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Traurige Weihnachten

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Unsere Eltern fuhren oft ins Spital, um nach ihrem Söhnchen zu schauen. Nur die älteste Schwester durfte mitgehen, Kindern unter zehn Jahren wurde der Eintritt in die Kinderabteilung verwehrt. Da ich meinen kleinen Bruder nicht besuchen durfte, machte ich viele Zeichnungen für ihn. Mama erzählte mir, wie seine Augen leuch­teten, wenn sie von mir sprach. Er hatte mich nicht vergessen. Das freute mich, machte mich aber zugleich auch traurig. Er fehlte mir als Spielgefährte so sehr!

Es wurde Weihnachten, doch der Bruder durfte nicht nach Hause kommen. Welche Enttäuschung, dass mir das Christkind meinen grössten Wunsch nicht erfüllte.

Wir drei Schwestern waren für den Heiligen Abend feierlich gekleidet mit den weiss durchscheinenden, mit Blümchen bestickten Schürzchen, die wir nur an Weihnachten tragen durften, so wie schon Mama und ihre Schwestern, als sie noch Kinder waren. – Letzthin habe ich im Historischen Museum genau solch ein weisses Schürzchen entdeckt. Unsere Festtagskleidung von damals ist museumsreif geworden!

Wir konnten es kaum erwarten, bis das Glöckchen klingelte und sich wie von Geisterhand die Türe zur guten Stube öffnete. – Und da stand er nun, der glanzvoll geschmückte Christbaum mit den brennen­den Kerzen, farbigen Kugeln, glitzernden Tannzapfen sowie allerlei Krimskrams aus Schokolade. Der ganze Baum war mit Silberla­metta überhangen. Oben auf der Spitze thronte ein buntes Vögelchen, der einzige Weihnachtswunsch der zweiten Schwester. Neben unseren Geschenken lag ein leuchtend rotes Auto, welches man mit einem Schlüssel aufziehen konnte. Das Christkind hatte unseren Bruder doch nicht ganz vergessen.

Die Eltern brachten das Geschenk am Weihnachtstag ins Spital. Wir warteten ungeduldig auf ihre Heimkehr und die Neuigkeiten, die sie zu erzählen wussten. Der Bruder habe das rote Auto fest an sich gepresst und wollte es nicht mehr aus der Hand geben, auch nicht, um sein Zvieri zu essen. In der Infektionsabteilung, wo unser Bruder hospitalisiert war, musste das Spielzeug allabendlich desinfiziert werden. Es war jedoch für das Personal zu mühsam, den Kindern immer wieder ihr eigenes Spielzeug zurückzugeben. Deshalb wollte der Bruder nicht von seinem neuen Auto lassen. Er wusste, dass es ihm weggenommen und er es vielleicht nie mehr wiedersehen würde.

Noch jemand hatte unsern Bruder an Weihnacht nicht vergessen. In den Krankenakten fand ich eine Weihnachtskarte mit dem Bild eines kitschig süssen Christkinds, welches zum Fenster hereinfliegt und dem schlafenden Kind einen kleinen Weihnachtsbaum bringt. Der Sektionspräsident der Krankenkasse schrieb anstelle des Christkinds. Die Vorstellung, dass sich ein Sektionspräsident der Krankenkasse persönlich an die Schreibmaschine setzte und nach Worten suchte, berührt mich. Oder war es seine Sekretärin?

Weihnacht 1952

Dieses Jahr feierst du Weihnachten, dieses traute und schöne Fest des Christkindleins fern Deiner lieben Eltern und Ange­hörigen. Doch in Gedanken bist du sicher auch bei deinen Lieben zu Hause, so wie deine liebe Mutter und dein lieber Vater im Geiste das liebliche Weihnachtsfest bei Dir und mit Dir feiern. Aber auch das liebe Christkind hat Dich nicht vergessen. Ganz im Gegenteil. Es weilt unsichtbar unter Euch und nimmt sich ganz besonders der kleinen kranken Kinder an.

Dass das neue Jahr Dir die völlige Genesung und die ersehnte Heimkehr zu den lieben Angehörigen bringen möge, das wünscht dir von Herzen Namens des Sektionsvorstandes:

Der Präsident

Ein Bruder lebenslänglich

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