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2Shira Die Farbe alten Blutes
ОглавлениеShira war vor Malcolm auf. Es war die zweite Nacht, die sie miteinander verbracht hatten, ihr Versuch, etwas Distanz zwischen sich und ihren Exmann zu bringen. Jedes Mal, wenn sie in den zwei Monaten seit dem Urteil Ari abgeholt oder zurückgebracht hatte, war sie mit Josh aneinandergeraten. Jetzt setzte sich Shira an ihr Terminal und ging die Formulierungen ihres letzten Einspruchs durch. Sie fühlte sich deprimiert, der gestrige Abend war ihr lang und bleiern vorgekommen. Während sie eine Begründung umformulierte, teilte ihr der Wohnungscomputer mit, sie habe einen Anrufer. Es war ein billiges Modell, ohne jede Persönlichkeit, aber sie hatte ihm eine weibliche Stimme gegeben, die sie an das Haus ihrer Großmutter Malkah erinnerte. Die meisten Häuser hatten weibliche Stimmen. »Stell die Verbindung nur auf Audio.«
»Shira?« Es war Gadis Stimme. »Stell auf Sicht. Ich hasse es, mit einer leeren Wand zu reden. Wenn du nicht angezogen bist – verdammt, glaubst du, ich erinnere mich nicht an deinen Körper?«
Wie immer, wenn sie seine Stimme ohne Vorwarnung hörte, fiel ihr Herz in sich zusammen wie ein zermalmtes Ei. »An meinen Körper vor zehn Jahren?« Sie versuchte schnippisch zu klingen. Sie schaute in den Spiegel, wollte sich vergewissern, dass sie sich sehen lassen konnte, wollte, es wäre ihr egal, welchen Eindruck sie auf ihn machte. Sie war noch im Morgenmantel aus durchsichtiger schimmernder Seide. Ihr Haar war zerzaust, etwas Goldflimmer von gestern Abend glitzerte im Schwarz. Sie sah etwas zu mädchenhaft aus, ein wenig wie ein verlassenes Kind, wie immer ohne Make-up, aber sie konnte sich nicht überwinden, an einem Sonntagmorgen früh um neun ihr Gesicht anzumalen. Sie sagte: »Sicht an. Guten Morgen. Wo bist du?«
»Heim in Tikva, besuche Avram. Ach, unsere täglichen Duelle, unsere erfrischenden Gefechte gegenseitiger Beleidigungen. Der neue Stimmie, an dem ich mit Tomas Raffia gearbeitet habe, ist fertig und ich habe Urlaub. Warum kommst du nicht auf einen Besuch nach Hause?« Gadi war fast wie sie gekleidet, in einen durchsichtigen Mantel aus Seide – von diesen mutierten Raupen, der letzte Schrei. Seiner war viel schöner als ihrer, in Farben, die unter ihren Blicken changierten. Sein Gesicht war hager, aber so hübsch wie immer. Er hatte sein Haar silbergrau gefärbt, seinen Augen nicht unähnlich. Nur junge Leute hatten heutzutage graues Haar. Die meisten sahen damit furchtbar aus, aber sein braun gefärbtes Gesicht wurde dadurch betont. In Tikva, wo alle in Shorts oder Hosen herumliefen, wirkte er bestimmt ein wenig bizarr. Er war eben ein Sendbote des Glamours von Vancouver, dem Zentrum der Stimmie-Branche. Er war berühmt. Man erwartete von ihm, dass er aussah wie ein auf Hochglanz poliertes Kunstprodukt. Als Designer von Atmos für Stimmies war er durchaus selbst ein Star und konnte sich unter seinen Fans bewegen wie keiner der Schauspieler, die durch ihre vernetzten und verfeinerten Sinne zu verletzlich waren.
»Wie ist er beim Publikum angekommen?«
»Warst du etwa noch nicht in meinem Stimmie?« Seine Stimme krümmte sich vor ungläubiger Verletztheit. »Er war absolut krass!«
»Gadi, ich habe mich auf die Gerichtsverhandlung vorbereitet. Ich habe mich in den letzten drei Monaten jeden zweiten Tag mit meinem Anwalt getroffen. Josh hat mir Ari weggenommen. Schick mir doch eine Kristallkopie.« Dann müsste sie es sich geben. Sie nahm sich selten die Zeit, sich in einen Stimmie zu versenken, selbst jetzt, wo sie allein lebte. Sie hatte die Gewohnheit abgelegt, als Ari geboren wurde, denn sie wollte sich nicht von ihm abschotten, indem sie in diese völlige Überflutung von Sinnesreizen eintauchte: die exquisiten Empfindungen irgendeiner Schauspielerin, verfolgt von zwergenwüchsigen Menschenfressern oder im Orbit auf Nuevas Vegas mit vier Liebhabern zugange, durchpumpt von Gefühlen.
»Computer, letzte Anfrage speichern und ausführen … Wie konnte er dein Kind wegnehmen?«
»Sie haben hier patriarchales Recht. Der Junge gilt als Eigentum der väterlichen Genlinie – und, Gadi, du weißt, dass ich ihn geheiratet habe. Obendrein hat er einen höheren Technodienstgrad als ich.«
»Warum hast du auch diesen Blödsinn gemacht?« Gadi zog eine Grimasse. »Ich habe dir gesagt, du sollst diesen Wurm nicht heiraten. Ein-Heirat ist altmodisch und trostlos.«
»Du hast nie versucht, Josh zu verstehen … Im Moment geht es zwischen uns niederträchtig zu, bösartig. Ich habe ihm entsetzlich wehgetan, Gadi.« Es tat so wohl, mit ihm zu reden. Anfangs schickten sie sich immer Eröffnungssalven und dann diplomatische Botschaften aus ihren gegnerischen Festungen, doch schon nach fünf Minuten tauschten sie Vertraulichkeiten aus. Auf geheimnisvolle, zarte Weise waren sie immer noch miteinander verquickt. Erst gestern Abend hatte sie an ihn denken müssen, während sie mit Malcolm ins Bett stieg, und so würde es wohl bis ans Ende ihres Lebens bleiben. Und jetzt am Morgen saßen sie da und plauderten miteinander. »Gadi, bei Y-S heiraten die meisten. Es wird darauf gedrungen.«
»Dieser Mann wurde geboren, um verletzt zu werden – eine Motte, die sich wieder in die Larve zurückverwandelt hat, aus der er hervorging.«
»Josh ist jemand, der mehr erdulden musste, als wir beide auch nur ahnen können. Er hat nicht einen einzigen Menschen mehr, niemanden. Er hat durch Zufall überlebt. Stell dir vor, sein Heimatland ist die Schwarze Zone.« Ein großer Brocken des Nahen Ostens wurde auf Karten in einförmigem Schwarz dargestellt, denn er war unbewohnbar und für alle verboten. Eine verpestete radioaktive Wüste.
»Du heiratest keinen Mann, weil er dir die Füße vollblutet.«
Shira zuckte zusammen, Salzgeschmack im Mund. »Ich dachte, ich könnte ihn glücklich machen.«
Gadi schnaubte verächtlich. »Das versuchen Frauen andauernd mit mir, und was bringt es ihnen? Einen wunden Arsch vom Drauffallen.«
Sie beschloss, das Thema zu wechseln. »Dein Vater hat mir einen Job angeboten, ist das zu glauben?«
»Warum dir?« Seine Stirn legte sich in Falten. »Was will Avram mit dir anfangen?«
»Gadi, ich bin sehr gut auf meinem Gebiet, obwohl Y-S mich nicht zu schätzen weiß.«
»Für Avram arbeiten kommt überhaupt nicht in Frage, aber ich fände es schön, wenn du in Tikva wärst. Dann würde ich dich immer sehen, wenn ich mich hierher verdrücke.«
»Bevor nicht über meine Berufung entschieden ist, gehe ich nirgendwohin. Ich werde Ari nicht aufgeben. Ich war schrecklich dumm. Ich habe geheiratet, statt mein Kind meiner Mutter zu geben. Hätte ich es doch nur getan! Ich habe mit unserer Familientradition gebrochen, und jetzt habe ich ihn verloren!«
»Du hörst dich an, als ob du dich schuldig fühlst, Shira. Warum?«
»Wenn ich mich nicht in die Ehe mit Josh gestürzt hätte, wenn ich mein Kind meiner Mutter Riva gegeben hätte, wie es von mir erwartet wird, wenn ich doch bloß auf Malkah gehört hätte, dann wäre mein Kind in meiner eigenen Familie. Es ist meine Schuld. Ich habe mich für so klug, so überlegen gehalten.«
»Durch den Scheiß müssen wir alle durch, Shira. Bist du sicher, dass deine Mutter den Jungen wollte? Ich bin ihr nur ein- oder zweimal in meinem Leben begegnet. Ich kann mich kaum erinnern, wie sie aussieht.«
»Sie ist für mich eine Fremde. Sie arbeitet für Alhadarek, das ist alles, was ich weiß.«
»Du mit einem Kind, die Vorstellung fällt mir sowieso schwer, Shira. Für mich bist du selber immer noch ein Kind. Ich glaube, du hast diesen Ari erfunden, er existiert nur in deiner Einbildung.«
Eine Träne rann ihr aus dem Auge und sie fauchte vor Wut. »Gadi, sei nicht so ein Arsch. Er ist für mich realer als jeder andere Mensch auf der Welt –« Sie merkte plötzlich, dass Malcolm an ihrer Schlafzimmertür stand und lauschte. Jetzt trat er hinter sie, damit sein Bild übertragen wurde.
Gadi schien amüsiert. »Du hättest mir sagen sollen, dass du Besuch hast. Wir können ein andermal tratschen.«
Mit Malcolm neben sich konnte sie nicht die Wahrheit sagen: dass sie ihn beim Reden mit Gadi völlig vergessen hatte. Sie beendete die Übertragung und es war rundum peinlich.
Das Frühstück gestaltete sich schwierig. »Ich wusste nicht, dass du noch einen anderen Mann an der Angel hast«, murrte Malcolm. Er war ebenso groß wie Gadi, aber viel kräftiger gebaut, mit braunem Haarschopf und buschigen, herrischen Augenbrauen, mit der Angewohnheit, das Kinn vorzurecken, als befehlige er einen Angriff.
»So ist das nicht. Er ist ein alter Freund. Wir sind zusammen aufgewachsen.«
»Du hast immer wieder gelacht, als du mit ihm geredet hast. Er hörte sich nicht an wie jemand, der nur ein Freund ist.«
»Ich denke von Freunden nie als ›nur‹. Freunde sind kostbar.«
»Das richtige Wort für ihn. Sieht gut aus, wenn man solche Schmuckstücke mag.«
»Er entwirft Atmos für Uni-Par.«
»Ich tauche nie in diese Dinger«, sagte Malcolm. Das war die offizielle Devise bei Y-S, außer, es handelte sich um ein konzerninternes Programm. Dennoch senkten sich seine Mundwinkel. »Ich besitze nicht mal einen Helm, um vollständig reinzugehen. Ich benutze bloß poplige alte Elektroden … Das war doch nicht etwa Gadi Stein?«
Sie spürte, wie sie sich ärgerte, und versuchte, es höflich zu überspielen, indem sie ihn nach seinem Sandsegeln fragte. Das war ein Nachtsport, aber trotzdem gefährlich. Wie viel angenehmer wäre es gewesen, weiter mit Gadi zu quatschen. Sie hatte nicht die Zeit gehabt, ihn nach seinem Vater Avram zu fragen, nach all ihren alten Freunden, nach den komplizierten Beziehungen in Tikva, nach dem letzten Politskandal, den neuesten Trends. Es war unanstrengend, mit Gadi zu reden, und mühselig, in öder, schrittchenweiser Kleinarbeit diesen Mann kennenzulernen, der von Minute zu Minute unsympathischer wirkte. Er war offensichtlich eingeschnappt und peitschte mit einem Löffel, der wie ein Mast aus der Tasse ragte, seinen Kaffee im Kreis, als wolle er ihn dafür bestrafen, dass sie ihn enttäuscht hatte. Sie wollte sich nicht mit ihm überwerfen – sie konnte keine weitere Fehde am Arbeitsplatz gebrauchen –, also würde sie einfach das Frühstück hinter sich bringen und ihn hinauskomplimentieren. Sie selbst war das Problem.
»Ich dachte, du wärst … weicher. Manchmal hast du einen Gesichtsausdruck wie ein kleines Kind, so unschuldig«, sagte Malcolm, als sei das eine Anklage. Sein Kinn reckte sich ihr entgegen, seine Brauen sträubten sich drohend.
Sie hätte ihm am liebsten gesagt, dass das am Kindchenschema lag: Große dunkle Augen in einem schmalen Gesicht riefen bei Säugern einschließlich Menschen die angeborene Reaktion auf Neugeborene hervor – das Rehkitz, das Kätzchen, das Hundebaby und die Shira. Während des Studiums hatte sie oft die Stirn gerunzelt, um ihre Umgebung zu zwingen, sie ernst zu nehmen. Sie war nicht mädchenhaft, scheu, unschuldig, unbekümmert, und sie wünschte sich häufig, nicht diese Fassade zu bieten, die offenbar nur Männer anlockte, die eine Kindfrau wollten. Sie war rauer, dorniger. Und die Wahrheit war, die Anstrengungen, ihren Sohn zurückzugewinnen, nahmen sie viel zu sehr in Anspruch, um sich noch um irgendeinen Mann bemühen zu können. Sie hätte sich am liebsten bei Malcolm dafür entschuldigt, dass sie seine Zeit verschwendete. Sie war eine Fata Morgana.
Heute würde sie Josh treffen, auch ein Grund, warum sie glaubte, vorgeben zu müssen, dass sie eine ernst zu nehmende neue Beziehung hatte. Sie musste sich einfach Josh stellen und versuchen, vernünftig mit ihm zu reden. Dann würde sie Ari ganze zwanzig Stunden für sich haben, von mittags bis acht Uhr früh am nächsten Morgen.
Sobald Malcolm gegangen war, bereitete sie sich in Kleidung und Benehmen psychologisch auf die kommende Schlacht vor. Josh hatte voll gemeiner Spiele gesteckt, seit sie ihn verlassen hatte, doch sie wusste, dass dies nur Ausdruck seines Schmerzes war. Es war nicht so, dass Josh sie leidenschaftlich geliebt hatte, obwohl er das bestimmt behauptet hätte. Er hatte vielmehr eine konventionelle Anhänglichkeit entwickelt, jedoch eine, die für sein Überleben von zentraler Bedeutung war. Er verließ sich einfach darauf, dass sie da war.
Keine weiteren Obduktionen. Ihr größter Wunsch war, Ari einen vollkommenen Tag zu bereiten. Hoffentlich mochte er immer noch luftige Omeletts, bei denen das Eiweiß getrennt geschlagen wurde. Sie hatte es geschafft, drei echte Eier aufzutreiben. Sie würde ihn fragen, ob er Lust hatte, eine Wolke zu essen. Leider war der Tag dunkel, das künstliche Licht schmutzig orange. Wahrscheinlich tobte außerhalb des Kuppeldoms ein Sandsturm. Sie plante, mit ihm in den Park zu gehen. Ein wenig Spielzeug hatte sie zwar, aber da sie ihren ganzen Kredit für Gerichtskosten ausgab, konnte sie sich nicht viel leisten.
Sie eilte durch die gepflegte, stets neue und stets saubere City der Enklave. Über den gezackten Reihen der Silos für Unterschichttechnos dehnte sich der silberne Kuppeldom. Dreihunderttausend Menschen lebten hier; noch einmal so viele wurden täglich aus dem Glop herein- und wieder hinausgeschleust. Unter dem Kuppeldom herrschte Frühling, und das Klima war so eingestellt, wie es hier vor fünfzig Jahren gewesen sein mochte, aber die Straßenbeleuchtung brannte.
In Zweierreihen marschierten Kinder in ihren blauen Sonntagsuniformen mit dem Y-S-Logo vorbei. Sie erkannte, dass es Kinder von Leitenden und nicht von Technos waren, denn sie hatten schon chirurgische Eingriffe hinter sich, um sie dem Y-S-Ideal in Gesicht und Körper anzupassen. Sie sangen eine der Konzernhymnen, ein Sicherheitsaffe führte sie an, ein zweiter bildete den Abschluss. Die Affen bewegten sich schwerfällig wie Roboter, obwohl es seit den Cyberkrawallen verboten war, Robotern menschliche Gestalt zu geben. Affen waren einfach chemisch und chirurgisch veränderte Menschen mit besonderen Implantaten für übermenschliche Kräfte und Schnelligkeit. Die Oberschichtkinder wurden durch das Einkaufsviertel der Mittelschichttechnos wohl zu einer Sonderveranstaltung geleitet. Denn normalerweise wagten sie sich nicht aus dem Paradiespark, einer Enklave innerhalb der Enklave hinter hohen Mauern um einen Teich mit richtigem Wasser. Eine hochgewachsene, elegante Frau auf einem Pferdobil – einem goldglänzenden Pferderoboter, der in zierlicher Gangart jeden Kobalthuf hoch in die Luft hob – ritt neben ihnen. Lehrerin? In Anbetracht des Pferdobils – das ein Vermögen kostete – und ihres Haars, in das Juwelen geflochten waren, wohl eher eine der Mütter.
Sie dachte an ihre eigene Mutter, Riva, wie sie es seit Jahren nicht getan hatte. Sie war Riva selten begegnet. Beim letzten Mal war sie siebzehn gewesen und hatte kurz vor der Abreise zur Universität gestanden. Ihre Mutter war eine unscheinbare, vorzeitig in die Jahre gekommene Frau, eine typische Bürokratin oder Mittelschichtsanalytikerin – Shira hatte nie ganz kapiert, was ihre Mutter tat, aber offensichtlich nichts Wichtiges. Die Begabung, die Malkah weltweite Anerkennung als Genie gebracht und die bis vor kurzem noch Shira die Auswahl ihrer Schulen und Projekte ermöglicht hatte, schien Riva übersprungen zu haben. Hatte Riva sie jemals so vermisst, wie sie Ari jetzt schon vermisste? Sie bezweifelte es. Soweit Shira sie sich ins Gedächtnis zu rufen vermochte, sah sie eine hektische Frau, die sich nervös die Hände rieb. Riva hatte sie mit offenkundiger Erleichterung Malkah übergeben, Malkah hatte sie großgezogen, und alle waren glücklich. Nein, Shira hatte die Familientradition, ihr Kind der Mutter zu übergeben, gar nicht ernst nehmen können. Riva wäre schon mit der Aufzucht einer Springmaus überfordert gewesen.
Shira war mit Katzen und Vögeln aufgewachsen, aber hier waren richtige Tiere nur Oberschichttechnos und Leitenden erlaubt. Alle anderen behalfen sich mit Robotern, aber die guten waren für sie viel zu teuer. Aris kleiner Koala war das Äußerste, was sie und Josh sich leisten konnten. Ari war ganz verrückt danach, seinem Wawabär, aber Josh hatte verboten, dass Ari ihn mit zu ihr nahm, er sei viel zu teuer, um ihn durch die Gegend zu schleifen.
Ihre Straße war wie hundert andere, ihr Haus einer von den vier Prototypen für Joshs Dienstgrad. Shira zog ein Gesicht, sie stand vor der Tür, die sich auf ihre Berührung nicht mehr auftat. Der Hauscomputer war neu programmiert, sie zu behandeln wie eine Fremde. In letzter Zeit wartete sie draußen, wenn sie Ari abholte. Als sie das Haus, das einmal ihr gemeinsames gewesen war, zuletzt betreten hatte, fand sie Wohnzimmer und Küche demonstrativ verdreckt, überall Essensbehälter und schmutziges Geschirr. Das Haus schrie ihr entgegen: Da, sieh, was du uns angetan hast! Josh hätte nur den Reinigungsroboter an die Arbeit zu lassen brauchen. Aber er hatte es vorgezogen, mit dem Dreck zu sagen: Dazu bin ich verkümmert. Seine Verbitterung stank ihr entgegen. Sie hatte den Vorfall in ihrer letzten Eingabe beschrieben und die Atmosphäre in seinem Haushalt als unzuträglich und ungesund für ein Kleinkind bezeichnet. Vergammeltes Essen konnten zwei als Waffe benutzen.
Das Haus öffnete die Tür. »Treten Sie ein. Für Sie ist eine Nachricht da.« Die Stimme war umprogrammiert worden. Ja sie hörte sich sogar an, als sei das Haus neutral gestellt, als wohne niemand darin. Die Stimme war deutlich eine Maschinenstimme, nicht mehr weiblich, nicht mehr vertraut.
»Ist Josh nicht zu Hause? Wo ist Ari?«
»Josh ist nicht da. Ari ist nicht da. Bitte empfangen Sie die Nachricht für Shira Shipman.«
Sie ging durch die Diele. Die meisten Möbel standen an ihrem Platz, aber die persönlichen Dinge waren verschwunden, die Fotos von Joshs Familie. Er würde nie die Bilder seiner hingemordeten Eltern und Brüder entfernen, solange er dies Haus bewohnte. Offiziell wurden sie als Seuchenopfer geführt, aber sie waren im Kampf gefallen. Die verbogene und halb geschmolzene Menora, die er aus den Trümmern gerettet hatte, war nicht mehr da. Sie eilte rasch zum Terminal. Es war nicht das erweiterte, das sie immer benutzt hatten. Es war das simpelste Modell, darauf eingestellt, das Haus instand zu halten, Nachrichten entgegenzunehmen, einfache Fragen zu beantworten, einen Reinigungsroboter zu beaufsichtigen. Das Hausmeister-Modell. Sie hatte das Gefühl, ihre Brust fülle sich mit kaltem Schlamm. Sie fühlte sich schwer, formlos, durchgefroren. Was ging hier vor? Sie sank vor dem Terminal auf einen Stuhl und identifizierte sich.
Joshs Gesicht erschien auf dem Bildschirm, die Lippen schmal gespannt. »Ich nehme an, du bist hergekommen, um dich mit mir zu streiten. Jeder weitere Einspruch ist sinnlos. Du hast uns verlassen, und jetzt haben wir die Erde verlassen. Yakamura-Stichen hat mich auf die Pazifika-Plattform versetzt. Ich nehme meine Assistentin Barbra mit und Ari. Ich habe die uneingeschränkte Berechtigung von Y-S, Ari mitzunehmen. Wenn du keine Starterlaubnis für Pazifika erhältst, wirst du warten müssen, bis wir nach Ablauf unserer Pflichtdienstzeit zur Erde zurückkehren. Die üblichen zwei Jahre. Josh Rogovin Ende.«
Sie saß da wie betäubt. Dann rannte sie hoch in Aris Zimmer. Es war leergeräumt. Y-S musste Josh gestattet haben, Aris Bettchen mitzunehmen, seinen Spieltisch, seine Spielsachen, seinen Koalaroboter. Sie lief durchs Haus und rief nach ihm, hoffnungslos, unnütz. Dann warf sie sich an das Terminal und spielte noch einmal Joshs Nachricht ab.
»Du hast dich gründlich an mir gerächt. Das hast du geschafft«, sagte sie zu seinem Gesicht, das am Ende der Nachricht auf dem Bildschirm eingefroren war. Sie blieb sitzen, während es dunkler im Zimmer wurde. Das Licht ging hier nicht an, außer sie befahl es ausdrücklich, was sie nicht tat. Wie schäbig und klein das Haus um sie herum anmutete, bar aller Spuren ihrer Ehe bis auf die Abnutzungserscheinungen an den Möbeln und hier und da einen noch nicht entfernten Fleck an der Wand. Ari war fort. Er war nicht einmal mehr auf der Erde.
Alles ließ sich auf die simple Tatsache zurückführen, dass Joshs Fähigkeiten für Y-S wertvoller waren als ihre. Sie hatten versucht, Plasmaphysiker auf die Pazifika-Plattform zu versetzen, aber gemäß den Rechten der Y-S-Bürger durfte niemand ohne Einwilligung in den Weltraum umgesiedelt werden. Jeder hatte den Verdacht, dass Pazifika sehr viel mehr harter Strahlung ausgesetzt war, als der Multi zugab. Josh hatte sich nie dafür interessiert, im Weltraum zu arbeiten. Das Leben auf einer Plattform war die vollständig verwirklichte Klaustrophobie. Josh hatte nicht das Recht, Ari eine Kindheit in solcher Umgebung zuzumuten. Er hatte es getan, um sie zu bestrafen. Sie konnte nichts tun, absolut gar nichts.
Sie hasste Y-S. Ihr Chef hatte nicht hart genug für sie gekämpft. Sie war geopfert worden, für den Bedarf des Multis an Wissenschaftlern, die bereit waren, zwei Jahre in einer großen Blechbüchse zuzubringen. Zwei Jahre. Tränen rannen ihr übers Gesicht. Sie wollte nicht in diesem verlassenen Haus weinen, das die letzte Phase ihrer dummen, totgeborenen Ehe mit angesehen hatte. Sie putzte sich heftig die Nase und ging heim.
Der Form halber legte sie bei Y-S Protest ein. Dann schickte sie ganz offen eine Mitteilung an Avram. Sie sprach nicht selbst mit ihm, sondern sandte ihm eine Nachricht durchs Netz: Sie sei bereit, die Stellung in seinem Labor anzunehmen. Sobald sie ihre Angelegenheiten hier geregelt hatte, würde sie kommen und sofort die Arbeit aufnehmen. Ihren angesammelten Kredit hatte sie auf Rechtsstreitereien verschwendet.
Ihr war rätselhaft, warum Avram ihre Mitarbeit wollte, aber ein befristeter Job in Tikva verschaffte ihr Zeit zu überlegen, wohin sie wollte, Zeit, mit Multis zu verhandeln, Zeit zu heilen. Welche Freude, wieder zu Hause zu sein, wo Malkah die Sabbat-Kerzen entzünden würde, wo sie wieder die alten Gebete sprechen würden, wo sie frei sein würde, die zu sein, die sie war. Wie bitter, ohne ihr Kind zurückzukehren. Sie hatte sich so oft vorgestellt, ihn nach Tikva zu bringen. Sie rechnete nicht mit Schwierigkeiten bei der Kündigung. Hätte Y-S ihre Dienste behalten wollen, wäre ihr ein Teil des Sorgerechts für Ari zugestanden worden. Hätten sie sie so dringend gebraucht wie Plasmaphysiker auf Pazifika, besäße sie jetzt das alleinige Sorgerecht. Konzerngerechtigkeit. Nun kehrte sie heim.