Читать книгу Die Lilie in Kardinalrot - Maren von Strom - Страница 7
III - Rekrutiert
ОглавлениеAls d'Artagnan seine Wohnung in der Rue Tiquetonne erreicht hatte, humpelte er nicht mehr. Vielleicht war er zu gedankenversunken, um seinen lädierten Knochen weitere Beachtung zu schenken oder er wollte schlicht keine Schwäche vor Rochefort eingestehen. Der Stallmeister hatte sich ihm mit einem knappen: »Ich begleite Euch.« angeschlossen und d'Artagnan widersprach nicht.
Unterwegs blieben sie unbehelligt von der Stadtwache oder weiteren Provokationen, allenfalls ein paar abschätzende Blicke folgten ihnen ob des zerzausten Auftretens des ehemaligen Musketiers. D'Artagnan scherte sich nicht weiter darum, für heute hatte er genug Streit angezettelt und mit den Jahren in Paris sah er auch nicht mehr in jeder Bemerkung oder in jedem Blick einen Angriff auf seine Ehre. Sogar das letzte Duell mit Rochefort lag schon einige Jahre zurück und aus diesem waren sie als Freunde hervorgegangen. Darum legten sie schweigend, wie selbstverständlich gemeinsam den Weg zurück und genauso selbstverständlich ließ d'Artagnan den Stallmeister in seine Wohnung eintreten, ohne dass es irgendwelcher Worte bedurft hätte.
Während sich d'Artagnan in seinem Schlafzimmer an der Waschschüssel erfrischte und wieder einigermaßen repräsentabel herrichtete, entkorkte Rochefort eine Flasche guten Weins aus Anjou aus dem Vorrat in der Küche.
Mit Bechern und Getränk ausgerüstet, schlenderte der Stallmeister hinüber in den Salon und ließ sich in einem bequemen Sessel nieder. Er musste zugeben, d'Artagnan hatte sich nicht schlecht eingerichtet. Als Leutnant konnte er nicht gerade wie die Made im Speck leben, aber er hatte eine gute Wohnung gefunden, nachdem er aus seiner alten Mansarde ausgezogen war. Er schien hier bestens versorgt und spöttisch fragte Rochefort, als d'Artagnan sich in einem frischen Hemd und mit weniger blutiger Nase zu ihm gesellte: »Ist Eure Wirtin gar nicht da? Sie stürzt doch sonst sofort herbei, wenn Ihr auch nur einen kleinen Kratzer abbekommen habt und macht ein Zeter und Mordio.«
»Spottet nur, Rochefort.« erwiderte der Jüngere mit einem halben Lächeln und ließ sich Wein einschenken. »Die Chevrette ist eine gute Frau.«
»Sie hält Euer Bett warm.«
»Sie lässt mich auch ohne festen Sold zur Miete wohnen.« D'Artagnan ertappte sich dabei, dass seine Gedanken, während er über seine Wirtin sprach, schon wieder zurück in das Haus beim Drei Kronen und zu der unverhofften Begegnung mit der Mademoiselle dort wanderten. Ihr entschlossener Blick, die Pistole. Hatte sie ihn denn wirklich bedroht? Nein, sie hätte auch einfach in ihrem Zimmer bleiben können. Hatte sie dann vielleicht jemand anderen beschützt? Jüngere Geschwister zum Beispiel? Sie hatte ein entzückendes Grübchen am Kinn.
Rochefort lehnte sich im Sessel zurück und musterte den Leutnant über den Rand seines Weinglases. »Wie lange soll das noch so gehen?«
»Ich hoffe doch sehr, noch eine Weile!« D'Artagnan wusste, dass sein Gegenüber nicht sein Verhältnis mit der Chevrette gemeint hatte und leider ließ der Stallmeister es nach dieser ausweichenden Antwort auch nicht auf sich beruhen.
»Ihr wollt noch eine Weile zwischen Heim und Taverne pendeln, je nachdem, wo sich gerade mehr Wein befindet? Mein Lieber, Ihr habt Euch schlechte Angewohnheiten abgeguckt.«
»Von Euch?«
»Von Athos.«
Ein Ausdruck von Verbitterung stahl sich in d'Artagnans Miene. »Athos hat geerbt und auf seinem Landsitz andere Sorgen, als sich noch weiter um die Belange in Paris zu scheren. Ihr, Rochefort, seid der einzige Freund, der mir geblieben ist.«
»Ja, und die Narben Eurer Freundschaft trage ich noch heute.« prostete Rochefort dem anderen ohne Groll zu. »Eine weitere ist mir nun erspart geblieben, aber das nächste Mal fische ich Euch nicht aus dem Getümmel.«
D'Artagnan lachte auf. »Oho, Graf! Da habt Ihr etwas getan! Wie fühlt es sich an, im rechten Moment herbeizueilen und der Held zu sein?«
»Sagt Ihr es mir. Ihr rettet, nach den Geschichten zu urteilen, beinahe täglich edle Damen, gar Königinnen oder gleich ganz Frankreich.«
»Es gibt Geschichten?«
»Nein.«
»Bedauerlich.« Der Leutnant seufzte schwermütig. »Ich bin nur ein abgedankter Soldat, den man nicht mehr braucht. Seit Jahren schon hat man mich am Hof vergessen. Ohne die Musketiere bin ich nichts.«
»In der Tat.« stimmte sein Gegenüber völlig ungerührt zu und d'Artagnan verzog das Gesicht. »Ich habe Euch auch lieb, Rochefort.«
»Wolltet Ihr etwas anderes hören?« Der Graf schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht hier, um Euer selbstmitleidiges Jammern zu unterstützen.«
»Aber meinen Wein trinkt Ihr trotzdem!«
»Und er ist ganz ausgezeichnet, gebe ich zu.«
D'Artagnan sah ein, dass seine durchbohrenden Blicke wirkungslos an Rochefort abprallten, also rümpfte er die Nase und schenkte ihnen beiden nach. »Wenn demnach nicht für eine tröstende Umarmung und ein aufmunterndes Schulterklopfen, warum seid Ihr dann hier?«
»Aus zwei Gründen: Erstens, um meine Frage zu wiederholen, wie lange das noch so weitergehen soll.«
»Zweitens?«
Rochefort hob die Schultern. »Um Eure Situation arglistig für meine eigenen Zwecke zu nutzen, natürlich.«
»Ah, Ihr warnt mich doch sonst nie vor? Es muss Euch ernst sein und wir reden nicht allein in aller Freundschaft, sondern geschäftsmäßig.« D'Artagnan neigte interessiert den Kopf. Mit Sicherheit übertrieb der Stallmeister; vielleicht bot er dem ehemaligen Musketier, nach Wochen der Untätigkeit und der Sorgen um die eigene Zukunft, jetzt wahrhaftig eine gute Gelegenheit an, wieder in Lohn und Brot zu kommen.
Nach dem letzten Gespräch mit Monsieur de Tréville war d'Artagnan noch entschlossen gewesen, die Auflösung der Kompanie nicht einfach hinzunehmen. Er hätte sich an den Rat des Hauptmanns halten sollen, nichts zu unternehmen. Alles, was d'Artagnan mit einer Audienz beim König bewirkt hatte, war, auch noch sich selbst seines Postens zu entheben.
Ludwig XIII. war enttäuscht, erschüttert in seinem Vertrauen wegen Trévilles angeblichen Verrats. D'Artagnan wusste nicht, wie viel Wahrheit in der Anklage gegen den Hauptmann steckte; Verschwörung gegen Seine Eminenz, Kardinal Richelieu, den Ersten Minister - gegen Frankreich selbst. Noch wusste er, was wirklich vorgefallen war. Mit Details hielten sich alle Seiten bedeckt und Gerüchte sagten wenig glaubhaftes. Solche Intrigen regelte der Hof unter sich und das Ende einer kleinen Kompanie war da nur Begleitschaden.
D'Artagnans Bitte um Gehör beim König wurde zwar stattgegeben, aber der Leutnant hätte nicht so naiv sein dürfen zu glauben, dass seine Fürsprache und seine Argumente irgendetwas anderes als nur noch größeren Zorn bei Seiner Majestät geweckt hätten. Die Audienz verlief... stürmisch. Während schließlich die anderen Musketiere aufgeteilt und versetzt wurden, wurde ihr Leutnant nicht mehr gebraucht.
D'Artagnan war darüber die ersten Tage wie erstarrt, ganz und gar fassungslos. Über zehn Jahre hatte er treu gedient, war so manches Mal sogar direkt an der Seite des Königs geritten und nach seiner Meinung gefragt worden - und jetzt war er vergessen, in Ungnade. Nicht unehrenhaft entlassen, das nicht! Nur nicht wieder eingesetzt.
Die darauffolgenden Wochen hatte der Leutnant wie im Taumel verbracht, tatsächlich zwischen Heim und wechselnden Wirtshäusern. Wann immer ihm ehemalige Kameraden auf der Straße begegnet waren, hatte er sich beschämt gefühlt, freundliche und aufmunternde Worte harsch abgetan, bis sie ganz ausblieben.
Wie gerne hätte er sich mit Athos, Porthos und Aramis über Briefe ausgetauscht, sich freundschaftlichen Rat von den einstigen Weggefährten erbeten! Doch sie schrieben sich schon seit einigen Jahren nicht mehr. Teufel, d'Artagnan wusste nicht einmal, wo er die alten Freunde hätte suchen sollen! Aramis war zum Abbé berufen, Porthos zum wievielten Male neu verheiratet. Athos war von seiner letzten Mission nicht zurückgekehrt und hatte nur ein Rücktrittsgesuch an den Hauptmann hinterlassen. Noch nie war sich d'Artagnan so verlassen vorgekommen. Noch nie so überflüssig, denn er hatte keine Aufgabe mehr. Rochefort hatte eine rhetorische Frage gestellt; es konnte nicht mehr lange so weitergehen.
Der Stallmeister nickte wissend. »Ich habe Euch einen Vorschlag zu machen, ja. Sofern Ihr nicht weiterhin wie ein abgedankter Soldat an den hintersten Tischen im Wirtshaus herumlungern wollt.«
»Wo ist da die Arglist?«
»Der Vorschlag wird Euch nicht gefallen.«
Beinahe hätte d'Artagnan zynisch aufgelacht. Mit einer einzigen Ausnahme würde ihm jeder Vorschlag gefallen, wenn er ihm nur wieder Land unter die Füße brächte. »Wollt Ihr mir vielleicht das großzügige Angebot Seiner Eminenz überbringen, mich in die Reihen seiner Garden aufzunehmen?«
»Ja.«
Erst geschah nichts. Dann sprang d'Artagnan auf und ein Schwall blumigster Ausdrücke ging über den Stallmeister nieder, der geduldig wartete, bis dem Gascogner die Luft und die Flüche ausgingen. Es dauerte eine ganze Weile.
»Seid Ihr fertig?« Rochefort ließ dem Freund keine Gelegenheit, sich darüber neu zu ereifern, sondern fuhr gleich fort: »Dann setzt Euch und hört zu!«
Einen Moment länger wirkte d'Artagnan so, als bedaure er es sehr, seinen Degen im Schlafzimmer zurückgelassen zu haben. Dann setzte er sich ruckartig wieder hin und presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie einen dünnen Strich bildeten. Der Wutausbruch hatte ihm eine gesunde Gesichtsfarbe verliehen, wodurch die Kratzer aus der Schlägerei noch deutlicher hervorstachen. Morgen dürfte er wohl mit einem Brummschädel und geschwollenem Auge rechnen. Fast hätte Rochefort darüber schmunzeln mögen. So sehr verändert hatte sich d'Artagnan seit seinen ersten Tagen in Paris nicht; er hatte sich sein hitziges Gemüt bewahrt, das der Stallmeister nun zu bändigen suchte.
»Wenn Ihr warten wollt, bis der König Euch Euer impertinentes Verhalten vergibt, gut. Dann wünsche ich Euch viel Glück bei diesem hoffnungslosen Unterfangen.«
»Impertinenz ist Euch mehr vorzuwerfen als mir.« knurrte d'Artagnan. »Jetzt verstehe ich, was Ihr in diesem Innenhof meintet. Wie sehr es Euch gelegen käme, wenn ich Euch mein Leben und einen Gefallen schuldete. Mir ein solches Angebot zu machen! Pfui, Rochefort!«
»In der Tat wäre Euch mit Erpressung, Eure Freiheit gegen Euren Degen für Seine Eminenz, nicht beizukommen.«
Allein schon wie trocken die Worte klangen, ließ d'Artagnan neuerlich auffahren. »Teufel noch eins! Dass Ihr einen alten Freund erpressen würdet, habt Ihr denn gar kein Ehrgefühl?«
Rochefort winkte ab. »Vor allem habe ich keine Zeit für solche Spielchen. Euch aus der Bastille zu holen, würde sogar mich mehrere Tage kosten und wer kann schon sagen, in welchem Zustand Ihr dann wärt.«
»Großartig. Einfach großartig. Fast könnte man meinen, Ihr wärt besorgt um mich.«
»D'Artagnan, ich spiele mit offenen Karten. Ob ich mich um Euch sorge oder nicht, ist jetzt nicht von Belang. Hier geht es allein um ein Geschäft und ich bin nur der Bote.«
»Nun, Herr Bote!« Der Leutnant reckte stolz das Kinn. »Dann richtet dem Kardinal aus, dass kein Preis für meine Klinge hoch genug wäre, um sie ihm zu verkaufen!«
»Das Korps der Musketiere.«
»Pardon?«
Rochefort schwenkte den Wein im Glas und betrachtete ihn sinnend. »Der Preis. Die Wiedereinsetzung der Kompanie in vollen Ehren. Vielleicht sogar mit Euch als ihrem neuen Hauptmann. Der Einfluss des Ersten Ministers auf Seine Majestät ist dafür mehr als ausreichend.«
»Ha, das ist er gewiss!« D'Artagnan schnaubte abfällig. »Warum den Umweg über Richelieus Garden gehen? Ihr seid verrückt, Rochefort! Die Musketiere und Gardisten standen nie auf gutem Fuß miteinander. Selbst wenn es mir den Preis wert wäre, ich würde keine Woche überleben!«
»Wenn Ihr Euch nicht ganz dumm anstellt, werdet Ihr Euch schon für eine gewisse Zeit einfinden.« Rochefort hob die Schultern, als wären alle Bedenken belanglos und mit einer einfachen Geste abgetan. »Es soll nur für ein paar Wochen sein, genug Zeit, um Eure Qualitäten erneut zu beweisen. Jede Schwierigkeit und jede Verachtung werdet Ihr für ein größeres Ziel aushalten müssen. Womöglich seid sogar Ihr in der Lage, einmal kein Duell vom Zaun zu brechen.«
»Ich hätte nicht übel Lust, mich gleich hier in meinem Salon mit Euch zu schlagen!«
»Aber dafür seid Ihr inzwischen zu klug.«
»Jawohl, das bin ich!« D'Artagnan konnte noch immer kaum glauben, was ihm hier vorgeschlagen wurde. Er, ein Gardist des Kardinals! Nicht nur die Abscheu seiner neuen Kameraden erwartete ihn da, sondern auch die Verachtung aller ehemaligen Musketiere, all seiner alten Freunde und Weggefährten, wenn sie je etwas davon erführen. Sollte er irgendwann Monsieur de Tréville wiedersehen, würde der sich mit vollem Recht zornig und enttäuscht abwenden.
War d'Artagnan das die Rettung der Kompanie wert? Für eine kurze Zeitspanne ein Gardist zu werden, wie Rochefort nur verlangte? Er war alles andere als derart opferbereit, er war kein Held. Aus gutem Grund winkte noch die Aussicht auf eine Beförderung. »Zeigt mir den Rest Eurer offenen Karten! Meine ewige Dankbarkeit und Treue dafür, dass Richelieu mir diese Gelegenheit gewährt und mich mit dem Posten eines Kapitän-Leutnants ködert - das wird wohl kaum alles sein.«
»Schätzt Ihr Euch selbst inzwischen so gering, dass Eure Treue nicht Gewinn genug sein könnte?«
»Wann hätte ich dem Kardinal zuletzt noch so im Weg gestanden, dass er mich an sich binden müsste? Unsere Rechnungen sind ausgeglichen.«
Rochefort seufzte. »Ich muss mich geirrt haben, Ihr habt Euren Schneid verloren. Meine Karten behalte ich für mich, wenn Euch jeder Ehrgeiz abgeht und Ihr kein Risiko eingehen wollt.« Er stellte das Weinglas ab und erhob sich. »Dann haben wir uns für heute nichts mehr zu sagen.«
»Wartet!« rief d'Artagnan aus einer Regung heraus. Er hatte eine Hand zur Faust geballt und nutzte sie jetzt als Stütze am Kinn, um ihr einen anderen Sinn zu geben als den, einen Stallmeister damit zu verprügeln. Rochefort gab dem Leutnant die Gelegenheit, ein paar Gedanken zu sortieren und d'Artagnan stellte am Ende fest: »Wir wissen beide, dass mehr dahinter steckt. Werdet Ihr es mir sagen, bevor ich zustimme alles zu verraten, wofür ich die letzten Jahre gelebt habe? Seid Ihr bereit, dieses Risiko einzugehen?«
»Fragt Ihr eine Kreatur des Kardinals oder einen Freund?«
»Ich frage Euch, Ihr seid immerzu beides.«
Rochefort musterte ihn für einen langen Moment. Dann wandte er sich zum Gehen und meinte an der Tür: »Kommt morgen früh ins Palais Cardinal, zum Arbeitszimmer Seiner Eminenz. Ich verspreche Euch, als Freund, Ihr werdet unbehelligt wieder gehen dürfen, falls Ihr das wünscht.«
D'Artagnan wartete, bis er die Haustür ins Schloss fallen hörte. Erst dann stützte er den Kopf in den Hände und murmelte leise ein »Mordieux«.