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3. Kapitel

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Erste Tuchfühlung mit MS “Berolin“

Bau-Nr. 1090 Typ 151

Bau-Jahr: 1994

Bau-Werft: Sietas, Hamburg-Neuenfelde

Länge: 99,95 m

Breite: 18,20 m

Tiefgang: 6,56 m

Knoten: 15.5 kn

Heimathafen: Hamburg

Unterscheidungssignal: DNCB

Vermessung: 3999 BRZ

Tragfähigkeit: 5350 tdw

3825 PS/2175 KW

Containerladung: 20 Fuß – 509 Stück

40 Fuß – 246 Stück

Das sind sie – die Angaben zur “Neuen“. Die Maße der “Berolin“. Na, wie gefällt Ihnen die Dame?

Wir beide – der Seemann und ich – sind unterwegs zu einem Treffen mit ihr, und ich für meinen Teil bin gespannt wie sie aussieht, habe ich doch noch nie ein funkelnagelneues, ein jungfräuliches Schiff zu Gesicht gekriegt. Ein Schiff, auf dem vom “Keller“ bis zur Mastspitze noch alles in neuem Glanz erstrahlt. Auf dem der Rost noch nirgendwo sein zerstörerisches Werk begonnen hat. Dem noch nie die mörderische Kraft der Wassermassen oder die von Eisschollen die Farbe vom Bug radiert hat. Dessen Deck noch niemals bei schwerer See unter Wellenbergen begraben wurde. Bei dem die Aufbauten in einem makellosen Weiß erstrahlen, die Flaggen noch nie Sturm und Wind haben trotzen müssen.

Ein Schiff, das noch niemals mit Rauhreif überzogen oder mit einer dicken Schneeschicht eingepudert war, dem noch nie klirrender Frost Eiszapfen hat wachsen lassen. Dessen Vorschiff sich noch nie bei eisiger Kälte in eine einzigartig schöne, pittoreske Winterlandschaft verwandelt hat. Bei dem das Messingschild mit dem Namen der Werft aussieht, als würde es für die Werbung eines neuen Poliermittels herhalten und wo sämtliches Tauwerk noch niemals mit Salzwasser oder mit dreckiger Hafenbrühe in Berührung gekommen ist. Ein Dampfer, auf dem Maschinenraum und Brücke soviel Atmosphäre ausstrahlen wie die Renommierstücke eines Schiffahrtsmuseums, der noch nie die Flüche der Mannschaft gehört und noch von keiner mitreisenden Ehefrau heimgesucht wurde. Ein Schiff, so gänzlich ohne die dekorativen Farb-, Öl- und Schmierflecken – mit einem Wort ein totes Stück Stahl und Kunststoff, das darauf wartet endlich mit Leben erfüllt zu werden, endlich dahin zu kommen wohin es gehört: in das tosende Meer, in die wogenden Wellen. Und das an den Festmacherleinen zerrt um endlich loszukommen, um seiner Bestimmung nachzugehen: nämlich der – wie wir Eingeweihte inzwischen alle wissen -, eine Ladung von A nach B zu bringen.

Nichts anderes tue ich an diesem 2. Januar auch. Ich befördere meinen geliebten Ehemann sowie den halben Hausstand zur Werft nach Hamburg-Neuenfelde. Und das bei wolkenbruchartigem Regen. Allmählich fragt man sich, ob der überhaupt jemals aufhören wird. Wochenlang schon kämpfen die Menschen gegen die Fluten, müssen mit den verheerenden Folgen des Hochwassers an Rhein, Mosel, Sieg und Maas fertig werden. In Radio und Fernsehen jagd eine Schreckensmeldung die andere. Wir wohnen im gelobten Land, aber nur eine halbe Autostunde von uns entfernt – in Düsseldorf – sieht es ganz anders aus. Noch schlimmer die Situation in Köln, wo die gesamte Altstadt meterhoch unter Wasser steht, wo die Menschen aus ihren Häusern flüchten müssen. Unvorstellbar die Schäden.

“Land unter“ sehen wir häufig entlang unserer Fahrtstrecke. Flächen, aus denen Bäume nur noch mit den Wipfeln herausragen. Wiesen und Äcker haben sich in große Seen verwandelt, die sich immer noch weiter ausdehnen.

Hinter Bremen verwandelt sich der Regen in Schnee- und Graupelschauer, die Fahrbahn wird zur Eisbahn. Im Schrittempo rutschen und schliddern wir gen Norden. Über eine Stunde dauert es, bis uns die ersten Streufahrzeuge überholen.

Die Aktion MS “Berolin“ läuft gut an. Aus unseren eingeplanten ca. fünf Stunden Fahrt wird nichts. Erst abends gegen 19.00 Uhr erreichen wir Buxtehude – total erledigt. Von hier fragen wir uns durch bis zur Werft, bis nach Neuenfelde, wobei die frühe, winterliche Dunkelheit einem die Suche nicht gerade erleichtert.

Irgendwann dann haben wir es geschafft: Zwischen dem Schiff und uns liegt nur noch das Werfttor. An der Pier wartet sie auf ihre erste Mannschaft: die “Iberian Bridge“. Der schöne deutsche Name “Berolin“ ist bereits verschwunden. Bug und Heck ziert der neue Namenszug, und am Schornstein prangt ein weißes “K“ auf leuchtend rotem Grund. Das “K“ der “K-Line“, der japanischen Charterfirma des Schiffes. Selbst in der Dunkelheit, nur im Schein der Deckstrahler – kein schlechter Anblick, der Dampfer. Wird es hier endlich etwas werden? Wird der Seemann hier endlich einen dauerhaften Job finden? „Lieber Gott, hörst du mich noch? Oder hast du für heute schon Feierabend?“

Für uns beide ist der anstrengende Tag noch nicht zu Ende. Nach der Meldung beim Ersten – der Kapitän wird erst für morgen erwartet – heißt es: Weitermachen, Gepäck an Bord. Kurz darauf sieht man zwei – bis zur Grenze der Belastbarkeit beladene – Geschöpfe über die Gangway aufs Schiff spurten. Der Ehemann – wie immer – leichtfüßig voran, die Ehefrau ächzend und keuchend hinterdrein. In der einen Hand die Reisetasche und die Handtasche, in der anderen vier Plastiktüten (oder sind es fünf?), um den Hals die komplette Fotoausrüstung (das Stativ ragt wie ein gleichschenkliges Dreieck keck nach achtern), die kostbaren Zähne zweier Brückenkonstruktionen (Meisterwerke zahnärztlicher Kunst) schlagen sich in den Griff des Videokoffers. „Sag mal, du hättest nicht zufällig noch zwei Finger frei? Dann könntest du das Radio mit anfassen. Wir müßten dann auch nicht zweimal laufen.“ Mit stoischer Ruhe gehe ich über dieses Ansinnen hinweg. Wie auch könnte ich etwas erwidern? Komme mir doch vor, als säße ich auf dem “Dr. dent’schen Folterstuhl“, und der Meister (den Bohrer am Nerv) fordert mich interessiert auf: „Na, nun erzählen Sie mal. Wie war der letzte Besuch an Bord?“ Bei solchen Gelegenheiten kriege ich meinen Mund einfach nicht zu – heute abend will er nicht aufgehen. Das aber soll sich in einigen Augenblicken ändern. Dann nämlich wird mir ein ganz und gar undamenhaftes: „Au-u-u, verflucht“ rausrutschen und der Videokoffer meinem Zubiß entgleiten.

An Deck gelangt, will ich meinem Mann hinterhereilen, habe aber leichtsinnigerweise nicht bedacht, daß es auch hier den ganzen Tag über geregnet hat, demnach überall Pfützen stehen. Das viele Wasser auf der frischen Lackfarbe wird mir zum Verhängnis. Wie ich feststellen darf, hat es die gleiche fatale Wirkung wie Glatteis oder wie Bohnerwachs auf Linoleum: Mir reißt es die seemannsfraulichen Beine weg, rücklings knallen meine Pfunde und ich sanft auf Schiffsstahl. Das fürsorgliche „Vorsicht, es ist gla-a-a-tt!“ kommt bedauerlicherweise um wenige Sekunden zu spät und verhallt wirkungslos in der kalten Nachtluft. Auf die neugierige Frage: „Ja, Kleene, was machst du denn da?“ will mir so auf die Schnelle nichts einfallen, ich lasse erst mal alle Sterne und Sternchen in Ruhe an mir vorbeiziehen.

Im gleichen Moment wieder elastisch aufzuspringen verhindern ohnehin die Gepäckmassen auf mir, die auf Seeschiffen besonders energische Erdanziehungskraft sowie das relativ hohe Alter meiner Muskeln und Gelenke. Die befinden sich nämlich bereits im Und-stetig-geht’s-bergab-Stadium.

Nun ist so eine gefallene Seemannsfrau auf Dauer sicher kein allzu erbaulicher Anblick. Auch glaube ich irgendwann in der Spalte Unser Hausarzt rät – noch ist es nicht zu spät gelesen zu haben, daß ständige Nässe mit eine der Hauptursachen für arthritisches Rheuma darstellt. Unter Zuhilfenahme des sich allmählich aus seiner beängstigenden Starre lösenden Ehemannes gelingt es mir, meine liegende Position zu verlassen. Das war sie also – meine erste Tuchfühlung mit dem neuen Schiff …

Die malerischen Regenbogenfarben an meinem hintersten Teil werden wohl mit den Jahren verblassen, und die Schmerzen im linken Ellbogen werde ich lange noch mit Freuden registrieren, werde ich doch auf diese Weise an meine stürmische Begegnung mit den Schiffsplanken erinnert.

Wirre Gedankengänge hätte ich vor meinem Fall schon aufgewiesen – behauptet jedenfalls mein Auserwählter …

Seit jenem Erlebnis bin ich felsenfest davon überzeugt: Mein Seemann ist auf dem richtigen Dampfer!

Mein Mann? - Der fährt zur See!

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