Читать книгу Pädagogische Psychologie - Marcus Hasselhorn - Страница 9

Einleitung

Оглавление

»Pädagogische Psychologie ist das, was in Lehrbüchern, Handlexika und Wörterbüchern steht, die Pädagogische Psychologie im Titel führen« (Giesen, 2002). Sollte man daraus ableiten, dass es Buchautorinnen und Herausgeber sind, die den Inhaltsbereich der Pädagogischen Psychologie bestimmen? Das ist natürlich nicht der Fall. Eine wissenschaftliche Disziplin definiert sich über ihren Gegenstandsbereich und die Methoden, derer sie sich bedient. Der Gegenstandsbereich der Pädagogischen Psychologie ist das Verhalten und Erleben von Menschen in pädagogischen Situationen, die Methoden sind die der empirischen Verhaltenswissenschaften. Zwar verweist das Kompositum der Fachbezeichnung explizit auf die Nachbardisziplin Pädagogik, indes ist die Einordnung der Pädagogischen Psychologie unter die Teilgebiete der Psychologie eindeutig und unstrittig. Wissenschaftshistorisch betrachtet ist die Pädagogische Psychologie eines der Kerngebiete der akademischen Psychologie überhaupt (Burden, 2000; Reynolds & Miller, 2003).

Wer dieses Buch liest, hat bereits eigene pädagogisch-psychologische Erfahrungen gemacht, als handelnder Akteur in pädagogischen Situationen und als Adressat pädagogischer Maßnahmen. Unzählige Male sind Sie durch einen Lehrer oder durch eine Freundin, von den Eltern, durch ein Buch oder durch ein elektronisches Medium angeleitet oder unterrichtet worden, um etwas zu verstehen, zu behalten oder um eine Fertigkeit zu erwerben. Das Unterweisen hat entweder in der Schule oder im Elternhaus stattgefunden oder in anderen, alltäglichen und natürlichen Situationen. Zugleich haben Sie immer wieder die Seiten vom Lernen zum Lehren gewechselt, haben die Rolle des Lernenden mit der des Lehrenden getauscht, um selbst jemandem etwas in pädagogischer Absicht zu erklären, vorzuzeigen oder vorzumachen. Über das Lernen und Lehren – die beiden großen Themenbereiche der Pädagogischen Psychologie – wissen wir mithin alle aus eigener Anschauung bereits Bescheid. Es ist ein Ziel dieses Lehrbuchs, die aus eigener Erfahrung bereits vorhandenen Kenntnisse und Überzeugungen mit den Befunden und Erkenntnissen der wissenschaftlich betriebenen Pädagogischen Psychologie zu konfrontieren. Dies nicht, um die vorwissenschaftlichen Überzeugungen und das »pädagogische Brauchtum« schlicht zu widerlegen, indem kontraintuitive empirische Befunde präsentiert werden, sondern im Bestreben, die vorwissenschaftlichen Überzeugungen in geeigneter und auch notwendiger Weise zu präzisieren und zu modifizieren. Solcher Präzisierungen bedarf es schon deshalb, weil das sprichwörtliche Common-Sense-Wissen nicht selten widersprüchlich daherkommt, wie die beiden gegensätzlichen Redewendungen »Früh übt sich, … « und »Es ist nie zu spät …« illustrieren mögen. Was stimmt denn nun?

Die Widersprüchlichkeiten im Alltagswissen weisen darauf hin, dass sich Common-Sense-Überzeugungen eher auf die Haupteffekte von Variablen beziehen als auf ihre Wechselwirkungen. Dies stellt die wissenschaftliche Psychologie vor die wichtige Aufgabe, solche Widersprüche aufzulösen, indem sie zum einen die Bedingungen identifiziert, unter denen ein vorgeblicher Zusammenhang tatsächlich existiert und zum anderen diejenigen, unter denen der gegenteilige Effekt auftritt. (Kelley, 1992, S. 15)1

Wissenschaftlich überprüfen heißt, etwas in Frage stellen. Für eine anwendungsorientierte Disziplin wie die Pädagogische Psychologie, die nicht nur – wie die Psychologie insgesamt – mit dem allgemeinen Menschenverstand aller Beteiligten, dem sogenannten Großmutter-Wissen (Kelley, 1992), konkurriert, sondern zugleich mit dem tradierten pädagogischen Erfahrungswissen von Lehrerinnen und Erziehern, Belehrten und Erzogenen, ist die wissenschaftliche Dignität dieser Überprüfung von ganz entscheidender Bedeutung.

So gehört es zu den Zielen dieses Buches, auf die Notwendigkeit des Hinterfragens auch dann hinzuweisen, wenn einfache Antworten nicht zu erwarten sind. Kann man Lernen lernen? Was bewirkt Schule? Können Kinder auch ohne Lehrpersonen lernen? Kann man gleichzeitig Leistungsunterschiede zwischen den Lernenden verringern und dennoch alle an ihr Leistungsoptimum heranführen? Was spricht eigentlich dafür, Mädchen und Jungen gemeinsam zu unterrichten? Eignen sich Noten als Leistungsrückmeldungen an die Schülerinnen und Schüler? Wie können Erwachsene am besten lernen? Wie und wo sollen hochbegabte Kinder unterrichtet werden?

Solche und andere Fragen können neugierig machen auf Antworten, die die Pädagogische Psychologie anzubieten hat. Die meisten dieser Fragen beziehen sich auf Probleme der pädagogischen Praxis. Sie betreffen die Tätigkeit von Lehrerinnen und Erziehern und das administrative oder politische Handeln von Bildungsverantwortlichen. Den konkreten Praxisfragen vorgeordnet sind grundlegendere Fragen, die auf die psychologischen Prozesse zielen und auf die pädagogischen Möglichkeiten der Beeinflussung von Lehr-Lern-Prozessen. Diese Fragen lassen sich auf einen gemeinsamen Kern verdichten: Welches sind die Bedingungen erfolgreichen Lernens und Lehrens und wie kann man sie gezielt herbeiführen? Es geht also um das Lernen unter den Bedingungen des Lehrens – damit ist zugleich das Leitmotiv dieses Lehrbuchs benannt.

In diesem Lehrbuch wird eine thematische Abfolge und inhaltliche Verschränkung von »Lernen und Lehren« gewählt, der die Auffassung von Lernen als »erfolgreicher Informationsverarbeitung« zugrunde liegt. Und es wird eine Auffassung von Lehren vertreten, die unterschiedliche, aber nicht beliebige Vorgehensweisen zur Förderung solcher Lernprozesse zulässt. Den beiden thematischen Schwerpunkten sind die Hauptteile I (Lernen) und II (Lehren) des Buches gewidmet. Vorangestellt ist diese Einleitung.

Pädagogische Psychologie

Подняться наверх