Читать книгу Amor Amaro - Schrebergarten des Todes - Marco Toccato - Страница 7
2 Forever young
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ie Tage fliegen mir einfach so weg. Als Kind war ein Jahr für mich fürchterlich lang, doch jetzt geht es vorbei, wie früher ein Monat. Und Abend wurde es schnell. Ich kämpfte mich gerade wieder die steile Straße von der Bushaltestelle zum Haus der Kleinerts hoch. Schwer atmend schellte ich und als hätte sie hinter der Tür gewartet, öffnete mir Kerstin sofort.
„Lieber Amor, guten Abend! Schön, dass du uns besuchst.“ Sie umarmte mich, gab mir einen Kuss auf die rechte Wange und zog mich zur Tür rein.
Es ist frappierend, sie ist gerade mal ein knappes Jahr jünger als ich und sieht aus, wie Anfang fünfzig, ohne graue Haare, mit einem fast faltenfreien Gesicht und einer fraulichen, attraktiven Figur. ,Forever young‘5 dachte ich musikalisch und ertappte mich dabei, wie ich es gerade vor mich hin summte.
Hans kam und schaute mich schräg an: „Musst du ausgerechnet das Lied summen? Das ist das Lieblingslied von der Leindeetz und wenn sie es singt, sinne ich auf Rache. Einmal hat sie es so laut gespielt und mitgesungen, dass wir es durch’s geschlossene Fenster mithören mussten. Da bin ich schnell hochgerannt und habe meine alte Platte von Jethro Tull rausgeholt auf der ,Too old for rock ‘n roll, too young to die!‘ drauf ist. Als das dann im Garten zu hören war, wurde es nebenan leise.“ Hans lachte sich kaputt, als er das erzählte.
„Mann, du bist aber auch garstig. Lass doch mal ein gutes Haar an der armen Frau. Wahrscheinlich ist sie unsterblich in dich verliebt und ist nur wegen der von dir verschmähten Liebe so aggressiv.“
Hans sah ziemlich blöd aus, nachdem ich das gesagt hatte und Kerstin prustete vor Lachen los. Sehr kühl sagte er zu mir „Mir scheint, wir beiden sollten zum Sie übergehen!“
Wir waren noch nie per Sie. 1957 hatten wir uns kurz an der Dünnen Martha6 in Kronenburg-Haufen gesehen und später stellte sich heraus, dass wir fast Nachbarn waren und zusammen in die erste Klasse der Erich-Schule eingeschult wurden[1]. Das ist sechzig Jahre her und bis auf einige wenige davon, haben wir uns nie aus den Augen verloren.
Während wir in das lichtdurchflutete Wohnzimmer gingen, drückte ich Hans die Flasche ,Valpolicella Ripasso‘ in die Hand.
„Oh, Amor! Wie komme ich zu der Ehre? Den trinke ich am liebsten. Weißt du was, wir lassen ihn für nachher offen ziehen und zum Essen nehmen wir einen Trollinger mit Lemberger. Was meinst du?“
„Gute Idee, aber was gibt’s eigentlich?“ Meine Schwester Maria sagt immer von mir, ,Amor hat entweder Hunger oder ihm ist schlecht!‘ und sie meint schlecht von zu vielem Essen.
Das ist ordentlich übertrieben, aber ich habe eigentlich immer Appetit. Es gab Spaghetti mit Bärlauch-Pesto und das ist selbstgemacht. Kleinerts hatten sich von einem Urlaub in Abano Terme einige Büschel Bärlauch mit Wurzeln und Erde mitgebracht. Die wuchsen nun schon mehrere Jahre im Vorgarten und Garten vor sich hin und immer, Ende April wird Pesto mit den Blättern gemacht.
Ein festgeschriebenes Rezept gibt es dafür nicht. Im WarmoMax7 zerkleinert Hans erst Parmesan oder noch lieber Grana Padano, so dass er ungefähr ein Nachtischschälchen voll gemahlenem Formaggio hat. Dann folgen 80 g Pinienkerne oder Walnuss- oder Haselnuss- oder Bucheckernkerne(!), die ebenfalls zermahlen werden. Nun lässt man auf das drehende Messer eventuell noch Knoblauch fallen, falls einem der Knoblauchgeschmack des Bärlauchs nicht reicht. Das kommt alles zusammen in den Topf, wird erst vermischt und dann gießt man Olivenöl hinzu, bis es eine schön geschmeidige Paste ist. Fertig! In einem Glas mit einer Schicht Olivenöl obendrauf hält sich das Pesto fast ewig.
Es war perfekt und ich nahm noch einen zweiten Teller Spaghetti al pesto di aglio orsino.
„Denk dran, dass es noch ein Secondo gibt, Amor!“ sagte Kerstin besorgt.
Sie müsste mich eigentlich kennen, aber schien immer wieder zu staunen, wie ich reinhaue, wenn es mir schmeckte.
Und ich hätte noch so viel vorweg essen können, als ich das Ragoût provençal probiert hatte, gab es erneut kein Halten mehr. Kerstin machte es so:
800 g Rindfleisch (falsches Filet / Bürgermeisterstück)
80 g Rauchfleisch
2 Zwiebeln
2 Karotten
5 Zehen Knoblauch
1 Bund Thymian, Lorbeer, Rosmarin, Salbei, Petersilie
4 Gewürznelken
1 Orange davon Saft und Schale
1/2 l Rotwein
Olivenöl (raffiniertes)
Tomatenmark
Pfeffer, Salz
Drei Hälften der Zwiebeln kleinschneiden und in die
vierte Hälfte die Nelken spicken
Karotten würfeln
Kräutersträußchen binden oder in einen Teebeutel geben
Olivenöl erhitzen
Fleisch, Zwiebeln, Karotten und Knoblauch anbraten
Tomatenmark, Kräuter, Salz, Pfeffer, Orangenschale und
-saft 5 Minuten schmoren
Rotwein hinzu, aufkochen und 40 Minuten im zugedeckten
Topf oder 20 Minuten im Schnellkochtopf fertigschmoren
Dazu passen wunderbar Salzkartoffeln oder einfach nur fluffiges Weißbrot (Baguette oder Bauernstuten) zum Stippen.
Das Fleisch wird sehr zart, schmeckt würzig und die Köchin wird gelobt, immer! Ein tolles Rezept.
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Nachtisch schaffte keiner von uns dreien mehr. Wir setzten uns auf Couch und Sessel und der Valpolicella kam auf den Tisch, jedenfalls für Hans und mich. Kerstin trank wie immer Cola. Seit der Schwangerschaft mit ihrem Sohn Anton reagierte sie allergisch auf Alkohol.
„Also weshalb ich dich hergebeten habe, Amor ist, dass ich heute im Landgericht wie aus einem tiefen Traum erwacht bin und die lebende Loretta Leindeetz saß wieder vor mir, fetter denn je.
Ich kann das immer noch nicht realisieren. Mit Kerstin habe ich auch schon alle Ereignisse der letzten Zeit durchgekaut und es gibt keinen Trost für mich! Wir sind beide immer auf Hundert, wenn wir die beiden Künschtler von nebenan sehen müssen. Ich könnte mich schütteln und Kerstin wird fast krank davon.“
„Stimmt! Aber ich bin auch vorbelastet. Vor vielen Jahren wohnten wir zur Miete. Das Haus gehörte einer älteren Dame. Was heißt älter, die war damals vielleicht Anfang sechzig.
Sie bestand darauf, die Miete in bar in die Hand zu bekommen. Immer wenn wir dann bei ihr vor der Tür standen, erzählte sie schaurige Geschichten. Zum Beispiel, dass in unserer Wohnung Leute lebten, wenn wir weg zur Arbeit waren und dass sie das nicht wünschte.
Ich hatte Angst, zu der zu gehen und so musste Hans ab da immer die Miete runterbringen.“
„Stimmt Kerstin. Ich sagte einmal ganz aufgebracht zu ihr, als sie meinte, dass unserer Wohnung konspirativ genutzt würde, sie solle uns doch beim BKA anzeigen. Das war zu RAF-Zeiten! Sie zeigte uns wirklich beim BKA an.
Oder ein anderes Mal als wir einmal, direkt nachdem wir aus dem Urlaub zurück waren, in der Kneipe nebenan zu Abend gegessen haben, sagte man uns, dass während unseres Urlaubs ein Umzugsauto vor dem Haus gestanden hätte, aber die Leute nicht einziehen konnten, weil die Wohnung noch an uns vermietet war und sie nicht hineinkamen. Hätte auch anders ausgehen können, nämlich dass sie unsere Sachen rausgeschleppt hätten und eingezogen wären und wir wären aus dem Urlaub gekommen und hätten das feststellen müssen. Es war gut, dass ich damals den Schließzylinder ausgetauscht hatte.
Später kam die Dame in stationäre psychiatrische Behandlung. Das lag wohl an der BKA-Anzeige gegen uns, wie man uns später berichtete. Das war schon heikel. Kerstin war Beamtin, aber noch nicht auf Lebenszeit. Man muss uns bis ins Kleinste überprüft und für unbescholten befunden haben. Seitdem warne ich jeden, der uns krumm kommt damit, dass es aktenkundig ist, dass wir über jeden Zweifel erhaben sind.
Es war wohl so, dass sie mit den Wechseljahren - gelinde gesagt - wunderlich geworden war.
Die Leindeetz muss ja seit einiger Zeit auch durch die Wechseljahre sein und da macht man sich so seine Gedanken!“
Kerstin übernahm wieder: „Aber darum geht’s ja jetzt nicht, sondern stell dir vor, Amor, Hans hat geträumt, dass die Leindeetz ermordet worden wäre!“ Kerstin strahlt bei dem Gedanken über’s ganze Gesicht.
„War ich beteiligt?“ Hans nickte. „Dann erzähl mir doch mal, was du geträumt hast und wir trennen zusammen Realität und Traum. „Heute bin ich es mal, der systematisch vorgeht.“
Und Hans erzählte mir nun die gesamte Geschichte mit dem Fund der Leindeetz auf deren Duschklo [1], von der DADA-Enthüllung, von Heléne Noiret, dieser schönen und wohlsingenden Opernprimadonna … und er schloss mit den Worten: „Es war alles so real und da wo es an der Grenze des Glaubwürdigen war, hatte ich gemeint, dass es schon skurril wäre, aber mit der Nachbarin kann das Skurrile real werden!“
Es war schon zehn Uhr abends und wir saßen im halbdunklen Wohnzimmer. Auch der Valpolicella war getrunken.
„Mann, das ist ja ’ne tolle Geschichte! Aber das war wirklich ein Traum. Nur das DADA-Ding gibt es wirklich, aber das kannst du ja selbst im Vorgarten sehen. Tut mir leid! Und was ich besonders schade finde ist, dass diese zarte Beziehung, die du in deinem Traum zu Frau Noiret aufgenommen hast, nicht real ist. Das finde ich wirklich schlimm.
Aber mal weg von meinen Wunschträumen, lieber Hans, du wirst dich mit der Leindeetz weiter abfinden müssen und auch mit dem Einfried und der Tanne im Vorgarten.“
„Du warst meine letzte Hoffnung. Dann sage ich nur ‚aus der Traum‘ und wir machen jetzt das Beste aus dem Abend. Prost!“ Hans hatte irgendwie eine neue Flasche Ripasso auf den Tisch bekommen und schon eingeschenkt.
„Ach weißt du, was uns kürzlich passiert ist, wo ich gerade von LL und ihrem Kämpfer spreche? Wir waren bei Heinz im Truckstop. Ich hatte irgendwie einen Jieper auf Hamburger und habe Kerstin überredet, mit mir dorthin zu fahren.
Die sind ja wirklich Klasse die Burger bei Heinz. Er sagte mir, dass er sie extra nach seinen eigenen Angaben vom Metzger in Kapellhaufen vorbereiten lässt und den Ketchup macht er sogar selbst!“
„Den Ketchup produziert meine Marion! Die kocht da immer mehrere WarmoMax-Füllungen fertig und füllt einen Eimer damit. Sie macht ein großes Geheimnis um die Zutaten!“
„Von Marion ist der? Das wusste ich auch noch nicht. Schmeckt auf jeden Fall genial und unheimlich frisch!
Aber das wollte ich jetzt gar nicht erzählen. Also wir sitzen im Truckstop, futtern und hören Country & Western-Musik. Plötzlich springt einige Tische weiter einer auf, kommt zu uns gerannt und schreit mich an, dass ein Sprühregen Spucke auf mich niederfährt: Ich hätte der armen Leindeetz Unrecht angetan und damit wäre jetzt Schluss, dafür würde er sorgen und so weiter.
Unser Freund Walter Feknius war das. Auf den wirke ich wohl wie ein rotes Tuch. Er schrie sich immer mehr in Rage und war drauf und dran, sich einen der Baseballschläger von der Wand zu nehmen, um mir damit wenigstens zu drohen, wenn nicht sogar zuzuschlagen.
Gott sei Dank hatte Heinz das mitgekriegt und ihn an seinem Ohr gepackt und aus dem Lokal gezogen, wo er ihm noch einen Tritt in den Hintern gab. Das ging ruckzuck. Doch Feknius stieß nun auch gegen Heinz wüste Beschimpfungen aus, drohte ihm und kündigte drastische Maßnahmen an, die er ergreifen würde.“
„Mann, das scheint ja ein richtiger Giftzwerg zu sein. Wie Heinz das gemacht hat, kann ich mir vorstellen. Der ist kräftig wie’n Bär und wie er mit Randalierern umgeht, weiß er gut. Er hat jahrzehntelange Kneipenerfahrung!“
Ich nahm einen Schluck vom Wein, als mein Handy klingelt.
„Pronto? Äh, Guten Abend! Amaro!“ Manchmal rutschen mir italienische Brocken raus.
„Holger, was kann ich zu so später Stunde noch für dich tun?“ Holger Bernhaus, mittlerweile Hauptkommissar bei der Kripo in Kronenburg ist dran.
„Sei mir nicht böse, Amor, ich hoffe, ich störe dich nicht, aber da ist ein Wahnsinnsding passiert. Richtig heikel und ich weiß nicht, wie ich es anpacken soll. Du könntest mir wirklich sehr helfen. Wann kannst du?“
„Ich komme morgen gegen elf zu dir. Ist das recht?“
„Bitte komm schon um acht Uhr dreißig. Um elf muss ich in eine Besprechung, wo ich schon mit einem klaren Plan aufwarten muss. Aber bis jetzt habe ich noch keine Idee und bis morgen um elf werde ich auch keine haben, wenn ich nicht vorher mit dir gesprochen habe.“
„Brrr, acht Uhr dreißig … na gut, weil du es bist, aber ich hab was gut bei dir. Jetzt gib Elena noch einen Kuss von mir und Helenchen einen morgen früh. Bis morgen, schlaf gut!“
Elena ist Holgers Frau und Helene ist seine süße dreijährige Tochter und mein Patenkind!
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„Holger hat irgendeine ‚heikle Sache‘ an der Backe, wie er sich ausdrückte und bittet mich um Hilfe“, erklärte ich Kerstin und Hans.
„In meinem Traum war der Bernhaus nicht gerade dein Freund. Der hat sich total über dich bei seinen Fällen aufgeregt. Dann ist er bei der diXXda© Verschwörung [2] dein Freund geworden. Das gab es also wirklich?“
„Na klar! Du bist ja wirklich sehr durcheinander. Lass uns mal was Angenehmes besprechen. Gestern war ich mit Marion in ‚Don Giovanni‘8 im Konzerthaus. Da war Teodor Currentzis9 mit MusikAeterna und wirklich fantastischen Solisten und Chor. Mann der dirigiert das, als wäre es die Filmmusik zu einem Thriller.“
„Ist es ja genau genommen auch. Mord, Totschlag und Sex spielten bei der Inszenierung im Opernhaus eine große Rolle. Wir haben die Oper im Kronenburger Opernhaus gesehen. Der Intendant, Jan David Fürst hat besonders betont, was da an Unartigem vom Don Juan kam. Er hatte zum Beispiel mehrere Reihen Stühle aufstellen lassen und anfangs saßen die Solisten darauf, als wären sie im Theater und schauten alle erwartungsvoll zu uns ins richtige Publikum, weil da gewissermaßen deren Bühne war. Sie taten dann so, als hätte die Vorstellung angefangen einschließlich eines ,hustenden Zuschauers‘, den der Masetto-Darsteller grinsend gab.
Während nun diese vermeintliche Vorstellung lief, zog Don Giovanni die junge Donna Anna von ihrem Platz neben ihrem Vater weg hinter die letzte Stuhlreihe, wo sie dann kniete und er sie von hinten … Na ja, der Fürst mag es, richtig deftig loszulegen. Es war übrigens Heléne Noiret, die die Donna Anna spielte.“
„Solche Schmankerl gab’s natürlich im Konzerthaus nicht. Die Aufführung war konzertant, da musste der Currentzis uns mit der Musik einheizen und das ist ihm wirklich gelungen.“
„Und wie geht es Marion?“
Marion Konnarke ist meine erste, einzige und größte Liebe. Als ich schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte. Ich war immerhin fünfundsechzig, als ich sie kennenlernte. Da hat es bei ihr und mir eingeschlagen [4]. Ich wollte sie sogar heiraten, doch sie war es schon.
„Ja und wie hält Heinz sich?“ fragte nun Kerstin nach Marions Ehemann.
„Heinz hat ‘ne Operation hinter sich, Prostata! Als ich ihn im Krankenhaus besucht habe, hat er mir nochmal versichert, dass er sehr froh darüber ist, dass er und ich Freunde sind und dass ich Marion etwas geben kann, wozu er nicht mehr in der Lage ist.
Heinz ist überhaupt nicht eifersüchtig. Er und Marion verstehen sich nach wie vor so gut wie früher. Ist schon eine ungewöhnliche Sache, unsere Dreiecksbeziehung!“
Kerstin schüttelte den Kopf. „Wie kommst du denn damit klar, Amor?“
„Wenn Marion und ich zusammen sind, sind wir ein Liebespaar. Wir drücken, umarmen und küssen uns, auch wenn Heinz dabei ist. Mir macht es auch nichts aus, wenn sie ihren Mann in den Arm nimmt oder küsst. Ich habe ja auch überhaupt kein Recht, mich darüber aufzuregen oder zu ärgern.
Wisst ihr, wir sind erwachsene Menschen. Marion liebt zwei Männer und die beiden haben sich dreingefunden und lieben sie. Keiner kommt mit Besitzansprüchen oder fühlt sich zurückgesetzt. Marions Liebe zu Heinz ist ganz was anderes als die zu mir. Wir sind immer sehr glücklich und zufrieden, wenn wir zusammen sind Marion und ich und auch dann, wenn wir zu dritt sind.“
„Das kann ich mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen. Wenn Hans noch eine zweite Frau lieben würde … Ich weiß nicht, was ich machen würde. Ich käme damit nicht klar.“ Kerstin regte sich ein klein wenig auf, hatte ich den Eindruck.
„Versetz dich in meine Situation, Kerstin! Da lauf ich sechsundsechzig Jahre durch die Gegend, treffe tolle Frauen, wie dich zum Beispiel. Mit zunehmendem Alter wurden die unverheirateten darunter immer weniger und nie hat mich der Blitz getroffen.
Dann, als ich wirklich das Thema ‚Lebenspartnerin‘ vollkommen aus dem Kopf hatte, sorgte das Zusammentreffen mit Marion für eine Hormonkombination in meinem Körper, die zwangsläufig zu großer Liebe meinerseits führte und ihr ging’s genauso.
Jetzt hätten wir natürlich sagen können ‚Pech! Dumm gelaufen! Wir versuchen das Gefühl zu ignorieren und wenn das nicht klappt, gehen wir uns aus dem Weg!‘ Aber was wäre uns da entgangen? Nur wegen der Konventionen? Nein, nein, das Leben ist kurz und jede Chance, die man nicht wahrnimmt, ist eine verpasste Chance. Irgendwann wird dir das klar und du kannst die Zahnpasta ‚Zeit‘ nicht wieder in die Tube drücken, um dann später doch noch die ausgeschlagene Chance zu ergreifen.
Liebe Kerstin, wenn dich mal Amors Pfeil erwischt, wünsche ich dir, dass Hans, du und deine neue Liebe das hinkriegen, was wir haben.“
Bei ‚Amors Pfeil‘ grinsten wir alle kurz und nun schwiegen wir und gingen gemeinsam unseren individuellen Gedanken nach. Der Wein war fast weg, es war halb zwei und ich machte mich auf den Weg nach Hause.
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Im Truckstop, das war Heinz Konnarkes liebstes Kind, ein Lokal im Stil einer amerikanischen Kneipe irgendwo an einer Fernstraße im Mittelwesten der USA nachempfunden.
Es gab Hamburger, Hot Dogs, Rieseneimer Popcorn, Coleslaw und alles andere was dazugehört. Doch Heinz hatte nach dem Umzug des Lokals in den absoluten Kronenburger Süden parallel dazu noch eine Karte mit deftigen deutschen Gerichten eingeführt, angefangen bei Grünkohl, über Kohlrouladen bis hin zu Bohneneintopf. Diese Gerichte wurden ihm vom ersten Tag an im snobby Vorort Schauburg aus den Händen gerissen.
Der laufende Abend war wieder einer, an dem die Hölle los war. Heinz hatte am Tresen alle Hände voll zu tun, die Küche überschlug sich und Helga Koslowsky, Heinz‘ treueste Seele, rannte wie wild mit den Tabletts voller Essen und Bier durch die Räume.
Gerade als Heinz meinte, er könnte mal eine kurze Pause machen und selbst was essen, stand ein dünner Kerl mit Halbglatze vor ihm.
„Was darf‘s denn sein Meester? Willste ’ne Molle?“ Heinz ist gebürtiger Berliner und hat seinen Dialekt all die Jahrzehnte gewissenhaft gepflegt. Er wäre nicht Heinz und der erfolgreichste Kronenburger Gastronom ohne seinen Dialekt und die direkte, manchmal freche Berliner Art.
„Guten Abend! Nein, ich will nur ein Bier und einen Korn. Das bringt mich wieder nach vorn! Cha Cha Cha10, nicht wahr.“
„Also doch ’ne Molle, wa! Ick mach dir eene.“ Heinz mochte Udo Lindenbergs Lieder nicht. Offensichtlich gab’s da eine Sprachbarriere, die aber kaum eine Rolle spielte.
Das Bier stand nun vor dem Dünnen und der Korn war schon weg. Heinz wollte gerade kurz in die Küche, um was zu essen, da griff der Dünne mit Spinnenfingern, die wie ein Fangeisen waren, über den Tresen und hielt Heinz am Oberarm fest.
„Aua! Sach mal, spinnste? Dat tut ma weh. Lass sofort meenen Arm los, wa oder et jibt was.“
Heinz war eine Seele von Mensch, aber wenn ihn jemand ungefragt anfasste, konnte er wild werden.
„Bleiben Sie bitte noch einen Moment hier. Ich muss Sie was fragen! Etwas sehr wichtiges.“ Der Dünne sprach zwar sauberes Hochdeutsch, aber irgendwas an seiner Stimme oder dem Ton war unangenehm oder besser gesagt, verstörend.
„Ick sarje jar nischts wenn du meenen Arm nich loslässt, aba dalli, wa!“
„Ist ja gut. Regen Sie sich nicht auf!“ Er öffnete die Fangeisen und Heinz rieb sich den Arm.
„Dat jibt jarantiert blaue Fleckn und nu frach endlich, ick hab nich den janzen Tach Zeit.“
„Haben Sie die Büsche auf dem Parkplatz gespritzt?“
„Klaa! Schomma wat vom Zünsler jehört? Warum?“
„Meine Bienen sind verreckt und Sie haben Schuld. Wenn Sie das nicht lassen, dann gibt es Ärger“, zischte ihn der Kerl an, so dass einem Angst werden konnte.
„Eyh mein Freund, so schomma jar nich, wa. Ick mache uff meen’n Jrund und Boden wat ick will, wa. Und wenne ma drohen willz, kannze jleich abhauen. Da iss die Tür!“ Der unheimliche Gast machte Anstalten zu zahlen. „Lass stecken, du biss mein Jast jewesen! Hau ab, aba schnell!“
Der Dünne sagte nichts, aber sein letzter Blick ließ Heinz einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen. Er wandte sich von Heinz ab, ging Richtung Tür, machte aber vorher einen Abstecher zur Wand mit den Baseballschlägern. Er sah sie sich interessiert an und verließ dann den Truckstop.
„Scheisse, wa! Wat wa’n das?“ Heinz schüttelte den Kopf und ging endlich was essen, auch wenn es mit seinem Appetit nicht mehr weit her war.
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Abends zu Hause erzählte Heinz seiner Frau Marion von der Begebenheit.
„Du hattest doch ein Spritzmittel gekauft, das umweltverträglich ist und Bienen nichts tun kann oder?“
„Ja sicher! Du hass ja noch extra ins Intanett jekuckt beim Umweltbundesamt, wa und ick habe dat teure Zeugs von Landshut in Schwerte besorcht, wa! Du weeßt schon, da wo ick imma och die Blumen fürn Jarten koofe.“
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Gar nicht weit weg vom Pfriemhügel, wo das Haus der Konnarkes steht, ging an diesem Abend wieder Einer seinem seltsamen Hobby nach: Er nahm gerade eine verängstigte Katze aus einem viel zu engen Käfig. In seiner Verzweiflung zischte und fauchte das Kätzchen, als es auf einer Werkbank angebunden wurde.
Rechts von der Werkbank stand auf einem Stativ eine Action-Cam, wie es sie zuhauf in den Elektronik-Läden von Kronenburg gab. Auf dem Display konnte man genau die Katze im Fokus sehen und ein roter Lichtpunkt blinkte oben links im Sekundenrhythmus. Auf beiden Seiten der Werkbankfläche lagen Messer, Sägen und ähnliche Werkzeuge aus Edelstahl, so wie sie von Chirurgen benutzt werden.