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Der Kampf mit dem Drachen

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Edinburgh, im Mai 1649

Am liebsten würde ich die Ereignisse jenes Jahres 1648 aus meiner Erinnerung streichen. Denn alles, was wir befürchtet haben, ist eingetroffen. Aber ich habe es mir zur Aufgabe gemacht, eine wahrheitsgetreue Chronik zu verfassen, und dazu zählen vor allem auch jene schicksalhaften Begebenheiten, die die Geschichte dieses Königreichs und der Familie Warchester betreffen.

Steven Clarkes verächtliche Worte vor dem Bildnis des heiligen Georg verfolgten mich in jenen Tagen Anfang August 1648. Mein Misstrauen war erwacht. Ich machte mir Sorgen um die Bilder der Warchester-Sammlung. Falls Cromwells Truppen siegen und Warchester Castle einnehmen würden, dann würden sie die vielen Gemälde mit Heiligen und anderen frommen Szenen wie die Geburt Jesu oder die Anbetung durch die Könige entweder zerstören oder irgendwo hinbringen, wo sie kein wahres Puritanerherz erzürnen könnten. Ich sah vor meinem geistigen Auge schon Uccellos Werk zerschnitten oder in irgendeine dunkle Kammer verbannt. Den Biondo würden sie wahrscheinlich als harmlos und trivial erachten. Heitere Landschaften interessierten sie nicht, und sie würden ihn wahrscheinlich in irgendeinem düsteren Raum lagern, wo seine hellen Farben keinerlei irdische Emotionen wie Freude und Genuss weckten.

Ich erinnere mich noch an jenen 8. August, den Tag, an dem ich Steven Clarke im Saal vor dem Bildnis des heiligen Georg belauscht hatte. Am Abend äußerte ich dem Earl gegenüber meinen Verdacht, dass dieser Mann ein Spion sein könnte. Der Earl, der viele gute Eigenschaften besaß, aber keine Menschenkenntnis, winkte ab. »Ihr seht Gespenster, Stuart!« Doch sein Gesicht drückte tiefe Sorge aus.

»Der letzte Kampf steht uns bevor«, sagte er und nahm mich beiseite. »Achtet darauf, dass meine Familie unbeschadet nach Schottland gelangt. Und nehmt so viele Bilder aus unserer Sammlung mit wie nur möglich. Die anderen versucht zu verbergen. Ich möchte nicht, dass diese Schätze Menschen in die Hände fallen, die in der Kunst eine Todsünde sehen und in den Heiligen Abbilder des Teufels. Euch aber, guter Freund, möchte ich zum Abschied ein Bild schenken, das ich immer sehr geliebt habe.«

Damit überreichte er mir ein kleines Bildnis mit dem Porträt eines hübschen Jungen. »Es stammt von einem Künstler namens Caravaggio, der einen recht wilden Lebenswandel hatte, aber ein begnadeter Maler war. Dieses Bild hat mir meine Mutter vermacht, als ich selbst noch ein Junge war. Ich möchte es Euch als Dank für Eure Dienste und Eure Loyalität übergeben. Hütet es wohl!«

Tränen schossen mir in die Augen, und mich überfiel die düstere Gewissheit, dass dies in der Tat das Abschiedsgeschenk des Earls sei, der vielleicht selbst nicht mehr glaubte, dem Tod noch einmal zu entkommen wie bei Marston Moor und Naseby. Als ich das kleine Bild in meine Kammer trug, erhaschte ich einen Blick auf Steven Clarke, der sich in der Eingangshalle herumdrückte. Dort hatte er nichts zu suchen. Er bemerkte mich und verschwand mit katzengleichen Schritten. Dieser Mensch führte gewiss nichts Gutes im Schilde.

Ich kam nicht mehr dazu, dem Earl noch einmal von meinem Eindruck zu berichten. Er verließ das Schloss am späten Abend mit Jack und seinem alten Vertrauten Conrad, einem Deutschen, der den Warchesters schon viele Jahre gedient und den Söhnen des Earls Unterricht im Fechten gegeben hatte. Auch ihn sollten wir nicht wiedersehen. Der Pfeil aus einer Armbrust traf ihn nur wenige Stunden nach dem Tod seines Herrn.

Lady Annabell hatte sich nach dem Aufbruch ihres Mannes standhaft geweigert, Warchester Castle zu verlassen. Sie wollte auf die Rückkehr ihres Gatten warten, denn sie glaubte fest daran, dass er auch diese Schlacht überleben werde. Ein Tross mit allerlei Gegenständen, darunter auch Bildern, brach wenige Tage nach dem Abschied des Earls nach Schottland auf, sie aber blieb mit ihren Kindern im Schloss und wartete auf Nachricht von ihrem Mann. Die Tage zogen ins Land, schwere Gewitter entluden sich fast täglich, kühle Winde kamen vom Meer. Über uns schien eine schwarze Wolke zu lasten. Keine Nachrichten drangen zu uns, nur Gerüchte, die nichts Gutes besagten. Lady Annabell saß fast den ganzen Tag in der großen Halle, wo trotz der Jahreszeit ein Feuer im Kamin loderte. Mit jedem Tag wurde sie blasser und wirkte zerbrechlicher. Und dann erschien kurz vor Mitternacht jenes schrecklichen 18. August, einem Dienstag, ein Reiter vor dem Schloss, der mit heiserer Stimme Einlass begehrte. Er war über und über mit Schlamm bedeckt, sein Pferd zitterte vor Anstrengung, ihm selbst versagte die Stimme. Er fiel fast von seinem Pferd, das ein Stallbursche ihm abnahm und fortführte. Der junge Mann hieß Gregory McClough und diente einem Vetter unseres Earls, Sir Robert de Mauxvais, der Alberton Castle besaß, nur wenige Meilen von Warchester entfernt.

Ich war durch die Schreie der Diener aus meinem unruhigen Schlaf gerissen worden. Sie führten den jungen Mann in die Halle. Dort brannte wie seit Tagen ein mächtiges Feuer im Kamin. Mit hastigen Schlucken leerte McClough einen Krug mit Wasser. Lady Annabell trat ihm entgegen. Was er ihr sagte, hörte ich nicht, da er nur heiser flüsterte. Aber an ihrem Gesichtsausdruck erkannte ich seine Botschaft. Mit großer Würde stand sie vor dem Feuer, drückte die Hand des jungen Mannes und nickte nur. Dann sank sie zu Boden.

Mein Herr fiel an diesem 18. August 1648, am zweiten Tag der blutigen Scharmützel, durch eine Gewehrkugel, die seinen Brustpanzer durchdrang. Er stürzte vom Pferd und war, wie mir sein Diener Jack später mitteilte, sofort tot. Jack hatte im Zeltlager auf die Rückkehr des Earls gewartet. Als er vom Tod seines Herrn erfuhr, begab er sich in der Abenddämmerung auf das Schlachtfeld und fand dessen Leiche. Ganz in seiner Nähe lag Conrad. Jack barg die beiden Toten.

Nach der Schlacht von Preston brach das Chaos aus. Der König geriet in Gefangenschaft, seine Anhänger flohen zum Teil in die amerikanischen Kolonien, nach Frankreich oder auch in die Niederlande. Am 23. August traf Jack mit dem Leichnam seines Herrn und dem toten Conrad in Warchester Castle ein. Man hatte ihn ziehen lassen. Nach der eher schmucklosen Beerdigung des Earls am 26. August, einem regnerischen Mittwoch, ließ Lady Annabell sich endlich überreden, mit ihren Kindern nach Schottland aufzubrechen. Am Morgen des 30. August verließ der Tross Warchester Castle, begleitet von der kleinen Schar treuer Diener, die sie noch bezahlen konnte. Dazu zählten ihre beiden Kammerzofen Bridget und Mary, außerdem Jack, Michael und Alistair, die schon lange in den Diensten des Earls stehen, der Leibkoch Clarence und zwei weitere Haushilfen. Michael kümmert sich um den Garten von Ivory Hall, und Jack betreut vor allem die Pferde.

Ich blieb zurück, um letzte Angelegenheiten zu regeln. Die andere Hälfte der Dienerschaft war von Lady Annabell mit einer erklecklichen Summe Geldes entlassen worden. Kein böses Wort war zu hören, alle trauerten um den Earl und um seine Frau, die mit versteinerter Miene in ihre Kutsche stieg und ihre Heimat hinter sich ließ. Bridget, ihre irische Kammerzofe, mit der mich inzwischen mehr als nur unsere gemeinsame Herkunft von der Grünen Insel verband, berichtete mir später, dass Lady Annabell sich so lange beherrschte, wie ihre Kinder um sie waren. Als sie abends in einem Gasthof einkehrten und die Kinder schliefen, »da brach unsere gute Lady in Tränen aus«, erzählte mir Bridget, deren runde Wangen dabei vor Mitgefühl bebten.

Lady Annabell erreichte Schottland unbeschadet und lebt nun auf dem kleinen Familiensitz Ivory Hall in der Nähe von Kinross. Da der Krieg vorüber ist, lässt man sie und ihre Kinder in Frieden.

Nachdem Lady Annabell und die Diener das Schloss verlassen hatten, wirkte es öd und dunkel. Keine Gemälde mehr an den Wänden. Den Uccello hatte ich eigenhändig abgehängt und zusammen mit dem Biondo in meine Kammer gestellt. Ich sollte diese beiden Bilder selbst nach Ivory Hall bringen. Lady Annabell vertraute mir.

In der Nacht nach der Abreise der Lady saß ich in meiner Kammer, schrieb an meiner Chronik, vermerkte einzelne Gemälde der Sammlung und die Titel einiger kostbarer Bände aus dem Spätmittelalter, deren sicheres Geleit ich wenige Tage später gewährleisten sollte. Neben meinem Bett standen nebeneinander, sorgsam eingehüllt in Decken, der Uccello und der Biondo, die seltsamerweise wie in einer Art Symbiose miteinander verflochten zu sein schienen. Dabei unterschieden sie sich in jeglicher Hinsicht, angefangen beim Thema bis hin zu ihrer künstlerischen Gestaltung. Dennoch waren sie irgendwie miteinander verbunden. Wahrscheinlich, weil sie einst gemeinsam in den Besitz der Familie gekommen waren.

Ich wollte Warchester Castle in drei Tagen verlassen. Noch wusste ich nicht, was mit den Bildern geschehen sollte, die zurückbleiben würden. Einige der Bilder lagen im alten Eishaus, eine knappe halbe Meile vom Schloss entfernt. Wir hegten die vage Hoffnung, dass dieses mit wildem Wein überwucherte kleine Gebäude bei einer Plünderung des Schlosses nicht die Neugierde der Soldaten wecken würde. Mir behagte dieser Gedanke nicht, doch es erschien unmöglich, die gesamte Sammlung von Warchester Castle nach Schottland mitzunehmen. Vielleicht aber würden einst wieder Zeiten anbrechen, die es mir ermöglichten, die Schätze aus dem Eishaus zu bergen. Eine ferne Zukunftsvision, wie mir durchaus bewusst war.

Als ich im flackernden Kerzenlicht an meinem Schreibtisch saß und versuchte, die letzten Listen der im Eishaus verborgenen Kunstwerke und Bücher niederzuschreiben, glaubte ich ein Knacken zu hören. Es kam nicht aus dem Kamin in meiner Kammer, in dem ein kleines Feuer brannte, um die abendliche Kühle dieses Spätsommers zu vertreiben. Ich lauschte. Der Wind strich um die mächtigen Mauern von Warchester Castle, am Himmel tauchte der Mond immer wieder hinter dicken Wolken hervor und warf einen matten Schein ins Dunkel. Es blieb bei dem einen Geräusch. Doch sobald ich mich wieder auf das Schreiben konzentrierte, knackte es erneut. Es kam aus dem Gang vor meiner Kammer. Sollten das Mäuse sein? In den vergangenen Tagen hatte ich etliche von ihnen durch die Gänge huschen sehen. Sie schienen zu spüren, dass die Menschen das Gebäude verließen. Und die drei Katzen der Köchin begleiteten ihre Herrin nach Schottland.

Aber das Knacken klang zu gleichmäßig für die kleinen Nager und verstärkte sich zu einem Schlurfen und Rascheln. Leise erhob ich mich von meinem Stuhl. Da stand jemand vor meiner Kammertür. Ich glaubte ein flaches Atmen zu vernehmen. Auf Zehenspitzen schlich ich mich zur Tür, in meiner rechten Hand einen Dolch, die einzige Waffe, die ich besaß. Als Kind hatte ich in Irland leidlich das Bogenschießen und Fechten erlernt, mit Schusswaffen jedoch fühlte ich mich unsicher. Und meine wenigen Schießübungen unter Anleitung von Conrad hatten mir den Spott des übrigen Gesindes eingebracht. Den Dolch aber, dessen Scheide aus Silber getrieben war, besaß ich seit meinen ersten Monaten in London und führte ihn stets bei mir. Benutzt hatte ich ihn noch nie. Ich schob ihn in meinen Ärmel.

Der kupferne Knauf an meiner Tür drehte sich langsam. Mir trat der Schweiß auf die Stirn. Ich bin kein Held, eher ein Stubenhocker, der von Abenteuern lieber in Büchern liest und deshalb auch den Earl bewunderte, der furchtlos in den Kampf für seinen König gezogen war. Ich liebte Ritterromane wie die Abenteuer des Don Quijote de la Mancha, ein Werk, das Thomas Shelton noch zu Lebzeiten des Dichters Cervantes ins Englische zu übersetzen begonnen hatte. Allerdings ein wenig rudimentär, doch immerhin las ich es schon als Jugendlicher mit brennenden Wangen. Mein größtes Vorbild war Ritter Lancelot, Gefolgsmann von König Artus, dessen Geschichte ich in vielfältigen Versionen kannte. Aber Theorie und Praxis klafften bei mir weit auseinander.

Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und dachte an das Vorbild meiner fiktiven Helden, die der Wirklichkeit fern-, aber meinen Emotionen nahestanden, umfasste mit größter Überwindung den Türknauf und riss die Tür auf. Zuerst konnte ich nichts erkennen, da sich vor mir der dunkle Gang, der in früheren Zeiten stets von Fackeln erhellt worden war, wie ein gähnender Schlund auftat. Als meine Augen sich an das Dunkel gewöhnt hatten, sah ich, wer dort stand. Es war Steven Clarke. Sein dummdreistes Gesicht wirkte im flackernden Kerzenlicht fratzenhaft verzerrt. Er grinste und zeigte dabei sein lückenhaftes Gebiss. Fast die ganze untere Zahnreihe fehlte, dabei konnte er nicht älter als Mitte zwanzig sein.

Ehe ich etwas zu sagen vermochte, drängte er mich zurück und sagte mit seiner näselnden Stimme: »Na, Ire, bist du der letzte Gralsritter und Hüter der Schätze deines toten Herrn?«

Woher wusste dieser Klotz überhaupt, was Gralsritter sind? Dieser lächerliche Gedanke schoss mir trotz meines Schreckens durch den Kopf. Ich versuchte, mich Clarke entgegenzustemmen, aber er war stärker als ich. Er stieß mich in meine Kammer und sah sich um.

»Wo ist denn dieser Heilige, den ihr Papisten anbetet?« Sein breiter Londoner Akzent verriet seine Herkunft. »Den du immer mit so gierigem Blick angeglotzt hast?« Er lachte. Es klang wie das Meckern einer Ziege. »Ich selbst mag zwar diese Götzen nicht und hätte das Bild gerne in Stücke gehackt, aber ich weiß, dass es meinem Herrn gefallen würde. Der ist zwar kein Papist, doch er mag bunte Bilder. Ist ja auch eigentlich Schotte. Da kann man nie so genau wissen, was die so fühlen.«

Ich erstarrte. Hatte ich doch recht gehabt. Steven war ein Spion, der sich in Warchester Castle eingeschleust hatte. Er grinste selbstgefällig.

»Wenn ich meinem Herrn das Bild mit dem Drachen bringe, wird er mich sicher reich entlohnen. Von seinem Kammerdiener habe ich erfahren, dass er diese Heiligendarstellungen schätzt. Dabei ist Thomas Fairfax ein guter Christ und kein Papist. Also, O’Sullivan, rück es raus. Ich werde dich in Ruhe lassen, und du kannst die anderen Bilder mitnehmen. Aber den Georg will ich.«

Steven drängte mich bei diesen Worten immer tiefer in meine Kammer. Es würde nicht lange dauern, bis wir in die Ecke gelangten, wo der Uccello und der Biondo an meinem Bett lehnten. Wie hatte dieser Kerl nur in den Dienst des Earls gelangen können?

Als ob er meine Gedanken erraten hätte, verzog Steven das Gesicht wieder zu einem hässlichen Grinsen. »Der gute alte Conrad, Gott sei seiner Seele gnädig, hat mich ohne viele Fragen aufgenommen. So ein Narr! Was ich hier alles erfahren habe beim gemütlichen Plausch in der Küche, das war recht nützlich.« Er zwinkerte. »Und dann diese kleine irische Kammerzofe! Die konnte ja reden wie ein Wasserfall, und bei einem Becher Ale hat sie so einiges verraten.«

Mich durchzuckten Gefühle, die ich lange nicht mehr gespürt hatte – Eifersucht und Zorn. Ich mochte Bridget, die mich mit ihrer offenen, herzlichen Ausstrahlung an meine lange verstorbene Frau erinnerte. Wütend starrte ich Clarke an. Der lachte laut. »Ist ja nicht verborgen geblieben, dass du das Mädchen magst. Aber jetzt zur Sache. Ich weiß, dass du dieses Drachenbild hier aufbewahrst. Gib es mir, und ich verschwinde. Ich will dir nichts antun.«

Er sah sich in meiner Kammer um. Ich traute ihm nicht, hatte ich doch unter seinem Wams den Umriss einer Pistole entdeckt. Natürlich würde er mich töten, sobald ich ihm den Uccello übergeben hätte. Auf meinem Schreibtisch lag, ebenfalls sorgfältig verpackt, das Bildnis des Jungen von Caravaggio, das ich vor wenigen Stunden als das letzte Geschenk des Earls noch mit Rührung betrachtet hatte. Die beiden anderen Bilder gehörten nicht mir. Für sie fühlte ich mich seltsamerweise stärker verantwortlich als für alle anderen. Vorsichtig zog ich den Dolch aus meinem Ärmel. Mich graute davor, ihn benutzen zu müssen. Doch ein Mann wie Steven Clarke verstand nur die Sprache der Gewalt.

Er bemerkte meinen Blick auf das auf dem Schreibtisch liegende Bild. Sein Grinsen wurde breiter. »Braver Ire«, sagte er und trat an den Tisch. Er ergriff das Gemälde, das durch die Verpackung größer wirkte, als es wirklich war. »Da haben wir ja wohl unseren Drachenbesieger.« Er nahm es an sich und zog mit einem Ruck seine Pistole unter dem Wams hervor. Ich erhob den Dolch, aber Clarke war schneller. Instinktiv sprang ich zur Seite, ein Knall ertönte, ich spürte einen scharfen Schmerz, als hätte mich eine Fackel angesengt, und sank neben meinem Schreibstuhl zu Boden. Ich nahm Clarke wie durch einen schwarzen Schleier wahr. Doch er lud nicht nach, sondern packte das Bild und rannte aus meiner Kammer. Wenig später hörte ich draußen eilige Schritte, und der alte Diener Duncan tauchte aus dem Nebel meiner Wahrnehmung auf. Er stieß bei meinem Anblick einen Schrei aus. Danach versank alles um mich herum.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett, meine Schulter schmerzte, aber ich spürte sie kaum vor Freude darüber, dass ich lebte. An meinem Bett standen Duncan und seine Frau Lisbeth, die ebenfalls viele Jahre im Schloss gedient hatte. Sie konnte wegen ihres fortschreitenden körperlichen Verfalls, der ihr beim Gehen Qualen bereitete, nur noch kleinere Arbeiten verrichten. Lisbeth galt als kräuterkundige Frau, die zu Geburten gerufen wurde und zu Kranken, vor allem zu Kindern.

Sie fuhr mir mit einem feuchten Tuch über die Stirn und lächelte sanft. »Du musst dich ausruhen, Stuart«, sagte sie leise. »Die Kugel hat deine Schulter nur gestreift und zum Glück nicht durchschlagen. Ich habe die Wunde verbunden. Jetzt trink diesen Kräutertee. Dann wirst du schlafen, und morgen wird es dir besser gehen.« Damit schob sie mir einen Becher an die Lippen. Ich trank in langen Zügen. Ehe ich den beiden weitere Fragen stellen konnte, fielen mir die Augen zu. In meinen wirren Träumen erschien mir Sankt Georg auf einem Pferd, das Feuer spuckte, und der Drache verwandelte sich in eine Fledermaus, die durch die leeren Säle von Warchester Castle huschte.

Am nächsten Morgen brannte die Schulterwunde kaum mehr, ich fühlte mich fast wieder genesen. Doch Lisbeth schüttelte den Kopf, als ich ihr sagte, dass ich bereit sei, schon am nächsten Tag den Wagen mit den restlichen Gemälden nach Ivory Hall zu begleiten. Wir einigten uns, dass ich noch weitere zwei Tage ruhen und dann aufbrechen würde. Ihr Mann trat an mein Bett und sagte: »Dieser treulose Verräter Clarke ist uns entkommen. In der Kammer, die er mit John und Peter teilte, fanden wir eine Bibel. Mehr nicht.«

»Er dient in Wahrheit Sir Thomas Fairfax«, sagte ich.

»Das ist unter unseren Gegnern nicht der schlimmste«, antwortete Duncan. »Er hat unseren König mit Respekt behandelt und zeigt sich von Cromwells Machtplänen nicht völlig überzeugt. Doch ich fürchte, dass er deshalb noch lange nicht zum Royalisten wird.« Der alte Mann seufzte. Mich beschlich eine leise Wehmut, als ich an den Caravaggio dachte, den Clarke an sich genommen hatte. Gleichzeitig erfreute es mich, dass der Drachenritter nicht in die Hände des Schurken gefallen war. Er stand noch immer neben dem Biondo, eingepackt in leinene Tücher.

Zwei Tage später konnte ich Warchester Castle verlassen und erreichte drei Tage darauf Ivory Hall, übergab meiner Herrin die geretteten Bücher und Bilder und erzählte ihr von meinem Abenteuer. Sie lächelte ein wenig und sagte dann: »Es ist traurig, dass Ihr den Caravaggio verloren habt. Nehmt dafür den Biondo als Dank für Eure Mühen und Euren Mut.« Ihre Kammerzofe Bridget umarmte mich stürmisch und weinte an meiner Schulter. »Du hättest sterben können, Stuart«, schluchzte sie. In diesem Augenblick überkam mich die Gewissheit, dass Bridget bald meine Frau sein würde. Niemals würde ich meine erste Frau vergessen. Doch in diesen unruhigen Zeiten, da ich wegen der Kämpfe in Irland nicht einmal mehr wusste, wie es meinem Sohn Liam erging, sollte man nicht zu viele Gelegenheiten verstreichen lassen. So kommt es, dass ich nicht nur alle zwei Wochen nach Ivory Hall reite, um dort weiterhin meiner Chronistenpflicht nachzukommen, sondern auch, um Bridget den Hof zu machen. Ein bisher sehr erfolgreiches Unterfangen.

Das ist ein Trost in diesen trüben Zeiten, denn die Würfel sind gefallen. Die dunkelsten Ahnungen haben sich erfüllt. Die Roundheads setzten ihren Siegeszug fort. König Charles wurde Ende Januar geköpft, Cromwell und seine Anhänger haben triumphiert. Wenige Wochen nachdem ich selbst Warchester Castle verlassen hatte, stürmten mehrere hundert Roundheads das Schloss und setzten es in Brand. Die dicken Mauern verhinderten die völlige Zerstörung. Das Eishaus entdeckten sie nicht, wie Duncan uns mitteilte. Dort liegen also die Bilder in Sicherheit.

Ich bin gestern wieder einmal aus Ivory Hall zurückgekehrt. Vom Herrenhaus, das die schottische Frau des ersten Earl von Warchester, Maria, mit in die Ehe brachte, ist es nicht weit zu den langsam verfallenden Mauern von Loch Leven Castle, das auf einer kleinen Insel in Ufernähe liegt. In dieser Burg lebte einst Maria Stuart als Gefangene. Von dort gelang ihr am 2. Mai 1568 die Flucht. Doch das Glück blieb ihr nicht hold. Kurz darauf verlor sie ihren letzten Kampf um Schottlands Thron, flüchtete nach England und endete schließlich in englischer Gefangenschaft. Am 8. Februar 1587 starb sie in Fotheringhay Castle durch Enthauptung wie ihr Enkel Charles etwa sechzig Jahre später.

Lady Annabell, die noch immer sehr um ihren Gatten trauert, vermeidet es, ans Ufer zu gehen und die Burg zu sehen.

»Ich fühle mich hier auch wie eine Gefangene«, sagte sie mir bei meinem ersten Besuch im September des vergangenen Jahres. Sie hat die Hoffnung aufgegeben, je wieder nach England zurückzukehren. Glücklicherweise kommen ihre Kinder mit dieser Situation besser zurecht. Doch über Lady Annabell liegt ein dunkler Schatten.

In Edinburgh, das zu Pferd gute fünf Stunden, einschließlich der Überfahrt über den Firth of Forth, von Ivory Hall entfernt liegt, bewohne ich ein Zimmer in einem Gasthaus und habe eine Anstellung in der Bibliothek der University of Edinburgh gefunden. Dort arbeite ich als Schreiber und Bibliothekar. Eine bescheidene Arbeit mit bescheidenem Lohn. Ein Trost für mich ist, dass in meiner Kammer im »Rose and Sword« ein Bild hängt, das mich an die guten Tage in Warchester Castle erinnert. Es ist der Biondo, den ich vor der Zerstörung gerettet habe.

Selbst die traurige und erschreckende Nachricht von der Enthauptung unseres Königs konnte mich jedoch nicht in die Tiefe reißen. Denn Bridget hatte mir genau an jenem 30. Januar mitgeteilt, dass sie unser Kind erwartet. Im August soll es geboren werden. Und schon eine Woche später, an dem Tag, da Charles Stuart, der mit großer Würde das Schafott bestiegen hatte, um seinem himmlischen Richter entgegenzutreten, in der St.-Georgs-Kapelle in Windsor beerdigt wurde, wurden wir in aller Stille getraut. Lady Annabell schenkte Bridget, die ihr fast fünfzehn Jahre lang als Kammerzofe treusorgend gedient hatte, eine beachtliche Aussteuer. In wenigen Wochen, wenn ich eine größere Wohnung gefunden habe, wird Bridget zu mir nach Edinburgh ziehen. Welche Insel der Glückseligkeit inmitten des tosenden Meeres an Kummer und Verlust.

Jedes Mal wenn ich nach Ivory Hall komme, stehe ich, wie schon in alten Zeiten, vor dem Bild des Drachenritters. Und gelegentlich schmerzt dann meine längst verheilte Schulterwunde, und ein leichter Schauder überkommt mich. Weshalb werde ich die dunkle Ahnung nicht los, dass irgendwo da draußen Steven Clarke noch immer auf dieses Gemälde lauert? Dass er bei seinem Überfall auf mich das falsche Bild gestohlen hat, wird er längst erkannt haben. Und seine Wut, gepaart mit Gier und der Schmach des Versagens, wird ihn nicht ruhen lassen. Irgendwann, so fürchte ich, wird es ihn nach Ivory Hall treiben, um sich des »richtigen« Bildes zu bemächtigen. Das werde ich auf jeden Fall verhindern. Und so reift in mir ein Plan, den ich umzusetzen gedenke, ehe Cromwells Schatten auch auf Ivory Hall fällt.

Der Meister und der Mörder

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