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8. Kapitel

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Traurig, aber wahr

Lassen Sie uns zuerst noch einmal zurückkehren zu den eingangs von mir erwähnten jungen Seemannsfrauen.

Existieren die denn überhaupt noch?, möchte ich heute im Jahr 2012 fragen. Denn welchem jungen Mann kann man in der heutigen Zeit ruhigen Gewissens zuraten, seinen Lebensunterhalt in der christlichen Seefahrt zu verdienen? (Ist sie das überhaupt je gewesen: christlich?)

Und wo gibt es ihn überhaupt noch?

Den entsprechenden adäquaten Ausbildungsplatz für diesen wagemutigen jungen Mann? Ist es doch eine traurige Tatsache, daß immer mehr Seefahrtsschulen von der Schließung bedroht sind. Wohin dann mit den arbeitslosen Lehrern? Junge Seeleute haben kaum noch Chancen einer kontinuierlichen Berufsentwicklung. Der Arbeitsplatz auf See bietet so gut wie keine Perspektiven mehr, und aus Abenteuerlust will heute niemand mehr zur See fahren. Gesucht wird ein Job mit Zukunftsaussichten. Die aber gibt es hier nicht mehr. (Der Beruf wird für die meisten sowieso nur noch als Durchgangslösung gesehen.)

Gesetzt den Fall, jemand ließe sich weder durch gutes Zureden, durch anschauliches Schildern noch durch massive Drohungen von seinem abenteuerlichen Vorhaben abbringen?

Schicksal – so nimm denn deinen Lauf! So traurig es ist, ich könnte ihm keinen einzigen, vernünftigen Grund nennen, aus dem noch irgendjemand den aussterbenden Beruf Seemann ergreifen sollte.

Aussterbend jedenfalls, was die arg gebeutelte Gattung Deutscher Seemann betrifft. Auch wird niemand von den jungen mehr 50 Jahre seines Lebens zur See fahren – das ist wohl als Tatsache anzusehen. Nachfolgende Begriffe prägen heute das Leben unserer Männer: Einsamkeit – früher fuhren die selben Leute, fuhr die selbe Besatzung oft jahrzehntelang für eine Reederei, oft sogar auf demselben Schiff, was zwangsläufig zu einer Identifizierung sowohl mit seinem Reeder wie auch mit seinem Dampfer führte. Heute gehört ein Schiff nicht mehr einem Reeder, sondern zahlreichen Kapitalanlegern, die möglichst viel Rendite sehen wollen. Katastrophal, anders kann man die Zustände auf den Handelsschiffen nicht bezeichnen. Als besonders negativ hervorzuheben sind sie auf den sogenannten Zahnwälte-Schiffen. Schiffe also, in die hauptsächlich Zahnärzte und Anwälte ihr Geld investiert haben. Was interessieren sie die Seeleute, ohne die jedoch der Betrieb an Bord immer noch nicht funktioniert. Immer noch müssen sie als Kostenfaktor in Kauf genommen werden. Macht sich überhaupt jemand Gedanken über deren Lebensbedingungen? Gespart wird an ALLEM – wobei ich ganz persönlich das Sparen an Lebensmitteln als schlimmer empfinde als das Nichtvorhandensein von Material für die nötigsten Reparaturen.

Ich ersehe die Gesundheit unserer Männer allemal als relevanter an.

Auch bemerkens-wert der Satz aus einem Beratungsgespräch zwischen einem Fondsberater und dessen Kunden.

Das Beste, was Ihnen passieren kann, ist, wenn das Schiff untergeht, die Ladung ist ja gut versichert.“

Wissen solche Typen eigentlich WAS sie da reden? Wohl kaum. Oder etwa doch?

Ist ihnen die Anwesenheit menschlicher Wesen an Bord von Schiffen überhaupt bewußt?

Oder sollte ich fragen: Was schon spielen die Menschen für eine Rolle, die da im schlimmsten Fall mit absaufen?

Wieder einmal ein Beweis dafür welche Prioritäten in unserer heutigen Zeit gesetzt werden.

Zeit und Geld sind die beiden vorherrschenden Begriffe in der Seeschiffahrt. Von Agenturen werden multinationale Besatzungen zusammengewürfelt und für eine bestimmte Zeit an Bord eingesetzt. Diese Leute wechseln ständig, so daß es zu keinem Zusammengehörigkeitsgefühl mehr kommen kann, mittelmäßiges bis ungenießbares Essen, schlechte, kleine Kammern, eventuell Kollegen, mit denen man sich nicht versteht, Einsätze unter ständigem Streß (Zeitdruck, Terminladung, schlechtes Wetter), ungeregelter Schlaf-Wach-Rhythmus und kaum Landgang (und das über Monate hinweg), Kürzungen beim Urlaubsgeld), untertarifliche Heuerzahlungen (Weihnachtsgeld wir traditionsgemäß keines gezahlt, keine Arbeitslosenversicherung in Deutschland mehr, fährt der Seemann für längere Zeit unter ausländischer Flagge (was immer unvermeidbarer wird, muß er doch froh sein, überhaupt ein Schiff zu haben), keine Pflichtversicherungen mehr, so daß er zum Zwangsfreiberufler wird. Frage: Wovon leben er und seine Familie, wenn er nach seinem letzten Einsatz kein neues Schiff mehr kriegt? So bleibt oft nur der Gang zum Sozialamt.

Unzählige Überstunden, Minimalbesatzung, Kampf mit dem Finanzamt. Längst hat jeder Seemann selbst zu spüren bekommen, was solche Begriffe bedeuten. Gehören sie doch mittlerweile zu diesem Beruf wie das Wasser zum Schiff. Da drängt sich einem die Frage auf: Ist der Mensch für den Arbeitsplatz geschaffen? Oder der Arbeitsplatz für den Menschen? (DAS fragt man sich aber nicht nur bei der Seefahrt schon lange!) Warum, frage ich mich, warum erfährt man darüber so wenig?

Warum berichten so wenige über diese Tatsachen?

Weil man sowieso nicht ändern kann?!

Da läßt sich dann auch so leicht keiner mehr durch bundesweit gestartete Werbekampagnen von Gottes eigener Reederei locken. Sie wissen schon, die mit den gläsernen Klos. Lassen Sie uns schnell einmal zurückblenden ins 19. Jahrhundert. Denn bereits damals fuhren Menschen zur See. Als Durchschnittsheuer erhielt ein Matrose auf deutschen Schiffen 52 Mark monatlich, wöchentliche 3 Mark Führungszulage eingeschlossen.

Ihre englischen Kollegen bekamen zur gleichen Zeit das Doppelte. Dazu fällt mir nur ein riesengroßes Fragezeichen ein: ? Manchmal staune auch ich. Doch schnell wieder zurück in unser Jahrhundert. Da sieht es so aus, daß amerikanische Seeleute gut das Doppelte von dem verdienen, was ein deutscher Seemann am Monatsende auf dem Konto hat. Aber lassen wir das …

Wie die Statistik beweist: Im Jahre 1991 gab es gerade mal 150 Offiziersanwärter. Ich liege wohl nicht falsch, wenn ich annehme, daß diese Zahl in den letzten Jahren noch weiter zurückgegangen ist.

Denn was hat sich geändert bei der Seefahrt?

Nichts! Absolut nichts!

Jedenfalls nichts zum Positiven. Wer auch hätte das ernsthaft erwarten können?

Ein kürzlich gelesener Artikel sagt eigentlich schon alles, bietet er doch einen bildhaften Einblick in die Welt des Seefahrers.

Es gibt zu gewinnen – die Erlebnistour!

Die Abenteuerreise auf einem von uns ausgesuchten Schiff. Jahrelange Mitreise, Frondienst ohne Bezahlung, Kakerlaken überall scharenweise. Gesundheitsbewußte, vitaminreiche Kost. Menüs, liebevoll komponiert von der Elite der Hochseecuisine. Auswahl zwischen Fisch und Reis, Reis und Fisch oder kalten, uralten Spiegeleiern.

Arbeit rund um die Uhr, ohne Material und Ersatzteile.

Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Sie kommen gestählt und fit wieder nach Hause.

Piratenüberfälle gibt es gratis, sofern Sie das richtige Fahrtgebiet erwischt haben. Unvergeßliche Erlebnisse, voll durch alle Hurricane und Taifune.

Ihre Kammer – außergewöhnlich luxuriös klein. Alte, stinkige Matratzen, klappernde Schotten, Rattenjagd inklusive.

Das Wandeln auf löchrigen, rostigen Decks in lauer Tropennacht wird Sie für kleinere, unvorhergesehene Einschränkungen entschädigen. Vielleicht kommen Sie in den Genuß einer wunderbaren Entsorgung des Schiffes in die Tiefen des Ozeans. Alles ohne irgendwelche Rettungsmittel …

Lassen Sie sich überraschen. Denn eine Seefahrt, die ist bekanntlich immer lustig!

Seit Anfang der 70er Jahre, seit der segensreichen Erfindung der Transportkiste zur See – auch Container genannt –, geht es stetig bergab.

(Aber sind die Zustände und die Arbeitsbedingungen an Land besser? Das, was jetzt hier in fast allen Branchen geschieht – Abwanderung bzw. Verlagerung ganzer Firmen und Industriezweige ins Ausland – Einstellung von sogenanntem Billigpersonal –, all das ist in der Seefahrt seit Jahren gang und gebe. Seefahrt war immer schon Vorreiter in Sachen Sozialabbau. Das nur am Rande.)

Informationen aus der DAG-Schiffahrt: Zeitschrift für Seeleute vom Dezember 1994.

Auffällig ist der starke Rückgang bei den Stellenangeboten gegenüber dem Vorjahr (-1006 = 32,5 %).

Der Arbeitsmarkt für Kapitäne und Steuerleute in der mittleren und kleinen Fahrt war noch relativ belebt. Allerdings wurden die Anforderungen an die Bewerber erhöht. Nicht nur nautische und Verwaltungsaufgaben sind zu erledigen, sondern auch technische Dienste zu leisten.

Für Kapitäne auf großer Fahrt gab es nur geringe Vermittlungschancen. Aus der Not heraus erklärten sich nautische Schiffsoffiziere zunehmend bereit, auf ausgeflaggten Schiffen zu fahren.

Die Bewerber sind jedoch nur ungern bereit, auf Gas- und Chemikalientankern einzusteigen. Für mehrere in Fahrt gekommene Neubauten wurden jüngere Erste Offiziere gesucht.

Wegen der unzureichenden Nachwuchspflege standen sie nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung.

Das Stellenangebot für Schiffsmechaniker ist weiter rückläufig. Viele, insbesondere jüngere Bewerber drängen aus der Seefahrt hinaus. Als Bindeglied zwischen der Schiffsführung und den ausländischen Mannschaften fühlen sie sich oft auf sich allein gestellt und isoliert.

Auch inländische Decksleute und Matrosen mit Brief werden noch selten nachgefragt. Der Anteil der langfristig Arbeitslosen unter ihnen wächst.

Für technische Schiffsoffiziere hat sich der Arbeitsmarkt ebenfalls verschlechtert. Überwiegend wurden Stellen auf Schiffen unter ausländischer Flagge angeboten.

Ein Arbeitsmarkt für inländische Mannschaftsgrade im technischen Bereich ist fast nicht mehr vorhanden. Diese Arbeitsplätze werden fast ausschließlich von Ausländern zu Heimatlohnbedingungen eingenommen. Soweit die DAG-Schiffahrt.

Als zu Beginn unserer Ehe die erste Kündigung ins Haus kam, war ich so naiv und dumm, meinem Mann die Schuld zu geben! Dafür schäme ich mich heute noch! Aber damals hatte ich schlichtweg keine Ahnung !

Seeleute werden aber auch auf viel traurigere Weise minimiert. 6885 Tote bei Schiffsunglücken zwischen 1987 und 1991 – in nur vier Jahren! 111 Schiffsuntergänge im Jahre 1992 – 52 davon fuhren unter Billigflagge, unterstehen damit nicht mehr den deutschen Sicherheitsvorschriften! Und die Liste läßt sich fortführen: Im ersten Halbjahr 1996 verloren insgesamt 730 Menschen ihr Leben bei der Ausführung ihres Berufes. Im gleichen Zeitraum betrug der Schiffstotalverlust 53 Schiffe. Der Billigflaggenstaat Panama führt diese Liste mit elf Schiffen an. Von den 80 000 zur Welthandelsflotte zählenden Schiffen ist gut die Hälfte älter als fünfzehn Jahre. Schwimmende Zeitbomben?

Nun ist sicher nicht jedes alte Schiff automatisch ein schlechtes Schiff. Entscheidend für den Zustand ist die Wartung. Aber Wartung und Reparaturen kosten Geld … Gleiche erschreckende Zahlen bei den Jumbofähren: 112 von ihnen sind bereits gesunken. Seit 1980 fanden weltweit ca. 3000 Menschen auf diesen Ro-Ro-Schiffen den Tod. Und das, weil Werften und Reedereien nicht reagieren. Man könnte etwas ändern. Es wäre so einfach. Doch niemand tut es. Aus finanziellen Gründen nimmt man bewußt das Leben unzähliger Menschen in Kauf.

Wohl keiner der Verantwortlichen hat bisher auf diese tragische Weise einen seiner Angehörigen verloren …

Verbandzeitschrift der Seemannsfrauen:

Suche nach schiffbrüchigen Seeleuten ergebnislos.

Ottawa – die internationale Suche nach 36 schiffsbrüchigen Seeleuten im Nordatlantik ist am 5. Januar 1994 durch einen schweren Sturm praktisch beendet worden.

Nur noch zwei kanadische Patrouillenflugzeuge und ein Schiff der Küstenwache setzten die aktive Suche nach der Besatzung des unter liberianischer Flagge fahrenden Erzfrachters “Marika“ fort, teilte die kanadische Rettungswacht in Halifax mit.

Der Erzfrachter war am Neujahrstag zwischen Neufundland und den Azoren ohne jede Vorwarnung oder SOS-Notruf gesunken. Wellen von der Höhe dreier Stockwerke und Sturmböen bis zu einhundert Stundenkilometern machten es den übrigen an der Suche beteiligten Tankern und Frachtern so schwer, daß die Kanadier sie in der Nacht zum 5. des Monats von der Rettungsaktion entbanden. Am Vorabend hatte ein Schiff zwei leere Rettungsboote der “Marika“ aufgelesen.

Weiterhin wird ausgeflaggt. (Zu diesem Thema hatte mein Ehemann neulich eine bahnbrechende Idee: „Du, wie wär’s eigentlich, wenn wir das Haus ausflaggen würden? Steuern und sonstige Abgaben sind doch bei uns schon längst entschieden zu hoch!“ Nicht schlecht der Mann, was?

Was sag’ ich, nicht schlecht. Einfach genial, der Vorschlag. Ein bunter Wimpel für’s Hausdach ließe sich mit Sicherheit organisieren.

Aber was wäre, wenn unser Beispiel Schule machen würde?)

Die deutsche Flotte jedenfalls fährt bereits mit 53,1 Prozent ihrer Schiffe unter fremder Flagge. Jeden Monat werden zehn weitere ins Auslandsregister verbracht. “Bremer-Export“, “Bremer-Reeder“, die beiden letzten Schiffe meines Mannes – längst weht die bunte Flagge am Mast, längst ist die deutsche Besatzung von Bord.

Arbeitsplätze für deutsche Seeleute werden zusehends zu einer Rarität. Die werden im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen wegrationalisiert. Die schönen Zeiten in der Seefahrt? Für immer vorbei. Altgediente Seebären können nur mit Wehmut an sie zurückdenken.

Selbst vor den Offiziersrängen macht die Austauschwelle nicht halt.

2. Offizier, Deutscher – gegen 2. Offizier, Pole, Norweger, Russe oder Philippino.

Kapitän, Deutscher – gegen Kapitän, Norweger, Rumäne oder Bulgare.

Auf den Kümos – Sie erinnern sich vielleicht an die “Stephanie“? Auf denen fährt längst kein deutscher Bootsmann mehr. Der verursacht nur zu hohe Kosten. Auf seine unbestritten qualifizierten Dienste wird verzichtet.

Kapitän und Steuermann erledigen die paar Kleinigkeiten in ihrer Freizeit.

Selbst auf unserer unvergessenen “Lucy Borchard“ hat heute der 1. Offizier seine helle Freude am philippinischen, sogenannten Bootsmann. Nur so ist Seefahrt noch interessant und voller Überraschungen, erlebt man doch Abenteuer, wie man sie sich in seinen kühnsten Träumen nicht vorzustellen vermag.

Wen wundert’s, bei solch geschultem Fachpersonal, welches da zunehmend die Weltmeere und die deutschen Schiffe erobert? Aber werden nicht auch diese Menschen ausgenutzt? Welche Rechte haben sie in einem fremden Land unter fremden Arbeitgebern? Wie schlecht müssen die Lebensumstände in deren Heimatländern sein, daß sie bereit sind, ihre Arbeitskraft zu solchen Bedingungen zur Verfügung zu stellen und ihre Familien in der Regel für ein ganzes langes Jahr nicht zu sehen?

Eine Studie der Universität Bremen belegt, daß diese Menschen teilweise Arbeitsverträge unterschreiben, in denen es heißt, daß sie die ersten sechs Monate an Bord keine Heuer erhalten, also ein halbes Jahr lang ohne einen Pfennig Geld sind. Sie und ihre Familien in der Heimat. Denn dort lebt meist ein ganzer Clan von dem Geld, das ein solcher Seemann verdient.

Ein Seemann, der vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben ein Schiff betritt und der oft nicht genügend englische Vokabeln beherrscht, um sich einigermaßen verständlich zu machen. Ein Umstand, der von Schiffsbetreibern hartnäckig abgestritten wird – die Erfahrung an Bord belehrt einen jedoch eines besseren.

Was dann in einer Notsituation geschieht bzw. nicht geschieht, darf sich jeder selbst ausmalen. In solchen – oben erwähnten - Arbeitsverträgen verpflichtet er sich weiterhin, ein Jahr an Bord zu bleiben, 30 Tage im Monat zu arbeiten, unentgeltliche Überstunden zu verrichten, wann immer der Kapitän es fordert (der tut es auf Druck der Schiffseigner, denn wie würde ansonsten die Alternative für ihn aussehen?). So ein Seemann hat jedwedes Essen zu akzeptieren und nicht zu versuchen illegal vom Schiff zu entkommen. Solch ein Kontrakt enthält 52 Vergehen, die mit Kündigung ohne Zahlung geahndet werden, darunter der Beitritt zu einer Gewerkschaft.

Bis zu tausend Dollar Kaution kassieren indische Vermittler in Bombay dafür, ihre Landsleute nach Deutschland zu verkaufen. Wann eigentlich wurde der Sklavenhandel unter Strafe gestellt?

Aber wer könnte diese Entwicklung noch stoppen – ist es dafür nicht längst zu spät? Wir müssen mit ansehen, wie die Deutsche Handelsflotte Schritt für Schritt ihrem Untergang entgegensteuert. Das erzeugt Wut. Das erzeugt ohnmächtigen Zorn der Regierung gegenüber, aber auch das Gefühl von unendlicher Traurigkeit. Denn damit würden die Faszination, die Geschichte, die Eigenart und die Liebe zu einem Beruf, der für viele einmal Berufung war, unwiderruflich verlorgengehen. Denn trotz eines Lebens, das von jeher geprägt war von harter, schwerer körperlicher Arbeit, von vielen Entbehrungen – sowohl auf seiten des Seemanns als auch auf seiten seiner Familie –, eines Daseins fern jeder so oft beschriebenen Seefahrerromantik, war und ist es ein Leben, das einen nicht mehr losläßt, einen in den Bann zieht, ein einmaliges Leben in einer ganz eigenen Welt. Einer Welt, die vielen absolut nichts bedeutet: Für ebenso viele macht sie alles aus. Immer wieder haben sich Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat zu einer Schiffahrtspolitik bekannt, die sowohl den Standort Deutschland wie den Erhalt der Deutschen Flagge fördern will. Liegt es an mir, daß mir diese Bemühungen verborgen bleiben.

Wir erleben, daß andere Wirtschaftszweige mit Subventionen in Milliardenhöhe überschüttet werden, ohne daß sich irgendetwas bewegt.

Von den ursprünglich vorgesehenen 100 Millionen DM Finanzhilfe für die Schiffahrt sollen nurmehr 30 Millionen gezahlt werden.

Wohlgemerkt: sollen … Zudem sollen nach den Steuerreformvorschlägen Vergünstigungen wegfallen – wie der ermäßigte Steuersatz auf Veräußerungsgewinne, die steuerliche Übertragung von Buchgewinnen beim Schiffsverkauf und die Verkürzung der degressiven Abschreibung. Das treibe den Steuersatz von heute 28,2 auf 35 Prozent der gewerblichen Gewinne. Wie werden von den Reedern die zu erwartenden höheren Kosten und höheren Steuern wohl aufgefangen werden?

Die Tatsache, daß derzeit 95 Prozent des Welthandels über See abgewickelt werden und welche Zukunft die maritime Industrie damit hat, ist sicher anderen auch bekannt.

Aber was weiß ich denn schon? Ich bin ja nur eine Seemannsfrau, die das alles gar nichts anzugehen hat, und einmischen soll die sich gleich gar nicht! Also: Überlassen wir das Handeln doch lieber den Kompetenteren in diesem Land?!

Während einer Diskussionsrunde wurde ich letztens von einem Reeder gefragt: „Interessieren Sie diese Zusammenhänge und berührt Sie – als Seemannsfrau – die Situation Ihres Mannes und die der Seeleute?“ Ja, ist der Mann gescheit? Die Frage würde ich allzu gern an seine Gemahlin weitergeben – einmal nachfragen ob sie die Situation ihres Mannes interessiert

Diese Zeilen wurden von mir im Jahre 1997 geschrieben. Vor fünfzehn Jahren also.

Würde ich hingehen und einige Zahlen (zum Negativen natürlich) aktualisieren, so könnten sie von heute sein.

Mein Mann? - Der fährt zur See!

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