

Die Langschwerter an der rechten Flanke in einer Scheide baumelnd und mit unzähligen, verborgenen Dolchen ausgerüstet, waren sie bis an die Zähne bewaffnet. Kalte, blaue Augen zuckten misstrauisch in jede Himmelsrichtung.

Doch der Wald war ihnen wohl gesonnen, als sie stets tiefer in seinen Kern vordrangen.

Urplötzlich stieß der Reiter vor Dante – sie hatten den Grund ihrer Reise beschützend in ihre Mitte genommen – ein unterdrücktes, misstrauisch-brummendes Geräusch aus, bevor er seine Hand hob, um seinen Gefährten zu signalisieren, dass sie umgehend stehen bleiben sollten.

Der Krieger stieg ab und sein Langschwert glitt beinahe geräuschlos aus der Scheide, um von zwei kräftigen Fäusten umklammert zu werden. Nun bemerkte auch Dante, dass etwas nicht stimmte. Die Gebüsche um ihn herum raschelten und wurden lebendig, während der Krieger, welcher hinter Dante ritt, von seinem Pferd stieg und anschließend auch Dante von seinem zerrte. Der Krieger legte seinen Zeigefinger auf die Lippen und führte ihre Tiere dicht aneinander. Die drei mächtigen Rösser thronten nun über dem zusammengekauerten Schwertkampfschüler und bildeten einen Schild. Seine beiden Begleiter umkreisten die Pferde, auf eine plötzliche Bewegung lauernd. Die rasselnden Geräusche aus dem Wald verdichteten sich und Dante stellte fest, dass sie eingekesselt waren.

Das hier durfte nicht das Ende des Weges sein. Ein vorbeizischender Pfeil zerschmetterte seine Gedanken harsch. Er kam von beinahe schräg über ihm, doch keines der Pferde schien verletzt. Sie scharrten lediglich unruhig mit den Hufen. Dann erkannte Dante eine Figur, die auf einem Ast über ihm kauerte. Es war durchaus möglich, dass dieser Räuber den Pfeil abgeschossen hatte, denn seine Position erlaubte es ihm, knapp unter dem Bauch des Pferdes vorbei in seine Richtung zu feuern, während das Geschoss eine steile Flugbahn beibehielt.

Es handelte sich folglich um Räuber.

Seine beiden Bewacher spurteten auf den diesigen, grünen Vorhang zu. Während einer von ihnen auf den Angreifer zu eilte, den auch Dante erblickt hatte, verschwand sein Mitstreiter in die entgegengesetzte Richtung. Einige Augenblicke lang überlegte der junge Krieger, was für Möglichkeiten sich ihm boten. Er konnte entweder in relativer Sicherheit warten und die beiden erfahrenen Krieger im Stich lassen, oder ihnen zur Hilfe eilen, sich selber in eine prekäre Situation stürzend. Oder er konnte fliehen. Unzählige Fragen schwirrten in Dantes Kopf herum und machten ihn schwindelig. Doch letztendlich entschied er sich für die gefährlichste Möglichkeit.

Er würde aus seinem Versteck heraustreten und kämpfen. Schließlich sollte er in König Eldanas‘ Ehrengarde dienen, wo er sich ohnehin unter Beweis stellen musste.

Dante kroch unter den erstaunlich disziplinierten Pferden hervor und stand auf. Unverzüglich begrüßte ihn ein Hagel aus etwa zehn Pfeilen, die ihn allesamt knapp verfehlten. Er zog sein Schwert und rannte in das Labyrinth des Waldes.

Bald entdeckte der Menschenkrieger eine Spur aus Blut und einer Unzahl erstochener Räuber. Einer seiner beiden Beschützer hatte bereits ein wahres Gemetzel angerichtet. Sie mussten ungeheuer bedeutsame Krieger sein. Offiziere der Ehrengarde, vermutete Dante ehrfürchtig.

Wenige Schritte später fand er ihn. Er war einen Kopf größer als die restlichen Menschen und beinahe zwei Köpfe größer als Dante. Unzählige Pfeile hatten sich in seine mächtigen Oberarme gegraben, doch er schien sie nicht zu spüren, während er sein mächtiges Breitschwert um sich kreisen ließ und die letzten, verlorenen Diebe erschlug.

Dante stand wie angewurzelt vor ihm. Nachdem die gesamte Truppe ihr Leben gelassen hatte, begann der Hüne damit, die Pfeile aus seinen Armen und Oberschenkeln zu ziehen. Seine Mundwinkel verzogen sich nicht einmal um Haaresbreite, obwohl das Blut aus den verschiedenen Wunden schoss. Dante eilte an seine Seite.

„Bist – Bist du in Ordnung? Ich – “ begann Dante stockend, hilflos.

„Sieh nach Tandror. Sieh nach meinem Bruder.“ befahl eine tiefe Stimme, welche nicht darauf hindeutete, dass ihr Besitzer soeben von ein Dutzend Pfeilen durchlöchert worden war.

Auf der anderen Seite des Weges, in etwa der gespiegelten Position seines Bruders, fand er Tandror. Auch hier hatte eine blutige Schlacht getobt, doch der Hüne hatte lediglich einen harmlosen Schnitt davongetragen und wirkte nicht sonderlich erschöpft.

„Dein Bruder ist verletzt.“ rief Dante und fuchtelte wild mit den Armen, um Tandror zu bedeuten, dass er sich beeilen sollte. Dieser nickte knapp und folgte Dante rasch durch den Wald. Auf der Straße angekommen, fanden sie den anderen Krieger vor den Pferden kniend auf dem Boden, die Wunden an seinen Gliedern vorsichtig abtastend, begutachtend.

„Torn, wir müssen dich versorgen.“ Auch Tandrors Stimme war sonor und felsenfest.

„Es sind bloß Kratzer“ winkte der Riese ab, doch es war offensichtlich schlimmer als das.

„Ich bringe dich Heim, Torn. Wir schaffen das.“ ignorierte Tandror die Beschwichtigung seines verletzten Bruders, während er einige Stofffetzen nahm, um einen Teil der Wunden zu verbinden. Als er merkte, dass sie nicht ausreichten, stülpte er seine Rüstung ab, unter welcher sich ein leichtes, ledernes Hemd verbarg und zerriss dieses in Streifen, nachdem er das Kleidungsstück ebenfalls über seinen Kopf gezogen hatte.

Ungläubig starrte Dante auf die Szene, als sich die Muskeln anspannten und das Leder zerrissen. In diesem Moment war er unglaublich froh, dass diese beiden Krieger ihn begleiteten. Diese zwei waren Dante lieber, als eine gesamte Armee normaler, menschlicher Krieger. Torabur musste eine wahrlich wichtige Aufgabe für ihn haben.

Nachdem die Wunden versorgt waren, saßen sie erneut auf und setzten ihren Weg fort. Sie galoppierten ohne Rast, da es in dieser Gegend nur so von Räubern wimmelte und Torn mit seinen Verletzungen zu kämpfen hatte.

Die Sonne war bereits seit einiger Zeit untergegangen, als sie sich dazu entschieden, letztendlich doch eine Rast einzulegen. Ein sternenklares Firmament sog Dantes Blicke auf und ließ sie nicht mehr los. Tausende, leuchtende Punkte zierten den schwarzen Hintergrund. Auf einigen der fernen Objekte konnte man Krater erkennen. Ob sich dort auch Schicksale wie Schlangen wanden? Mit diesem Gedanken schlief der junge Menschenkrieger ein, mit Träumen voller Abenteuer und Heldentaten. Ein magisches Schwert leuchtete in seiner Hand, als er alleine gegen eine enorme Schar Orks marschierte.

„Steh auf, Dante.“ Der Satz wurde von einem leichten Tritt gegen das Schienbein begleitet.

Er öffnete seine Augen und schreckte hoch. Er befand sich nicht auf solidem Boden. Sein Kopf zuckte in alle Richtungen und er war unheimlich erleichtert, als er feststellte, dass er sich auf seinem Pferd befand. Torn und Tandror hatten ihn anscheinend auf sein Tier gehievt und er war dabei nicht einmal aufgewacht.

Nach wenigen Augenblicken gelangten sie auf eine friedliche, grüne Hügelkuppe, bewachsen mit langem, saftigem Gras. Dantes Mund klappte auf, als er sah, was sich vor ihm erstreckte. Die gewaltigste Festung, die er in seinem Leben zu Augen bekommen hatte, verdeckte den Horizont über tausende von Schritten gen Süden und Norden. Sie grenzte an einen massiven Felsen, was es beinahe unmöglich machte, sie von hinten zu überfallen, während ein kompliziertes System aus Gräben und Brücken die frontale Belagerung erschwerte. Dies war sie also, die legendäre Festung Eisenturm. Die Heimat der Zwerge. Nun würde er erfahren, wo die Schicksalsschlange ihn hinführen würde.

Jenseits der Augenlider

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