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Begrifflichkeiten

Bevor es losgeht, komme ich nicht umhin, mit Ihnen ein paar höchst formelle Begrifflichkeiten abzustimmen. Denn diese Begrifflichkeiten sind zwar üblich, werden aber in der Fachwelt keineswegs einheitlich verwendet.

Fangen wir mit den grundlegenden Begriffen an: Gebietsfremd sind all die Tiere, die nach dem Jahr 1492 in einem Gebiet ansässig geworden sind, obwohl sie eigentlich ihre Heimat woanders haben. Das gilt nur für Tiere, die durch den Menschen eingebracht wurden, sei es absichtlich oder unabsichtlich. Beispielsweise Tiere, die der Mensch ausgewildert hat, um die Pelzversorgung sicherzustellen, lange bevor die Thermojacke erfunden wurde, aber auch Insekten, die mittels Gepäck in einem Überlandflug in ein anderes Land reisen. Die magische Jahreszahl 1492 markiert den Grenzwert in der Biologie, weil Kolumbus damals Amerika eroberte und somit der zarte Ursprung für die Globalisierung gelegt wurde. Ab diesem Moment war es möglich, fremde Arten und Pflanzen von der Alten in die Neue Welt und umgekehrt zu überführen. Zu Beginn geschah das langsamer, dann jedoch immer reger. Dass diese Grenze von Menschen gesetzt wurde, erklärt auch, warum wir in diesem Buch teilweise von nichtheimischen Arten sprechen können, obwohl diese bereits zigtausende Jahre zuvor in unseren Gebieten ansässig waren. Das betrifft zum Beispiel den Kastanienbaum, der vor der Eiszeit bei uns heimisch war, durch die Kälte verdrängt wurde und anschließend auf anderem Wege wieder zurück in unsere Gebiete gelangte.

Das gleiche Prinzip gilt für die einheimischen Tierarten: Was schon vor 1492 hier lebte, kreuchte und fleuchte, gilt als heimisch. Alle Lebewesen, die vor 1492 durch den Menschen in einen neuen Lebensraum kamen, bezeichnet man als Archäobiotika. Die Tierarten, die selbstständig durch Wanderungen oder Lebensraumverlagerungen hierherkommen, egal, ob vor 1492 oder danach, gelten von Beginn an als heimische Tierart.

Hat sich eine gebietsfremde Tierart einmal etabliert, – man spricht in der Regel von drei Generationen eigenständiger Fortpflanzung oder einem durchgehenden Lebensraum von mehr als 25 Jahren, – und kann sich diese Art hier ohne menschliche Unterstützung halten, so zählen diese Tiere zu den Neobiota. Da der gleiche Begriff für Pflanzen und Pilze gilt, spaltete man diesen noch einmal auf: tierische Neobiota werden als Neozoen betitelt, Pflanzen als Neophyten, Pilze und Sporen sind Neomyceten. Bei allen unterscheidet man auch nochmal unter »nicht invasiv«, »potenziell invasiv« und »invasiv«.

Kommen gebietsfremde Tierarten in unser Land, passiert oft nichts. Viele Organismen sterben sofort oder nach einiger Zeit, weil der Lebensraum mitsamt den klimatischen Bedingungen oder der benötigten Nahrung hier auf Dauer nicht zum Überleben reicht. Manche können sich für einen begrenzten Zeitraum halten und sind dann als sogenannte »unbeständige gebietsfremde Arten« vorzufinden.

Aber manchmal vermehren sie sich auch gut und schaffen es, sich in der neuen Umgebung bestens zu akklimatisieren. Dann spricht man von »etablierten gebietsfremden Arten«.

Sollte von diesen Gefahr drohen, hiesige Arten zu verdrängen, indem sie ihnen aufgrund körperlicher Überlegenheit die Nahrung wegnehmen oder Krankheitserreger mit einschleppen, gegen die die einheimischen Arten nicht gewappnet sind, oder, wenn sie sich ungehindert vermehren können, da sie keine natürlichen Fressfeinde haben, dann landen diese gebietsfremden Arten auf der Liste der potenziell unerwünschten Arten. Bestätigt sich die Bedrohung gegenüber der heimischen Fauna und Flora, rutschen sie auf die Black List und werden als invasiv bezeichnet. In diesem Fall darf man gegen sie Maßnahmen ergreifen, die gegenüber der heimischen Tierwelt nicht erlaubt sind: Einige invasive Wildtiere dürfen auch ohne Schonzeit geschossen werden, bis hin zum Versuch der Totalausrottung. Invasive Fischarten müssen getötet werden und dürfen keinesfalls wieder zurück in die Gewässer gelassen werden, wenn sie einmal ins Netz gegangen sind.

Bislang führte jedes Land seine eigenen Listen gebietsfremder Tierarten; im Zuge der EU-Formierung wurde eine übergreifende Liste mit unerwünschten Tierarten erstellt. Die erste dieser Art wurde 2016 herausgebracht und umfasst 37 Pflanzen- und Tierarten. Solch eine Liste zu erheben, sie dauerhaft zu analysieren und immer auf dem neuesten Stand zu halten, ist in der heutigen Welt mit der unglaublichen Vielzahl an Tierimporten und -exporten unmöglich. Zu Beginn der Buchrecherche lebten schätzungsweise 1000 Archäobiotika und Neobiota allein in Deutschland, wovon ca. 230 Arten den Status als Neozoen haben. Die Dunkelziffer, vor allen Dingen in der Insekten- und Einzellerwelt, wird um ein Vielfaches höher geschätzt. Wenn dieses Buch auf den Markt kommt, wird sich die Schätzzahl mit Sicherheit weiter verändert haben. Diese Listen geben einen Anhaltspunkt, gelten aber als unbeständig.

Mitunter kommt es vor, dass eine Tierart auf der Liste landet, die lediglich in einem einzigen EU-Land lebt und als unerwünscht gilt, wie zum Beispiel der Chinesische Muntjak in Großbritannien. Sie merken schon: Was passiert mit dem Chinesischen Muntjak, wenn Großbritannien aus der EU ausgetreten ist (abgesehen vom dem, was mit dem Land passiert)? Verschwindet er von der Liste, weil sein Wildvorkommen in der restlichen EU überhaupt nicht existent ist? Oder bleibt er für den Fall als Platzhalter, wenn er doch einmal bei uns auftauchen sollte? Vielleicht taucht er aber auf und bedrängt andere Tierarten hier gar nicht. Mitunter passieren Missgeschicke, weil es einfach ein Sisyphusunterfangen ist, all diese Tierarten zu erfassen, zu klassifizieren und geeignete Managementprogramme dafür zu entwickeln.

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