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IV – Degradiert

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D'Artagnan stand auf der Rue St. Honoré, im Rücken den Louvre und vor sich das Palais Cardinal. Er starrte seit einer geraumen Weile auf den gewaltigen Stadtpalast. Inzwischen schien er zurückzustarren.

Das übrige Paris erwachte nur langsam aus dem nächtlichen Dämmerzustand. Vereinzelte Kutschen rissen im Vorbeifahren den Nebel in Fetzen, doch noch reichte das erste, schwache Licht des Tages nicht aus, um die Schwaden aus den Straßen zu vertreiben. Die wenigen Passanten waren eng in ihre Mäntel gewickelt und liefen schnell vorüber. Niemand beachtete den einsamen Offizier, der sichtlich mit sich selbst rang.

Nach einer reichlich kurzen Nacht hatte d'Artagnan sich an der Waschschüssel noch eingeredet, wie lächerlich Rocheforts Angebot war. Sein Spiegelbild indes blickte sehr müde und erschöpft zurück. Während er sein blaues Auge vorsichtig betastete, argumentierte er mit sich selbst, dass er sich zumindest anhöre könne, welchen Vorschlag genau ihm der Kardinal zu machen hatte. D'Artagnan rasierte sich und schlich aus der Wohnung, ohne die Chevrette zu wecken.

Weitere Minuten verstrichen, die Morgenröte floss über die Dächer und ein Wachwechsel wurde eingeläutet. Ein vertrauter Vorgang, nur im falschen Palast. Verärgert kaute der ehemalige Musketier auf seinem Bart, zog sich schließlich den Federhut tiefer in die Stirn und marschierte auf das Palais Cardinal zu.

Niemand hielt ihn auf, als er den säulenumrahmten Torbogen hinter sich ließ und den vorderen Innenhof überquerte. Aber als er sich entlang der Galerie dem Eingang in den Haupttrakt näherte, erwarteten ihn schon zwei rotgerockte Gardisten. Mit unverhohlener Skepsis verfolgten sie seinen Auftritt und versperrten ihm schließlich an der Treppe den Weg.

»Cahusac. Sorel.« D'Artagnan nickte ihnen zu. Man kannte sich in den rivalisierenden Truppen. Cahusac hatte vor über einem Jahrzehnt in dem berühmten Duell am Karmeliterkloster Athos zum Gegner gehabt. Obwohl das schon eine halbe Ewigkeit zurücklag und Cahusac inzwischen ergraut war, hatte noch niemand bei den Musketieren und den Garden den Vorfall vergessen.

»Monsieur le lieutenant.« grüßte Cahusac rau und mit gerade so viel Höflichkeit, dass es ihm nicht als Sarkasmus ausgelegt werden konnte. »Wohin?«

Er fragte einsilbig, nicht aus Mangel an Respekt. Das Sprechen fiel ihm schwer, seine Stimme klang belegt und heiser. Athos hatte ihm in dem Duell damals eine Wunde an der Kehle beigebracht und die Folgen trug Cahusac bis heute.

Sorel hielt sich im Hintergrund bereit, um im Zweifel sofort einzugreifen. Er musterte den fremden Leutnant wachsam.

An einem anderen Tag hätte d'Artagnan das misstrauische Gebaren der beiden Männer gegen sich vielleicht ein amüsiertes Schmunzeln entlockt. Jetzt aber ließ diese Verzögerung vor einem schweren Gang ihn zornig werden. »Ich bin eingeladen, tretet beiseite!«

»Nein.« erwiderte Cahusac knapp und sein junger Kamerad ergriff im Folgenden das Wort für ihn.

»Mit Verlaub, das werden wir nicht tun, ehe Ihr diese Einladung beweisen könnt.«

Sorel klang beinahe vergnügt. Dem Burschen saß der Schalk im Nacken, in seinen Augen blitzte es herausfordernd. Es fehlte ihm noch an Kriegserfahrung, aber seine rechte Hand ruhte selbstbewusst auf dem Griff des Degens. Er trug einen schmalen Goldring am Finger. Seine Forderung nach einem Beweis war indes völlig berechtigt und d'Artagnan hätte seinen eigenen Musketieren das Fell über die Ohren gezogen, wenn sie jeden Dahergelaufenen nur aufgrund einer Behauptung in den Louvre gelassen hätten. Verfluchter Rochefort, das nicht bedacht zu haben!

»Ah, und wenn ich es nicht beweisen kann? Schießt ihr mich dann an Ort und Stelle nieder? Da dürften die Herren viel zu erklären haben, Jussac wird außer sich vor Freude sein. Mein Ehrenwort wird genügen müssen.«

Bei der Erwähnung ihres eigenen Leutnants zögerten die Gardisten. Cahusac war deutlich anzumerken, dass ihm eine scharfe Antwort auf der Zunge lag. Dass ein Ehrenwort allein hier nicht genügen würde, mochte mit altem Groll zusammenhängen; die Narbe an seiner Kehle war ihm stete Erinnerung an die erste Begegnung mit d'Artagnan.

Andererseits: Leutnant Jussac würde in der Tat nicht dankbar für den Aufruhr, für einen festgenommenen Offizier oder gar einen Toten auf den Treppenstufen sein. Hauptmann Luchaire war zu sehr Politiker, schmutzige Angelegenheiten überließ er seinem Stellvertreter. Während Tréville sich mit geradezu diebischem Vergnügen in jede Konfrontation mit Richelieu persönlich begeben hatte, erfüllte Luchaire vom Schreibtisch aus seine Pflichten. Der Hauptmann der Garden war ein Beamter, ein Verwalter. Jussac bekam dadurch mehr Verantwortung übertragen und d'Artagnan adressierte ihn vor den Gardisten ganz richtig.

Cahusac entschied schließlich mit einem Nicken zu Sorel: »Geh mit!«

Der Jüngere straffte seine Gestalt. Er stand in seinem zweiten Dienstjahr, noch hatte er sich seinen Eifer bewahrt und nahm gern die Rolle des Kindermädchens ein. D'Artagnan fragte sich einen flüchtigen Moment lang, ob er selbst mit zwanzig Jahren ebenso enthusiastisch, ein wenig spitzbübisch dabei, »Jawohl!« gerufen hätte. Sorel war erfrischend unschuldig und so bedachte der ehemalige Musketier Cahusac mit einer gehobenen Braue. »Danke, ich kenne den Weg zum Kabinett Seiner Eminenz bestens.«

»Dahin? Gut.« Cahusac wies mit einladender Geste hinter sich. D'Artagnan sparte sich einen weiteren finsteren Blick und trat an dem altgedienten Soldaten vorbei. Mit zwei Schritten schloss Sorel zu ihm auf und ließ sich auch nicht mehr abschütteln oder zur Umkehr bewegen.

Im Palais schloss sich bald eine weitere Galerie an die Treppe an. Richelieu hatte das ehemalige Hôtel d'Angennes nach dem Kauf prächtig ausstatten lassen. Weitläufig war es vorher schon gewesen, jetzt konnte man es noch überaus glanzvoll, gar pompös nennen. Jeder Winkel spiegelte den Einfluss und die Macht des Hausherrn wider, von den Säulengängen bis zur berühmten Gartenanlage. Das Palais war an schierer Größe und Prunk einem König angemessen.

»Hier entlang.« Sorel übernahm die Führung und d'Artagnan musste widerwillig eingestehen, dass der Gardist einen kürzeren Weg zu ihrem Ziel einschlug als ihn der Leutnant gewählt hätte. Unterwegs begegneten sie einigen livrierten Dienern, ab und an auch einer Magd. Bald würde der ganze Haushalt wissen, wer heute zu Gast war.

D'Artagnan bemerkte mit geschultem Blick andere Gardisten auf ihren Posten an wichtig erscheinenden Flügeltüren oder Treppenaufgängen, abseits der Nebenwege, denen Sorel und er folgten. Der Anblick versetzte ihm einen Stich. Eine intakte Leibgarde im falschen Uniformrock. Welchen Hohn und Spott es von den Musketieren gehagelt hätte, wenn die Garden des Kardinals aufgelöst worden wären! Aber Jussac musste seinen Männern eingeschärft haben, sich in Zurückhaltung zu üben und, zum Wohl der Stadt, keinen Streit darüber zu provozieren. Auch das schmerzte.

An der Doppeltür zum Kabinett des Ersten Ministers hielten zwei weitere Gardisten Wache. Sorel grüßte die Kameraden und ohne weitere Umstände oder neuerliche Diskussionen durften sie ins Vorzimmer eintreten. Cahusac hatte wahrlich eine kluge Entscheidung getroffen, d'Artagnan nicht allein gehen zu lassen. Sorel war sein Passierschein.

D'Artagnan rief sich innerlich zur Ordnung. Er musste den eigenen Groll überwinden, seinen Stolz zurückstellen und selbst weiser handeln. Gelassenheit statt Zorn war hier gefordert. Er machte ein paar Schritte ins Vorzimmer hinein, Sorel hingegen wandte sich zum Gehen, was ihm einen verwunderten Blick des Leutnants einbrachte.

Der Gardist schien die unausgesprochene Frage zu ahnen und beantwortete sie mit einem Schulterzucken. »Cahusac hat Euch auf Ehrenwort durchgewinkt. Ich habe Euch begleitet, damit ist diese Angelegenheit erledigt.«

D'Artagnan nickte langsam. Offenbar genoss er unter seinen Feinden noch immer den Ruf, sich an sein Wort zu halten. Sie gestanden ihm weitaus mehr Ehre zu, als er sich selbst.

Einen Augenblick lang sah er Sorel nach, dann ging er allein weiter. Bis auf einen livrierten Diener, der über die Anordnung der Stühle und Sitzbänke entlang der Wände wachte, war sonst niemand anwesend. Nun, fast: Außerdem sah sich der Leutnant von Rochefort gemustert, der sich am anderen Ende des Raums an der Tür zum eigentlichen Kabinett befand.

D'Artagnan unterdrückte eine erste Regung, trotzig die Arme zu verschränken. Für solche Gesten war er entschieden zu alt, auch wenn sich Rochefort zu gern väterlich wohlwollend und nachsichtig ihm gegenüber gab. Stattdessen marschierte er festen Schrittes hinüber und grüßte: »Ihr hättet der Leibgarde Eures Dienstherrn mitteilen sollen, dass ich einbestellt worden bin.«

»Das hätte ich. Wenn ich tatsächlich mit Eurem Erscheinen gerechnet hätte.« Rochefort machte keinen Hehl daraus, dass er nach ihrem Gespräch gestern den Leutnant beinahe aufgegeben hatte. Umso sarkastischer bemerkte d'Artagnan: »Für derart viele 'wenn' und 'hätte' wartet Ihr überraschend geduldig auf mich.«

»Ich bin ein Freund geringer Chancen, das wisst Ihr. Und ich warte offenbar nicht vergeblich, ein gutes Zeichen. Was macht das Auge?«

»Ihr seht Zeichen, wo keine sind.« teilte d'Artagnan unwirsch mit und ignorierte die Frage. »Ich kann jederzeit wieder gehen.«

»Jederzeit.« Rochefort gab dem Diener einen stummen Befehl, der daraufhin das Vorzimmer verließ. »Aber erst nach dieser Unterredung.«

Kaum gesagt, wurde die Tür zum Arbeitszimmer von einem weiteren Lakai geöffnet. Offenbar war d'Artagnans Ankunft bereits gemeldet worden und kurz schmeichelte es ihm, dass er wichtig genug schien, um nicht warten gelassen zu werden. Natürlich irrte er sich. Rochefort hielt ihn am Arm zurück, als er schon die Schwelle übertreten wollte.

Genau in diesem Moment marschierte aus dem Kabinett mit wütender Eile ein älterer Herr. D'Artagnan schätzte ihn mit dem ersten, flüchtigen Ansehen auf etwas über fünfzig Jahre. Sein harter Blick aus grauen Augen und die aufrechte Haltung ließen auf einen selbstbewussten Charakter schließen. Die teure Kleidung, sein ganzer Auftritt standen einem Adeligen von nicht geringem Rang zu. Ein Graf oder gar Herzog? Eine steile Zornesfalte stand ihm auf der Stirn, unzweifelhaft war er in Streit mit dem Ersten Minister dort drinnen geraten. Das musste man sich mit Richelieu erst einmal wagen!

D'Artagnan wusste dem Herrn weder vom Gesicht noch von den Farben, die er trug, einen Namen zuzuordnen. Er konnte kein häufiger Gast am Hof sein. Oder sein Status hielt keine Notwendigkeit für ihn bereit, sich dauerhaft in der Nähe von König und Kardinal aufzuhalten. In seinem Tross befanden sich zwei weitere Männer, unzweifelhaft eine persönliche Garde in Alltagskleidung. Ein Adjutant oder Sekretär und irgendein jüngerer Verwandter vielleicht, bestens ausgebildet und treu ergeben.

D'Artagnan wich sofort respektvoll aus, als der Monsieur raumgreifend vorbeischritt. Seine Begleiter folgten ihm auf dem Fuße, ein wenig überhastet sogar ob der Zielstrebigkeit des Alten. D'Artagnan wurde im Vorübergehen nur eines flüchtigen Blickes gewürdigt. Rochefort erhielt sogar ein missbilligendes Stirnrunzeln. Man kannte sich wohl.

Der Stallmeister neigte respektvoll den Kopf und d'Artagnan tat es ihm befehlsgewohnt gleich. Mehr zur Aufklärung des Freundes denn als tatsächlicher Gruß bestimmt, sagte Rochefort halblaut in der Verbeugung: »Monseigneur de la Nièvre.« Er erhielt keine Antwort.

D'Artagnan klang der Name nicht vertraut und wenige Momente später verließen die drei Besucher das Vorzimmer. Ihre Schritte verhallten hinter der Tür und d'Artagnan kam diese ganze Begegnung unwirklich vor. Als er wieder aufsah, war Rochefort nicht mehr neben ihm.

Kurz darauf verstand er die plötzliche Hast, mit der der Stallmeister das Arbeitszimmer betreten hatte und wohin ihm der Leutnant nun schlussendlich folgte: Richelieu sah schlecht aus. Der sonst so unnahbare, machtvolle Mann stand gebeugt auf seinen Schreibtisch gestützt, als laste ihm nach all den Jahren unermüdlichen Staatsdienstes die Verantwortung zu schwer auf den Schultern. Ein feiner Schweißfilm glänzte auf seiner Stirn. Er wirkte blass, geschwächt. Jetzt hustete er heftig. Rochefort war sofort neben ihm und reichte ihm ein Kristallglas mit frischem Wasser.

D'Artagnan blieb unschlüssig in einigem Abstand stehen. Während Rochefort sich um seinen Herrn bemühte, zog d'Artagnan diskret die Tür zum Kabinett zu. Teils, um sich in dieser ganz unerwarteten Situation halbwegs nützlich zu machen, teils, um sich mit einem Vorwand abwenden zu können und nicht den Kardinal anzustarren. Er überspielte seine Verlegenheit, indem er den Raum betrachtete. Die Einrichtung war zweckmäßig. Große Fenster ließen das Tageslicht ein. Die schweren Samtvorhänge dienten wohl nur der Zierde, ähnlich der wertvolle, schwere Wandteppich auf der gegenüberliegenden Seite. Das Motiv konnte der Leutnant nicht zuordnen. Etwas geschichtsträchtiges wahrscheinlich, d'Artagnan hatte sich nie mit derlei Dingen beschäftigt. Er war ein Mann der Waffen und nicht der Kunst. Deshalb wirkten die Regale mit den unzähligen Büchern und Codices auf ihn nicht nur kostbar, sondern auch einschüchternd. Konnte ein Mann in seinem Leben so viel lesen? Was davon war gar selbst verfasst?

Doch es war der Schreibtisch aus dunklem Palisanderholz, der das Arbeitszimmer dominierte. Die übrige Einrichtung hatte über die Jahre gewechselt, doch dieses Möbel blieb und schien einen Teil der Persönlichkeit seines Besitzers angenommen zu haben. Man mochte sich nicht ausmalen, wie viele Dokumente hier schon gelegen hatten, die über das Schicksal eines Staates, eines Kontinents, ach! der ganzen Welt bestimmt hatten. Man begegnete dem Schreibtisch mit Respekt, selbst wenn der Kardinal nicht anwesend war.

Das Husten verstummte schließlich und d'Artagnan hob den Blick zu Seiner Eminenz. Richelieu hatte in seinem Sessel Platz genommen und obgleich er noch immer blass und erschöpft wirkte, saß er aufrecht und maß ihn mit wachem Verstand. Rochefort blieb an der Seite des Kardinals, während d'Artagnan nun herrisch herangewinkt wurde.

»So zurückhaltend kennt man den Leutnant der Musketiere sonst nicht.« kommentierte Richelieu zwar heiser, aber mit scharfem Sarkasmus. »Hört auf, die Tür zu bewachen!«

Ruckartig löste sich d'Artagnan von seinem Posten und trat vor den Schreibtisch, eine nicht weniger bissige Antwort auf der Zunge. Er schluckte sie hinunter und erwiderte stattdessen: »Ich bin in einer Position, in der mir Zurückhaltung gut ansteht, Monseigneur. Diese Lektion habe ich endlich gelernt.«

»Habt Ihr das? Euer Veilchen erzählt eine andere Geschichte. Ganz zu schweigen von Rocheforts Bericht dazu.«

Der Stallmeister hob andeutungsweise die Schultern, als ihn ein flüchtiger, aber sehr finsterer Blick des Freundes streifte. »Ja, ganz zu schweigen.« D'Artagnan wandte sich wieder dem Kardinal zu und straffte seine Gestalt. Er sah knapp an Richelieus linkem Ohrläppchen vorbei, auf die goldenen Lettern eines Codices, während er sagte: »Rochefort erwähnte ein Angebot, ein Geschäft nannte er es. Ihr wollt meine Klinge für die Garde.«

Richelieu lächelte schmal. »Gascognische Offenheit, beinahe Frechheit. Gut. Es stand schon zu befürchten, Ihr wärt tatsächlich vernünftig geworden.«

Neuer Zorn brodelte in d'Artagnan, aber er beherrschte sich. Diese Chance durfte er sich nicht durch den eigenen Hitzkopf entgehen lassen. Auch wenn man ihn anscheinend nur herbestellt hatte, um ihn zu demütigen, anstatt zur Sache zu kommen. »Es ist vernünftig, zuzuhören.«

»Ein offenes Wort also.« Der Kardinal gab Rochefort ein Zeichen, der nun das Reden übernahm und damit bewies, dass er gestern seine Karten längst nicht vollständig hergezeigt hatte.

»Ihr seid gerade Herzog de la Nièvre und seiner Entourage begegnet.«

Als d'Artagnan darauf nur mit blanker Miene reagierte, fügte Rochefort an: »Der Gatte einer Nichte Kardinal Richelieus.«

Kaum schlauer als zuvor, runzelte d'Artagnan die Stirn. Ein angeheirateter Neffe also, der es sich aus irgendeinem Grund leisten konnte, nicht vor dem Ersten Minister zu kuschen. Wahrscheinlich war la Nièvre selbst einflussreich und mächtig genug dazu, wenn auch auf einer anderen Ebene als der Hofpolitik. Familienangelegenheiten, Streit in der Verwandtschaft. Was ging d'Artagnan das an? »Er macht Ärger?«

»Seine Tochter macht den Ärger.« stellte Rochefort knapp fest. »Odette de la Nièvre. Sie ist verschwunden.«

»Aha.«

»Nachdem sie zuvor ins Palais Cardinal unter den Schutz ihres Großonkels Richelieu vor einer arrangierten Ehe geflohen war.«

D'Artagnan verspürte einen leichten Anflug von Kopfweh. Offenbar hatte sich der angeheiratete Neffe mit dem Onkel überworfen und trieb Heiratspolitik mittels der eigenen Tochter gegen Richelieu. »Monseigneur war mit dieser angedachten Ehe ebenfalls nicht einverstanden, sodass er den Schutz gewährte?«

»Scharfsinnig erkannt.«

»Kommt zum Punkt!«

Rochefort wartete ein zustimmendes Nicken des Kardinals ab, dann erklärte er endlich kurz und bündig: »Ihr sollt uns die Mademoiselle wiederfinden.«

»...in der Garde.« Kurz stand dem Leutnant der Musketiere das Bild einer als Mann verkleideten Soldatin vor Augen. Bevor er sich entscheiden konnte eine solche Maskerade entweder lächerlich oder mutig zu finden, störte Rochefort erneut seine Gedanken.

»Offenbar hatte die Mademoiselle einen eigenen Kopf und wollte nicht länger hier zu Gast sein. Sie wurde nicht entführt, so viel wissen wir bereits. Nein, sie ist freiwillig irgendwo in Paris untergetaucht, um sich jeglichem Einfluss - sowohl ihres Vaters als auch des Kardinals - zu entziehen. Wir vermuten, dass sie Hilfe aus dem Palais bekam, als sie verschwand.«

»Ich verstehe.« D'Artagnan konnte sich ein spöttisches Lächeln nicht länger verkneifen. »Den Spion in den eigenen Reihen kann der Meisterspion nicht finden.«

Der Kardinal schwieg weiterhin und Rochefort überhörte die letzte Bemerkung gelassen. »Hier kommt Ihr ins Spiel. Die Leibgarde Seiner Eminenz ist immer im Palais anwesend. Der beste Vorwand für Euch, hier zu sein und Euch umzuhören.«

Es war ein überzeugendes Argument, aber noch zweifelte d'Artagnan an dem Plan. »Genügt es, wenn ich den oder die Freunde der Mademoiselle finde? Ich würde meinen Aufenthalt in der Garde und im Palais so kurz als möglich halten wollen.«

»Es wird so lange dauern, wie es dauert.« Endlich sprach auch Richelieu wieder und trotz seiner angeschlagenen Gesundheit, mangelte es ihm nicht an Autorität. »Euer Lohn wird nicht gering sein.«

»Die Musketiere?«

»Ja.«

»Mit mir als ihrem neuen Kapitäns-Leutnant?«

»Womöglich.«

»Gnade für Tréville?«

»Ein gutes Wort bei Seiner Majestät.«

D'Artagnan schwieg nachdenklich. Das Angebot war gut, sehr gut sogar. Es war mehr als alles, was er sich erhoffen konnte. Rochefort hatte in dieser Hinsicht nicht das Blaue vom Himmel versprochen. Dafür eine aufsässige junge Frau wiederzufinden, schien keine zu schwere Aufgabe zu sein. Irgendwo musste es einen Haken geben. Einen, den er partout nicht ausmachen konnte.

Die Bedenkzeit des Leutnants schien verstrichen, denn jetzt forderte der Erste Minister eine Entscheidung ein. »Nun?«

»Ja.« D'Artagnan neigte schicksalsergeben den Kopf und wunderte sich für einen Moment, dass er ihm nicht gleich abgeschlagen wurde. Als er den Blick wieder hob, saß sein Haupt noch immer unversehrt auf seinem Hals und dennoch lag wenig Wohlwollen in Richelieus nächsten Worten.

»Damit seid Ihr in meine Garde einberufen. Ihr werdet den Rang eines einfachen Soldaten bekleiden.«

»Was...?« Ehe d'Artagnan diese schockierende Eröffnung recht begreifen konnte, fuhr der Erste Minister hart fort: »Ihr seid Gardist auf Probe, bis ich beschließe, dass Ihr Euren Wert bewiesen habt. Keine Wirtshausschlägereien mehr. Ihr werdet Disziplin lernen!«

Rochefort war plötzlich neben dem Freund und legte ihm beruhigend eine Hand auf den Arm, bevor d'Artagnan am Ende doch noch seinen Kopf riskiert hätte. »Fangt ganz unten an und Ihr habt mehr Spielraum in Euren Nachforschungen, denn als Offizier. Versteht Ihr?«

Die Frage war so eindringlich gestellt, dass der degradierte Leutnant ohne nachzudenken langsam nickte. Der Kardinal hatte ihm einst das Offizierspatent gegeben, der Kardinal hatte es ihm wieder genommen. Er nahm Richelieus: »Meldet Euch morgen früh bei Eurem Vorgesetzten zum Dienst!« wie erstarrt hin. »Jaherr.«

Den Salut vergaß d'Artagnan, als er abrupt auf dem Absatz kehrtmachte und ohne Blick zurück aus dem Arbeitszimmer marschierte.

Die Lilie in Kardinalrot

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