Читать книгу Ein Bruder lebenslänglich - Margrith Lin - Страница 10
Die schlimme Krankheit Wie alles begann
ОглавлениеIm Herbst hustete unser Bruder so stark, dass er fast keine Luft mehr bekam und ganz blau wurde. «Keuchhusten», sagte diesmal der herbeigerufene Arzt. Meine beiden älteren Schwestern waren bereits als Kleinkinder mit dem Keuchhusten angesteckt worden, ich wurde bis jetzt davon verschont. Zum Ausheilen des Keuchhustens – vielleicht auch, um mich vor einer Ansteckung zu schützen – verreiste Mama mit unserem Bruder in die gesunde Bergluft. Es gab einen Ort in der Innerschweiz, mit dem unsere Familie mehrfach verbunden war. Vorfahren mütterlicherseits stammten aus diesem Tal. In diesem Tal hatte unsere Mutter als Zwanzigjährige Ferienlager für eine Mädchenjugendgruppe geleitet und kam so wieder in Verbindung mit ihren Wurzeln.
Ganz hinten im wilden Tal war die ganzjährig bewohnte Alp Grattigen. Unsere Familie übersommerte hier oft. Wir Kinder fühlten uns wie Heidi, tranken die frische Ziegenmilch, welche der Senn Stini direkt ab Euter in unsere Tassen füllte, und schauten ihm beim Käsemachen zu. Hinter der Alphütte floss ein kleiner Bach vorbei, der sich vorzüglich zum Kühlen der frischen Milch eignete, aber auch zum Spielen. Gelegentlich fielen wir samt den Kleidern ins kalte Wasser oder zogen mindestens einen nassen Schuh heraus. Auf der Vorderen Egg lebte ein Ehepaar, von allen nur Sophie und Gusti genannt. Auch sie gehörten zur weitverzweigten Verwandtschaft mütterlicherseits. Die beiden hatten keine eigenen Kinder. Unzählige, oft schwächliche oder gesundheitlich angeschlagene Kinder und Erwachsene haben in ihrem Haus Aufnahme gefunden und sind wieder kräftig und gesund in ihre Familien zurückgekehrt. Bei ihnen sollte nun auch unser Bruder gesunden.
Wieder war es Maria, die während der Abwesenheit der Mutter zu uns schaute. Sie wurde dabei von der Grossmutter unterstützt. Es war Herbst geworden, als uns Grossmama sagte, Mama werde mit unserem Bruder noch heute Abend zurückkommen. Der Bruder hatte oben in den Bergen plötzlich hohes Fieber gekriegt. Onkel Emil werde die beiden abholen. Onkel Emil war der Einzige unserer Sippschaft, der – dank seines Berufs als Chauffeur – Auto fahren konnte. Wir warteten ungeduldig, doch Mama und der Bruder waren noch nicht da, als wir ins Bett geschickt wurden.