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KAPITEL 5 Donnerstag, 12. Dezember 1985

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Der Privatfahrstuhl glitt langsam zur Penthouse-Etage nach oben, so hatte Elaine Zeit, sich in den Spiegeln an den Wänden zu überprüfen. Sie wirkte selbstbewusst und geschäftsmäßig. Sie war zufrieden.

»Keine Sorge, du siehst wunderbar aus«, sagte Deena.

»Wer macht sich denn hier Sorgen?« Elaine musste lachen, als Deena sie ernst ansah. Beide wussten, auf wen sie sich einzustellen hatten.

»Lass dich einfach nicht von ihm ärgern, Lainie.«

Elaine unterdrückte einen Seufzer. Papas kleines Lieblingsmädchen Deena würde es nie glauben, dass er bei seiner Ältesten immer irgendeinen Fehler entdeckte. Wenn schon nicht bei ihr persönlich, dann bei ihrer Firma. Die Kommentare wurden immer leicht dahin gesagt und von einem Lachen begleitet. Aber irgendwas fand er immer.

Elaine sah ihre Schwester im Spiegel an. Deena wirkte irgendwie jünger, strahlender, wie eine Frau, die liebte. Wenn man bedachte, wie oft Deena angedeutet hatte, dass sie und Michael ernste Probleme hatten, verstand man die Sorgen ihrer Mutter. Am Erntedanktag war die Kälte zwischen den beiden deutlich spürbar gewesen. Aber ein anderer Mann konnte es doch nicht sein! Das war nicht Deenas Stil! Sie war doch immer das tapfere Mädchen, das alle Spielregeln befolgte. Wenn man nur sah, wie sie in all den Jahren ihre Intelligenz und ihr Talent verschwendet hatte, um als gute Mutter bei ihren Kindern zu Hause zu sein.

In diesem Jahr hatte sie sich nun endlich für diesen Abendkursus angemeldet. Es wurde aber auch Zeit, dass sie aus dem Haus kam! Jetzt müsste sie nur noch ihre Tätigkeit an dieser Privatschule aufgeben, um endlich eine richtige berufliche Laufbahn einzuschlagen. Warum sollte man sie eigentlich nicht mit ins Familienunternehmen hinein nehmen? Natürlich nur, wenn Papa das zuließ! Deena könnte sich um die Innenausstattung kümmern; sie hatte eine kreative Ader. Eigentlich war es egal, was sie letztendlich machte. Sie sollte sich aber mehr mit der Wirklichkeit auseinander setzen als ständig nur mit ihrer Fantasiewelt. Stücke schreiben! Was für eine Idee! Da wäre es doch besser, wenn sie ihre Begeisterung in die Strauss-Baugesellschaft steckte und mit ihrer Schwester zusammenarbeitete.

Die Tür des Fahrstuhls glitt auf, und sie waren da, mitten im afrikanischen Urwald. Deena stichelte: »Ich vermute, wenn Papa Tarzan ist und du Jane, dann bleibt mir nur noch die Rolle der Chita.«

»Mir gefällt es«, sagte Elaine. Tatsächlich liebte sie die Art, wie Papa sein Büro als Schaukasten für das Unternehmen nutzte. Der Empfang hatte Klasse. Die Dekoration wurde etwa alle vier Jahre vollständig geändert, und diese hier war gerade sechs Monate alt. Die Wände bestanden aus bronzierten Spiegeln, der Fußboden aus Steinplatten. In der Mitte gab es einen Springbrunnen, und ein Dutzend Bäume in Pflanzenkübeln gediehen in dem gefilterten Licht, das vom Oberlicht und von im Laub versteckten Strahlern kam. Was Elaine am meisten liebte, waren die Spiegelungen ... bis zur Unendlichkeit.

»Hallo«, begrüßte Deena Miss Harvey, die treue Empfangsdame. Miss Harvey sagte: »Oh Deena, Sie sind es! Da ist ja auch Elaine! Wie kommen wir zu der Ehre?« Sie betrachtete die beiden mit versteckter Neugier. »So oft sehen wir Sie beide ja nicht zusammen. Schade, Ihr Vater ist im Augenblick nicht da. Eine Konferenz in Long Island City! Es tut mir leid.«

»Eine Konferenz? Das ist nicht Ihr Ernst!« Es war unglaublich. Vater hatte sich fest mit Elaine verabredet, hatte sogar noch einmal in ihrem Büro nachgefragt, und dann war er nicht da! Sie spürte, wie ihre Entschlossenheit in einem Anfall von Wut schwand. »Eine Konferenz? Er hatte eine Verabredung mit mir!«

»Also, es ist so ... Es war ...«, stotterte Miss Harvey.

»Das ist mir egal! Er hat doch ein Telefon – oder?«

»Elaine!« Das kam einstimmig aus zwei Kehlen, im Tonfall damenhaften Entsetzens. Deena schob die Schwester außer Hörweite von Miss Harvey.

»Das ist absolut typisch für ihn, Deena! Absolut typisch! Wenn es ja doch nur um mich geht, kann er einfach so verschwinden. Aber ich bin nicht auf einen kurzen, belanglosen Besuch hier. Dies sollte eigentlich ein geschäftliches Treffen werden, das im Übrigen ja jedes einzelne Mitglied der Familie etwas angeht, nicht nur mich. Und er hat den Nerv, mich den ganzen Weg durch die Stadt machen zu lassen, damit ich jetzt hier stehe ... Als ob ich gar nichts zu tun hätte!«

»Ich weiß, dass du viel zu tun hast, Elaine. Aber er hat das doch nicht absichtlich gemacht, da bin ich mir sicher. Ich verstehe, dass du wütend bist, aber es gibt bestimmt einen vernünftigen Grund. Gib Papa doch die Gelegenheit, es dir zu erklären. Noch kann ich nicht erkennen, dass er etwas Schlimmes getan hat. Wenn es denn so ist, kannst du am Ende immer noch böse auf ihn sein.«

»Ach ja? Du gibst mir deine Erlaubnis?« Jetzt war sie wirklich wütend. Sie hatte auch keine Lust mehr, die Sache allein zu verhandeln. Howards Meinung, wie man taktisch vorgehen sollte, war ihr egal. Ihr war es jetzt einfach zu viel! »Hör zu, Deena«, sagte sie und sprach ein bisschen leiser. »Es gibt eine Neuigkeit. Du weißt, dass wir jeder fünfzehn Prozent Anteile am Unternehmen hatten. Du und ich und Marilyn und Sylvia.«

»Ja. Aber weshalb hatten

»Du begreifst schnell. Erinnerst du dich, dass ich dich letzte Woche angerufen und gefragt habe, ob du mich mit deinen fünfzehn Prozent unterstützen würdest? Ich hab auch Marilyn angerufen. Danach bin ich zu Sylvia gegangen ...«

»Und?«

»Sylvia sagte, sie würde mir gern helfen, aber leider hätte sie die fünfzehn Prozent nicht mehr.« Elaine machte eine Pause, um ihre Worte wirken zu lassen.

Deena runzelte die Stirn. »Was ist damit passiert?«

Elaine senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Das wollte sie mir nicht erzählen. Sie tat geheimnisvoll und sagte nur, dass Papa sie darum gebeten hatte, ihm die Hälfte ihres Anteils zu geben.«

»Warum? Was vermutest du?«

»Ich nehme an, zu einem bestimmten Zeitpunkt hat er schnell Bargeld gebraucht, und da hat er Sylvias Aktien genommen und verkauft.«

»Aber, warum brauchte er so dringend Geld?«

»Gute Frage. Ich hatte gehofft, er würde mir heute eine Antwort auf diese Frage geben. Und wie du siehst, ist er plötzlich sehr beschäftig und weit weg und unerreichbar. Was für ein Zufall! Dabei kann man doch einfach die Beherrschung verlieren!«

»Ach, Elaine, sicher ist er schwierig – und auch launisch. Aber wann war er je raffiniert und hinterhältig? Ich bin ganz sicher, dass es eine Erklärung dafür geben wird.«

»Das wäre auch besser für ihn.«

Deena legte plötzlich den Finger auf die Lippen, einen Moment später hörte Elaine hinter sich die fröhliche, gekünstelte Managerstimme von Lawrence McElroy.

»Sieh da, wen haben wir denn da? Und so wütend? Schau nicht so erstaunt, Elaine, ich habe euch aus meinem Büro gesehen, und du hattest denselben Gesichtsausdruck wie damals, als du das Sackhüpfen gegen mich verloren hattest. Ich hoffe, ich hole mir diesmal nicht wieder eine blutige Nase!« Er lachte, legte einen Arm um ihre Schultern und drückte sie an sich. Dabei dachte er: Die fette Hexe! Er hätte zu gern gewusst, weshalb die beiden hier herumschnüffelten. Die Strauss-Prinzessinnen hatten nie viel Interesse an der Firma ihres Vaters gehabt. Die Hauptsache war, dass sie ihre teuren Kleider und die exklusiven Privatschulen und ihr dickes, fettes Taschengeld haben konnten. Er könnte wetten, sie wollten etwas von Onkel Jack.

Jack, rief Lawrence sich in Gedanken zur Ordnung, nicht Onkel! Alte Gewohnheiten waren eben nur schwer abzulegen. Für Lawrence war er Onkel Jack gewesen, solange er zurückdenken konnte.

Aber als er hier zu arbeiten anfing, hatte Jack gefordert, diese Anrede nicht mehr zu gebrauchen. »Man könnte denken, dass wir verwandt sind ... ach, nenn mich Jack, wie mich alle hier nennen.« Er hatte den Arm um ihn gelegt und ihn an sich gedrückt. Ein toller Kerl, dieser Jack Strauss!

Was wollten die beiden? Warum konnten sie den alten Mann nicht in Ruhe lassen? Sie wohnten nicht mehr zu Hause, waren beide verheiratet und hatten Kinder.

Inzwischen hatte er sich auf Deena, die Schöne, zu bewegt, um sie zu umarmen. Sie lehnte sich eine Sekunde an ihn, um dann zurückzuweichen. Deena, die Verführerin. Himmel, wie hatte er für sie geschwärmt!

Er war vielleicht dreizehn – und sie war wie alt? Achtzehn, neunzehn? Egal, jedenfalls war sie schon verheiratet gewesen. Das war ihm gleich, sie hätte auch sieben Ehemänner haben können. Sie wusste, dass er auf sie abfuhr, und sie spielte bis zu einem gewissen Grad damit. Sie lehnte sich an ihn an und tat so, als wäre das ganz zufällig, aber er wusste ... Es amüsierte sie, wenn sich bei ihm was regte.

Hatten ihn nicht immer alle so behandelt? Sie machten immer kleine Witze über ihn, die niemand verstand. Als er noch klein war, war er zu naiv, um das zu merken. Als er schlauer geworden war, trieb es ihn zur Weißglut, und er hasste sie dafür.

Seine Mutter hatte ihn immer wieder darauf hingewiesen, dass Onkel Jack wie ein Vater war. Er kümmerte sich um sie, Onkel Jack war gut und wunderbar, Onkel Jack war nett zu ihnen. Wurden sie nicht zu allen Strauss-Gesellschaften und Familienfesten eingeladen? Sie wollte, dass Lawrence dankbar war.

Er erinnerte sich an die Geburtstagsfeier, als Marilyn sechzehn wurde. Die würde er sein Leben lang nicht vergessen. Marilyn begrüßte ihn beiläufig, nahm sein sorgfältig ausgesuchtes Geschenk und reichte es ungeöffnet an ihre Mutter weiter. Sie machte ihn mit niemandem bekannt, und als Frau Strauss ihn herumreichte, sahen die Mädchen ihn an wie einen hässlichen Käfer an der Wand. Warum hatten sie ihn eingeladen? Um damit anzugeben, wie reich und mächtig sie waren? Um ihm zu zeigen, wie klein und unbedeutend und unwichtig er war? Schließlich war er auf dem Fest doch noch auf seine Kosten gekommen. Er lungerte gerade an dem großen Tisch mit den feinen Speisen herum und überlegte, wie er ein paar davon in eine Serviette wickeln könnte, um sie seiner Mutter mitzunehmen.

Da kam Marilyn, das kleine, goldene Mädchen, zu ihm und wollte mit ihm tanzen. Ihm fiel fast der Unterkiefer runter! Die Band spielte einen langsamen Beatles-Song, und als er sehr vorsichtig die Arme um sie legte, schmiegte sie sich an ihn, drückte ihre Titten gegen seine Brust. Er wäre fast gestorben! Was sollte er machen? Ja, sie war heiß und rieb sich beim Tanzen an ihm. Oh Mann! Sein Schwanz würde gleich hochkommen. Konnte er ihn an sie drücken? Er tat es, und sie wich nicht zurück, kein Stück.

So war er dann auch nicht überrascht, als sie vorschlug, zum Luftschnappen nach draußen zu gehen. Dort warf sie sich ihm sofort in die Arme und küsste ihn heftig. Dann fasste sie ihn unten an. Davon hatte er immer geträumt! Er machte es auch bei ihr – und es gefiel ihr. Bei einem Mädchen aus der Tanzstunde hatte er es schon einmal versucht, da hatte er eine Ohrfeige bekommen. Aber Marilyn stöhnte und drückte ihn enger an sich, dann griff sie nach seiner Hand und legte sie auf ihre Titten. Er war so erregt, dass er nichts hörte – bis eine Hand seine Schulter umklammerte, ihn wegriss und eine Stimme brüllte: »Was, zum Teufel, ist das hier?« Oh Gott, Onkel Jack ... und mit einem Blick, der einen umbringen konnte!

Onkel Jack sagte zu Mary: »Du gehst dahin zurück, wohin du gehörst, zu deinen Gästen.« Als sie ganz schnell verschwunden war, wandte er sich Lawrence zu.

»Und was dich angeht ... Ich bin sehr enttäuscht von dir, Lawrence. Ein richtiger Mann unterdrückt solche Gefühle, wenn er mit einem anständigen Mädchen zusammen ist.«

»Aber, Onkel Jack, sie war es. Sie hat mich aufgefordert ...«

Onkel Jacks Gesicht wurde puterrot, und einen Moment lang glaubte Lawrence, dass er Prügel bekommen würde. »Du undankbarer Kerl! Wenn du nicht mehr Respekt vor mir hast, will ich in Zukunft nichts mehr mit dir zu tun haben!« Er sprach leise, seine Stimme war eiskalt. Lawrence hatte Onkel Jack noch nie so erlebt. Er hatte Angst.

Später konnte er sich nicht mehr erinnern, was Jack sonst noch zu ihm gesagt hatte. Es war etwas von Vertrauen, etwas über seine arme Mutter ... das Übliche. Er brachte Lawrence dazu, dass er sich fühlte wie ein lausiger Verbrecher. Dabei war es nicht einmal seine Schuld!

Ohne das Haus noch einmal zu betreten und ohne sich von jemandem zu verabschieden, ging Lawrence weg. Wütend fuhr er eine ganze Weile mit der U-Bahn durch die Gegend, um nicht zu früh zu seiner Mutter nach Hause zu kommen.

Sie lag im Hausmantel auf der Couch, schlürfte an einer Tasse Tee und lächelte ihm entgegen. Eigentlich wollte er sie anlügen, wirklich! Aber als er sie so erwartungsvoll sah, so ahnungslos, da explodierte er: »Sag nie wieder, dass ich zu einer dieser verdammten Scheiß-Partys bei Strauss gehen soll! Die haben doch nur Mitleid mit uns, Mutter. Wir sind die armen Schweine aus der billigen Nachbarschaft!« Obwohl sie den Kopf schüttelte und die Stirn runzelte, bestand er auf seiner Meinung. »Oh ja! Marilyn wollte mich gar nicht dabei haben, und ihre Freundinnen haben mich überhaupt nicht beachtet, nicht mit mir geredet und nicht mit mir getanzt. Ich war auch vollkommen falsch angezogen. Die Einzige, die nett zu mir war, war Frau Strauss. Weißt du, wo ich seit Viertel nach zehn gewesen bin? In der U-Bahn! Dreieinhalb Stunden lang bin ich mit der Linie A immer hin und her gefahren.«

»Mein armer Kleiner!« Sie wollte vom Sofa aufstehen, aber er winkte ab.

»Hör einfach auf damit! All die Jahre hast du gesagt, sie wären wie eine Familie für uns. Das sind sie nicht. Die wollen uns nicht.«

»Aber dein Onkel Jack wird sehr traurig sein ...«

Warum musste sie jetzt auch noch ihn erwähnen? Beim Gedanken an Onkel Jack bekam Lawrence einen heißen Kopf. Würde er ihm jemals wieder in die Augen sehen können?

Dummerweise platzte er heraus: »Mir ist es verdammt egal, wie Onkel Jack sich fühlt!«

Gern hätte er das zurückgenommen. Zu spät! Mutter begann bereits zu weinen, so wie sie es immer tat – geräuschlos, die Tränen liefen ihr über die Wangen, sie biss sich auf die Lippen und rang die Hände im Schoß.

Er flüchtete in sein Zimmer und setzte sich auf die Bettkante. Dass ihm Onkel Jack gleichgültig war, hätte er nicht sagen dürfen. Er wusste, dass es seine Mutter traurig machen würde. Sie nannte Onkel Jack ihren ganz besonderen Freund. Er war in erster Linie ihr Chef, aber er war mehr als nur ihr Arbeitgeber.

Mehrfach hatte sie ihm erklärt: »Als dein Papa im Krieg gestorben war, hatte ich niemanden, und Onkel Jack hat uns geholfen. Er besorgte mir die Wohnung, als es keine Wohnungen gab. Und er hat alles bezahlt, als du zur Welt kamst. Und jetzt besucht er uns so oft, weil er meint, es sollte im Leben eines jeden Jungen einen Mann geben.« Aber Lawrence wusste, dass es mehr als das war. Onkel Jack spielte mit ihm, hörte ihm zu und brachte Geschenke mit. Er war wirklich wunderbar! Aber man brauchte nicht besonders schlau zu sein, um dahinter zu kommen, dass Onkel Jack nicht nur kam, um mit dem kleinen Jungen zu spielen, sondern auch, um dessen schöne blonde Mutter zu sehen. Aber das war alles schon lange her!

»Deena, du siehst großartig aus.« Lawrence meinte es ehrlich. Sie trug enge Hosen, hochhackige Stiefel – sehr sexy! Schon als Teenager kleidete sie sich so, dass ihre schönen Beine zur Geltung kamen – und ihr fester kleiner Po. Darüber hatte sie eine Wildlederjacke an, den Reißverschluss geöffnet, damit man sehen konnte, dass die Jacke mit Pelz gefüttert war. Das war Deena Strauss – oder besser: Deena Berman. Den teuren Pelz trug sie innen, und dann ließ sie die Jacke wie zufällig offen, damit ihn jeder sehen konnte.

»Du trägst eine schöne Jacke«, sagte er. Sie lächelte ihn strahlend an. »Danke, Lawrence. Mein Mann hat sie mir zum Geburtstag geschenkt.«

Ausnahmsweise war sie einmal freundlich. Lawrence fühlte sich ermutigt und grinste sie an: »Da musst du aber sehr artig gewesen sein!« Mit gezwungenem Lächeln antwortete sie: »Wenn es um Menschen geht, die mir etwas bedeuten, bin ich immer artig.« Das sollte wohl eine Spitze gegen ihn sein. Er wusste nie, woran er bei den Strauss-Mädchen war. Seine Situation war so, dass er nicht gewinnen konnte.

Der würde sich wohl nie wie ein erwachsener Mensch benehmen, dachte Deena. Er schaffte es immer, genau das Falsche zu ihr zu sagen. Dennoch war er Papas Vizepräsident – und sogar ein guter. Papa sagte von ihm, er sei der beste Außendienstmitarbeiter, den er je gehabt hatte.

»Nun reicht es aber mit dem Austausch von Freundlichkeiten«, mischte sich Elaine ein. »Weißt du, wo Papa ist? Ich muss ihn anrufen.«

»Du kannst ihn nicht anrufen. Er ist in einer sehr wichtigen Konferenz.«

»Er hatte aber eine andere wichtige Konferenz vereinbart ... mit mir

»Aber seine ist wirklich wichtig, Elaine.«

»Was soll das bedeuten?«

»Sind sechs Millionen Dollar etwa nicht wichtig?«

Lawrence zwinkerte Elaine zu, und Deena stellte wieder einmal fest, dass Lawrence McElroy ein wirklich gut aussehender Mann war, wenn man diesen dunklen irischen Typ mochte. Sie mochte ihn nicht, zumindest diesen hier nicht. Aber damit gehörte sie zu einer Minderheit. Papa erzählte des Öfteren von Damen, die sich in Lawrence verliebt hatten. Aber wahrscheinlich kannten sie ihn nicht. Sonst würden sie merken, dass er nur über oberflächlichen Charme und über keinerlei Substanz verfügte.

Papa lobte seine Kompetenz und vertrat die Meinung, dass die Leute viel von ihm hielten. Deena konnte das nicht glauben. Möglicherweise kam er ja mit Männern besser zurecht.

Obwohl er sich alle Mühe gab, kam er aber mit Deenas Schwester im Augenblick überhaupt nicht klar. Elaine hatte sich in höchste Erregung gesteigert.

»Und was ist mit mir? Bin ich vielleicht unwichtig? Der Mann hat mit mir eine geschäftliche Verabredung getroffen, er lässt mich quer durch die ganze Stadt fahren – wenn er schon nicht da sein kann, schuldet er mir verdammt noch mal wenigstens einen Anruf!«

Sie brüllte inzwischen so, dass Deena ihr warnend die Hand auf die Schulter legte. Es musste ja nicht das ganze Büro mithören! Möglichst ruhig sagte sie: »Elaine, es hilft ja nichts. Lass uns nach unten gehen und einen Kaffee trinken und darüber reden.« Sie hoffte für einen Moment, es würde funktionieren. Doch dann musste sich der dumme Lawrence wieder einmischen.

»Gute Idee. Elaine hatte schon immer schnell einen Kurzen in der Leitung.«

Elaine wurde knallrot, streckte ihr Kinn vor und sagte spöttisch: »Ach, wirklich? Ich habe gehört, du hast auch einen Kurzen – in der Hose!«

»Fick dich selbst!«, knurrte Lawrence. »Mistweib, das einem in die Eier tritt!«

»Lawrence!«, schrie Deena ihn an. Sie war nicht die einzige Zeugin der Szene. Linda McElroy, Lawrence’ Mutter und Papas langjährige Sekretärin, war geräuschlos durch die Tür getreten, die zu Papas Büro führte.

Ihre Erscheinung war makellos korrekt wie immer. Vor Jahren war sie einmal zur Miss U-Bahn gewählt worden. Deena fand, sie sah aus wie eine alternde Barbie-Puppe. Sie musste wohl um die sechzig sein.

Sie sprach ihren Sohn mit sanfter Stimme an. »Lawrence, du wirst uns entschuldigen.« Mit ihrer eleganten, perfekt manikürten Hand machte sie eine Bewegung auf die beiden Schwestern zu. »Dee, Lainie, kommen Sie, bitte, mit mir.«

Sie liefen über den Flur mit dem dicken, grauen Teppichboden in Lindas großes, luftiges Büro direkt neben dem des Chefs. Linda ging mit anmutigen Schritten voran. Jede Bewegung war sorgfältig durchdacht und ausgeführt, was Deena aufreizend fand. Genau wie bei Lawrence, dachte sie. Bei beiden war jede Geste einstudiert. Wenn sie mit einem von beiden den ganzen Tag zusammenarbeiten müsste, würde sie verrückt. Sie waren irreal. Und doch hielt Papa so große Stücke auf die beiden, ja, er liebte sie abgöttisch. Irgendwie erschien ihr das unverständlich. Papa war in ihrer Gegenwart so ungehemmt, so natürlich. Irgendwie ergab das keinen Sinn.

Linda setzte sich sorgfältig hinter ihren großen Schreibtisch im Stil Ludwigs XIV. – ihre ganze Büroeinrichtung bestand aus Reproduktionen von Antiquitäten, ein krasser Kontrast zum hoch technisierten Glanz, der sonst im Haus vorherrschte – und bat die beiden mit einer anmutigen Handbewegung auf das s-förmige Sofa, das dem Schreibtisch gegenüber stand.

Deena hatte Linda jahrelang kaum beachtet – Lawrence auch nicht. Sie waren irgendwie einfach da: viermal im Jahr bei Büro-Empfängen, zweimal im Jahr bei Sylvias gigantischen Cocktail-Partys. Eigentlich hatte sie nie über Linda nachgedacht – bis zu dem Jahr, in dem sie elf Jahre alt wurde.

Damals hatte Deena plötzlich erkannt, dass die Umarmungen und Küsschen und die kleinen Freudenschreie, die Linda verbreitete, wenn sie auftauchte, verlogen waren. Der elfjährigen Deena war unumstößlich klar geworden, dass das ein riesiges Schauspiel war – für ein Publikum, das aus nur einer einzigen Person bestand. Sie alle waren Linda völlig gleichgültig. Sie wollte nur ihrem Chef imponieren!

»Was gibt es für ein Problem? Vielleicht kann ich helfen?«, sagte sie jetzt mit ihrem nettesten Lächeln.

»Können Sie Papa erscheinen lassen? Er hatte eine Verabredung mit mir«, antwortete Elaine.

Linda schaute auf den riesigen Terminkalender auf ihrem Schreibtisch. »Das habe ich hier gar nicht vermerkt.«

»Das bedeutet aber nicht, dass es diese Verabredung nicht gibt«, sagte Elaine in einem Ton, der für Deena ein Warnsignal war.

»Elaine, ich zweifle nicht daran. Ich sage nur, dass ich davon nichts weiß.«

»Na ja, vielleicht ist es auch gar nicht so schlimm«, lenkte Elaine in sanfterem Tonfall ein. »Ich muss nur ein paar Akten durchsehen. Papa hat mich gebeten, ihm ein paar Vorschläge für das Projekt an der 9th Avenue zu machen.«

»Oh, Liebe, ich würde Ihnen gern helfen. Aber das kann ich nicht, es tut mir leid.«

»Sie brauchen doch gar nichts zu tun. Ich setze mich nur ganz still für eine Stunde ins Büro und suche mir raus, was ich brauche.«

Der Ausdruck von vornehmem Entsetzen auf Linda McElroys Gesicht hätte jedem Schauspieler zur Ehre gereicht. »Oh nein! Das geht nicht!« Deena musste ein Lachen unterdrücken.

Elaines Stimme hatte jetzt einen Unheil verkündenden Unterton. »Und warum nicht, zum Teufel?«

»Liebe Lainie, weil es zu den strikten Befehlen Ihres Vaters gehört, dass ohne seine ausdrückliche Erlaubnis niemand sein Büro betreten darf.«

»Aber damit, liebe Linda, meinte er doch nicht mich.«

»Oh, ich würde nicht einmal Ihre Mutter hineinlassen, wenn er nicht zugestimmt hat.«

Elaine erhob sich vom Sofa und holte tief Luft. Deena war beeindruckt, wie eindrucksvoll, wie hinreißend, wie beinahe Furcht erregend ihre Schwester sein konnte. Es war nicht nur ihre Größe, nicht nur ihre fantastische äußere Erscheinung, auch nicht nur ihre gerade Haltung. Es war die Kraft ihres Selbstbewusstseins.

»Hören Sie, Linda, es geht Sie ja eigentlich nichts an, aber es gibt gute Gründe, warum ich ins Büro muss.« Da Linda hartnäckig den Kopf schüttelte, fuhr sie fort: »Wir vermissen ein paar von den Aktien, die Papa den Frauen in der Familie gegeben hat. Ich muss wissen, was mit ihnen passiert ist. Verstehen Sie? Das ist alles ... Es hat nichts mit dem derzeitigen Geschäft zu tun ... Es sind nur die Aktien, die mich interessieren.«

Linda schüttelte immer noch den Kopf, gleichzeitig verzog sich ihr Mund zu einem süffisanten Lächeln.

Deena hatte plötzlich eine Eingebung und sagte, ohne sich dessen richtig bewusst zu sein: »Sie haben diese Akten. Die Aktien meiner Mutter.«

»Ich habe Aktien. Aber die gehören mir, wenn Sie das bitte zur Kenntnis nehmen würden.«

Elaine unterbrach sie: »Moment mal, Linda. Wir alle können die Mosaiksteinchen zusammensetzen – und wenn Sie Aktien haben, dann sind es die, die mein Vater meiner Mutter abgenommen hat.«

Linda blieb störrisch: »Ich weiß nicht, woher er sie genommen hat. Jedenfalls hat er sie mir gegeben.«

Verwirrt fragte Deena nach: »Aber ... warum hätte er das tun sollen?« Inzwischen hatte sie sich ebenfalls erhoben und stand nun neben Elaine, die ihr schwesterlich die Hand auf die Schulter legte.

»Ich weiß, warum«, sagte Elaine mit erstickter Stimme. »Sie – und Papa!«

Linda sprang auf, das Gesicht kalkweiß: »Denken Sie doch, was Sie wollen!«

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