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III

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Waldoran verließ den Saal im höchsten Turm der Festung als Letzter. Ein durchaus gelungener Turm, fand er; wenn auch ein wenig zu schwerfällig und massiv. Kolossale, unfassbar detaillierte Verzierungen aus Marmor und Emaille schmückten die hohen Wände. Doch an die Pracht seiner Heimat reichte selbst die vortrefflichste, zwergische Steinmetzkunst nicht heran.

Der Fürst träumte häufig von den Wäldern Antárs. Dort, in der Geborgenheit der mächtigen Bäume, lebte er seit hunderten von Wintern in Einklang mit seiner Umgebung, in Diskurs mit ihr. Zierliche, geschwungene Linien aus diversen Holzsorten schmückten jeden Stamm und kreierten ein unvergleichliches Mosaik aus den exotischsten Brauntönen. Sie lebten in Baumhäusern aller Größenordnungen und während manche es simpel bevorzugten, verweilte Waldoran in palastähnlichen Residenzen. Die Einrichtung stimmte mit einer Vielzahl der Behausungen des Ostens überein – bis auf die fließende Eleganz, welche das Waldvolk perfektioniert hatte – doch existierten keine Möbel in Materialien, welche nicht dem verschlingenden Wald entstammten.

Ein Feuer zu entfachen, war trotzdem möglich. Jegliche Wände der Baumhäuser wurden mit einem speziellen Serum überzogen, welches feuerabweisend wirkte und aus eine der umliegenden Pflanzen gewonnen wurde. Die Mannigfaltigkeit der exotischen Holzsorten, von welcher alle einen eigenen, betörenden Duft verströmten, überwältigte nicht bloß die Elfen.

Nun zwangen ihn die Umständen des Krieges jedoch dazu, ein Quartier in der Festung Eisenturm zu beziehen und mit den zwergischen Bräuchen kam er nur äußerst mühevoll zurecht. Ozeane an Bier und Branntwein, wenig Schlaf und eine schreckliche Musik, dominiert von enormen, ohrenbetäubenden Trommeln, erklärten seiner noblen Grazilität den Krieg. Doch am stärksten vermisste er seine Fürstin. Saliana war ein sommerlicher Sonnenaufgang über den mysteriösen Küsten der Insel; die Edelsteine Santúrs stritten sich darum, welche ihre Augenhöhlen füllen durften. Kristallklar wie das Wasser selbst, kein Äderchen geplatzt. Wallende, weiß-blonde Locken umrahmten ihr blasses Antlitz. Sinnliche, elfenbeinerne Lippen rundeten ihre Vollkommenheit ab. Sie roch nach frischem Laub und Rosen.

Gemächlichen Schrittes spazierte Waldoran den endlosen Gang im Hauptgebäude entlang. In elfischen Augen amateurhaft gearbeitete Gemälde zwergischer Herrscher verzierten nun den kalten Stein. Mit Farbe und Pinsel waren die Elfen ihren halbwüchsigen Verbündeten immer noch hoffnungslos überlegen. Jedes sah gleich aus, befand der Fürst mit dem Blick eines Kenners und überlegte, ob nicht lediglich jeder Herrscher eine verblüffende Ähnlichkeit zum vorherigen aufwies.

Das hohle Klappern von Stiefeln erklang hinter ihm auf dem marmornen, Mosaik-bedeckten Boden. Bedächtig drehte der Elf sich um. Er erwartete, soweit er wusste, keine Nachrichten. Womöglich gab es Neuigkeiten bezüglich Saliana. Sie hatte in den letzten Monden furchtbar erschöpft gewirkt; ein sicherer Vorbote finsterer Zeiten.

„Waldoran. Wir wissen nun, wer der Heerführer der gegnerischen Truppen ist.“ keuchte ein unscheinbarer Zwerg. „Es ist Latenor.“

„Unmöglich.“ konstatierte Waldoran emotionslos.

Der Zwerg, der ihm die Botschaft überreichte, kam ihm nicht bekannt vor. Wahrscheinlich ein niederer Diener der Festung.

„Unsere Späher in Nahran Thur haben ihn bei seinem Heer gesehen. Er hat eine Rede gehalten. Vor allen Kriegern, siebzigtausend. Ich habe es zuerst Torabur berichtet. Er sagte mir, ich solle alle Mitglieder des Kriegsrates darüber in Kenntnis setzen. Wenn die Sonne am morgigen Tag am höchsten steht, werden alle im Königssaal erwartet.“

„Ich werde erscheinen.“

Die Fassade von kühler Intelligenz und Stärke aufrechterhaltend, nickte Waldoran dem Zwerg dankbar zu. Dieser verbeugte sich und verschwand.

Latenor. Das erklärte sein plötzliches Verschwinden. Allerdings konnte sich der Fürst keinen Reim aus dieser Botschaft machen. Dass Latenor sie verraten hatte, schien unmöglich. Der Elf war ein berühmter Fechter. Er war bekannt, ein Offizier, genoss Ansehen und Respekt.

Bedächtig strich Waldoran zu seinem Schlafgemach. Sie waren einmal Freunde gewesen. Gute Freunde. Doch auf einmal hatte er sich in Luft aufgelöst. Verschwand, von einem Tag auf den anderen. Waldoran und eine Vielzahl anderer Elfen hatten vergeblich nach ihm gesucht. Anfangs hatte Waldoran noch angenommen, dass sein Freund wiederkehren würde. Doch er hatte sein Antlitz nie wieder gezeigt. Auch Waldorans Hoffnungen waren nun erloschen, wie die Kerze an welcher er mit erhobenem Haupt vorbeischritt.

Der Fürst stieß die massive Holztür zu seiner Kammer auf und trat ein. Niedergeschlagen ließ er sich auf sein schmales aber gemütliches Bettchen im Stile Antárs nieder. Ein geschmackvoll verziertes Birkenholzkästchen stand auf dem sonst beinahe leeren Tisch. Lediglich eine Karaffe mit klarem Wasser, ein Glas und ein Stück Pergament mit Feder beschwerten ihn zusätzlich. Der Tisch stand vor dem einzigen Fenster des Raumes.

Waldoran hatte einen Brief an Saliana begonnen, doch sein Geist sträubte sich davor, ihn zu vollenden. Die erschütternde Nachricht über seinen einstigen Freund lenkte ihn zu stark ab.

Eigentlich hasste er die Zwerge nicht. Er verstand nicht, weshalb er in diesem Augenblick an seine Gastgeber dachte, doch irgendetwas lenkte seine Gedanken auf sie. Die Zwerge hatten ihm sogar eigens ein Waldbett aus Antár in seine Kammer transportiert. Ein gerissener Kniff Toraburs, welchen Waldoran zu schätzen wusste.

Er legte seinen herbstfarbenen Jagdbogen und seine sonstigen Waffen ab, entledigte sich seiner Kleidung und begab sich in sein komfortables Bett. Morgen würde er Saliana einen Brief schreiben, das schwor sich der Elf.

Er stellte sich vor, wie sie gemeinsam auf einer Baumkrone in ihrer Heimat saßen. Ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, dem fernen Abendrot zusahen, wie es zögernd verschwand. Bis die etwa kirschkerngroße Scheibe pulsierender, rot-orangener Farbe hinter dem Rand Santúrs verrauchte. Mit einem Lächeln auf den Lippen und diesen Gedanken vor seinem inneren Auge, schlief er wenig später ein.

Jenseits der Augenlider

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