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Kapitel 2, in dem Familie Rabe ein Fest feiert

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Nicht sehr weit entfernt von den Wölfen lebte ein Rabenpaar auf einem Ahornbaum. Das Männchen hieß Odin und war der Chef des Rabenclans. Seine wunderschöne Frau, um die ihn alle Männchen beneideten, trug den Namen Freya. Beide warteten ungeduldig darauf, dass ihr Küken schlüpfte. Als es in einer mondhellen Nacht endlich die Schale seines Eis durchbrach, war die Freude riesengroß. Es war das erste Küken von Freya und Odin. Ein Junge! Der kleine Rabe sollte einmal mutig und voller Stolz das Erbe der Eltern antreten und die Leitung der Rabenfamilie übernehmen. Deshalb war Odin der Meinung, dass sein Kind nach einem mächtigen Gott benannt werden sollte. Also nannte er ihn nach dem Gott des Donners: Thor. Und noch etwas war ganz besonders an Thor. Er kam aus dem einzig noch verbliebenen Ei des Nestes. Denn eigentlich waren es zu Beginn vier Eier gewesen, aus denen vier Küken schlüpfen sollten.

Doch eines Nachts, als Freya auf Jagd und Odin einen kurzen Augenblick eingeschlafen war, kam ein Eindringling zum Ahornbaum und raubte die Eier. Eines hatte er allerdings übersehen und zurückgelassen. Alle Raben hatten die Wölfe im Verdacht. Sie waren schließlich Raubtiere und jagten alles, was ihnen in den Weg kam. Beide Familien waren seit Generationen verfeindet. Da lag es doch nur nahe, dass ihnen die Wölfe eins auswischen wollten, dachten die Raben. Bestimmt war es ihr Anführer Büffeltöter gewesen, der die Idee für diesen Raub ausgeheckt hatte. Der Schock und die Trauer um die verlorenen Eier waren groß. Aber die Freude über die Geburt von Thor tröstete die Eltern. Sie nahmen sich vor, ihr geschlüpftes Küken nicht mehr aus den Augen zu lassen und es immer zu beschützen.

Nachdem Thor aus seiner Eierschale gekrochen war, veranstalteten die Raben ein großes Fest, zu dem alle Verwandten eingeladen wurden. Der Ahornbaum war geschmückt mit bunten Fäden, die Opa Jakob in einem Garten der Menschen stibitzt hatte. Außerdem gab es frische Beeren aus dem Wald, für jeden so viel, bis er beinahe platzte. Jakob war das Schlitzohr der Familie und wusste lustige, aber auch spannende Geschichten zu erzählen. Seine Frau Hedwig war die einzige, die ihn dabei immer ermahnte.

„Du und deine Geschichten. Deine Fantasie ist einfach zu groß“, pflegte sie zu sagen. Aber wenn Jakob zu sprechen begann, wurde auch sie von seinen Schilderungen mitgerissen und war insgeheim sehr stolz auf ihren Mann. Zugegeben hätte sie es niemals, da sie ihrer Rolle als strenge Oma und Älteste der Sippe gerecht werden wollte. Ihrer Meinung nach musste jemand für Zucht und Ordnung sorgen, sonst würden sich am Ende alle gegenseitig auf der Nase herumtanzen.


Insgesamt waren zwanzig Raben zur Feier des Tages im Ahornbaum versammelt und begrüßten den kleinen Thor in ihrer Gemeinschaft. Alle gratulierten Freya und Odin zu ihrem ersten Küken und versprachen, bei der Aufzucht zu helfen. Denn solch einen jungen Raben großzuziehen, bedeutete viel Arbeit und konnte sehr anstrengend sein. Der Hunger des Kleinen würde unersättlich sein und die Eltern mussten Tag und Nacht auf die Jagd nach Beeren und Insekten gehen. Jede Hilfe war deshalb willkommen. Gemeinsam würden sie es schon schaffen. Das Geburtstagsfest dauerte einen ganzen Tag und eine ganze Nacht lang. Es wurde gesungen, gegessen und den Geschichten von Opa Jakob gelauscht.

Nach ein paar Wochen, in denen die Eltern und Verwandten fleißig Futter für den kleinen Raben gesammelt hatten, war Thor prächtig gewachsen. Der weiche Babyflaum war verschwunden und die ersten richtigen Federn kamen zum Vorschein, die schwarz im Sonnenlicht glänzten. Doch was war das? An einem klaren Morgen, als Freya den kleinen Thor in einer Pfütze badete, entdeckte sie eine mausgraue Feder an seinem linken Flügel. Voller Schreck rief sie nach Odin: „Komm schnell her, da stimmt etwas nicht!“

Es dauerte keine Stunde, bis sich unter den Raben herumgesprochen hatte, dass Thor kein komplett schwarzes Federkleid hatte – wie es sich für einen Nachfolger des Clanchefs eigentlich gehören sollte.

„Er ist ein Kuckuckskind“, rief Freyas Schwester voller Entsetzen.

„Ist er überhaupt ein Rabe?“, fragte Thors neidischer Cousin.

„Papperlapapp“, sagte Opa Jakob bestimmt, „Thor ist ein waschechter Rabe und Freya und Odin sind seine richtigen Eltern. Hört auf mit dem Gerede, nur weil ihr eifersüchtig auf sein Erbe seid.“

Nur um sicherzugehen, dass mit Thor wirklich alles in Ordnung war, riefen die Eltern den Rabenarzt Ole Einar zu Hilfe. Dieser schaute sich die mausgraue Feder genau an und sagte beruhigend: „Euer Piepmatz ist kerngesund und ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Thor ist etwas ganz Besonderes und wird einmal große Taten vollbringen. Die graue Feder wird ihm dabei helfen, sich in der Waldgemeinschaft durchzusetzen“.

Damit waren die Eltern und alle Verwandten beruhigt, auch wenn der Cousin immer noch seine Zweifel hegte.

Graue Pfote, Schwarze Feder

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