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Vorwort

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Das Thema dieses Buches kam zu mir wie ein Flamingo auf die Kuhweide: sehr unerwartet. Ich nahm gerade eine Auszeit vom Job, um mich selbst mit all meinen Werten und Gewohnheiten einmal grundlegend zu hinterfragen. Alle paar Jahre räume ich mir diesen Luxus des Innehaltens ein. Die Auszeit hilft mir, klar zu sehen, wo ich stehe, ob ich überhaupt noch »gut stehe« und wenn nicht, welche Dinge angepasst werden können. Diesmal wollte ich die Zeit nutzen, um zu schreiben. In meinem bisherigen Alltag hatte ich dafür keine Zeit und würde sie mir auch niemals nehmen. Nun also endlich: ein Buch.

Ein Buch sollte es werden auch über die bunten Papageien auf der Düsseldorfer Königsallee. Schon oft hatte ich diese beobachtet, wie sie als bunte Farbkleckse munter zwitschernd auf den Platanen der Kö sitzen. Schon oft habe ich mich über sie amüsiert und genauso oft über die teils echauffierten Anwohner und Ladenbesitzer, die ihre teuren Mäntel vor dem drohenden Schmodder von oben beschützen wollten und sich lautstark und medial wirksam über diese Schweinerei mokierten. Als Marketingexpertin war es mir unverständlich, dass dieses Thema nicht vielmehr für die Stadt genutzt wird. Ich recherchierte ein bisschen und stellte schnell fest: Exotische Tiere gibt es überall. Teils unbemerkt von der Öffentlichkeit, teils geliebt und verhätschelt, teils verhasst und gemieden.

Und noch eine verblüffende Erkenntnis machte ich: Egal, wo ich in meinem Umfeld von meiner Buchidee erzählte – jeder, wirklich jeder war interessiert und konnte etwas zu diesem Thema beitragen. Das bestärkte mich zusätzlich in meinem Bestreben darüber zu schreiben. So reiste ich zu den Nandus nach Mecklenburg-Vorpommern oder den Flamingos nach Münster und sprach vor Ort mit Rangern, Naturschutzbehörden, Biologen und Wissenschaftlern, Bürgerbewegungen und Anwohnern. Die Tiere in meinen Geschichten entwickelten ein Eigenleben und mutierten zu meinen stillen Stars.

Im Anschluss suchte ich Kontakt zu Verlagen und sprach bei einigen vor. Alle waren begeistert. Keiner wollte verlegen. Es sei zu politisch, zu riskant, aber vor allen Dingen zu regional. Ein Verleger allerdings war Feuer und Flamme für das Thema, und ein paar Wochen später hielt ich meinen ersten Buchvertrag in den Händen. Nun lag eine Mammutaufgabe vor mir, doch ich hatte Verlagsluft geschnuppert und wollte diese neue große Herausforderung unbedingt meistern. Die Uhr tickte, denn bis zur die Abgabe des Manuskripts blieben nur fünf Monate. Sicher eine übliche Zeit für eine Bucherstellung; für mich als Erstlingsautorin eines Sachbuches, noch dazu ohne biologische Vorkenntnisse, recht knapp bemessen. Ich kaufte mir eine riesige Karte der Schweiz, Österreichs und Deutschlands, hängte sie hinter meinen Schreibtisch und pikste überall dort, wo »exotische« Tiere vorkamen, eine Fahne hinein. Und überall dort, wo eine Fahne steckte, begann ich nach Fachexperten zu suchen, die mir vor Ort weiterhelfen konnten und wollten. Letzteres erwies sich als die eigentliche Schwierigkeit.

Der Anfang war holprig. Biologen und Wissenschaftler im Allgemeinen sind eine in sich geschlossene, homogene Gemeinschaft. Es ist schwer, von außen hineinzukommen, besonders wenn man nicht vom Fach ist. Viele antworteten gar nicht auf meine Anfragen. Viele lehnten ab, teils höflich, teils weniger höflich. Wieder andere sagten, über solch ein Thema könnte man nicht unterhaltsam und gleichzeitig fachlich versiert schreiben. Einige rieten mir, nicht so direkte Fragen zu stellen. Andere baten mich, direkte Fragen zu stellen. Einige wiesen mich auf sehr sensible Themen hin, die nicht zu veröffentlichen seien, da die Thematik in der Öffentlichkeit nicht richtig eingeordnet werden könne. Ein Experte riet mir gar, einen Liebesroman zu schreiben – dazu bräuchte man kein Biologiestudium.

Es war zu spät. Mein Interesse war entfacht, ich blieb hartnäckig. Wo es ging, versuchte ich Kontakte herzustellen, und wo es nicht ging, tauchte ich in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Was einst als schöne, unterhaltsame Idee für ein Buch begann, war längst schon sehr viel mehr.

Ich las kiloweise Fachbücher, rief Behörden an, besorgte mir Dissertationen und Publikationen zu speziellen Tierthemen, erkundigte mich beim Naturschutzbund, WWF, BUND, bei Thünen-Instituten und beim Alfred-Wegener-Institut, erstellte meterlange Fragebögen, besuchte geführte Wanderungen in Naturschutzgebieten und studierte alle möglichen Länder- und EU-Listen zu gebietsfremden Arten. Mitunter bereiteten mir das Studium und die Auswertung der vielen gegensätzlichen Aussagen Kopfschmerzen. Mir wurde klar, dass ich für dieses Buch keine »Invasivliste« der Tierarten abarbeiten wollte, bevor ich ihnen überhaupt begegnet war. Ich war einfach gespannt, was an Neobiota flächendeckend zu finden ist und welche Geschichten es zu erzählen gibt, ohne dabei Vorurteile zu haben. Ich wollte die betroffenen Menschen sprechen und ihre Meinungen erfragen und mein Wissen nicht mehr nur aus der Fachliteratur beziehen. Ich beschloss, die Listen beiseitezulegen und unsere neue Tierwelt auf meine Weise kennenzulernen. Immer wieder hatte ich auch Glück und traf auf Experten, die sehr aufgeschlossen für meine Idee waren und mir ihre Hilfe für das Buchprojekt zusicherten – am Anfang nur vereinzelt, mit der Zeit aber immer öfters.

Plötzlich war es gerade diese »Fachblase«, die mir bei der weiteren Recherche half, denn sobald ich einmal einen Fuß in der Tür hatte, wurde ich von einem Experten zum anderen weiterempfohlen. Und das ermöglichte mir den Zugang zu neuen Themen, von deren Existenz ich bislang noch gar nichts wusste. Zum Schluss kamen sogar Fachexperten zu mir und boten an, ihre Ergebnisse über bestimmte Tiere mit mir zu teilen, um dieser Spezies eine Plattform zu geben. Ein erster Schritt war getan. Jetzt wollte ich die Tiere endlich sehen.

Begleiten Sie mich nun, liebe Leser, auf eine Reise durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Unternehmen Sie mit mir lange Zugfahrten, sitzen Sie in dunklen Schreibnächten in Hotellobbys an meiner Seite, stapfen Sie zusammen mit mir über ausgedehnte Testgelände und lassen Sie uns – zu jeder Wetterlage – an interessanten Begegnungen mit den unterschiedlichsten Menschen und Tieren teilhaben. Ich berichte Ihnen von meinem Versuch, alle Reisen mit Leichtgepäck (nur ein Rucksack!) zu bewerkstelligen, und teile mit Ihnen die Erkenntnis, dass man dabei sehr, sehr schnell falsch packen kann. Ich klettere mit Ihnen über matschige Wanderwege, kauere mit Ihnen und vier Dutzend Aalen in einem wackeligen Fischerboot, vermisse Stechmücken an einem schwülheißen Tag auf einem Donaualtarm und robbe unter den amüsierten Blicken einiger Spaziergänger durch einen warmen Bachlauf in Kärnten. Gemeinsam fahren wir bis an die norddeutsche Grenze zu Dänemark und besuchen das Münsteraner Land an der westlichen Grenze zu den Niederlanden. Wir reisen zum Botanischen Garten in Genf und bewegen uns durch die Kaiserstadt Wien. Doch beginnen wir da, wo einst alles für mich begann. Lassen Sie mich Sie mitnehmen in meine Heimat: die europäische Hauptstadt der Waschbären.

Heimische Exoten

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