Читать книгу Geliebter Unbekannter - Marcia Rose - Страница 9

KAPITEL 6 Donnerstag, 27. Juli 1950

Оглавление

Es war ein drückender Sommer in New York, man bekam kaum noch Luft. Der Bürgersteig war so heiß an diesem Tag, dass ihre Füße durch die neuen Lackpumps hindurch brannten. Also beeilte sich Linda Collins auf ihrem Weg zum Union Square. Sie hatte es außerdem so eilig, weil sie Frances Corwin, ihrer besten Freundin, die in einem Versicherungsbüro arbeitete, etwas ganz Besonderes zu erzählen hatte. Meistens aßen sie mittags zusammen, bei schönem Wetter am liebsten im Park am Union Square.

Fran saß schon auf ihrer Bank unter einem großen Baum. »Du bist ja so fein gekleidet!«, begrüßte sie Linda, die vorsichtig Platz nahm, nachdem sie eine Zeitung untergelegt hatte. »Gibt es einen Grund?« Ihre großen braunen Augen funkelten. Die Freundinnen erzählten sich gegenseitig alles. Deswegen wusste Frannie auch, was zwischen Linda und ihrem Chef lief. »Ich weiß doch, dass etwas passiert ist. Erzähl es mir, Linda.«

Frannie wohnte noch immer in einem winzigen Zimmer in den Webster-Apartments für berufstätige Frauen. Dort hatte auch Linda gewohnt, und in der Cafeteria hatten sie sich kennen gelernt. Aber Linda war immer bestrebt gewesen, einen reichen, kultivierten Mann zu finden und sich möglichst schnell nach oben zu orientieren.

Frannies Mutter, die in der tiefsten Provinz zu Hause war, fand den Gedanken furchtbar, dass ihre Tochter allein leben könnte. Und da Frannie nie etwas gegen den Willen ihrer Mutter tat, wohnte sie eben noch immer da, wo man einen Mann nur in einen der Salons mitbringen durfte. Diese Salons waren wie eine Bühnendekoration, nach allen Seiten offen und den Blicken aller ausgesetzt, die hereinkamen. Da war es klar, dass sie nicht viele Verabredungen hatte. Welcher Mann interessierte sich schon für ein Mädchen, das in so einem Haus für alte Jungfern wohnte?

Lindas Liebesleben war daher für Frannie ein kleiner Ersatz. Deren viele Verehrer sorgten auch bei ihr für Aufregung.

»Er hat mich eingeladen, mit ihm essen zu gehen«, verkündete Linda und genoss Frannies kleine Begeisterungsjuchzer. »Eine richtige Verabredung.«

»Das war aber auch fällig! Ich meine, wie oft hast du Überstunden gemacht ... Seinetwegen hast du sogar Verabredungen abgesagt. Aber kann es nicht sein, dass er einfach nur nett sein wollte?«

»Bestimmt nicht! Er legte seine Hand auf meine, und ich schwöre es, ich konnte spüren, wie elektrisiert er war. Ich bin mir ganz sicher, dass er genauso empfindet wie ich. Das kann gar nicht anders sein!«

Frannie sagte: »Alle Männer mögen dich, Linda. Du siehst toll aus, und jetzt bist du auch noch berühmt. Allerdings weiß ich nicht, weshalb du dich gerade für ihn interessierst, er ist so alt. Immerhin bist du doch zur Miss U-Bahn gewählt worden, und dein Telefon steht kaum noch still.« Linda senkte bescheiden den Blick. »Na ja, dass man ein bisschen für seinen Chef schwärmt, geht schon in Ordnung – ich schwärme auch für meinen –, aber Jack Strauss ist schließlich verheiratet.«

»Nicht glücklich.«

»Das sagen sie alle.«

»Hat er denn nicht die Familie für den ganzen Sommer in die Berge geschickt? Glaubst du etwa, das wäre wirklich nur wegen der Hitzewelle? Seit sie weg ist, ist er ... anders.« Um ihr Lächeln zu verbergen, das sie nicht ganz unterdrücken konnte, biss sie in ihr Brötchen und tupfte sich die Lippen mit einem Papiertaschentuch ab. »Wir gehen in ein richtig schönes Restaurant, damit wir uns besser kennen lernen können, hat er gesagt. Frannie, ich glaube, ich werde eine sehr ernsthafte Entscheidung treffen müssen. Himmel, das hat mich die halbe Nacht um den Schlaf gebracht!« Damit Frannie merkte, wie wichtig ihr die nächsten Worte sein würden, legte sie eine Pause ein. »Ich muss wissen, ob ich die Verantwortung dafür übernehmen will, dass eine Ehe kaputtgeht.«

»Nein, Linda, das nicht! Sind da nicht zwei kleine Kinder – und ist sie nicht wieder schwanger? Kommt das Kind nicht schon bald?«

»Im Herbst«, sagte Linda knapp. »Aber die Entscheidung liegt ja nicht allein bei mir.«

»Ach, Linda! Glaubst du wirklich, er würde das tun?«

»Wenn du wüsstest, wie er mich ansieht! Ich weiß seit Monaten, was er empfindet. Ich habe dir doch erzählt, wie er ganz dicht an mich herankam, meine Hand ein bisschen zu lange festhielt und mir sagte, wie hübsch ich bin und wie gut ich rieche. Und das Plakat mit der Miss U-Bahn hat er genau da aufgehängt, wo es jeder sehen kann. Er hat zwei Dutzend davon bei den Verkehrsbetrieben bestellt und sie verteilt. Er gibt mit mir an und erzählt, dass er die schönste Sekretärin von New York hätte. Was sagst du dazu

Es war die perfekte Umgebung für ein romantisches Abendessen: schummerig, von Kerzen beleuchtet, sogar mit Klimaanlage. Die Kellner trugen Smoking und liefen auf weichem, dickem Teppichboden. Sie war froh, dass sie ein so gutes Kleid angezogen hatte. Jack bat um einen Tisch, an dem sie nebeneinander auf einer Bank sitzen konnten. Dann rückte er so eng an sie heran, wie es ging, und ihre Knie berührten sich.

Er sah toll aus! Sie mochte stämmige Männer mit breiter Brust und tiefer Stimme. Sie mochte den Geruch seines Rasierwassers am Morgen und den blauen Schatten, der nachmittags auf seinem Kinn lag.

Sie hätte wetten können, dass seine Brust stark behaart war ... Oh, schon dass sie sich ihn so vorstellte, ließ sie rot werden! Er schien es bemerkt zu haben, denn er rückte ein bisschen von ihr ab. Hinter seiner schroffen, geschäftsmäßigen Art war er ein echter Herr. Aber sie wusste, was man bei ihr zu Hause über ihn sagen würde: Er mag ja wohlhabend und erfolgreich sein, aber er ist Jude! Na und? Es gab schließlich auch ein paar Menschen, die kleinstädtische Einstellungen und Vorurteile ablegen konnten. Außerdem war jedem bekannt, dass jüdische Männer die besten Ehemänner abgaben.

Sie hoben ihre Gläser – sie ihren Cocktail und er seinen Martini –, und er sagte: »Endlich zusammen!« Sie nahm einen kleinen Schluck. Dann verschränkte er seinen Arm mit ihrem und hielt ihr sein Glas hin. Er drehte es so, dass sie es da mit den Lippen berühren musste, wo er getrunken hatte. »Viel zu stark für mich!«, sagte sie nach einem winzigen Schluck, der sie das Gesicht verziehen ließ.

Jack lachte. »Ein Männergetränk.«

Nun hielt sie ihr Glas an seine Lippen und blickte dabei lächelnd in seine dunklen Augen. Doch er schüttelte den Kopf: »Nein, danke! Nichts, was rosa ist!« Sie kam sich dumm vor. Aber er lachte und sagte: »Das war nur Spaß. Ich mag das einfach nicht. Okay?« Er beugte seinen Kopf vor und küsste ihre Finger. Oh Gott, wie romantisch!

Die meisten Männer, mit denen sich Linda bisher verabredet hatte, wussten überhaupt nicht, wie man sie behandeln musste. Kino, Abendessen in einem billigen italienischen Restaurant, eine Bootsfahrt nach Bear Mountain ... sollte das etwa Eindruck auf sie machen?

Da war das hier doch etwas ganz anderes: Abendessen in einem von New Yorks besten Nachtclubs, und später würde George Shearing spielen ... Da saß sie, Linda Collins aus Norfolk, Virginia, neben einem reichen älteren Mann, der verrückt nach ihr war, wartete auf ihr Steak und schlürfte einen Cocktail. Das war das Leben!

Beim Dessert räusperte er sich und sagte sehr ernst: »Linda, wir müssen miteinander reden. Über uns.« Sie vergaß beinahe zu atmen. Es passierte tatsächlich!

»Was ist mit uns?« Unter den Wimpern hervor blickte sie ihn schüchtern an. Es wirkte! Er ergriff ihre Hand.

»Linda, Sie sollten wissen, dass ich dagegen angekämpft habe ... Sie sind schön, Linda, so rosig und weiß und zerbrechlich. Immer wenn ich Sie ansehe, möchte ich ...«

Nein, er durfte jetzt nicht aufhören zu sprechen. »Ja?«

»Ach, Linda! Kleines! Puppe!« Er atmete schwer, dann beugte er den Kopf vor und legte seine Lippen auf ihre. Er küsste sie stürmisch und romantisch, es schien, als konnte er gar nicht anders. Und sie konnte nicht anders, als seinen Kuss zu erwidern.

Dann löste er sich von ihr. »Wir sollten lieber gehen.«

Es machte sie ein bisschen nervös, ihn in ihre Wohnung zu lassen. Wenn er darin nun eine Einladung sah, sich alles zu nehmen? Aber wenn sie ihn jetzt nach Hause schickte, würde er sie vielleicht nie wieder einladen.

Eigentlich hätte sie es besser wissen müssen. Schließlich war er ein Herr! Er fasste sie nicht einmal an, als sie nebeneinander auf dem Sofa saßen und eine Limonade tranken, die sie aus dem Kühlschrank geholt hatte. Sie wollte nicht, dass er sie missverstand. Sie war zwar keine Jungfrau mehr, aber mit Edgar war sie verlobt gewesen. Sie gehörte nicht zu denen, die leicht zu haben waren. Auch wenn sie sich nun in New York ihren Lebensunterhalt selbst verdienen musste, nachdem der Mann, der sie gar nicht verdient hatte, ihr den Laufpass gegeben hatte. Sie hatte sich noch keinem anderen hingegeben – doch Anträge hatte sie bekommen, reichlich!

Jack sah sich in ihrer Wohnung um und sagte: »Wie hübsch und weiblich. Genau wie die Dame, die hier wohnt.« Ein Glück, dass sie aufgeräumt hatte! Er nahm ihre Hand und ließ sie nicht mehr los.

Aus dem Radio kam leise Musik. Jack zog sie hoch und sagte: »Darf ich um diesen Tanz bitten?« Sie schmolz fast dahin vor Zärtlichkeit. Er war der wundervollste, kultivierteste Mann, den sie in ihrem ganzen Leben kennen gelernt hatte, und es war ihr gleichgültig, dass er verheiratet war. Was auch passierte, sie würde ihn nie aufgeben!

Sie hielten einander fest und wiegten sich hin und her. Woran sie sich später erinnerte, war, dass sie sich küssten, wild und stürmisch. Seine Arme waren eng um sie geschlungen, ihre lagen um seinen Hals.

Sie küssten sich immer wieder, flüsterten einander liebe Worte zu, doch plötzlich zog er sich von ihr zurück und sagte mit schroffer Stimme: »Ich gehe lieber, bevor ...«

»Oh, Jack!« Sie küssten sich wieder, dann fasste seine Hand in ihr Kleid, und sie spürte seine Finger auf ihrer Brustwarze, so dass sie vor Aufregung zitterte. Diesmal befreite sie sich.

»Wir sollten das nicht tun, du bist ein verheirateter Mann!«

»Das hat mit uns nichts zu tun! Ich bin verrückt nach dir, Linda. Du bist alles, wovon ich je geträumt habe!«

Geliebter Unbekannter

Подняться наверх