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Die Gefahrenfracht aus der Latrine: Wie sich der Waschbärenspulwurm seine Wirte sucht

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Genauso, wie wir uns an den räuberischen Waschbären in unserem Land gewöhnen sollten, ist es gut damit getan, sich der Gefährdung bewusst zu werden, die er uns im Gepäck mitgebracht hat. Denn wie ich schon erwähnte, gibt es da diese Spulwürmer. Im Darm eines Waschbären können bis zu 200 dieser niedlichen Tierchen vor sich hinleben. Bei einer Länge von bis zu 50 Zentimetern ist da schon einiges los im Bauch. Und während es die Waschbären selbst meist nicht so wirklich tangiert, wird es für andere gefährlich, sobald der Waschbär »austritt«. Und das tut er regelmäßig und gern in seinen hierfür extra eingerichteten Latrinen. Mit dem Waschbärenkot gelangen etwa 10 000 bis 20 000 Spulwurmeier in die Freiheit. Und diese überleben – im Gegensatz zum kompostierbaren Kot – ewig lange, bis sie ihre Chance gekommen sehen, sich in hochinfektiöse Larven zu verwandeln und als solche zu schlüpfen. Das passiert, wenn sie zuvor gefressen werden, zum Beispiel von kleineren Vögeln oder Mäusen, die nun als Zwischenwirt fungieren. Die mickrigen Larven warten in ihren Eiern zunächst noch geduldig ab, bis die Eierschale durch die Magensäure ihrer Fresswirte zersetzt wird. Gut verdaut und frisch freigelegt kriechen sie dann von hier aus quer durch das Gewebe und die Darmwand. Das passiert oft zum Leidwesen ihrer Zwischenwirte, denn die dadurch entstehenden Verletzungen führen zu inneren Blutungen, Störungen des vegetativen Nervensystems mit Ausfall der Sehkraft oder der Gleichgewichtsorgane und können Verhaltensänderungen bis hin zu ihrem Tod zur Folge haben.

Diese Beeinträchtigungen betreffen vorwiegend die als Zwischenwirte auserkorenen Tierarten. Größere Tiere oder »falsche« Fressfeinde, auch Fehlwirte genannt, scheiden die Spulwürmer mitunter unbekümmert wieder aus. Während die befallenen Fehlwirte also öfters hinforttraben oder -flattern, bewegen sich die befallenen Zwischenwirte nicht mehr viel. Begegnen Sie so, entkräftet und fluchtunfähig, auch noch einem Waschbären – und wie wir wissen, ist diese Gefahr aufgrund der Waschbärendichte in manchen Gebieten Deutschlands nicht gerade gering – ist ihnen zwar ein erlösendes Ende sicher, für die innewohnenden Larven jedoch beginnt nun das prächtige Leben. Denn erst im Körper des Waschbären können die Waschbärenspulwürmer ihr adultes Stadium erreichen.

Die Larveneier sind übrigens gar nicht zwingend auf einen Zwischenwirt zum Heranwachsen angewiesen. Sie können auch direkt über den Kot in den Organismus der Waschbären gelangen; die gemeinsam genutzten Latrinen sind hierfür die ideale Verbreitungsstelle. (Da sich diese verkürzte Version aber nicht so rasant liest, sei sie hier nur kurz erwähnt.)

Nicht hintanstellen darf man in diesem Kontext die tödliche Gefährdung, die vom Spulwurm auch auf den Menschen ausgehen kann: Eine Ansteckung mit den hochinfektiösen Erregern kann bereits erfolgen, wenn man mit Hand und Schaufel eine Latrine der Waschbären aushebt, die beispielsweise auf dem heimischen Dachboden des Geräteschuppens im Garten angelegt wurde (Waschbärenlatrinen sind immer an erhöhten Stellen zu finden). Wir erinnern uns: Still und heimlich können sie sich dort ausbreiten, während wir des Winters noch im Häuschen kuscheln und keine Ahnung haben, welche Party da in unserem zugefrorenen Garten gefeiert wird.

Mit dem menschlichen Auge lassen sich die Spulwurmeier nicht erkennen. Somit reicht schon die Berührung einer verkoteten Stelle an der Schaufel mit der Hand, die irgendwann – sofern sie nicht sorgsam desinfiziert wurde, vielleicht Stunden später – zum Mund geführt wird. Das passiert schnell und unbeabsichtigt, bei Kindern noch viel häufiger als bei Erwachsenen. Nun wurde der Mensch als Zwischenwirt markiert. Und auch, wenn er nicht im Spulwurmkreislauf der Natur vorgesehen wurde, er also ein Fehlwirt ist, besteht die Gefahr, dass sich die Larven im Menschen festsetzen und durch ihre Wanderung im menschlichen Gewebe Nerven beschädigen und Hirnhautentzündungen auslösen. Die Anzahl der Todesfälle lag in den vergangenen Jahrhunderten bei wenigen zwei Dutzend weltweit, die meisten davon ereigneten sich in den USA. In Deutschland ist ein tödlicher Fall zu verzeichnen. Es ist eine seltene, trotzdem nicht von der Hand zu weisende Gefahr, denn Schätzungen zufolge ist bis zu einem Drittel der hiesigen Waschbären vom Spulwurm befallen. Gegner dieser Theorie beschwichtigen: Der Waschbärenspulwurm ist für Menschen nicht gefährlicher als die Spulwürmer von Katzen oder Hunden – und die Gefahr, sich über Letztere zu infizieren, ist um ein Vielfaches höher, denn mit Katzen oder Hunden leben die Menschen auf engem Raum zusammen.

Darum hier noch eine Warnung an alle, liebe Kinder und liebe erwachsene Leser: Weder Katzenkot noch Waschbärenhinterlassenschaften jemals mit den Händen anfassen! Waschbärenlatrinen sollten nach Möglichkeit von Fachexperten ausgehoben und beseitigt werden. In jedem Fall gilt die Pflicht, hierbei einen Mundschutz zu tragen und Propangas sowie viel Heißwasser zur Beseitigung jeglicher Spuren zu verwenden. Wenn das Wissen um den Spulwurm dabei hilft, die Waschbären nicht mehr durch Fütterungen anzulocken und an die Menschen zu gewöhnen, wäre der Sache vielleicht schon geholfen.

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