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7 Helja und icke sind’n jutet Jespann!

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H

elga hatte ein Glas Weißwein in der Hand, als sie zu mir in die Tresenecke kam. Sie war Mitte vierzig, hatte eine schlanke aber frauliche Figur, die sie auch nicht unbedingt verbarg. Ihre Haare waren rotblond und sie trug sie genauso, wie es Marion, ihre Chefin tat.

Konnte Zufall sein, konnte ihr einfach nur selbst gefallen oder … Heinz?

Egal! Mir gefiel sie jedenfalls und mir gefiel sehr, was ich auf der anderen Seite des Tresens sah, wo sie sich vertraut auf die Ellenbogen gestützt hatte, so als läge sie im Fenster und schaute auf die Straße. Ich schluckte, denn sie trug ein offenes Dekolleté, das mir einen Blick bis zum Bauchnabel gewährte, wie Kerstin dazu sagen würde.

„Wenn Se fertich jeguckt ham, können Se ma ja Frajen stellen!“ Sie lachte geschmeichelt.

„Äh ja, Frau äh Koslowsky …“ räusperte ich mich.

„Na lassense ma den Quatsch mit Frau Koslowsky. Ick heeße Helja, wa. Und von mir aus können wa och Du sarjen, Amor!“ Hätte sie bei Amor gekichert, dann wär’s das gewesen, aber sie sprach meinen Vornamen so, als hieße ich Karl.

Mir hatte schon bei Heinz immer das Berlinern gefallen, aber aus einem attraktiven Frauenmund, wie dem von Helja gefiel es mir noch mehr.

Langsam sollte ich kürzer treten, was das Verlieben anging und erstmal alles wieder mit Marion auf die Reihe bringen.

„Klar Helja äh Helga, ich heiße Amor und wir sagen ab jetzt Du zueinander! Dann lege ich mal los.

Warst du vorgestern auch hier?“

„Klar ick bin imma hier, wa. Seit die Marjon mit dir rumscharwenzelt, hat se keenen Spass mehr anne Kneipe. Dat hat’n Heinz schon jeärjert, kannze mir glooben. Aba er hatte ja mich und ick hab so jetan und mir einjebildet, dat ick sone Art Chefin bin, wa.

Ick gloobe, dat hat er jemerkt und auch die Marjon, aba dat hatse nich jestört. Jeda muss sehen woa bleibt, wa!“

„Mal ganz was anderes, bist du aus Ost- oder Westberlin?“

Sie prustete laut los. Ich bekam einen sanften Sprühstrahl Weißwein ab, nicht schlimm!

„Icke? Ick bin aus Castrop-Rauxel, Ickan jenau jesacht. Weeste wo dat is?“

„Klar, die Frau meines besten Freundes ist aus dem Mädelsgrund. Das ist gar nicht so weit von Ickern entfernt … tief im Westen, wo die Sonne verstaubt …“ rutscht mir Grönemeyers Zeile aus „Bochum“ raus.

„Mann, du hass Nerven. Wirs vonne Schackos13 jesucht und singst Jrönemeyer. Dir haut wohl jarnix um, wa?

Nee, ick hab ma anjewöhnt zu Balinern, weil et jut für‘t Jeschäft is un gezz kann ick nich mehr anders.“

Na, das gezz hört sich eher nach Ickern an, denke ich mir.

„Also du wolls ja wissen, ob ick vorjestern da wa, wa und wie lange oda? Na, ick mach‘t kurz, wa. Ick bin imma so um neune hier und jehn tu ick so jejen zwölfe inna Nacht, wa! So war‘s auch vorjestan.

Heinz hat sich noch’n letztet Bierken jezapft, wollte dat Jeld ausse Kasse tun und dann nach Hause jehen, wa. Ick bin dann aba wech. Mein Freund wartete und ick hab och de Schnauze voll nach fuffzehn Stunden, wa. Kann man doch vastehn oda?“

„Klar Helga! War er anders als sonst? Hat er was gesagt?“

„Ach, weeste nacha Operazion wara anders. Seine janze Lebenlust wa wie wegjeblasen. Dat war nich mehr mein Heinz … äh ick meene der Heinz Konnarke, wie ick ihn kannte, wa!“ Ich konnte nicht umhin, immer wieder reflexartig auf ihr Dekolleté zu schauen und sah dort rote Flecken über diesem Ausblick, den sie mir darbot. Sie war wohl verliebt in Heinz.

„Sag mal, war das Geld eigentlich weg, als man Heinz gefunden hat? Hier sieht’s so aus, als würde der Rubel rollen!“

„Da haste recht! Den Abend warn’s bestimmt so sieben-, achttausend. Und ja, das Jeld war wech!“

„Aber das spricht doch für mich! Ich bin noch nie als Räuber und schon gar nicht als Raubmörder aufgefallen. Hattest du Heinz gefunden?“

„Ja, jenau! Ick kann dir sarjen, dat war’n Schock, wa. Ick komm hier rin. War noch allet dunkel wejen die Rolladen. Ick machet Licht an und wat seh ick, Heinz liecht auf’m Bauch mit nem blutjen Kopp. Ick sofort die Bullerei anjerufen und nix bewecht am Tatort, wa. Weeß ick ja vom Fernsehn, wa! Nur anne Halsschlachada ha‘ ick jefühlt, so wi et die Killa machen, wenn se wissen wollen, ob ihr Opfa auch dot is. Da ha‘ick nix jespürt!“

Ein bisschen amüsiert mich dieser Dialekt-Mischmasch schon, mal Ruhrpott und mal Berliner Idiom, das muss man mögen.

„Wat komisch wa, wa dat der Heinz son Heft von Coolibri inner Hand hatte. Weißte so jefaltet, dat man innen wat sehen konnte und zusammenjerollt, als wolta ne Flieje platthaun, wa.“

„Das ist wirklich komisch, aber sagt mir nichts … oder welche Ausgabe vom Coolibri war es denn und welche Seiten konnte man sehen?“

„Mann, du frachst mich Sachen? Weeß ick doch nich. Heinz hatte die Zeitung inner Hand und sachte wat von Bienen. Mehr weeß ick och nich, wa. Den Rest musse bei de Bullerei frajen.“

„Und Helga, wie geht’s jetzt hier weiter?“

„Da kann ick nix sarjen, musste dein Schätzken frarjen. Weeß ick, ob die Marjon weetermacht oda nich? Ick hab ma schon überlecht, dat ick alleene weitermache, aba ick gloobe, ohne den Heinz wird dat nix. Wat meenst denn du, als Frau dazu?“

Die richtige Antwort auf diese rhetorische Spaßfrage ist ,Männersache!‘ aber ich verdrückte sie mir. Sie müssen wissen, dass gerade die Sprache im Ruhrgebiet festen Traditionen folgt. Es gibt Fragen, die man nur auf eine einzige Art beantworten kann. Wenn man es nicht tut, hat man sich als Nichteingeborener geoutet. Zum Beispiel wenn man sich trifft, und wird gefragt ,Wie isses?‘, ist die einzige richtige Antwort ,Muss!‘ Kurz und bündig. Apropos Dialekt, die vom Niederhein haben ähnliche Rituale, wenn man da fragt ‚Wie isset?‘ dann ist da die richtige Antwort eine Gegenfrage ‚Wie soll et sein?‘ Merken Sie, wie groß der Unterschied in der Mentalität der Nordrheiner und der Westfalen ist? Dass das gutgeht? Man sagt, dass einer vom Niederrhein von nix ’ne Ahnung hat, aber alles erklären kann … Aber ich schweife ab und außerdem habe ich gute Freunde am Niederrhein. Wenn die das hier lesen?

„Da hast du recht, Helga! Da kannst du dir fürchterlich die Finger verbrennen. Heinz ist ein Unikum und auch wenn Marion sich hier hinstellen würde, würde es noch eine Weile laufen wie bisher, aber irgendwann hätte sich die Nostalgie abgenutzt und die Leute würden in andere Kneipen gehen.

Heinz hatte bisher immer noch was zum Nachlegen und auch das richtige Timing dafür. Sieh mal, aus der Nordstadt hierher zu ziehen, haben ihm viele übelgenommen und geunkt, dass er damit den Bach runtergeht und was ist passiert? Hier brummt’s noch mehr als es jemals im Norden gebrummt hat.

Irgendwann wollen auch die reichsten Säcke sowas ,Bodenständiges‘ wie Brathering mit Bratkartoffeln oder Grünkohl mit Mettwurst essen. Heinz hat das genau zum richtigen Zeitpunkt geahnt, hat hier neben den Burgern parallel ,bürgerliche‘ Küche eingeführt.

Die Schickimickies gehen steil drauf‘ wie man hier so schön sagt. Am schärfsten fand ich, als der Pilotzky mal Grünkohl mit Mettwurst und Salzkartoffeln bestellt hat und seiner Freundin als Getränk dazu irgend so einen 1968er Prosecco aus Valdobiaddene empfohlen hat.

Das ist wahre Integration. Wir Italiener sind hier sowas von angekommen. Da zählt Prosecco schon zu den deutschen Nationalgetränken.“

Wir lachten beide.

„Amor, du wirs lachen, hatta Pilotzky jerade schon wieda bestellt! Dat is ‘n richtija Parawang14, wa?“ Und nun lachte sie los, dass man meinte, ein Pferd würde wiehern. Ich musste mich wegducken, denn alle schauten her zu uns.

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Im Häuschen des Schrebergartens stand einer vor einem geöffneten Spind, der wohl aus alten Beständen der lange geschlossenen Kronenburg-Haufener-Stahlwerke15 stammte. Den Blaumann hatte er ausgezogen, ein weißes Hemd und eine schwarze Hose an, die aussah, als hätte sie mal zu einem eleganten Anzug gehört.

„Heute Abend gehe ich es an!“ Sagte der Mann sehr entschlossen. Er sprach zu seinem Spiegelbild in dem kleinen Rasierspiegel, der innen an der Spindtür hing.

Amor Amaro - Schrebergarten des Todes

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