Читать книгу Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider - Страница 6
ОглавлениеVorwort
Paul Schneider war einer der »frühen« Märtyrer des Dritten Reiches; er starb noch vor dem Beginn des Zweiten Weltkrieges. Wenn von den evangelischen Märtyrern im Dritten Reich die Rede ist, so wird neben Dietrich Bonhoeffer und Hermann Stöhr nahezu immer auch sein Name genannt. Daher wird sein Leben und Leiden in dem Märtyrer-Buch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) »Ihr Ende schaut an …«* ausführlich dargestellt.
Die Geschichte der evangelischen Märtyrer im vergangenen Jahrhundert ist kein abgeschlossenes Thema. Auch der Begriff des »Märtyrers« hat im evangelischen Verständnis manche Wandlungen erlebt und trägt deshalb einen offenen Charakter. Aber gewiss wird man Harald Schultze in seiner Minimalbestimmung zustimmen können: »Als Märtyrer sind diejenigen zu bezeichnen, die wegen ihres christlichen Glaubenszeugnisses, wegen ihrer kirchlichen Funktion oder wegen ihres christlich motivierten Widerstandes gegen politisches Unrecht den Tod erlitten haben«. Jemanden in diesem Sinn als Märtyrer anzuerkennen, heißt deshalb nicht, ihm in allen Entscheidungen, Äußerungen und Taten zu folgen. Zum Exemplarischen und Vorbildhaften, das wir in vielen Martyrien des 20. Jahrhunderts anerkennen, gehört auch, dass kein Mensch von Irrtümern frei ist – so sehr wir das Zeichenhafte ihres Handelns und ihr Glaubenszeugnis respektieren. Deshalb erzählen wir davon.
Diese Überzeugungen zum evangelischen Verständnis des Märtyrers treffen auf Paul Schneider zu. Das Glaubenszeugnis, das Pfarrer Schneider im Konzentrationslager mit seinem Handeln und Reden unablässig ablegte, hat zweifellos zu seinem Tod geführt. Das nationalsozialistische Unrechtsregime und das verbrecherische System der Konzentrationslager mögen erst nach 1942 ihre volle Dynamik entfaltet und völlig unverstellt ihr unmenschliches Gesicht gezeigt haben. Doch auch vorher schon waren sie ein unübersehbares Faktum und ein erkennbarer Teil eines unmenschlichen Systems; und sie wirkten von Anfang an mit tödlicher Konsequenz. Paul Schneider war ein Prediger des Evangeliums, er war »der Prediger von Buchenwald«, und er wurde deshalb zu einem Opfer des Nationalsozialismus.
Die Würdigung seiner Lebensgeschichte in dem im Jahr 2000 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz herausgegebenen Band »Zeugen einer besseren Welt. Christliche Märtyrer des 20. Jahrhunderts« belegt, dass Paul Schneider auch von der römisch-katholischen Kirche als Märtyrer der Christenheit anerkannt und hoch geschätzt wird. So wurde am 12. Oktober 2002 eine von Renata Sciachi und künstlerischen Mitarbeitern der Gemeinschaft Sant’ Egidio gestaltete Ikone in der römischen Basilika San Bartolomeo eingeweiht. Sie zeigt in der Bildmitte, unmittelbar unter der Osterkerze, Paul Schneider in seiner Arrestzelle und bezieht sich damit auf eine Predigt Papst Johannes Pauls II. aus dem Jahr 2000, in der dieser auf Schneiders Zeugnis der Auferstehung hingewiesen hatte.
Schneiders Zeugnis für die Auferweckung des gekreuzigten Christus von den Toten aus seiner Zelle heraus, an einer Stätte des Todes und einem Ort des Grauens, bleibt tief bewegend. An diesem Ort predigte er vom Leben und von der Liebe, die in Jesus Christus erschienen sind. Manche seiner Worte mögen aus heutiger Perspektive hilflos oder naiv, sogar unbelehrbar anmuten; damals und heute macht sein Handeln mitunter ratlos. Sein Lebenszeugnis und sein klares Bekenntnis machten Menschen Mut und schenkten in einer ausweglos erscheinenden Lage Trost und Hoffnung. Nicht nur inhaftierte Christen, auch durch und durch atheistisch gesinnte Kommunisten würdigen sein Wirken und bekunden ihm Respekt. Paul Schneider hat Zeichen gesetzt, die über sein eigenes Leben hinausweisen, indem sie unzweideutig auf Jesus Christus hinweisen, der das Fundament des christlichen Glaubens bildet. Deshalb unterstreiche ich die Einschätzung des damaligen Lordbischofs von Chichester, George Bell (1883–1958), der in einem in der »Times« abgedruckten Leserbrief nur wenige Tage nach Schneiders Tod diesen als »martyr« bezeichnete. Dass das vorliegende Buch an das Leben und Wirken Paul Schneiders erinnert, macht seinen bleibenden Wert für die Gegenwart aus.
Professor Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber
ehemaliger Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (2003 – 2009)
* Harald Schultze; Andreas Kurschat (Hg.); »Ihr Ende schaut an …« Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts, Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 22008.