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Die grosse Aufregung

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Es war nach Mitternacht, als Mama heimkam – allein, ohne unseren Bruder. Der Kinderarzt veranlasste noch spätabends eine Überweisung ins Kinderspital der nächstgelegenen Universitätsklinik, eine Stunde von unserem Wohnort entfernt. Der Zustand sei sehr ernst. Diesmal hatte der Bruder eine schlimme, eine ansteckende Krankheit. Es war die tuberkulöse Hirnhautentzündung oder Meningitis, wie der medizinische Fachausdruck hiess. Später erfuhr ich, dass diese Krankheit damals fast immer tödlich endete. Die Eltern mussten sich zuerst informieren, was diese Diagnose bedeutete. In den von den Eltern angelegten Krankenakten fand ich einen mit Bleistift geschriebenen Vermerk, vermutlich eine Abschrift der Mutter aus einem Lexikon.

Tuberkulöse Hirnhautentzündung (Meningitis), sog. Basal­meningitis, ist eine infektiöse Entzündung der Hirnhäute, die im Sekundärstadium der Tuberkulose auftreten kann, fast stets auf dem Blutweg über Lungen, Knochen oder Gelenke ­infiziert. Typischerweise sind die basalen Hirnbereiche betroffen, Vorkommen besonders bei Kindern und Jugendlichen.

Woher kamen diese Krankheitskeime? Unsere ganze Familie wurde untersucht, ob auch wir infiziert waren. Gott sei Dank waren wir ­Geschwister gesund. Wir mussten der Reihe nach antreten und wurden alle geimpft. Aber wer war es denn, der diese perfide Krankheit in sich trug? Wie war es mit den Erwachsenen? Das ganze Umfeld war verdächtig. Mutter und Vater waren in jungen Jahren beide an Tuberkulose erkrankt gewesen, galten aber als geheilt. Der Vater war im Lungensanatorium in Davos, wo Thomas Mann sich für seinen «Zauberberg» inspirieren liess. Er erzählte uns, wie er für die Ge­­­­­wichtskontrolle die Hosentaschen mit Fünffrankenstücken ­füllte, damit ihm der wöchentliche Ausgang nicht verwehrt wurde. Auch die Mutter musste als Jugendliche in Kur. Sie erinnerte sich an die langweiligen Liegekuren, die sie sich verbotenerweise durch unter der Decke verstecktes Stricken oder Lesen etwas erträglicher gestaltete.

Es war wohl der Patenonkel, der vermutlich unseren Bruder angesteckt hatte. Er amtete damals als Pfarrhelfer in einer Pfarrei auf dem Lande und musste in dieser Zeit öfter in die Stadt zum Arzt. Dann schaute er immer auch nach seinem Göttibuben. Als bei unserem Bruder die Krankheit ausbrach, war der Onkel bereits mit einer Lungentuberkulose im Sanatorium.

Eines Morgens war wieder nur Maria da, die uns weckte und uns die Butterbrote strich. Die Eltern waren in der Nacht ins Spital gerufen worden, weil es unserem Bruder sehr schlecht ging. Als die Eltern dort eintrafen, war er bereits zum Sterben in eine Abstellkammer gestellt worden. Wir wurden angehalten, für unseren Bruder zu beten. Am Abend gab es Entwarnung. Das Fieber war gesunken, und der Bruder hatte überlebt. Er sei aber noch nicht über den Berg. Wir beteten weiter.

Ein Bruder lebenslänglich

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