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Prolog

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Florenz, Mai 1455

Das Bild hing im Dämmerlicht des Saales. Der rote Mantel des Ritters auf dem mächtigen Schimmel leuchtete im Schein der Fackel, die Umberto Gallicio in der Faust hielt. Ein Geheimnis schien diese Darstellung des heiligen Georg zu umgeben. Obgleich Umberto nur der Sohn eines Bauern aus der Gegend von Florenz und seit einigen Jahren Aufseher im Stadtpalais der Medici war, ein einfacher Mann, eher grobschlächtig und ungehobelt in seinen Umgangsformen, machte dieses Bild etwas mit ihm. Es setzte Emotionen in ihm frei, die ihm fremd waren. Keines der anderen Gemälde in diesem reich ausgestatteten Saal erfüllte ihn so sehr mit Freude, aber auch mit einem vagen Gefühl der Furcht, wie dieses Werk eines Malers, dessen Namen er zwar kannte, der aber ein Leben im Verborgenen zu führen schien. Es gab so viele Maler in Florenz, deren Werke die Säle der Medici schmückten oder die Kirchen und Klöster der Stadt zierten. Wie sollte man sie sich alle merken können? Zumal ein einfacher Bauernsohn wie Umberto, der nicht lesen konnte und die Signaturen auf den Bildern nicht zu unterscheiden vermochte. Doch den Namen dieses Künstlers hatte er behalten: Paolo di Dono.

Vor zwei Wochen war das Bild geliefert und sofort im Prunksaal aufgehängt worden. Seitdem stand Umberto bei seinen nächtlichen Rundgängen durch die Gemächer des Palazzo Medici Riccardi jedes Mal davor und verlor sich in der Szene mit dem Drachenbezwinger Georg. Es hingen viele wunderbare Bilder in diesem Saal, vor allem viele Werke von wesentlich größeren Ausmaßen. Aber Umberto hatte sich bald sattgesehen an all den Szenen mit der Kreuzesanbetung, der Geburt Christi im Stall von Bethlehem, den Schlachten, den antiken Göttern und lieblichen Landschaften.

Nicht jedoch an diesem kleinen Bild. Davon bekam er nicht genug. Ihn faszinierte die klare Struktur des Gemäldes. Der Ritter Georg auf hohem Ross stürmt mit gezückter Lanze auf den ein wenig erschrocken dreinblickenden dunkelgrünen Drachen zu. An dessen Seite steht mit scheuem Lächeln die Prinzessin, die der Drache verschlingen wollte. Sie hält das Monster an einem dünnen Band, während der edle Ritter ihm den Stoß versetzt, der das Tier zwar verletzt, aber laut Legende nicht tötet. Eine ganze Geschichte mit einem einzigen Bild erzählt – wie wagemutig und faszinierend.

Umberto seufzte. Wenn er doch sein bescheidenes Heim, in dem er mit seiner Frau Maria und ihren vier Kindern lebte, mit einem solchen Bild schmücken könnte! Stattdessen war er nur der Hüter der Schätze anderer Menschen. Doch Umberto unterdrückte seinen aufwallenden Neid. Neid zählte zu den sieben Todsünden, und er war ein gottesfürchtiger Mann. Vor wenigen Tagen hatte er das Angebot eines Unbekannten abgelehnt, der ihn auf der Piazza angesprochen hatte, er möge ihn nachts heimlich in den Saal führen, damit er sich die berühmten Bilder der Medici-Sammlung und insbesondere den neu erworbenen Drachentöter anschauen könne. Der Fremde, offenbar wohlhabend, gut gekleidet und mit höflicher Sprache, hatte einen prall gefüllten Geldbeutel gezückt und ihn Umberto hingehalten. »Für dich, wenn du mich nur einen Blick auf die Bilder, vor allem auf das mit dem Drachen, werfen lässt«, hatte er mit freundlichem Lächeln gesagt. Woher dieser Unbekannte von der Neuerwerbung seines Herrn wusste, war Umberto rätselhaft. Doch in Florenz blieb wohl nichts geheim. Da wurde viel getuschelt und getratscht. Umberto mochte den verschlagenen Blick in den schmalen Augen des Mannes nicht. Er lehnte das Angebot ab und ging seiner Wege.

Umberto hatte diesen Bestechungsversuch nicht gemeldet, weil er ihn nicht ernst nahm. Er wusste um die Neugierde vieler Florentiner auf die Meisterwerke, die in diesem Palazzo hingen. Aber dies war kein öffentlich zugängliches Gebäude, und er sorgte dafür, dass niemand unbefugt in die Säle eindrang. Fast hatte er den Vorfall vergessen. Doch am vergangenen Sonntag hatte er den Fremden wieder gesehen, der langsam am Palazzo entlanggeschlendert war. Diesmal würdigte er Umberto nicht einmal eines Blickes. Der Mann war ihm nicht geheuer. Umberto rang mit sich, ob er dem Hausmeister des Palazzo doch noch von seiner Begegnung berichten sollte. Dann schob er den Gedanken erst einmal beiseite. Morgen war auch noch ein Tag. Morgen würde er Maestro Angelico davon erzählen. Der würde wissen, was zu tun war.

Langsam ging er weiter durch den dämmrigen Saal. Noch ein letzter Blick auf den Heiligen, dann würde er sich in seine kleine Schlafkammer am Ende des langen Saales hinter einer versteckten Tür zurückziehen. Am Morgen würde ihn dann Stefano Malfalcone ablösen, ein junger Mann, der sich erst seit wenigen Wochen die Aufsicht des Palazzo mit ihm teilte. Ein freundlicher Bauernjunge aus Fiesole, wortkarg, aber mit flinken Augen und schnellen Bewegungen.

Umberto seufzte wieder. Er spürte, dass er nicht mehr der Jüngste war und seine Gelenke bei manchen Bewegungen bedenklich knackten. Im kommenden August würde er vierundvierzig Jahre alt werden und zum ersten Mal Großvater. Seine älteste Tochter Malvina erwartete ihr erstes Kind. Er lächelte. Das Leben war schön!

Als er sinnend vor dem Drachentöter stand und sich einmal mehr in dem Bild verlor, hörte er ein Geräusch hinter sich. Ein leises Knacken, ein fast unhörbares Schlurfen. Umberto drehte sich um. Durch die hohen Fenster des Saales tasteten sich die ersten Vorboten des nahenden Sonnenaufgangs. Seine Fackel malte Schatten auf den Boden, hinter ihm versank das Bild im Dunkel. Jäh tauchte eine Gestalt vor ihm auf, gehüllt in eine Mönchskluft.

»Madre di Dio«, entfuhr es Umberto, dem ein Schauer über den Rücken lief. In diesem Moment verrutschte die Kapuze des Mönchsgewandes. Darunter kam ein Gesicht zum Vorschein, das Umberto erkannte. Fassungslos starrte er den Mann an.

»Du? Was willst du denn hier …?«, vermochte er noch zu fragen, ehe die lange, schmale Klinge in seine Brust glitt.

Langsam sackte Umberto Gallicio zusammen. In seinen Augen lag ein Ausdruck der Ungläubigkeit und Bestürzung. Seine letzte Wahrnehmung waren zwei Hände, die den Drachentöter von der Wand nahmen. Dann schlug die ewige Dunkelheit wie eine große Woge über ihm zusammen. Stefano Malfalcone würdigte den Toten keines Blickes und verschwand mit seiner Beute im Dunkel der Nacht.

Der Meister und der Mörder

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