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1. Auf der Suche nach einer Definition der philosophischen Ästhetik

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Dieses Buch soll in die philosophische Ästhetik einführen. Aber was ist das überhaupt: philosophische Ästhetik? – Die philosophische Ästhetik ist, wie die Bezeichnung ja schon sagt, eine Disziplin der Philosophie, neben Erkenntnistheorie, Ontologie, Ethik und anderen.

Es gibt auch Ästhetik außerhalb der Philosophie. Philosophische Ästhetik und nicht-philosophische Ästhetiken unterscheiden sich weniger durch ihre Gegenstände als vielmehr durch ihre Methoden. Von den Methoden der philosophischen Ästhetik wird weiter unten die Rede sein, und in diesem Zusammenhang wird auch der Unterschied zwischen philosophischer Ästhetik und nicht-philosophischen Ästhetiken erörtert werden. Grundsätzlich gilt hier und durch das ganze Buch hindurch: Wenn nicht ausdrücklich anders angegeben ist mit „Ästhetik“ stets philosophische Ästhetik gemeint.

Die Herkunft des Terminus „Ästhetik“

Der Terminus „Ästhetik“ wurde im 18. Jahrhundert als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin eingeführt, und zwar von Alexander Gottlieb Baumgarten. Baumgarten veröffentlichte 1750 ein Werk mit dem Titel Aesthetica, und er definierte darin die Ästhetik als die „Wissenschaft von der sinnlichen Erkenntnis“. Der Terminus „Ästhetik“ ist abgeleitet aus dem griechischen „aisthesis“, was so viel bedeutet wie „sinnliche Wahrnehmung“. Mit „sinnlicher Erkenntnis“ meinte Baumgarten nichts anderes als Erkenntnis durch die Sinne, also Erkenntnis durch sinnliche Wahrnehmung.

Baumgarten wird manchmal als der Begründer der philosophischen Ästhetik betrachtet. Tatsächlich finden wir aber Gedanken, die inhaltlich der Ästhetik zuzurechnen sind, schon wesentlich früher, nämlich bereits in der antiken Philosophie, bei Platon und Aristoteles.

Wollte man die Ästhetik mit einem ästhetischen Prädikat charakterisieren, so könnte man sagen: Sie ist eine ziemlich unordentliche Disziplin. Betrachtet man das, was bisher in der Philosophie unter dem Titel „Ästhetik“ behandelt wurde (oder in der Geschichte der Philosophie im Nachhinein darunter subsumiert wurde), gelangt man rasch zu dem Eindruck, dass die Ästhetik keine geschlossene Disziplin ist. Es gab und gibt unterschiedliche und zum Teil inkompatible Auffassungen darüber, was der Gegenstandsbereich der philosophischen Ästhetik sei und welche Aufgaben sie zu erfüllen habe.

Auch andere philosophische Disziplinen sind weit verzweigt und nicht immer sehr scharf voneinander abgegrenzt. Aber für die meisten philosophischen Disziplinen gibt es so etwas wie ein von allen (oder fast allen) Vertreterinnen und Vertretern der Disziplin als solches anerkanntes Kerngebiet, das sich in wenigen Worten umreißen lässt. So kann man auf die Frage „Was ist Erkenntnistheorie“ antworten: „Erkenntnistheorie ist die Lehre vom Wesen, den Quellen und dem Umfang des Wissens“; auf die Frage „Was ist Ontologie?“ lässt sich antworten: „Ontologie ist die Lehre vom Seienden als Seiendes“; auf die Frage „Was ist Ethik?“ ließe sich etwa antworten: „Ethik ist die Theorie der Moral“. Zwar gibt es ähnlich prägnante Charakterisierungen auch für die philosophische Ästhetik, aber diese sind (zu Recht, wie wir sehen werden) wesentlich umstrittener als etwa die erwähnte Charakterisierung von Erkenntnistheorie als Lehre vomWesen, vom Umfang und von den Quellen des Wissens.

Traditionelle Definitionen der Ästhetik

Umstritten ist nicht nur Baumgartens Definition der Ästhetik als Theorie der sinnlichen Erkenntnis, sondern auch die wesentlich populärere Definition der Ästhetik als „Theorie des Schönen und der Kunst“. Warum diese Definitionen nicht adäquat sind, werde ich weiter unten begründen. Bevor das geschieht, soll erklärt werden, warum man sich überhaupt um eine Definition der philosophischen Ästhetik bemühen soll und insbesondere auch, warum die Suche nach dieser Definition am Anfang einer Einführung in die philosophische Ästhetik steht.

Als philosophische Disziplin ist die Ästhetik eine Wissenschaft. Jede Wissenschaft hat ihren Gegenstandsbereich (im weitesten Sinn), ihre speziellen Fragestellungen und ihre Methoden, durch welche sie sich von anderen Wissenschaften unterscheidet. Es liegt auf der Hand, dass jede (kompetente) Wissenschaftlerin zumindest ein implizites Wissen über den Gegenstandsbereich, die Fragestellungen und die Methoden ihrer Wissenschaft haben muss. Eine Definition der Ästhetik ist nichts anderes als ein erster Schritt dazu, dieses Wissen explizit zu machen. Eine Definition der Ästhetik sollte uns sagen, wodurch sich die Ästhetik etwa von der Erkenntnistheorie oder der Ontologie unterscheidet. Wenn wir uns auf die Suche nach einer Definition der Ästhetik begeben, reflektieren wir also darüber, was die Ästhetik von anderen philosophischen Disziplinen (bzw. anderen Wissenschaften im Allgemeinen unterscheidet), was sie als eigenständige Disziplin auszeichnet. Das Ziel einer solchen Reflexion ist nicht, am Ende eine handliche Formel zu haben. Das Ziel ist vielmehr, Klarheit darüber zu erlangen, was wir eigentlich tun, nach welcher Art von Erkenntnis wir streben, welche grundlegenden Fragen wir beantworten wollen. In der täglichen wissenschaftlichen Arbeit geht es sehr oft um ganz spezielle Fragen und ganz kleine Probleme, und man kann darüber leicht den größeren Zusammenhang aus den Augen verlieren. Reflexion über den Gegenstandsbereich, die Fragestellungen und Methoden der eigenen Disziplin helfen dabei, den großen Zusammenhang im Auge zu behalten. So viel zum grundsätzlichen Nutzen der Suche nach einer Definition für die philosophische Ästhetik.

Warum soll man aber ausgerechnet eine Einführung in die philosophische Ästhetik mit der Suche nach einer Definition der philosophischen Ästhetik beginnen? Für eine Einführung in eine philosophische Disziplin ist es freilich nicht notwendig, eine Definition der Disziplin an den Anfang zu stellen. Man könnte auch einfach damit beginnen, wichtige Probleme, Argumente und Positionen der Disziplin zu diskutieren. Wer die wichtigsten Probleme, Argumente und Positionen der philosophischen Ästhetik kennt und verstanden hat, der weiß, was philosophische Ästhetik ist; und wer nicht weiß, welche Probleme, Argumente und Positionen es in der Ästhetik gibt, der weiß auch nicht wirklich, was philosophische Ästhetik ist. In letzterem Fall hilft es wenig, eine Definition der Art „Ästhetik ist die Theorie des Schönen und der Kunst“ zu kennen.

Eine Definition lenkt den Blick auf das Wesentliche

Trotzdem ist es nützlich, eine Einführung in die philosophische Ästhetik mit der Frage zu beginnen, was philosophische Ästhetik eigentlich ist, und zwar aus folgendem Grund: Es ist, wie gesagt, die Aufgabe einer Einführung, die wichtigsten Probleme, Argumente und Positionen der Disziplin vorzustellen und zu diskutieren. Die Einschränkung auf das Wichtigste ist in diesem Zusammenhang wesentlich, und zwar aus mindestens zwei Gründen:

Erstens ist es allein aus Platzgründen unvermeidlich, eine Auswahl zu treffen. Auf dem Gebiet der Ästhetik wurde so viel nachgedacht und geschrieben, dass man nicht einmal in einem sehr dicken Buch alles erwähnen (geschweige denn erklären und kritisch diskutieren) könnte; dazu kommt, dass eine Einführung grundsätzlich nicht allzu umfangreich sein sollte, um das Durchhaltevermögen von Lesern und Leserinnen, die mit dem Gebiet noch nicht vertraut sind, nicht über Gebühr zu strapazieren.

Zweitens soll eine Einführung ja nicht nur Fachwissen vermitteln, sondern auch die Fähigkeit zur selbständigen Orientierung in dem betreffenden Gebiet. Dafür muss man aber eine Vorstellung davon haben, welche Fragen, Argumente und Positionen für eine Disziplin zentral sind und welche eher randständig. Welche Probleme, Argumente und Positionen sind aber zentral? Diese Frage lässt sich nur vor dem Hintergrund einer ganz bestimmten Auffassung darüber, was philosophische Ästhetik eigentlich ist, beantworten. Eine Ästhetikerin, die Ästhetik als Kunsttheorie auffasst, wird gewiss die Frage „Was ist Kunst?“ als eine der zentralen Fragen der Ästhetik behandeln. Für einen Kollegen, der die Auffassung vertritt, Ästhetik sei Theorie der sinnlichen Erkenntnis wird dieselbe Frage vermutlich nur untergeordnete Bedeutung haben. Jede Einführung in die philosophische Ästhetik setzt also eine gewisse Konzeption von philosophischer Ästhetik voraus.

Aber nicht alle Autorinnen und Autoren von Einführungen in die philosophische Ästhetik machen explizit, was ihrer Ansicht nach philosophische Ästhetik ist. Das heißt: Nicht alle suchen nach einer Definition der philosophischen Ästhetik. Vielfach zeigen sich die Auffassungen nur indirekt, und zwar darin, welche Fragen, Argumente und Positionen diskutiert werden.

Ich stelle die Suche nach einer Definition der philosophischen Ästhetik an den Anfang, weil ich meine Auffassung darüber, was philosophische Ästhetik ist, von Anfang an möglichst klar machen möchte. Diese Transparenz soll Ihnen, den Leserinnen und Lesern, das Verständnis des Folgenden erleichtern. Die Definition der philosophischen Ästhetik, die ich in diesem Kapitel vorschlagen werde, steckt einen Rahmen ab, der von den folgenden Kapiteln ausgefüllt werden wird. Sie sollen in die Lage versetzt werden, die Fragen, Argumente und Positionen der folgenden Kapitel in einen größeren Zusammenhang einordnen zu können. Letzteres ist in der Philosophie oft schwierig: Gerade weil im philosophischen Denken Genauigkeit sehr wichtig ist, besteht permanent die Gefahr, sich in Details zu verlieren und am Ende vielleicht eine ingeniöse Lösung für ein kleines technisches Problem gefunden zu haben, aber nicht mehr zu wissen, warum man dieses Problem eigentlich lösen wollte.

Einer Einführung in die Ästhetik liegt also stets eine Entscheidung für eine bestimmte Auffassung von Ästhetik zugrunde. Nur so kann man entscheiden, welche Fragen in einer Einführung unbedingt erörtert, welche Begriffe erklärt, welche Theorien diskutiert werden müssen.

Drei Fragen zum Wesen der Ästhetik

Aus diesem Grund ist es sinnvoll, eine Einführung mit der Frage zu beginnen, was philosophische Ästhetik eigentlich ist. Konkret sollen die folgenden drei Fragen beantwortet werden: 1. Mit welchen Gegenständen beschäftigt sich die philosophische Ästhetik? 2. Welche Fragen stellt sie in Bezug auf diese Gegenstände? 3. Mit welchen Methoden versucht sie, diese Fragen zu beantworten?

Einführung in die philosophische Ästhetik

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