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3. Die Fragen der philosophischen Ästhetik

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Die Frage nach der Existenz ästhetischer Eigenschaften

Wir haben nun also eine Antwort auf die Frage gegeben, mit welchen Gegenständen sich die philosophische Ästhetik beschäftigt. Die Frage, welche Fragen die Ästhetik in Bezug auf diese Gegenstände stellt und zu beantworten sucht, lässt sich nicht in derart konziser Form beantworten. Aber ein paar Hinweise können gegeben werden bzw. wurden teilweise bereits gegeben. In Bezug auf ästhetische Eigenschaften geht es unter anderem um folgende Fragen: Gibt es (echte) ästhetische Eigenschaften überhaupt, oder lassen sich vermeintliche ästhetische Eigenschaften auf andere, nicht-ästhetische Eigenschaften zurückführen? Wenn es ästhetische Eigenschaften gibt, welche gibt es? In welchen Beziehungen stehen sie zueinander und zu nicht-ästhetischen Eigenschaften?

Der Begriff der Schönheit ist einer der zentralen Begriffe der Ästhetik. Von der Antike an haben sich Philosophen die Frage gestellt, was Schönheit ist. Diese Frage kann in der folgenden Weise verstanden werden: Was meinen wir eigentlich damit, wenn wir von einem Gegenstand sagen, dass er schön ist? Wollen wir damit dem Gegenstand eine Eigenschaft zusprechen (so, wie wenn wir sagen, dass ein Gegenstand rot oder zwei Meter hoch ist), oder wollen wir damit nur sagen, dass uns der Gegenstand gefällt? Das ist nicht dasselbe. Im ersten Fall sprechen wir nur von dem Gegenstand unserer Betrachtung und wir charakterisieren ihn, indem wir ihn beschreiben. Im zweiten Fall sprechen wir von dem Gegenstand der Betrachtung und von uns selbst, und wir beschreiben den Gegenstand nicht eigentlich, sondern charakterisieren ihn nur durch seine Beziehung zu uns, indem wir sagen, dass er auf uns in einer ganz bestimmten Weise wirkt.

Die Frage nach der Gültigkeit ästhetischer Urteile

Mit dem Problem der ästhetischen Eigenschaften hängt eng zusammen die Frage nach der Gültigkeit und der Bedeutung ästhetischer Urteile, insbesondere ästhetischer Werturteile. Ein ästhetisches Werturteil ist ein Urteil, mit dem einem Gegenstand ein ästhetisches Wertprädikat zugesprochen wird. „Schön“ ist ein ästhetisches Wertprädikat. Ein Urteil der Form „x ist schön“, zum Beispiel „Dieses Bild ist schön“, ist also ein ästhetisches Werturteil. Hier lauten die wichtigsten Fragen: Wie ist ein Urteil der Form „x ist schön“ zu interpretieren? Handelt es sich um ein echtes Werturteil oder nur um den Ausdruck eines Gefühls? Wenn es sich um ein echtes Werturteil handelt, kann es dann wahr sein? Wenn es wahr sein kann, wie kann man erkennen, ob es wahr ist oder nicht?

Angenommen, zwei Personen A und B sprechen über ein neues Bauwerk x. A sagt, dass x schön ist, B bestreitet das. Es hat den Anschein, dass hier eine Meinungsverschiedenheit zwischen A und B besteht. Aber wenn „x ist schön“ so viel heißt wie „x gefällt mir“, dann kann zwischen A und B keine Meinungsverschiedenheit bestehen, denn, wie eine bekannte Redewendung sagt: Über Geschmack lässt sich nicht streiten.

Wenn aber „x ist schön“ sich nicht reduzieren lässt auf „x gefällt mir“, dann stellt sich die Frage, was für eine Eigenschaft die Schönheit ist. Das Merkwürdige an der Schönheit ist nämlich Folgendes: Einerseits scheint Schönheit etwas zu sein, das man wahrnimmt, falls es vorhanden ist. Schönheit erkennt man nicht, indem man Schlüsse zieht. Jemand, der urteilt, dass ein bestimmtes Bauwerk schön ist, ist zu diesem Urteil nicht durch Schlussfolgerungen gekommen, etwa in der Art: „Das Bauwerk besteht aus Granit, Beton, Stahl und Glas, Teile der Fassade sind blau lackiert …. (und so fort), … und daraus folgt: Es ist schön.“ Ebenso wenig kommt man auf diesem Weg zu dem Urteil, dass das Bauwerk nicht schön ist. Jedenfalls wäre dieses Verfahren sehr unzuverlässig, und wir gehen normalerweise auch nicht so vor. Zu ästhetischen Urteilen über Bauwerke, Skulpturen, Gemälde etc. gelangen wir normalerweise, indem wir diese Dinge anschauen.

Aber hier liegt ein Problem. Angenommen, A und B sind beide normalsichtig und mental gesund und haben x unter denselben äußeren Bedingungen angeschaut: Wie lässt sich dann erklären, dass sie in Bezug auf die Schönheit von x nicht übereinstimmend urteilen? Diese Fragen sind ganz zentral in der Ästhetik, und wir werden uns mit ihnen in Kapitel III dieses Buchs auseinandersetzen.

In Bezug auf ästhetische Gegenstände ist zunächst zu klären, welche Gegenstände überhaupt ästhetische Gegenstände (also Träger ästhetischer Eigenschaften) sein können: Sind es die materiellen Gegenstände, die wir sehen und angreifen können, oder sind es Gebilde unseres Bewusstseins? In engem Zusammenhang damit steht die Frage, wie ästhetische Gegenstände entstehen. Insofern Kunstwerke ästhetische Gegenstände sind, gehört die Theorie der Kunst mit allen ihren allgemeinen und auch spezielleren Fragen ebenfalls zur Theorie der ästhetischen Gegenstände im weiteren Sinn. In diesem Buch wird die allgemeine Frage nach der Natur ästhetischer Gegenstände in Kapitel III behandelt werden. Die Kapitel IV und V widmen sich verschiedenen Problembereichen der Theorie der Kunst.

Die Frage nach dem Wesen ästhetischer Erfahrung

Was die ästhetische Erfahrung betrifft, geht es vor allem um Klärung der Frage: Was macht das Wesen eines ästhetischen Erlebnisses aus? Mit anderen Worten: Was unterscheidet ästhetische Erlebnisse von nicht-ästhetischen Erlebnissen? „Nicht-ästhetische“ Erlebnisse sind hier nicht zu verwechseln mit „unästhetischen“ Erlebnissen! Wer etwas als „unästhetisch“, also als „unschön“ empfindet, hat ein ästhetisches Erlebnis. Aber was macht den Unterschied zwischen ästhetischen und nicht-ästhetischen Erlebnissen eigentlich aus? Was ist das Charakteristische eines ästhetischen Erlebnisses? Gibt es so etwas wie eine besondere „ästhetische Einstellung“? Wenn ja, worin besteht diese?

Es gibt viele verschiedene Arten von Erlebnissen, und nicht alle davon sind ästhetische Erlebnisse. Denken Sie zum Beispiel an die berühmten Fernsehbilder des Anschlags vom 11. September. Diese Bilder hatten auf die meisten Leute, die sie gesehen haben, eine starke psychologische Wirkung. Viele berichteten, sie hätten mit Entsetzen oder mit Angst darauf reagiert – oder auch mit Ungläubigkeit oder Verwirrung, Wut, Hass oder Ohnmachtgefühlen, oder alles zusammen. Diese Erlebnisse sind keine ästhetischen Erlebnisse. Manche berichteten aber auch, dass diese Bilder auf sie ästhetisch gewirkt hätten. Der deutsche Komponist Karlheinz Stockhausen äußerte etwa in einer Pressekonferenz, dass der Anschlag auf das World Trade Center ein Kunstwerk gewesen sei. (Stockhausens Äußerung wurde unter anderem in der Welt vom 18.9.2001 zitiert.) Er musste dafür sehr viel Kritik einstecken, vor allem moralische Kritik. Hier soll es aber nicht um eine Moraldiskussion gehen, und auch nicht darum, ob Stockhausen Recht hatte oder nicht. Vielmehr soll Stockhausens Äußerung als ein Indiz dafür genommen werden, dass die Bilder des Anschlags auf ihn eine ästhetische Wirkung hatten. Der philosophisch interessante Punkt ist: Wir haben Bekanntschaft mit ästhetischen Erlebnissen; und wir können ästhetische Erlebnisse von nicht-ästhetischen Erlebnissen unterscheiden. Aber worin besteht der Unterschied genau? Das ist eine Frage, die im Zentrum der philosophischen Ästhetik steht.

Einführung in die philosophische Ästhetik

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