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4. Die Methoden der philosophischen Ästhetik

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So viel also zu den Fragen, mit welchen Gegenständen die philosophische Ästhetik sich beschäftigt und welche Fragen sie zu beantworten versucht. Es bleibt noch die dritte Frage zu beantworten: Mit welchen Methoden versucht die philosophische Ästhetik, ihre Fragen zu beantworten?

Philosophische und nicht-philosophische Ästhetik

Um das zu klären, ist es sinnvoll, die philosophische Ästhetik mit anderen Arten der Ästhetik zu vergleichen. Wie bereits erwähnt gibt es Ästhetik nicht nur in der Philosophie, sondern auch in anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Was die Gegenstände betrifft, unterscheiden sich diese kaum von der philosophischen Ästhetik. Die Unterschiede liegen eher in den Fragestellungen und, damit zusammenhängend, in den Methoden.

Der Begriff der Ästhetik im Allgemeinen ist noch viel weiter und auch unschärfer als der Begriff der philosophischen Ästhetik. Mit Ästhetik (im weiteren Sinn) beschäftigen sich außer Philosophinnen noch Psychologen, Soziologinnen, Musikwissenschaftler, Literaturwissenschaftlerinnen, Kunsthistoriker, Kunstkritikerinnen und nicht zuletzt auch Künstler, sofern sie Kunst nicht nur produzieren, sondern über ihre Arbeit auch reflektieren.

Philosophische Ästhetik ist allgemein und nicht-empirisch

In einem ersten Schritt kann philosophische Ästhetik wie folgt charakterisiert werden: Philosophische Ästhetik ist eine allgemeine und eine nicht-empirische Ästhetik. Sie ist also von speziellen und empirischen Ästhetiken zu unterscheiden. Unter einer „speziellen Ästhetik“ kann man zweierlei verstehen: Einerseits kann damit die Ästhetik einer bestimmten Art von Gegenständen bzw. Kunstwerken gemeint sein, zum Beispiel: Musikästhetik, Literaturästhetik, Gartenästhetik, Ästhetik des Wohnens, der Kleidung, und so fort. Andererseits kann mit „spezieller Ästhetik“ aber auch eine ästhetische Beschäftigung mit einzelnen Gegenständen gemeint sein, also zum Beispiel eine Analyse und Kritik eines bestimmten Films, eines bestimmten Gemäldes, eines bestimmten Romans, und so fort. Bei dieser Art von spezieller Ästhetik geht es darum, einzelne Kunstwerke zu beschreiben und zu bewerten und, vor allem, die gemachten Werturteile zu begründen – oft mit der Absicht, die Leser dazu zu bringen, die Richtigkeit eines Werturteils einzusehen.

Wenn wir zwei Bedeutungen von „spezieller Ästhetik“ unterscheiden können, dann können wir auch zwei Bedeutungen von „allgemeiner Ästhetik“ unterscheiden. Einerseits kann eine Ästhetik allgemein sein in dem Sinn, dass sie sich nicht ausschließlich mit Gegenständen einer bestimmten Art beschäftigt (also nicht nur Kunstästhetik, Literaturästhetik etc. ist). Andererseits kann eine Ästhetik allgemein sein in dem Sinn, dass sie sich nicht der Analyse und Kritik einzelner Kunstwerke (oder anderer ästhetischer Gegenstände) widmet.

Philosophische Ästhetik ist tendenziell allgemein in beiden Bedeutungen von „allgemein“, obwohl es auch philosophische Musikästhetik, Literaturästhetik, und so fort, gibt; insbesondere aber ist sie allgemein im zweiten Sinn. Das heißt: Es ist nicht Aufgabe der philosophischen Ästhetik, einzelne Kunstwerke oder andere ästhetische Gegenstände zu analysieren und zu bewerten. Daraus ergibt sich bereits, worum es in dem vorliegenden Buch nicht geht: Es geht nicht um eine Analyse und Kritik einzelner Kunstwerke. Es werden also keine Werturteile über Kunstwerke gemacht (außer vielleicht im Kontext eines Beispiels, aber in diesem Fall ist nicht intendiert, die Leserinnen dazu zu bringen, das betreffende Werturteil zu akzeptieren).

Philosophische Ästhetik und Kunstkritik

Es sollte freilich nicht verschwiegen werden, dass manche philosophischen Ästhetiker es sehr wohl als ihre Aufgabe sehen, konkrete Werturteile über einzelne Kunstwerke aufzustellen und zu begründen. Werturteile über Kunstwerke abzugeben und zu begründen, ist Aufgabe der Kunstkritik. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, sei gesagt: Unter „Kunstkritik“ ist hier nicht das zu verstehen, was sich oft in Tageszeitungen auf den Kinoseiten findet, nämlich eine oberflächliche Beschreibung (etwa der Handlung eines Films) plus einer oftmals nicht näher begründeten Wertung (etwa der Leistungen der Schauspielerinnen oder des Regisseurs). Kunstkritik im hier gemeinten Sinn ist ein anspruchsvolleres Unterfangen. Kunstkritik im hier gemeinten Sinn dient nicht nur der Entscheidungshilfe für potentielle Konzert-, Kinooder Ausstellungsbesucherinnen, ob es sich lohnt, Zeit und Geld zu investieren, um etwa eine bestimmte Inszenierung zu sehen, sondern soll zu einem vertieften Verständnis eines Werks (oder auch einer bestimmten Inszenierung/Aufführung eines Werks) führen. Kunstkritik dieser Art schließt meist (wenn auch nicht notwendigerweise) ästhetische Werturteile ein, aber im Allgemeinen finden wir für diese Werturteile auch Gründe angeführt. Denn die bloße Feststellung, dass etwa eine Inszenierung gut oder schlecht ist, verhilft uns zu keinem vertieften Verständnis. Zu einem vertieften Verständnis kann es aber führen, wenn auch gesagt wird, warum eine bestimmte Inszenierung gut oder schlecht ist. Die Lektüre einer solchen Kunstkritik kann sogar dann zu einem vertieften Verständnis des besprochenen Werks führen, wenn man mit den Werturteilen der Kritikerin nicht übereinstimmt.

Kunstphilosophie ist nicht Kunstkritik

Es ist selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass ein und derselbe Mensch Philosoph und Kunstkritiker in Personalunion ist (und in der Tat gibt es dafür prominente Beispiele). Es ist natürlich auch möglich, dass ein und dieselbe Person sowohl gute Kunstphilosophie als auch gute Kunstkritik macht. Das ändert aber nichts daran, dass die Aufgaben und Methoden der Kunstphilosophie von den Aufgaben und Methoden der Kunstkritik verschieden sind. Damit zusammenhängend kann ein Verfahren, das in der Kunstkritik sehr erfolgreich ist, in der Philosophie völlig unangemessen sein, und umgekehrt. Eine der wichtigsten Aufgaben von Kunstkritikerinnen ist es, Rezipienten für die ästhetischen Qualitäten eines Werks zu sensibilisieren, hinzuweisen auf relevante Merkmale, die ungeübten oder nicht hinreichend informierten Rezipienten entgehen könnten. Man könnte auch sagen: Die Funktion (oder jedenfalls eine der wichtigen Funktionen) von Kunstkritik besteht darin, uns zu lehren, Kunstwerke wahrzunehmen. Umdas zu erreichen, ist es sehr oft zielführend, eine Detailanalyse des betreffenden Werks zu geben. Selten oder gar nie wird ein (guter) Kunstkritiker ein Werturteil durch Ableitung aus einem allgemeinen Prinzip begründen, nach dem Schema: „Dieses Werk hat die Eigenschaft F. Jedes Werk, das die Eigenschaft F hat, ist schön. Also ist dieses Werk schön.“ Vielmehr wird ein Kunstkritiker typischerweise auf bestimmte Qualitäten des Werks hinweisen, hoffend, uns durch diese Lenkung unserer Aufmerksamkeit dazu zu bringen, dass wir selber bemerken, dass das betreffende Werk schön ist.

Dagegen geht es in der Philosophie typischerweise um allgemeine Prinzipien und ihre Begründung, nicht so sehr um spezielle Einzelfälle. Wenn die Aufgaben und Methoden von Kunstkritik und Philosophie miteinander vermischt werden, dann besteht die Gefahr, dass das Resultat entweder schlechte Philosophie oder schlechte Kunstkritik ist, im schlimmsten Fall beides. Das kann zum Beispiel so aussehen, dass ein Philosoph seine persönlichen ästhetischen Vorlieben zu ästhetischen Prinzipien verallgemeinert und dann diese Prinzipien zur Begründung von Werturteilen über bestimmte Kunstwerke heranzieht. Ein solches Verfahren ist natürlich weder von einem philosophischen noch von einem kunstkritischen Standpunkt befriedigend. Wer die ästhetischen Vorlieben dieses Philosophen nicht teilt, wird seine ästhetischen Prinzipien von vorne herein nicht plausibel finden; und wer die ästhetischen Prinzipien nicht plausibel findet, wird die konkreten ästhetischen Werturteile für schlecht begründet halten.

Ich bleibe daher dabei, dass philosophische Ästhetik allgemeine Ästhetik (im zweiten Sinn) ist. Das heißt: Es geht nicht um das Verteidigen konkreter ästhetischer Werturteile über einzelne Gegenstände, sondern, unter anderem, eher um Fragen die die Natur ästhetischer Werturteile betreffen, zum Beispiel: Was ist eigentlich die Bedeutung eines ästhetischen Werturteils? Was meinen wir genau damit, wenn wir zum Beispiel sagen, dass ein Gegenstand schön ist? Was ist der „logische Status“ ästhetischer Werturteile? Mit anderen Worten: Sind ästhetische Werturteile Behauptungen über objektiv vorhandene Qualitäten, oder sind sie bloß Ausdruck der Befindlichkeit der Sprecherinnen, oder sind sie eher Empfehlungen, einen Gegenstand auf eine bestimmte Weise wahrzunehmen? Wenn ästhetische Werturteile Behauptungen sind, lassen sie sich begründen? Wenn ja, wie? Gibt es überhaupt ästhetische Eigenschaften als objektive Eigenschaften in den Dingen? Wenn ja, in welcher Beziehung stehen sie zu nicht-ästhetischen Eigenschaften? Wenn es ästhetische Eigenschaften gibt, welche Gegenstände sind die Träger dieser Eigenschaften?

Diese Fragen betreffen die Grundlagen der speziellen Ästhetik. Man könnte auch sagen: Eine Ästhetik, die sich mit solchen Fragen beschäftigt, hat eigentlich die spezielle Ästhetik zum Gegenstand. Denn es geht ja darum zu verstehen, was wir tun, wenn wir spezielle Ästhetik treiben, und wie wir es tun. Deshalb wird diese Art von allgemeiner Ästhetik manchmal auch als „Meta-Ästhetik“ bezeichnet. Meta-Ästhetik ist eine Disziplin, die sich der Reflexion über die spezielle Ästhetik widmet. Ich bleibe aber bei dem kompakten und allgemein üblichen Terminus „Ästhetik“ zur Bezeichnung dessen, wovon in diesem Band gehandelt wird.

Empirische Ästhetik

Philosophische Ästhetik ist also zu unterscheiden von spezieller Ästhetik bzw. speziellen Ästhetiken. Philosophische Ästhetik ist aber außerdem zu unterscheiden von empirischer Ästhetik. Unter einer empirischen Wissenschaft verstehe ich eine Wissenschaft, deren Fragen grundsätzlich durch Beobachtung und Experiment zu entscheiden sind. Zur empirischen Ästhetik gehören die psychologische Ästhetik und die soziologische Ästhetik. Zur psychologischen Ästhetik gehören zum Beispiel Untersuchungen darüber, mit welchen Gefühlen Menschen auf bestimmte ästhetisch relevante Merkmale reagieren. Zum Beispiel können Psychologen ihren Versuchspersonen bestimmte Farbkombinationen oder Zeichnungen vorlegen, und die Versuchspersonen sollen ihnen mitteilen, ob sie die vorgelegten Muster schön finden oder nicht. Ästhetik kann auch darin bestehen, dass man versucht herauszufinden, warum ein bestimmter Gegenstand die ästhetische Wirkung hat, die er hat: Was macht es zum Beispiel aus, dass eine bestimmte Tonfolge harmonisch oder disharmonisch, aufregend oder langweilig erlebt wird? Mit welchen formalen Mitteln werden die betreffenden ästhetischen Erlebnisse hervorgerufen? Man kann versuchen, dafür psychologische Gesetzmäßigkeiten zu finden. Derartiges gehört nicht zur philosophischen Ästhetik.

Zur soziologischen Ästhetik gehören zum Beispiel empirische Untersuchungen über die Beziehungen zwischen Kunst und Gesellschaft. Eine Soziologin kann etwa die Struktur und die Mechanismen des Kunstbetriebes untersuchen, oder es kann untersucht werden, welche Zusammenhänge bestehen zwischen Bildungsgrad, Beruf, Wohnort und ästhetischen Interessen und Vorlieben. Auch das sind keine Fragestellungen der philosophischen Ästhetik.

Philosophische Ästhetik und Erfahrung

In diesem Buch geht es, wie zu Anfang gesagt, ausschließlich um philosophische Ästhetik. Dass ich die philosophische Ästhetik ausdrücklich von empirischen Ästhetiken unterscheide, könnte Anlass zu einem Missverständnis geben. Dieses mögliche Missverständnis rührt daher, dass das (aus dem Griechischen stammende) Wort „Empirie“ so viel wie „Erfahrung“ bedeutet, weshalb die empirischen Wissenschaften oft auch als „Erfahrungswissenschaften“ bezeichnet werden. Das könnte suggerieren, dass eine nicht-empirische Wissenschaft völlig losgelöst von jeder Erfahrung ist. Das aber ist keineswegs gemeint, wenn ich sage, dass die philosophische Ästhetik keine empirische Wissenschaft ist. Tatsächlich spielt Erfahrung (insbesondere ästhetische Erfahrung) in der philosophischen Ästhetik eine wichtige Rolle. Ohne ästhetische Erfahrung gäbe es wahrscheinlich keine philosophische Ästhetik, weil die ästhetische Erfahrung der vielleicht wichtigste Gegenstand der philosophischen Ästhetik ist. Ein Wesen, das keine ästhetischen Erlebnisse kennt, könnte mit philosophischer Ästhetik wahrscheinlich kaum mehr anfangen als ein von Geburt an Blinder mit einer Farbenlehre. Was Fragen der philosophischen Ästhetik spannend macht, ist die Tatsache, dass sie letztlich darauf abzielen, dass wir eine bestimmte Art von Erlebnissen besser verstehen – Erlebnisse, die unserem Leben eine ganz spezielle Qualität verleihen, egal, ob wir uns dessen bewusst sind oder nicht.

Aber die philosophische Ästhetik ist nicht empirisch in dem Sinn, dass ihre Fragen durch Beobachtung und Experiment zu entscheiden wären; und das unterscheidet sie zum Beispiel von der psychologischen Ästhetik und von der soziologischen Ästhetik.

Es wurde gesagt, dass die psychologische Ästhetik sich unter anderem damit beschäftigt, psychologische gesetzmäßige Zusammenhänge zwischen gewissen dargebotenen Mustern einerseits und ästhetischen Erlebnissen andererseits zu finden. In dieser Formulierung der Problemstellung kommt der Begriff des „ästhetischen Erlebnisses“ vor. Das heißt, es wird vorausgesetzt, dass wir verstehen, was ein ästhetisches Erlebnis ist. In der psychologischen Ästhetik wird dieser Begriff verwendet, aber er wird nicht selber thematisiert. Anders in der philosophischen Ästhetik: Hier fragen wir uns, was eigentlich ein ästhetisches Erlebnis ist.

Es wurde auch gesagt, dass sich die soziologische Ästhetik unter anderem mit der Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft befasst. Diese Problemstellung setzt den Begriff der Kunst voraus, ohne dass der Kunstbegriff selber thematisiert wird. Wenn eine Soziologin untersuchen möchte, welche Rolle Kunst im Leben von Arbeiterinnen oder Studierenden oder Bauern spielt, dann muss sie entscheiden, welche Dinge zum Bereich der Kunst gehören und welche nicht. Davon werden ihre Untersuchungsergebnisse wesentlich abhängen. Wenn zum Beispiel die Frage ist: „Wie viel Zeit wendet die Person A im Monat für den Kunstgenuss auf?“, dann muss man entschieden haben, ob etwa Fernsehserien wie Die Schwarzwaldklinik zur Kunst zu rechnen sind oder nicht, sofern eine zum Untersuchungsbereich gehörende Person solche Serien konsumiert.

In der philosophischen Ästhetik wird der Begriff der Kunst selbst thematisiert. Wir fragen uns, was Kunst ist, was also Gegenstände, die wir „Kunstwerke“ nennen, von Gegenständen unterscheidet, die wir nicht zu den Kunstwerken zählen.

Die Methode der Begriffsanalyse

Diese Beispiele sollten klarer machen, was es bedeutet, dass die philosophische Ästhetik (wie die Philosophie überhaupt) keine empirische Wissenschaft ist. Ihre Methode ist nicht, jedenfalls nicht in erster Linie, Beobachtung und Experiment, sondern Begriffsanalyse. Keine empirische Untersuchung kann uns die Frage beantworten, was Kunst ist, oder was ein ästhetisches Erlebnis von nicht-ästhetischen Erlebnissen unterscheidet. Diese Fragen können wir nur durch Analyse der jeweiligen Begriffe klären; und das gilt für alle Fragen der philosophischen Ästhetik.

„Analyse“ bedeutet so viel wie „Zerlegung“. Zerlegen kann man nur etwas Komplexes, das heißt: etwas, an dem sich mehrere Teile unterscheiden lassen. Begriffe analysieren heißt also, Begriffe in ihre Bestandteile zu zerlegen.

Begriffe sind etwas Abstraktes. Wie kann man etwas Abstraktes zerlegen? – Begriffe sind die Bedeutungen von (allgemeinen) Ausdrücken. Zum Beispiel: Der Begriff der Kunst ist das, was das deutsche Wort „Kunst“ (und auch das englische Wort „art“, das italienische Wort „arte“ etc.) bedeutet. Die Analyse eines Begriffs geht so vor sich, dass wir die Bedeutung eines Ausdrucks durch andere Ausdrücke angeben, deren Bedeutungen in der Bedeutung des ursprünglichen Ausdrucks „enthalten“ sind. Eine Begriffsanalyse hat oft die Form einer Definition. Zum Beispiel: „Ein Kunstwerk ist ein Artefakt (also ein künstlich hergestellter Gegenstand), das keinerlei praktischen Nutzen hat.“ Analysiert wird hier der Begriff des Kunstwerks. Gemäß dieser Analyse enthält der Begriff des Kunstwerks zwei Bestandteile, nämlich einerseits die Bedeutung des Ausdrucks „Artefakt“ und andererseits die Bedeutung des Ausdrucks „ohne praktischen Nutzen“.

Definitionen in der Philosophie

An dieser Stelle möchte ich einige grundsätzliche Bemerkungen über Definitionen in der Philosophie machen, die zu einem besseren Verständnis der Methoden der philosophischen Ästhetik beitragen sollen. Es dürfte schon klar geworden sein, dass es in der philosophischen Ästhetik oft um die Suche nach Definitionen geht. In diesem Kapitel geht es um eine Definition von „Ästhetik“. In den folgenden Kapiteln werden wir unter anderem nach einer Definition der ästhetischen Erfahrung, der ästhetischen Einstellung und der Kunst suchen. Daher könnte es hilfreich sein, ganz allgemein zu erläutern, was eine Definition eigentlich ist, warum wir nach Definitionen suchen und, nicht zuletzt, welche Bedingungen eine Definition erfüllen muss, damit wir sie akzeptieren.

Philosophische Fragen haben sehr oft die Form „Was ist x?“. Das gilt auch für viele der Fragen der Ästhetik. Zum Beispiel: „Was ist Schönheit?“ „Was ist Kunst?“ „Was ist ästhetische Erfahrung?“ Fragen dieser Form können nicht immer durch Angabe von Beispielen beantwortet werden. Wer zum Beispiel die Frage „Was ist Kunst?“ dadurch zu beantworten versucht, dass er einige Kunstwerke aufzählt, hat nicht verstanden, worauf die Frage abzielt. Die Frage wäre nicht einmal durch Aufzählung aller Kunstwerke adäquat beantwortet. Philosophische Fragen der Form „Was ist x?“ verlangen oft eine Definition als Antwort. Das bedeutet freilich nicht, dass es nicht sinnvoll sein kann, nach Beispielen zu suchen. In der Tat kann etwa die Suche nach einer Definition des Kunstbegriffs damit beginnen, dass man Beispiele anführt für Gegenstände, die eindeutig Kunstwerke sind. Aber das ist nur der erste Schritt. Der nächste Schritt könnte etwa darin bestehen, dass man sich fragt, was alle diese Gegenstände gemeinsam haben. Damit kommt man einer Definition von „Kunst“ schon entscheidend näher.

Fragen, die nach einer Definition als Antwort verlangen, haben aber nicht immer die Form „Was ist x?“. Häufig haben sie auch die Form „Was heißt es zu sagen, dass …?“. Zum Beispiel könnte man anstelle von „Was ist Schönheit?“ auch fragen: „Was heißt es zu sagen, dass ein Gegenstand schön ist?“ oder „Was heißt ,x ist schön‘?“ Alle diese verschiedenen Formulierungen laufen auf dasselbe hinaus: Sie alle verlangen eine Definition als Antwort.

Entsprechend gibt es auch verschiedene sprachliche Ausdrucksformen für Definitionen. Hier sind einige Formen, die Definitionen annehmen können:

– „x ist y.“ Zum Beispiel: „Ästhetik ist die Theorie des Schönen.“

– ,„x ist F‘ heißt so viel wie ,x ist G‘.“ Zum Beispiel: ,„x ist schön‘ heißt so viel wie ,x ist angenehm für die Sinne‘.“

– „Zu sagen, dass x F ist, heißt so viel wie zu sagen, dass x G ist.“ Zum Beispiel: „Zu sagen, dass x ein Kunstwerk ist, heißt so viel wie zu sagen, dass x allgemein als Kunstwerk akzeptiert wird.“

– „x ist F genau dann, wenn p.“ Zum Beispiel: „x ist schön genau dann, wenn x angenehm für die Sinne ist.“

(Die angeführten Definitionen sollen hier nur als Beispiele dienen, nicht als Vorschläge, wie die betreffenden Begriffe tatsächlich zu definieren sind.)

Lexikalische Definitionen

Nun kann eine Definition in einer bloßen Beschreibung des faktischen Gebrauchs eines Wortes bestehen. So könnte man zum Beispiel die Frage „Was ist Kunst?“ beantworten, indem man beschreibt, wie das Wort „Kunst“ in unserer Sprache faktisch gebraucht wird. Definitionen dieser Art finden wir in Wörterbüchern und Lexika. Man nennt sie daher auch „lexikalische Definitionen“. Eine lexikalische Definition von „Kunst“ oder „Kunstwerk“ würde zutage bringen, dass diese Wörter in zahlreichen verschiedenen Bedeutungen gebraucht werden. Eine solche Definition ist interessant für einen Lexikographen, aber unbefriedigend vom Standpunkt der Philosophie. Denn die Frage „Was ist Kunst?“ zielt ja nicht darauf ab, was von den Leuten „Kunst“ genannt wird, sondern darauf, was Kunst ist. Bei der Definition mancher Wörter fällt das zusammen (was die Leute „Tisch“ nennen, ist im Allgemeinen auch ein Tisch); aber im Fall der Kunst liegen die Dinge komplizierter, unter anderem deshalb, weil die verschiedenen Kunstbedeutungen, die in Gebrauch sind, teilweise miteinander unverträglich sind, wie wir sehen werden.

Stipulative Definitionen

Eine andere Art der Definition besteht in einer bloßen, völlig willkürlichen Festsetzung. Solche Definitionen werden auch „stipulative Definitionen“ genannt. (Das aus dem Lateinischen stammende Adjektiv „stipulativ“ bedeutet so viel wie „auf Übereinkunft beruhend“.) Stipulative Definitionen können durchaus sinnvoll sein, zum Beispiel dann, wenn ein neues Wort eingeführt wird zur Bezeichnung einer Sache, für die es bisher überhaupt keine Bezeichnung gab (etwa für eine neu entdeckte oder entstandene Krankheit). Aber als Antwort auf die Frage „Was ist Kunst?“ oder „Was ist ein Kunstwerk?“ hätte eine stipulative Definition keinen Wert. Man könnte sich vorstellen, dass eine autoritäre Kulturministerin auf die Idee kommt, der lästigen Vieldeutigkeit des Wortes „Kunst“ ein Ende zu setzen durch irgendeine beliebige Festsetzung, zum Beispiel: „Kunst ist alles, was zwischen 1730 und 1825 hergestellt wurde; und nichts sonst ist Kunst.“ Die Wertlosigkeit eines solchen Verfahrens ist offenkundig. Selbst wenn jemand die Macht hätte, diesen Sprachgebrauch durchzusetzen, wäre damit nichts gewonnen – jedenfalls in keiner Weise mehr Klarheit darüber, was Kunst ist. Das aber ist unser Ziel: Wir wollen besser verstehen, was Kunst ist.

Wenn wir in der Philosophie nach Definitionen suchen, dann geht es normalerweise um Begriffe, die uns bereits mehr oder weniger vertraut sind. Mit anderen Worten: Wir haben bereits ein gewisses Vorverständnis von der Sache. Das gilt auch für Definitionen in der Ästhetik. Am Beispiel des Kunstbegriffs zeigt sich das unter anderem daran, dass wir in vielen Kontexten das Wort „Kunst“ ohne große Probleme verwenden und verstehen können. Aber wenn wir zu reflektieren beginnen, dann bemerken wir Unsicherheiten, und es erwacht das Bedürfnis, die Sache zu klären. Das ist Aufgabe einer philosophischen Definition.

Explikationen

Für das philosophische Unternehmen der Definition des Kunstbegriffs bedeutet das: Die Definition darf nicht bloß den herrschenden Sprachgebrauch beschreiben; sie darf aber andererseits auch nicht den herrschenden Sprachgebrauch völlig ignorieren. Sie sollte so sein, dass sie den Kern des herrschenden Sprachgebrauchs unversehrt bestehen lässt, aber zugleich den Begriff weniger vage und vieldeutig macht. Die Definition, nach der wir suchen, ist also sozusagen ein Mittelding zwischen einer lexikalischen und einer stipulativen Definition. Ihre Funktion besteht darin, einen bereits bekannten Begriff zu klären. Solche Definitionen werden auch „explikative (= erklärende) Definitionen“, oder kurz: „Explikationen“ genannt.

Die meisten interessanten Definitionen in der Philosophie sind Explikationen. Das gilt auch für die Definitionen in der Ästhetik, also zum Beispiel für die Definitionen von Kunst, Schönheit und ästhetischer Erfahrung, aber auch für die Definition von Ästhetik selbst. Das heißt: Eine adäquate Definition der Ästhetik sollte so sein, dass sie alles (oder jedenfalls einen großen Teil dessen) einschließt, was bisher allgemein unter „Ästhetik“ verstanden wurde. Eine Definition, die diese Bedingung nicht erfüllt, wäre zu eng. Zum Beispiel wäre eine Definition von „Ästhetik“, der gemäß die Theorie der Kunst nicht mehr zur Ästhetik gehört, zweifellos zu eng. Andererseits sollte sie so sein, dass sie alles (oder zumindest einen großen Teil dessen) ausschließt, was bisher von den meisten kompetenten Sprechern nicht unter „Ästhetik“ verstanden wurde. Eine Definition, die diese Bedingung nicht erfüllt, wäre zu weit. So wäre etwa eine Definition von „Ästhetik“, der gemäß beispielsweise technische Chemie zur Ästhetik gehört, eindeutig zu weit.

Adäquatheits-kriterienfür Definitionen

Wir verfügen also über Kriterien für die Adäquatheit von Definitionen: Eine adäquate Definition darf weder zu eng noch zu weit sein. Aber diese Kriterien sind selber reichlich vage. Was für eine kompetente Person noch eindeutig zur Ästhetik gehört, mag für eine andere eindeutig nicht mehr zur Ästhetik gehören; was für den einen eindeutig ein Kunstwerk ist, ist für den anderen eindeutig keines. Daher können verschiedene Personen auch verschiedene Definitionen ein und desselben Begriffs für adäquat halten. Darüber hinaus ist Adäquatheit eine Angelegenheit von Graden. Das heißt: Wir können nicht einfach sagen: Eine Definition ist vollkommen adäquat oder vollkommen inadäquat. Von verschiedenen adäquaten Definitionen kann eine adäquater sein als die andere. Entscheiden wird man sich natürlich für diejenige, die man für die adäquateste hält. Aber Entscheidungen dieser Art beruhen oft auf komplizierten Abwägungsprozessen, in denen wir uns zum Teil auf unser individuelles Vorverständnis eines Begriffs stützen müssen.

Der Umgang mit konkurrierenden Definitionen

Mehrere der Diskussionen in diesem Buch illustrieren diesen Punkt sehr gut. Es soll hier nicht allzu viel davon vorweggenommen werden. Aber nehmen wir zum Beispiel an, es stünden zwei konkurrierende Definitionen von „Kunst“ bzw. „Kunstwerk“ zur Debatte: Keine von beiden ist vollkommen inadäquat. Das heißt: Beide decken im Großen und Ganzen das ab, was allgemein unter „Kunst“ bzw. „Kunstwerk“ verstanden wird, und beide schließen das meiste von demjenigen aus, was allgemein nicht als Kunst betrachtet wird. Metaphorisch gesprochen können wir sagen: Beide Definitionen decken sich mit dem Kern des alltäglichen (vortheoretischen) Kunstbegriffs und können daher Anspruch auf Adäquatheit erheben. Nehmen wir weiter an, die Definition D1 schließt manche Gegenstände ein, deren Kunststatus umstritten ist. Weiter angenommen, wir gelangen von D1 zu einer engeren Definition D2, indem wir durch Hinzufügung weiterer Bedingungen die betreffenden umstrittenen Gegenstände ausschließen können. Ist nun D2 adäquater als D1? – Nicht notwendigerweise. Denn es kann sein, dass wir die umstrittenen Gegenstände, die D1 einschließt, nur ausschließen können um den Preis des Ausschlusses anderer Gegenstände, die wir eigentlich nicht ausschließen wollen. Wie sollen wir dann entscheiden?

Man könnte sich der Entscheidung überhaupt enthalten, und sich damit begnügen, die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzeigen. Das ist ein legitimer, wenn auch nicht gänzlich befriedigender Weg. Wenn man der Entscheidung aber nicht aus dem Weg gehen will, dann wird man jene Definition wählen, die am wenigsten vom individuellen vortheoretischen Verständnis abweicht. Das „vortheoretische Verständnis“ ist das Verständnis von einer Sache, das wir haben, bevor wir angefangen haben, darüber systematisch nachzudenken. Anstatt von einem „vortheoretischen Verständnis“ ist in der Philosophie auch oft von „Intuitionen“ die Rede. Wir sagen zum Beispiel, dass eine Hypothese oder eine Konklusion „intuitiv plausibel“ ist, wenn sie im Wesentlichen mit unserem vortheoretischen Verständnis übereinstimmt; und wir sagen, dass eine Annahme oder eine Konklusion „kontraintuitiv“ ist, wenn sie mit unserem vortheoretischen Verständnis von einer Sache konfligiert. Um möglichen Missverständnissen vorzubeugen, sei darauf hingewiesen, dass der Ausdruck „Intuition“ manchmal auch in einem anderen Sinn gebraucht wird, etwa im Sinn von „plötzlicher Einfall“ oder „unbegründete Überzeugung“. Das ist hier mit „Intuition“ nicht gemeint. Die Intuitionen, von denen hier die Rede ist, kommen weder plötzlich noch sind sie unbegründet, wenngleich wir oft zunächst nur ein implizites Wissen von den Gründen haben. Das heißt: Es kann sein, dass wir erst nach längerem Nachdenken in der Lage sind, die Gründe anzugeben.

Warum Definitionen Erkenntniswert haben können

Wir können also sagen: Eine Philosophin wird sich für diejenige Definition von „Kunstwerk“ entscheiden, die am ehesten ihren Intuitionen darüber, was ein Kunstwerk ist und was nicht, entspricht. Das wirft allerdings einen ernsten Verdacht auf, nämlich den, dass eine Definition letztlich nur ein Explizitmachen schon im vortheoretischen Zustand vorhandener Intuitionen ist. Wäre dem so, wäre der Erkenntnisgewinn in der Tat bescheiden. Er bestünde lediglich darin, dass man sich bewusst macht, wie man zum Beispiel das Wort „Kunst“ schon immer verstanden hat. Wir würden damit in keiner Weise etwas darüber lernen, was Kunst ist. Aber tatsächlich besteht eine philosophische Begriffsexplikation nicht nur darin, vortheoretische Intuitionen explizit zu machen, und zwar aus zwei Gründen: Erstens kann sich niemand allein auf sein individuelles Verständnis, seine persönlichen Intuitionen stützen. Man muss auch das vortheoretische Verständnis anderer Personen berücksichtigen, insbesondere solcher Personen, die auf dem betreffenden Gebiet als besonders kompetent gelten. Zweitens ist das Suchen nach einer Definition ein Prozess, in dessen Verlauf sich Intuitionen ändern können. Es ist durchaus möglich, dass ein Philosoph am Beginn einer Suche nach einer Definition manches kontraintuitiv findet, was ihm später nicht mehr so erscheint, und dass er umgekehrt am Anfang manches intuitiv plausibel findet, was ihm später kontraintuitiv erscheint.

Definitionen sind Vorschläge

Wie gesagt, konkrete Beispiele für Probleme dieser Art kommen in diesem Buch in großer Fülle vor. Für den Augenblick können wir daraus einige allgemeine Lehren ziehen, die für ein tieferes Verständnis des Folgenden sehr wichtig sind: Explikative Definitionen sind nicht wahr oder falsch, sondern mehr oder weniger adäquat bzw. inadäquat. Man sollte sie daher nicht als Behauptungen auffassen, sondern eher als Vorschläge. Wenn man, aufgrund neuer Überlegungen, eine Definition aufgibt und durch eine andere ersetzt, bedeutet das nicht, dass die alte Definition wertlos war. Auch eine Definition, die man aus guten Gründen nicht akzeptiert, kann wertvolle Einsichten enthalten.

Das Ziel einer Definition ist nicht (jedenfalls nicht in erster Linie) die Reglementierung des Sprachgebrauchs. Das heißt: Es geht nicht darum, anderen Leuten vorzuschreiben, wie sie das Wort „Ästhetik“ oder das Wort „Kunst“ oder andere Ausdrücke gebrauchen sollen. Wie wir unsere Wörter gebrauchen, ist letztlich eine Sache der Übereinkunft der Mitglieder einer Sprachgemeinschaft – obwohl man manchmal schon argumentieren kann, dass ein bestimmter Wortgebrauch zweckmäßiger ist als ein anderer. In erster Linie geht es aber darum, etwas über die Sache selber zu lernen. Ein wenig altmodisch ausgedrückt könnte man auch sagen: Es geht um das Wesen der Dinge. Definitionen sind Versuche, in möglichst präziser Weise zu formulieren, was das Wesen einer Sache ist.

Wenden wir uns noch einmal der vorgeschlagenen Definition von Ästhetik als Theorie der ästhetischen Eigenschaften, der ästhetischen Gegenstände und der ästhetischen Erfahrung zu. Wir können jetzt sehen, dass diese Definition die oben formulierten Adäquatheitskriterien gut erfüllt: Sie schließt große Bereiche dessen ein, was in der Tradition unter „Ästhetik“ verstanden wurde. Sie schließt darüber hinaus alle jene Gegenstände ein, von denen wir gesehen haben, dass sie von traditionellen Definitionen zu Unrecht ausgeschlossen wurden, zum Beispiel die ästhetische Eigenschaft der Hässlichkeit, ästhetische Gegenstände, die keine Kunstwerke sind und ästhetische Erlebnisse, die keine sinnlichen Wahrnehmungserlebnisse sind. Wir haben daher guten Grund zu der Annahme, dass die vorgeschlagene Definition nicht zu eng ist und damit zumindest ein Kriterium der Adäquatheit erfüllt. Wir haben aber auch guten Grund zu der Annahme, dass die vorgeschlagene Definition nicht zu weit ist und daher auch das zweite Kriterium der Adäquatheit erfüllt. Es ist intuitiv plausibel, dass zum Gegenstandsbereich der Ästhetik sowohl ästhetische Eigenschaften als auch ästhetische Gegenstände als auch ästhetische Erlebnisse gehören.

Einführung in die philosophische Ästhetik

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