Читать книгу Paul Schneider – Der Prediger von Buchenwald - Margarete Schneider - Страница 7
ОглавлениеGeleitwort der Herausgeber zur erweiterten Neuauflage
„Den Mut hätte ich nicht“, sagte ein gestandener Mann nach der Lektüre des Buches von Margarete Schneider über den Lebensweg ihres Mannes. Unzählige empfinden ebenso: „Hätten wir doch damals viel mehr solcher mutiger Christen gehabt.“ „Gerade weil er ein kleiner Landpfarrer war und kein großer Theologe oder Kirchenmann, ist er mir viel näher bei meiner eigenen Suche nach richtigen Entscheidungen.“ „Der müsste doch mehr bekannt gemacht werden; den kennen viel zu wenige.“ Andere äußern ihre Gedanken etwa so: „Warum hat er nicht geschwiegen und sein Leben dadurch gerettet? Warum hat er die Ausweisung aus dem Rheinland und damit das Verlassenmüssen seiner Gemeinde nicht akzeptiert wie andere Pfarrer?“ „Hat er denn gar nicht an seine Frau und seine sechs Kinder gedacht?“ „Musste er denn selbst im KZ noch die Wahrheit hinausschreien?“ „Er ist doch selbst schuld an seinem Tod; er war doch nur ein engherziger, kompromissloser Fanatiker und verdient nicht, dass man sich mit ihm beschäftigt.“
Dazu wollen wir gerade anregen. Nicht, um Paul Schneider zu idealisieren oder zu einem Heiligen zu machen. Vielmehr wollen wir durch dieses dokumentierende Buch ermutigen, sich mit seinem Leben genauer auseinanderzusetzen. Es gilt, seiner Entwicklung nachzuspüren und ihn besser kennenzulernen: Warum nur konnte er nicht schweigen und, wie sonst so viele andere, durch ein „stilles Leben“ versuchen, den Nationalsozialismus möglichst ungeschoren zu überstehen? Was drängte ihn, selbst im KZ und noch von der Arrestzelle aus seine Stimme zur Verkündigung des Evangeliums und zur Anklage gegen die SS laut werden zu lassen?
Als Margarete Schneider nach dem Krieg ihren Bericht schrieb, stand das unmittelbare eigene Erleben dahinter; auch das der meisten Leser, die diese Zeit des Nationalsozialismus auf ihre Weise selbst miterlebt hatten. Vieles brauchte sie nicht, und anderes konnte sie noch nicht erklären. Diese Originalfassung „Der Prediger von Buchenwald“ erschien ab 1953 jahrzehntelang als Taschenbuch und wurde auch in der damaligen DDR gedruckt.
Inzwischen sind neue Generationen herangewachsen, die von der Zeit des Nationalsozialismus keine persönlichen Kenntnisse mehr haben. Seit Paul Schneiders Tod sind bereits über achtzig Jahre vergangen; wir leben schon zwei Jahrzehnte in einem neuen Jahrtausend. Margarete Schneider, geb. Dieterich, ist kurz vor ihrem neunundneunzigsten Geburtstag Ende 2002 verstorben. Die Zeiten und die Menschen haben sich verändert; neue Fragen und Aufgaben stellen sich. Deshalb war es vorrangig nötig, das Originalbuch von Margarete Schneider zu ergänzen, weitere Dokumente hineinzubringen und so den Verlauf des Lebens von Paul Schneider einer nachwachsenden Generation verstehbarer zu machen.
Der Nationalsozialismus, der Kirchenkampf der Bekennenden Kirche, der damalige Terror, die nationalsozialistischen Konzentrationslager und die Massenvernichtung von Menschen jüdischen Glaubens sind Geschichte. Es ist die Frage, was wir aus dieser Geschichte für unser persönliches Leben gelernt haben. Auch ist es deutlich, dass gerade dieser Teil der Geschichte Deutschlands mit seinen Folgen unsere Gegenwart wie kein anderer prägt. Das nationalsozialistische Gedankengut erstarkt wieder in erschreckender Weise. Erneut wird zu viel geschwiegen.
Nach dem Ersterscheinen von „Der Prediger von Buchenwald“ hatte sich mit mehreren wesentlichen Publikationen Pfarrer Rudolf Wentorf verdienstvoll mit Paul Schneider befasst. Besonders in seinen Büchern „Trotz der Hölle Toben“ und „Der Fall des Pfarrers Paul Schneider“ konnte er erstmals wichtige Dokumente der Gestapo und des damaligen Evangelischen Konsistoriums der Rheinprovinz veröffentlichen. Die Doktorarbeit von Albrecht Aichelin zu Paul Schneider bringt viele Details gerade auch aus der Bekennenden Kirche. Der amerikanische Historiker Claude Foster hat auf seine schriftstellerische Art das Leben Pfarrer Schneiders auf dem Hintergrund der deutschen Geschichte erzählt und dadurch vielen Lesern in Amerika und, durch Brigitte Otterpohls Übersetzung, auch in Deutschland „Seine Lebensgeschichte“ leicht lesbar nahegebracht. Alle diese Bücher sind heute nur noch antiquarisch erhältlich.
Das Original von Margarete Schneider wurde von uns zwischenzeitlich schon einmal stark erweitert, ergänzt, dokumentiert und erläutert. Dabei haben wir das Original nicht im Geringsten verändert. Dokumente, die Frau Schneider nicht zur Verfügung standen, andere, die sie nicht verwandt hat, und seitdem bekannt gewordene Vorgänge sind den Kapiteln zugefügt worden. Diese sind durch einen anderen Schrifttyp vom ursprünglichen Text des „Predigers von Buchenwald“ abgesetzt, der im Buch durch Einrückung gekennzeichnet ist. Bereits der Originaltext hat zwei Schriftarten, da Margarete Schneider alle Zitate aus Briefen und Tagebuchaufzeichnungen ihres Mannes kursiv hervorgehoben hatte.
Die Ergänzungstexte erläutern auch die oft schwer errungenen Entscheidungen, die Paul Schneider in seinem Leben getroffen hat, und sein daraus folgendes Handeln sowie politische, kirchenpolitische und gesellschaftliche Hintergründe. Zusätzlich sind einige geschilderte Familienereignisse aus den „Rundbüchern“ entnommen, durch die sich die acht damals noch lebenden von ursprünglich zehn Geschwistern der Familie Dieterich und ihre Mutter untereinander informierten und die sie einander weiterschickten. Überschneidungen ließen sich nicht immer vermeiden.
Zahlreiche Fußnoten geben zusätzlich vielfältige Sachinformationen, Quellenhinweise und Auskunft über zitierte und angedeutete Bibelworte. Bereichert wird das Buch auch durch etliche Fotos sowie durch eine vorangestellte Landkarte und Übersicht zu den Lebensstationen Paul Schneiders, die ausführlich in Teil II mit den geschichtlichen und kirchengeschichtlichen Ereignissen parallel gesetzt werden. Hier finden sich auch weitere Ergänzungen mit Dokumenten und Informationen zum Konzentrationslager Buchenwald allgemein und speziell detailliert zu Paul Schneider im KZ. Ferner, wie es mit der Familie Schneider seit 1939 weiterging.
Als Besonderheit konnten wir dieser neuen Ausgabe einige ganz neu aufgetauchte persönliche Briefe aus dem freundschaftlichen Dialog zwischen dem Ehepaar Schneider und dem Ehepaar Girolstein beifügen. Alle Briefe stammen aus dem privaten Archiv der Familie Schneider und finden hier erstmals eine Veröffentlichung. Karl Adolf Schneider leitet in diese Briefe, die wertvolle Zeitzeugnisse sind, ein.
Das umfangreiche Personenverzeichnis hilft bei der Zuordnung von Persönlichkeiten und Namen, soweit Angaben gefunden werden konnten. Dieses und etliche biblische Grundbegriffe sind im Anhang kurz erläutert, damit der Zugang zu den Geschehnissen von damals erleichtert wird.
Alle Ergänzungen zum Originalbuch sind Angebote an die Leser, sich differenzierter mit Paul Schneiders Biografie zu beschäftigen. Die Ergänzungen und die Fußnotenauswahl sind von 15- bis 18-jährigen Jugendlichen mitbestimmt worden. Es beteiligten sich daran Schülerinnen und Schüler von zwei Realschulen in Dresden und Weißwasser (Sachsen) sowie aus Gymnasien in Altenburg (Thüringen), Meisenheim (Rheinland) und Weimar. Diesen Schülerinnen und Schülern sei an dieser Stelle für ihre wichtige Zuarbeit gedankt.
Mit großem Engagement brachte sich Frau Sybille Hesse aus Weimar durch ihre Mitarbeit bei der Auswertung der Schülervoten, der Formulierung der Fußnoten und anderer Zusätze mit ein. Anerkennung gilt auch denjenigen, die durch ihre punktuelle Mitwirkung kleine Bausteine zum Ganzen beigetragen haben, und den jeweiligen Archivmitarbeitern der Gedenkstätte Buchenwald, Weimar, und den „Arolsen Archives“ (ehem. ITS) in Bad Arolsen (Hessen), auch dem „Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar“ für die Bereitstellung von Fotos, Dokumenten und das zeitaufwendige Heraussuchen von Archivmaterialien; dabei besonderer Dank an Frau Sabine Stein im Archiv Buchenwald. Wertvolle Anregungen zur Zeittafel hat uns Pfarrer Wilhelm Gröne gegeben.
Den Kindern von Paul Schneider, namentlich Karl Adolf Schneider, danken wir für ihre zustimmende Begleitung bzw. Mitwirkung bei der Entstehung dieser Neuherausgabe. Dank auch der Calwer Verlagsstiftung für ihren hilfreichen Zuschuss und verschiedenen Personen für Einzelspenden.
Wir danken dem SCM Hänssler Verlag für die langjährige Begleitung bei der Veröffentlichung und Verbreitung dieser Biografie. Besonders der damaligen Lektorin Uta Müller und ab dieser Auflage Annalena Pabst und Heike Hütter. Für die Förderung der Botschaft dieses Buches gilt unser Dank besonders Herrn Friedrich Hänssler, der im Mai 2019 verstorben ist.
Wir hoffen, dass diese Ausgabe mit den neuen Dokumenten im Anhang auch dazu beiträgt, die Lebenslinie und Bestimmung des Pfarrers Paul Schneider in der Rückschau weiterhin wahrzunehmen. Es bleibt unsere Aufgabe, in jeder Generation wieder neu zu erkennen, welche Fragen er an uns und unser eigenes Reden, Schweigen, Handeln und Glauben stellt und was er uns in mutiger Konsequenz zu leben aufgibt.
Elsa-Ulrike Ross, Weimar
und Paul Dieterich, Weilheim-Teck
Frühjahr 2021