Читать книгу Der Meister und der Mörder - Margarete von Schwarzkopf - Страница 14

Am Abgrund

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Hans Schumann blickte mich mit finsterer Miene an. In der Lobby des schicken Hotels Mercedes, unweit des hannoverschen Messegeländes, wimmelte es von Menschen. Ich hatte Mühe zu fokussieren, erkannte aber den Gerichtsmediziner Emil Sauerwein und Schumanns Assistenten Hartmut Brink, der nun schon seit fast acht Jahren mit ihm zusammenarbeitete. Wie durch einen Wattebausch drangen ihre Stimmen an mein Ohr. Ich saß zusammengekauert in einem der gemütlichen Loungesessel in der lichtdurchfluteten Eingangshalle des Hotels, das für die Außenwelt mit gelben Bändern abgesperrt war. Der Manager des Hotels, ein kleiner Mann mit einer großen Brille, der sich als Fritjof Menge vorgestellt hatte, huschte emsig durch den Raum und rief einigen verschüchtert dreinblickenden Angestellten irgendwelche Befehle zu. Einer davon lautete, mir einen starken Tee zu bringen, eine sehr gute Entscheidung.

Mein Kopf dröhnte, auch wegen des Schlags, der mich vor etwa einer halben Stunde an der Schulter getroffen und gegen einen Türpfosten geschleudert hatte. Dabei hatte ich mir heftig den Kopf gestoßen. Aber das zählte alles nichts im Vergleich zu dem furchtbaren Ereignis, das der Grund für Schumanns strengen Blick war.

»Und nun bitte von vorne, Anna«, vernahm ich seine Stimme wie aus weiter Ferne. »Sie sind vor ungefähr vierzig Minuten hier angekommen, und dann?«

Schumann siezte mich wieder, kein gutes Zeichen. Und seine Stimme erinnerte mich an die meines Mathematiklehrers Hebermann, der mir immer wieder ins Gedächtnis gerufen hatte, dass ich in Mathe eine Versagerin sei. »Eine Sieben wäre noch zu gut für Sie!«, hatte er mich kurz vor dem Abitur angeschnauzt. Er hatte ja recht gehabt, doch in der Abi-Arbeit gelang es mir, eine Vier zu schreiben, und Hebermanns Fassungslosigkeit äußerte sich in der laut vorgetragenen Vermutung, ich hätte diese Note nur durch Pfusch erreicht.

Äußerlich ähnelte Schumann meinem verblichenen Mathelehrer allerdings nicht. Der war schmächtig und glatzköpfig gewesen, mit schiefen Zähnen und einem dünnen Schnurrbart über dem schmallippigen Mund. Schumann dagegen neigte eher zu einer kräftigen Statur, besaß volle graue Haare und gepflegte Zähne, die er oft und gerne bei einem breiten Lächeln zeigte. Nicht jetzt jedoch. Seine Stimme klang ungewöhnlich hart, und ich zuckte zusammen, als er fortfuhr.

»Weshalb sind Sie überhaupt hierhergekommen? Wie gut kannten Sie die Tote?«

In diesem Moment begann ich am ganzen Körper zu zittern. Auf einmal brachen die Ereignisse der letzten Stunde über mich herein wie eine Springflut, und es fiel mir schwer, meine Gedanken zu ordnen. Mir wurde schlagartig bewusst, warum ich in der Lobby des Hotels Mercedes saß, umgeben von Schumanns Mitarbeitern. Gierig griff ich nach der dampfenden Tasse Tee, die eine junge Hotelangestellte auf den Tisch gestellt hatte.

Ich trank einen Schluck. Das Zittern flaute ab, und ich hatte die Kraft, Schumann zu antworten. »Ich habe einen Anruf von meiner Freundin Christine Windstetten bekommen. Sie schien gehetzt und ängstlich und bat mich, möglichst schnell hierherzukommen. Sie müsse dringend mit mir sprechen.« Ich hielt inne, trank einen weiteren Schluck Tee und überlegte, was danach eigentlich genau geschehen war.

»Und dann?« Schumann klang ungeduldig, für mich eine neue Eigenschaft an ihm. Er wirkte normalerweise immer eher ruhig und gelassen.

»Ja, dann bin ich, so schnell ich konnte, hierhergefahren. Ich habe etwa zwanzig Minuten gebraucht. Es war nicht so viel Verkehr wie sonst auf dieser Strecke.« Wieder stockte ich, holte tief Luft und sah Schumann an. »Ich habe mein Auto geparkt, bin ins Foyer gegangen und habe mich nach Christine umgeschaut. Aber ich habe sie nirgendwo gesehen. Da habe ich an der Rezeption nach ihr gefragt. Die junge Frau am Desk hat sich nach meinem Namen erkundigt und mir dann einen Umschlag gegeben, in dem ein Zettel war. ›Bin in Zimmer 210‹, stand darauf.« Ich erinnerte mich noch, wie absurd mir das vorkam. Weshalb sollte sich Christine, die in Hildesheim eine Wohnung besaß, in einem Hotel in Hannover ein Zimmer mieten? Früher hatte sie gelegentlich bei mir übernachtet. Aber nur, wenn sie getrunken hatte.

Ich hatte den Lift in den zweiten Stock genommen. Dort herrschte Stille. Von draußen hörte ich gedämpft Autos auf den Parkplatz oder vom Parkplatz fahren. Ich ging den Gang hinunter bis zum Zimmer mit den goldenen Ziffern 210 an der Tür. Als ich klopfen wollte, wurde die Tür aufgerissen, ich spürte einen heftigen Stoß, der mich gegen den Türpfosten schleuderte, und irgendjemand rannte an mir vorbei. Ich konnte nichts erkennen, weil ich vor Schmerz die Augen zukniff und in die Knie gesunken war. Die Zimmertür stand halb offen. Mit brummendem Schädel tastete ich mich darauf zu. Meine Stimme drohte zu versagen, als ich Christines Namen rief. Keine Antwort.

Ich bin von Haus aus nie besonders mutig gewesen. Beim Klettern auf Bäume kannte ich keine Furcht und auch nicht beim Durchqueren von Bächen mit glitschigen Felsbrocken im Wasser. Da sprang ich waghalsig von Stein zu Stein. Aber ansonsten war ich eine Theoretikerin, die gerne Filme mit aufregenden Szenen sah und Bücher mit tapferen Protagonisten las. Und in dieses Zimmer zu treten, und das auch noch mit meinem angeschlagenen Kopf und der geprellten Schulter, erforderte meine ganze Kraft.

Durch das Panoramafenster auf der gegenüberliegenden Seite fiel Tageslicht. Ich blinzelte eine Sekunde, weil es im Flur vor dem Zimmer dämmrig gewesen war. Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich sie. Christine lag bäuchlings auf dem breiten Bett, die Arme ausgestreckt, den Kopf in der Tagesdecke vergraben.

Was ich dann tat, versank in einer Flut von widersprüchlichen Erinnerungen. Rannte ich gleich aus dem Zimmer, oder trat ich ans Bett, um mich zu vergewissern, ob Christine nur bewusstlos war oder tot? Dass sie schlief, erschien mir angesichts des Mannes, der aus dem Zimmer gestürmt und in mich hineingerannt war, unwahrscheinlich. Zudem glaubte ich mich vage daran zu erinnern, dass Christine niemals in Bauchlage schlief. Nur am Strand hatte sie sich zum Bräunen auf den Bauch gelegt. All das musste mir wohl trotz meines Brummschädels durch den Kopf geschossen sein.

Schrie ich dann laut auf, oder erstarrte ich vor Schreck? Ich wusste es nicht mehr. Das Nächste, an das ich mich deutlich erinnern konnte, war, dass ich den Lift nach unten nahm, an der Rezeption um Hilfe rief und dem herbeieilenden Personal stammelnd berichtete, dass der Gast in Zimmer 210 bewegungslos auf dem Bett liege.

Jemand drückte mir ein Glas Wasser in die Hand und führte mich zu dem Loungesessel, ein anderer rief die Notrufnummer, und wie ich später erfuhr, wurde der Manager alarmiert, der mit zwei Gefolgsleuten zu Zimmer 210 eilte und wenige Minuten später mit bleichem Gesicht in der Lobby auftauchte. Und es dauerte nicht lange, da fuhren mehrere Polizeiwagen vor, Sauerwein betrat zielstrebig die Hotelhalle, gefolgt von seiner Assistentin, dann standen Schumann und Brink plötzlich vor mir, und was mir wie ein böser Traum erschienen war, wurde Wirklichkeit. Ich vergaß die Schmerzen in meiner Schulter und versuchte das Dröhnen in meinem Kopf zu verdrängen. Mir war ein wenig schwindelig, was aber Schumann offenbar wenig interessierte. Er schien durch mich hindurchzuschauen. Ich kam mir wie ein aufgespießter Käfer vor in meinem tiefen Sessel. Mühsam richtete ich mich auf und versuchte ihm zu schildern, woran ich mich erinnern konnte. Schumann hatte sein schwarzes Notizbuch gezückt, das ihm einen altmodischen Touch verlieh. Wie die Polizisten aus einem Roman von Agatha Christie. Ich kannte ihn nur mit diesen kleinen Notizbüchlein, in die er immer eifrig irgendetwas hineinkritzelte. Er sah mich forschend an und hatte dann doch die Gnade, mich zu fragen: »Tut es noch weh?«

»Ja, schon, aber das ist nicht so schlimm.« Ich bemühte mich zu lächeln. In Wahrheit fühlte ich mich elend. Er nickte, schrieb etwas in sein Büchlein und sah mich etwas weniger streng an.

Ich wurde unruhig. Sein Schweigen nervte mich. »Ist Christine wirklich tot?« Eigentlich eine überflüssige Frage. Schumann erwiderte nichts. »Wie ist sie gestorben?« Ich erkannte meine eigene Stimme nicht. Sie klang brüchig und belegt.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen«, antwortete Schumann knapp. »Nur eines will ich Ihnen verraten: Offenbar ist sie kurz vor Ihrem Auftauchen getötet worden. Es kann also gut sein, dass es der Mörder war, dem Sie begegnet sind. Gut, dass Ihnen nichts wirklich Schlimmes passiert ist, aber dennoch ist es ärgerlich, dass Sie nichts gesehen haben.«

Noch ein Schock. Sehr sensibel schien Schumann heute wirklich nicht zu sein. Er wandte sich wieder seinem Notizbuch zu und sagte: »Aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir etwas mehr über die Tote erzählen könnten.«

Das klang so kühl und distanziert. Als ob ich jemand wäre, dem er heute das erste Mal begegnete. Dabei kannte ich ihn doch seit fünf Jahren, und wir hatten viele Stunden miteinander verbracht.

Meine Gedanken drehten sich im Kreis, aber ich versuchte, mich zu konzentrieren. »Ich kannte Christine seit unserem gemeinsamen Studium bei Professor Strate. Eine Zeit lang waren wir sogar sehr eng befreundet gewesen, saßen fast jeden Tag zusammen in der Mensa, trafen uns abends in Kneipen, gingen ins Kino, zu Partys und fuhren einmal auch gemeinsam in Urlaub.« Eine Woche Mallorca. Ein preiswertes Hotel in der Nähe von Porto Pedro, ein Auto, das wir gemietet hatten, um damit die Insel zu erforschen und in die Tramuntana zu fahren, wo wir rund um das Kloster Lluc wanderten. Wie weit lag das zurück! Dann tauchte in Christines Leben ein gewisser Roger auf, ein Kommilitone, der aus Luxemburg stammte. Und von da an hatte sie kaum mehr Zeit für mich.

Auch nach ihrer Trennung von Roger blieb sie zurückhaltender als früher. Es folgten ein Frederick, ein Robert, ein Simon, ein Rainer, der auch Kunst studierte und eigentlich ein ganz netter Typ war. Und dann ein Francesco, ein italienischer Kunsthändler, den sie fast geheiratet hätte und mit dem sie in Venedig leben wollte. Aber das zerschlug sich. Gerüchten zufolge hatte er bereits »una fidanzata« in Paris und eine weitere in Wien. Danach hörte ich nichts mehr von neuen Lebensgefährten. Oder zumindest erzählte Christine mir nichts mehr. Ihr Kommentar auf meine Frage, ob es wieder jemanden in ihrem Leben gebe, lautete nur: »Ohne Männer läuft es bei mir besser.« Ich holte ziemlich weit aus, doch Schumann hörte geduldig zu.

Unsere Wege führten Christine und mich schließlich in unterschiedliche Richtungen. Wir schrieben uns die eine oder andere Mail, telefonierten einige Male im Jahr, schickten uns in den letzten Jahren immer wieder mal SMS, trafen uns drei- oder viermal zu einem Plausch, meist in Hannover. Sie lebte erst in Hamburg, dann in Berlin und seit vier Jahren in Hildesheim. Ihr Anruf mit der Nachricht von Strates Tod kam für mich überraschend, da ich seit einem halben Jahr nichts mehr von ihr gehört hatte. Dann tauchte sie seltsamerweise nicht bei Strates Beerdigung auf, obwohl sie einst seine liebste Studentin gewesen war und ihn nach Ernestines Auskunft regelmäßig besucht hatte. Und dann dieser Anruf heute Nachmittag. Dieser schrille Unterton in ihrer Stimme, diese Panik. Christine war mir immer so selbstsicher und stark erschienen.

Mir stiegen die Tränen in die Augen, und ich verstummte. Ich sah sie vor mir, wie ich sie zuletzt lebend gesehen hatte: groß, schlank, mit ihren rotblonden Haaren, ihrem breiten Lächeln, ihren vergnügt funkelnden hellbraunen Augen. In unserer Clique hatte sie immer als die Hübscheste gegolten. Ihre Eltern waren Anwälte in Münster gewesen, sie wuchs in einem großen Haus auf, besaß ein eigenes Pferd, aber zu ihrem Kummer keine Geschwister. »Ich würde mein Pferd gerne gegen eine Schwester oder einen Bruder tauschen«, hatte sie einmal gesagt. Als ihre Eltern vor wenigen Jahren kurz hintereinander starben, verkaufte sie das Haus in Münster und erwarb von einem Teil des Geldes eine Wohnung auf Mallorca. Allerdings lud sie mich nie dahin ein. »Das ist meine absolute Oase«, erklärte sie diese Zurückhaltung. »Keine Freunde, keine Gäste. Ich brauche das, um herunterzukommen.« Ich wusste nicht, ob sie die Wohnung noch hatte. Sie sprach nie darüber. Damals arbeitete sie für mehrere Auktionshäuser als Gutachterin. Sie konzentrierte sich ganz auf die italienische und mit Ausnahmen auf die niederländische Kunst des 15., 16. und 17. Jahrhunderts. Alle späteren Epochen interessierten sie nicht wirklich.

Viele Erinnerungen flirrten an mir vorbei, doch nichts davon war wichtig genug, um es Schumann mitzuteilen.

»Und wie war sie rein menschlich gesehen?«

Schumanns Frage riss mich aus meinen Erinnerungen. Ich schloss für einen Moment die Augen. Ja, wie war Christine gewesen?

»Freundlich, großzügig, witzig, aber auch launisch und oft verschlossen.« Das war in wenigen Worten ein kleines Resümee ihres Charakters. Doch was wusste ich wirklich über Christine Windstetten? Man sieht ja immer nur einen Bruchteil eines Menschen, das, was der andere zulässt, und kann nur selten hinter die Fassade schauen und den wahren Kern erforschen. Zumal ich mich in den letzten Jahren wenig mit ihr beschäftigt hatte, zu oft nicht vor Ort gewesen war, zu sehr mit meinem eigenen Leben zu tun gehabt hatte und meine wenigen Freundschaften aus Studententagen insgesamt viel zu wenig pflegte. Viele alte Freunde gab es nicht mehr, eher hatte ich gute Bekannte. Und selbst die konnte ich an beiden Händen abzählen. Keine sehr angenehme Erkenntnis.

»Was hat sie beruflich gemacht?« Schumann ließ nicht locker.

Ich schob die Teetasse quer über den Tisch und sah ihn unwillig an. »Wir waren leider nicht mehr sehr eng. Soweit ich weiß, erstellte sie Gutachten für verschiedene Auktionshäuser, vor allem für ›Markmann & Co.‹ in Hamburg.« Schwach erinnerte ich mich, dass sie mir vor etwa einem Jahr erzählt hatte, dass sie manchmal für die Fernsehsendung angefragt worden war, in der auch Richard Bernhard seit etlichen Jahren als Experte auftrat. Das hatte mich verwundert, denn in »Gutes für Geld« wurden zwar auch hie und da Bilder angeboten, doch sicherlich keine alten Italiener. Da verkauften Leute eher den Schinken vom Dachboden, der um 1900 oder später in den Besitz der Familie gelangt war, und selten war darunter ein Bild, das mehr als tausend Euro brachte. Letztens hatte es dort Ärger gegeben, weil eine Skizze von Max Liebermann weit unter Preis angeboten und schließlich für lächerliche vierhundertfünfzig Euro gekauft wurde. Das hatte einen Aufruhr auf dem Kunstmarkt ausgelöst, und ein Bekannter von mir, der für ein Museum in Berlin arbeitete, erzählte mir, dass Richard irgendwie in die Sache verwickelt gewesen sei. Er hatte als sogenannter Experte einen viel zu niedrigen Schätzpreis angegeben. Was Christines Funktion bei dieser Sendung gewesen war, habe ich nie erfahren.

Ich fühlte mich trotz des Tees sehr erschöpft. Schumann bemerkte es. Auf sein Gesicht trat ein weicherer Ausdruck. »Ist gut, Anna«, sagte er. »Sie können jetzt erst mal nach Hause fahren. Wir melden uns.« Er wandte sich an Brink, der in seiner Nähe stand. »Frau Bentorp sollte zu unserer Verfügung bleiben. Sie kannte das Opfer.«

Opfer? Im Zusammenhang mit meiner lebenslustigen Freundin Christine klang das völlig surreal. Ich nickte Brink zu, raffte meine Handtasche an mich und ging hinaus in das fahle Licht des sinkenden Maitages. Als ich bei meinem Auto ankam, sah ich sofort, dass jemand versucht hatte, die Fahrertür aufzuhebeln. Es gab auffällige Kratzspuren um das Schloss. Aber wahrscheinlich war der Täter gestört worden, denn die Tür war noch immer verschlossen, auch das Fenster unversehrt. Es wunderte mich, dass sich jemand für mein ziemlich betagtes Auto, das ich liebevoll Apollo nannte, interessierte. Mein überspanntes Hirn verfing sich sofort in wilden Theorien. Stand das mit dem Mord in Zusammenhang? Sollte der Täter versucht haben, mit meinem Auto zu entkommen? Das wäre keine sehr gute Wahl gewesen, da Apollo kaum mehr als einhundertzwanzig Stundenkilometer schaffte.

Ich sah mich um. Auf dem Parkplatz standen einige sehr viel neuere und garantiert schnellere Wagen. Ein paar Cabrios wären leichter zu knacken gewesen. Doch dann fiel mein Blick auf meinen Beifahrersitz. Die rote Mappe. Eher achtlos hatte ich sie dort hingeworfen und fast vergessen. Wie dumm von mir. In mir regte sich mein alter Miss-Marple-Instinkt. Sollte diese Mappe mit der sehr deutlichen Etikettierung etwa das Objekt der Begierde gewesen sein?

Ich ging um mein Auto herum. Tatsächlich, das Fenster auf der Beifahrerseite war ein Stückchen heruntergedrückt worden. Doch es hatte gehalten. Braver Apollo. Mich aber beschlich ein mulmiges Déjà-vu-Gefühl. Ein altbekanntes Kribbeln im Nacken. Ich glaubte zu spüren, dass mich jemand beobachtete. Mit zitternden Knien stieg ich in den Wagen. Alle drei Sekunden starrte ich in den Rückspiegel, ob mir jemand folgte. Niemand zu sehen. Aber das Kribbeln blieb, als ich über die Schnellstraße in Richtung Hannover fuhr.

Der Meister und der Mörder

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