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VI - Kriegsrat

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»Geh weg!« D'Artagnan lag auf seinem Bett, das Gesicht zur Wand gedreht und rollte mit den Augen, als sich das Klopfen an seiner Tür mit mehr Nachdruck wiederholte. Seine Wirtin war reichlich lästig, er hatte verflucht noch einmal keinen Appetit - weder auf sie noch auf ihren guten Eintopf.

Er schwieg verbissen, als auch noch ein drittes Mal an seine Schlafzimmertür geklopft wurde. Er spielte mit dem Gedanken, sich einfach die Decke über den Kopf zu ziehen und diesen furchtbaren Tag zu verschlafen. Allein, die Chevrette schien das nicht zulassen zu wollen. Weiber! Hinter Madeleines schönen Rehaugen und ihrem prallen Busen war eben sonst nicht viel Verstand zu finden.

D'Artagnan rührte sich nicht und schien damit Erfolg zu haben, denn für die nächsten Momente blieb es still vor seinem Schlafzimmer. Dann wurde die Klinke gedrückt und die Tür schwang auf. Wütend warf d'Artagnan sein Kissen nach der Chevrette, die es nach all den Jahren wirklich besser wissen sollte! Er traf auch hervorragend, mitten ins Gesicht.

Allerdings starrte ihn einen Wimpernschlag später nicht seine hübsche Wirtin entgeistert an, sondern der Graf de Rochefort. D'Artagnan starrte mit gleicher Miene zurück und rappelte sich auf. »Was wollt Ihr schon wieder?«

Ohne weitere Einladung trat Rochefort ins Zimmer und warf dabei das Kissen locker zurück aufs Bett. »Ihr habt etwas im Arbeitszimmer vergessen.«

»Ach? Das konnte nicht bis morgen warten?« D'Artagnan beobachtete den Stallmeister missmutig dabei, sich einen Stuhl heranzuziehen. Offenbar wollte er sich häuslich niederlassen. Der ehemalige Musketier, und seit wenigen Stunden auch noch ehemalige Leutnant, blieb auf der Bettkante sitzen und musterte seinen Besuch feindselig. Davon gänzlich unbeeindruckt, holte Rochefort ein Schreiben mit dem Siegel des Kardinals hervor. D'Artagnan warf nur einen flüchtigen Blick darauf und erkannte sofort einen Einberufungsbefehl darin. Mitsamt dem Hinweis auf seinen neuen Rang als einfacher Gardist.

Statt die Papiere entgegenzunehmen, schnaubte er abfällig. »Das hättet Ihr mir wirklich nicht bringen müssen.«

»Bevor sie ganz in Vergessenheit gerieten, doch: Ich muss sie Euch aushändigen.«

»Seid Ihr nur hier, um zu überprüfen, ob ich bereits meine Habseligkeiten packe und Fahnenflucht begehe?« D'Artagnan machte eine ausladende Armbewegung, die das Zimmer voll-ständig einschloss. »Bitte, Ihr werdet kein Reisebündel finden. Ich werde morgen pünktlich zum Dienst antreten. Adieu bis dahin!«

Rochefort legte die Papiere auf der Kleidertruhe am Bettende ab, ohne weiter auf den Rauswurf einzugehen. »Ja, daran hege ich keinen Zweifel. Ich finde Euch hier vergraben in finsteren Gedanken vor, statt in der nächsten Taverne. Demnach wollt Ihr für morgen nüchtern bleiben.«

»Jawohl! Ich will nur den besten Eindruck auf meine neuen Vorgesetzten und Kameraden machen. Sie werden mich überaus wertschätzen dafür, dass ich mich ihnen bei klarem Verstand stelle und weder schwanke noch lalle.«

»Nicht zu vergessen, dass Ihr nicht nach billigem Alkohol riecht.« ergänzte Rochefort mit einem so ernsten Nicken, dass unmöglich zu sagen war, ob er die Möglichkeit nicht zumindest in Erwägung gezogen hatte.

»Noch kann ich mir den teuren Wein leisten, Monsieur! Teufel, den ganzen Louvre würde ich kaufen können! Allein aus Menschenfreundlichkeit, aus Pflichtbewusstsein bin ich auf Richelieus Angebot eingegangen.«

Rochefort winkte ab. »Erwartet keinen Widerspruch von mir, der Tag ist bereits weit fortgeschritten und der Nebel hängt zu dicht in der Stadt für ein Duell.«

»Sogar das Wetter ist gegen mich.« D'Artagnan seufzte und ließ die Schultern hängen. Statt weiter zu streiten, fragte er niedergeschlagen: »Wusstet Ihr, dass ich degradiert würde?«

»Nein.« erwiderte der Stallmeister ehrlich und d'Artagnan glaubte ihm. Sie waren trotz allem Freunde, wem sonst sollte er mehr vertrauen? Rochefort war offenbar nicht nur wegen der Papiere hier, sondern um Hilfe und Rat in einer trüben Lage zu bieten. Darum wiederholte er jetzt auch: »Wie ich schon sagte, es ist ein kluger Schachzug. Ihr könnt Euch zwischen den Patrouillen und Waffenübungen frei im Palais bewegen.«

»Das könnte ich genauso gut als Offizier und das sogar ohne Rechenschaft vor den anderen Gardisten ablegen zu müssen.«

»Täuscht Euch da nicht. Ihr habt weniger Verpflichtungen, mehr Zeit und niemand wird fragen, warum Ihr an scheinbar belanglosen Orten Wachdienst haben werdet. Allein um diesen Vorteil geht es dabei.«

»Wenn Ihr das sagt...« D'Artagnan hätte sich gern von Rochefort überzeugen lassen. Allerdings fühlte sich das alles noch immer wie eine Bestrafung an, nicht wie strategisches Geschick. Zumal es neben seinen persönlichen Schwierigkeiten mit der Garde noch ein weiteres Problem gab. »Der Kardinal scheint schwer krank zu sein.«

»Ja. Dieses Mal geht es über schlichte Erschöpfung oder einen Schnupfen hinaus.«

»Befürchtet Ihr das Schlimmste?«

Der Stallmeister schüttelte ratlos den Kopf. »Das kann ich nicht sagen.«

»Ich verstehe. Das macht es schwer einzuschätzen, wann meine Frist für diesen Auftrag abgelaufen ist.« D'Artagnan zögerte und sprach es schließlich doch aus: »Und ob unsere Vereinbarung gemeinsam mit Richelieu stirbt.«

»Es steht in Euren Papieren.« Rochefort nickte zu dem Schreiben hin. Stirnrunzelnd nahm d'Artagnan es nun doch an sich und las es gründlich. Am Ende fand er einen derart verklausulierten Satz, dass sich ihm der Sinn nicht sofort erschloss. Nachdem er ihn noch weitere Male gelesen hatte und sich dabei bemühte, vor Rochefort nicht stumm die Lippen mit zu bewegen, sah er auf. »Die Einberufung beinhaltet bereits das Versprechen einer Beförderung?«

»Unter Erfüllung besonderer Bedingungen und nach einer angemessenen Frist im Dienst der Garde.«

»Ha! Weder was angemessen ist noch was diese besonderen Bedingungen sind, steht hier.«

»Das Urteil darüber fällt Seiner Eminenz zu.«

»Wer tot ist, fällt keine Urteile mehr.«

»Nein, aber sein Nachfolger. Ihr dürft davon ausgehen, dass auch der einen loyalen Gefolgsmann zu schätzen wüsste.«

D'Artagnan war nicht sehr zufrieden mit diesen unsicheren Aussichten, auch wenn er sich jederzeit auf Brief und Siegel Richelieus berufen könnte. »Eigentlich wollt Ihr mir sagen, dass ich mich besser beeilen sollte.«

»Das wäre im Sinne aller Beteiligten, gleichgültig wie es um die Gesundheit Seiner Eminenz steht.«

»Nur nicht im Sinne der gesuchten Odette de la Nièvre.« spottete d'Artagnan und war auch gleichzeitig neugierig, was genau geschehen war. Es schien sich bei ihr um ein eigensinniges, abenteuerlustiges Fräulein zu handeln. Gewiss war sie selbstbewusst genug, um sich der eigenen Familie zu widersetzen. Mutig? D'Artagnans Gedanken wanderten zurück zum gestrigen Abend, wieder in jenes Haus, in das sie auf der Flucht geklettert waren. Wieder zu jener jungen Dame mit der Pistole. Wie entschlossen sie ihm entgegen getreten war. »Hat sie zufällig kupferfarbenes Haar und grüne Augen?«

Rochefort zog die Stirn in Falten, offensichtlich verwirrt von der sehr gezielten Frage. »Nein.«

»Das wäre auch zu einfach gewesen.« murmelte d'Artagnan und winkte hastig ab, als ihm der zweifelnde Blick des anderen auffiel. »Wie sieht sie dann aus?«

Rochefort hakte zum Glück nicht nach. Stattdessen griff er ein weiteres Mal in die Innentasche seines Mantels. D'Artagnan wurde eine Miniatur ausgehändigt, das Abbild einer jungen Frau von vielleicht zwanzig Jahren. Der Maler hatte nicht viel Mühe auf Details verschwendet und für das Portrait die typische seitlich gehaltene Pose gewählt, mit leicht zugewandtem Kopf, den Blick dennoch knapp am Betrachter vorbei gerichtet. Blondes Haar zu einem kunstvollen Zopf aufgesteckt, eine Locke fiel ihr über die bloße Schulter von makelloser Alabasterhaut. Das Gesicht war voll, beinahe rundlich, weich und weiblich, Augen von unbestimmter Farbe mit einem Glanz, der sie der Welt beinahe engelhaft entrückt erscheinen ließ. Die Dame war, nun... standardhübsch und charakterlos.

»Ist sie das, oder eine der vielen anderen, austauschbaren Hofdamen und Ihr wollt mich auf die Probe stellen?« fragte d'Artagnan darum auch, während er die Miniatur eingehend studierte und trotzdem keine auffälligen Merkmale an der Person selbst entdecken konnte. Keine Schönheitsflecken oder sonst einen trübenden Makel, nichts, was sie von Natur aus erinnerungswürdig gemacht hätte. Dafür trug sie an ihren feingliedrigen Fingern zwei edelsteinbesetzte Wappenringe. D'Artagnan konnte nicht mehr als Farbkleckse erkennen, aber er vermutete, dass es sich um die Familienwappen und Insignien derer von Nièvre und du Plessis handelte - falls ihm das Portrait tatsächlich eine Tochter dieser Häuser zeigte.

»Das ist Mademoiselle de la Nièvre, ja.«

»Sie wirkt... langweilig.«

»Vielleicht hat ihr deshalb niemand zugetraut, dass sie gleich zwei Mal erfolgreich fortlaufen würde.«

D'Artagnan legte das Bildnis zu den Papieren auf der Kleidertruhe. »Mehr Anhaltspunkte habt Ihr nicht für mich? Rückt endlich mit der ganzen Geschichte heraus! Ihr sagtet schon, dass sie nicht entführt wurde. Woher nehmt Ihr diese Gewissheit?«

Rochefort hob die Schultern. »Weil Ihr Verlobter sich tatsächlich an einem Frauenraub versucht hat und spektakulär scheiterte.« Die verblüffte Miene seines Gegenübers hätte den Stallmeister beinahe auflachen lassen. »Ja, in der eigenen Ehre gekränkt ausgerechnet ins Kardinalspalais einzusteigen, um eine unwillige Frau zu entführen, war bestenfalls unüberlegt. Die Idee hätte von Euch stammen können.«

»Ich habe nach der Geschichte und nicht nach Euren Kommentaren gefragt.« knurrte d'Artagnan. »Wer ist dieser Verlobte und was ist passiert?«

»Fernand de Grinchamps.« Rochefort musterte den Freund aufmerksam, beinahe lauernd. Gereizt erwiderte d'Artagnan: »Sollte ich den Namen kennen?«

»Offenbar nicht.« Der Stallmeister wirkte für die Dauer eines Wimpernschlags seltsam erleichtert, aber der Moment ging so schnell vorüber, dass d'Artagnan sich darin auch getäuscht haben mochte. Rochefort fügte erklärend an: »Ein junger Baron, der meinte, sich selbst zum Recht verhelfen zu müssen. Die Garde hat die Entführung vereitelt. Ein Lakai und ein Freund Grinchamps wurden festgenommen.«

»Ein Hoch auf meine neuen Kameraden!«

»Leider ist Grinchamps selbst vorläufig entkommen und untergetaucht.«

»Ich nehme jede Lobpreisung zurück.«

»Wer kommentiert jetzt, d'Artagnan?«

Der ehemalige Musketier winkte ab. »Grinchamps ist also gescheitert und doch ist die de la Nièvre verschwunden.«

»Einige Tage nach diesem Vorfall, ja. Entweder fühlte sie sich im Palais nicht mehr sicher genug oder ihr ist aufgegangen, dass auch Richelieu seine eigenen Pläne mit ihr hatte.«

»Seine Eminenz suchte jetzt nach einem gefälligeren Heiratskandidaten als Grinchamps es war, nehme ich an.«

»Es war naheliegend. Diese Familienangelegenheit wurde mehr als lästig. Jemand muss der Mademoiselle davon berichtet haben. Jemand muss ihr geholfen haben, unerkannt das Palais zu verlassen. Aber sie ist noch in Paris.«

»Wisst Ihr auch das mit Sicherheit oder hofft Ihr nur, dass sie die Stadt nicht längst hinter sich gelassen hat?« D'Artagnan erwartete keine Antwort darauf. Rochefort hatte seine Mittel und Wege, auch im Umland von Paris Nachforschungen anzustellen. »Ich sollte mich nach diesem 'Jemand' umsehen.«

»Das ist Eure Aufgabe, in der Tat. Sie dürfte Euch leichter fallen, wenn Ihr das Vertrauen der Gardisten gewinnen könnt.« Rochefort hob eine Hand, bevor der Freund darauf wieder mit bösem Sarkasmus reagieren konnte. »Eines nach dem anderen. Ordnet Euer Leben, wenn Ihr nebenher etwas nützliches in Erfahrung bringt, berichtet mir davon.«

D'Artagnan lachte auf. »Ausgerechnet Ihr sprecht von Ordnung, dabei ist offenbar der Haushalt des Kardinals in großes Durcheinander geraten! Jetzt schleust Ihr überdies einen Spion in die Leibgarde ein. Ich hoffe, Ihr wisst auch, was Ihr da verlangt.«

»Ich weiß, dass ich nicht zu viel verlange und Ihr insgeheim auf diese Aufgabe brennt, auf neue Taten.« Rochefort erhob sich und schlenderte zur Tür, von einem finsteren Blick des Freundes verfolgt. »Erwartet also nicht von mir, dass ich Euch nun jeden Tag besuche und tröstend die Schulter tätschle.«

Die Geste, mit der Rochefort daraufhin von d'Artagnan bedacht wurde, drückte mehr aus als alle Abschiedsworte.

Die Lilie in Kardinalrot

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