Читать книгу Gottes wundersame Faktorei - Sexter Teil: R J C - Marianne Le Soleil Levant - Страница 11
117 Die Wege des Herrn
ОглавлениеGott (bei sich): Traum jenseits der Geschlechter. Ein hübscher Gedanke. Ich muss es wissen. Warum dauert es so lange, bis die Regenbögen von den Menschen erkannt und akzeptiert als Teil der Schöpfung verstanden werden? Hatte nicht Petrus etwas von einer kleinen Kultur erzählt, in der das alles ganz entspannt und die Regenbögen eben genau quasi Hohepriester waren. Bei Beziehungsproblemen Rat boten. Beziehungsprobleme hatten die schon immer.
Petrus: Bugis.
Gott: Aha.
Petrus: Ein frühes Händler- und Seefahrervolk aus dem Insel Archipel von Java mit austronesischen Vorfahren, die möglicherweise schon dahin aus dem heutigen Taiwan zugewandert sind. Eine der größten Bevölkerungsgruppen vor allem an den Küsten von Sulawesi.
Gott: Hab ich die erfunden?
Petrus: Muss wohl so sein. Man kennt sie seit 2500 Jahren vor Christus.
Gott: Propheten haben's mit der Zukunft.
Petrus: Sie haben einen eigenen Schöpfungsmythos der zu den umfangreichsten literarischen Werken der Welt gehört. Sie schauten auch nach vorn.
Gott: Und die Bugis hatten ein drittes Geschlecht als natürlich empfunden?
Petrus: Sie kannten fünf Geschlechter. Eine in ihrem Verständnis ähnliche Einteilung wie man sie lange in den westlichen Zivilisationen hinnahm, dabei aber die Hermaphroditen immer übersah.
Gott: Fünf?
Petrus: Oroané: Das Geschlecht, das man als Mann versteht, weil es ein Mann ist, der sich wie ein Mann verhält. Makkunrai: Die Frau, die sich wie eine Frau verhält. Calalai: Die Frau, die sich wie ein Mann verhält. Was die Zivilistion als lesbisch bezeichnet. Calabai: Ein Mann, der sich wie eine Frau verhält. Der Homosexuelle. Tatsächlich decken sich diese zwei Bugis-Geschlechter nicht ganz mit den modernen Begriffen. Das fünfte Geschlecht waren die Hermaphroditen, die beide Geschlechter und deren Eigenschaften vereinten. Die Bissu. Sie galten als geschlechtstranszendent. Die Aspekte der Geschlechter kombinierten sich in ihnen zu einem Ganzen.
Gott: Deshalb wurden sie Priester?
Petrus: Nicht alle. Es hatte sich herausgestellt, das einige von ihnen mediale Fähigkeiten mitbringen. Die Naturvölker sahen sich existenziell gezwungen, ihre Welt zu verstehen und sich die Verhältnisse zu Nutze zu machen. Sehr pragmatisch.
Gott: Wo sind die Bugis jetzt?
Petrus: Als Volk existieren sie noch immer.
Gott: Haben sie sich als Seefahrer und Händler nicht verbreitet?
Petrus: Oh doch. Ihre Diaspora ist freiwillig, denn sie liebten das Abenteuer und wagten auch gefährliche Unternehmungen. Sie dulden keine schlechte Behandlung. Sie sind trotz ihrer relativ geringen Zahl mächtig und waren Könige, Sultane, Fürsten vieler kleiner Reiche. Es gab Ministerpräsidenten, Gelehrte, Tänzer und Sänger.
Gott: Was hat das mit unseren Regenbögen zu tun?
Petrus: Es gibt eine berühmte Straße in Singapore.
Gott: Aha. Lass dir bitte nicht alles aus der Nase ziehen. Warum hört man nichts mehr davon?
Petrus: Es ist eine wilde Sache. Du solltest das wissen.
Gott: Ich lasse mich wirklich sehr gerne von mir selbst überraschen. Alte, längst vergessene Geschichten aus meiner eigenen Schöpfung. Erinnere mich, dann fällt mir sicher etwas dazu ein.
Petrus: Wie du richtig annimmst, fuhren die Bugis mit ihren Schiffen in die nächstgelegenen Häfen, um ihre Ware anzubieten. Eine Gruppe floh wegen Auseinandersetzungen mit den holländischen Kolonialisten von Riau nach Singapur, nicht lange nachdem auch Sir Raffles dort angekommen war. In Singapore gab es eine Stelle, an der sie stets anlegten. Urpsünglich ein Zufahrtskanal. Von dort aus wurde geliefert. Sie brachten ihre Hermaphroditen mit. Mit der Zeit siedelte sich eine Gruppe von Bugis dort an. Der Stadtteil wurde Bugis Village genannt, das Dorf der Bugis. In etwa wie Chinatown, wo sich chinesisch stämmige Bürger konzentrierten. So wurde die Straße von der Stelle zur Bugis Street.
Gott: Nicht sehr aufregend.
Petrus: Du erinnerst dich nicht? Ist nicht so lange her.
Gott: Es ist vorbei. Das spüre ich.
Petrus: Dort ist jetzt ein neu errichtetes, modernes Einkauszentrum und eine Metro-Station.
Gott: Hört sich langweilig an.
Petrus: Schiefgelaufen.
Gott: Wo sind die Bugis? Das fünfte Geschlecht?
Petrus: Vertrieben.
Gott: Was war los?
Petrus: Die Bugis waren ein fröhliches Volk. Pragmatisch, aber als reisende Händler dem Vergnügen nicht fremd. Angeblich auch reichlich furchtlos.
Gott: Richtig so.
Petrus: Da ein Transgender unter den Bugis akzeptiert war, sammelten sich in der Gegend viele von ihnen. Sie bildeten eine Gemeinschaft. Ihr Feld war die Nacht.
Gott: Aha.
Petrus: Bugis Street war tagsüber eine normale Straße. Nachts verwandelte sie sich in ein reges Treiben. Tische wurden über die ganze Straße aufgebaut. Man saß zusammen, aß und trank nicht zu wenig. Einheimische genauso wie Ausländer, oft Seeleute, die sich hier ihren Landurlaub versüßen ließen.
Gott: Und die Transgender?
Petrus: Sie beherrschten die Szene.
Gott: Szene.
Petrus: Vielen männlichen Gästen war neben Speis und Trank nach Unterhaltung zumute.
Gott: Wollten sie noch heißen Brei, um den du herum redest.
Petrus: Man könnte es als unchristlich betrachten.
Gott: Das belangt nur meinen Sohn an.
Jesus: Der bekanntlich den Umgang mit Prostitutierten nicht scheut.
Petrus: Von Fotos, über lockere Gesellschaft bis zu jeder Art von Sex war alles zu haben.
Gott: Das waren alles Hermaphroditen.
Petrus: Die meisten waren Transvestiten oder operierte Männer. Wenn sie es sich leisten konnten. Es gab ziemlich wohlhabende.
Gott: Aha.
Petrus: Es gab sehr schöne. Die verdienten natürlich das meiste Geld.
Gott: Den Männern machte es nichts aus, dass es keine ... gab es keine weiblichen Prostituierten?
Petrus: Nicht alle bemerkten das genaue Geschlecht. Zu betrunken. Anderen war es egal oder sogar recht. Die Transgender waren weit freizügiger und härter im Nehmen, als die Mädchen.
Gott: Sie waren in der Überzahl.
Petrus: Absolut. Aber es ging dort um sie. Sie machten die Atmossphäre aus. Weibliche Prostitution gab es überall. Hier konnten sie sich präsentieren. Hier waren sie zuhause. Es war ihr Reich.
Gott: Und wurden reich.
Petrus: Eher nicht, auch wenn manche sich einen ausländischen Mann als Partner angeln konnten, ging auch das langfristig meist schief. Der nahm sie weg, von zuhause.
Gott: Du meinst, weil sie dort nicht diskreditiert oder angefeindet wurden.
Petrus: Genau. Sie gehörten nicht nur dazu. Sie bewegten sich dort, als ob ihnen der Ort gehörte.
Gott: Du bist sicher, dass Chemika keine Bugi ist?
Petrus: Wie kommst du darauf?
Gott: Das würde etwas von ihrer Attitude erklären.
Petrus: Das liegt an etwas anderem.
Gott: Aha.
Petrus: Solltest du wissen.
Gott: Ich verrate aber nichts. Weiter.
Petrus: Jeden Abend um Mitternacht wurde die Königin der Nacht unter allen Teilnehmerinnen erwählt.
Gott: Ist das ein Wink mit dem Zaunpfahl?
Petrus: Nein, eine historische Information. Die am besten zurecht gemachte Schönheit wurde anerkannt. Teilweise entkleideten sie sich sogar, um ihren perfekt operierten Körper stolz zur Schau zu stellen. Sie wollten schön sein. Attraktiv. Ohne Scheu.
Gott: Den Leuten gefiel es offenbar.
Petrus: Das Nachtleben summte.
Gott: Wie der sprichwörtliche Bienenstock.
Petrus: Eine andere Attraktion war der Tanz der brennenden Arschlöcher, welcher von zwei oder mehreren Aspiranten aus der Kundschaft, vordringlich aus der zur See fahrenden, auf dem Dach der einzigen, durch eine bestimmte, für die Zahl der Besucher verzeihliche, aber grenzwertige Hygienesituation, Abwesenheit jeglichen Klopapieres und einer unverschließbaren Tür auszeichnende Toilette am Ende der Straße ausgeführt wurde.
Gott: Wie kommt man auf brennende Ar ... also wie?
Petrus: Es hat wohl eine übertragene Bedeutung.
Gott: Transzendent?
Petrus: Wollte ich nicht sagen.
Gott: Da zünden sie Pfürze an?
Petrus: Nein, das sind Seeleute. Zeitungen werden aufgerollt, in die entblösten Gesäßöffnungen der Tänzer gesteckt und angezündet. Man versucht, es solange wie möglich auszuhalten.
Gott: Zumindest kann sich nicht über Mangel an Klamauk beklagen. Warum hat es aufgehört, wenn es so erfolgreich war?
Petrus: Es ging fast 30 Jahre hoch her. Seltsamerweise wurde das Treiben im sonst sehr strengen Singapur geduldet. Doch es wurde immer wilder, die Tanznummern fand die Obrigkeit zu unappetittlich und es gab zusehends Beschwerden über Taschendiebstahl bei Touristen, da sich Bugis Street tatsächlich zur Sehenswürdigkeit gemausert hatte. Trotzdem war erlaubt, was beliebt war. Dann kam HIV.
Gott: Nicht gut für Schönheit.
Petrus: Gäste aus dem Ausland brachten es mit.
Gott: Du bist sehr diskret.
Petrus: Sie wurden krank. Sie steckten die Kunden an. Sie starben. Da wollte die Obrigkeit den Hort der Seuche endgültig ausrotten.
Gott: Deshalb verschwanden sie?
Petrus: Nicht ganz. Einzelne Überlebende trafen sich noch in den Abrissruinen des Nachts, um der glorreichen Zeiten willen, auch ohne Restaurants, und boten ihre Dienste feil, bis die Bagger wiederkamen.
Gott: Schiefgelaufen.
Petrus: Nicht unbedingt. Es war ein Ort, den es vorher nicht gegeben hatte. Die Transgender waren Mittelpunkt, brachten den Flair und ein Lebensgefühl, das ohne sie nicht entstehen hätte können. Sie machten es zu ihrem Zuhause, wo sie den Ton angaben, Geld verdienten und untereinander zusammenhielten. Sie waren in der Überzahl. Nicht eigentlich, denn das Personal und viele Bewohner waren Männer und Frauen, aber ihr Anteil und ihr Einfluss gingen weit über eine Minderheit hinaus.
Gott: Du meinst sie sind ein Kamera-Auge oder eine Chromosomenverdoppelung.
Petrus: Heute können Transgender aller Couleur Arbeit bekommen und sich ohne Angst in der Gesellschaft bewegen. Sie müßen sich nicht prostituieren oder kriminell werden, um zu überleben. In den Vergnügungsvierteln Asiens sind opulente Shows von Transgendern an der Tagesordnung.
Gott: Aha.
Petrus: Viele entwickeln außerordentliches Talent zum Tanz, sie singen Playback und manche selbst. Ihr Geltungsbedürfnis brachte das hervor und kann sich dabei ausleben. Die Kostüme sind hochgradig kunstvoll geworden. Große Bühne mit Lichtanlage.
Gott: Von der Halbwelt der Nacht zu glitzernder Pracht.
Petrus: Du machst dir keine Vorstellung wie prächtig.
Gott: Solange nicht jede ein eigenes Flugzeug möchte.
Petrus: Nur die Schönste.
Gott: Diese Bugis-Geschlechter sollen die Vorbildfunktion haben?
Petrus: Sie zeigen nur, wie man der Wirklichkeit deiner Schöpfung ins Auge sehen kann und jedem Menschen urteilsfrei zugesteht, persönliche Erfüllung zu finden. Dabei stellten sie die Person über den Körper, wenn ein Bissu die seelischen Aspekte vereinen musste, egal wie er körperlich ausgestattet ist. Und sie erkannten die zusätzlichen Vorteile und Begabungen einer solchen doch immer noch in der Ausprägung variablen Kombination.
Gott: Dann sieht es danach aus, als hätte damals dieses kleine Volk einen gesunden Umgang mit den Geschlechtern gefunden.
Jesus: War das eines deiner Experimente?
Gott: Wieso kamen die in ihrer unwissenschaftlichen, überschaubaren Gemeinschaft dazu, aber die großen Zivilisationen tun sich schwer?
Petrus: Vielleicht liegt der Vorteil in einer übersichtlicheren, sozialen Gruppe?
Gott: Vielleicht hatten sie auch von allen Kandidaten so viele, dass sie keine Minderheiten darstellten.
Petrus: Weil sie nicht operieren konnten und gar nicht auf die Idee kamen, etwas an deinen Geschöpfen zu kritisieren oder zu ändern.
Gott: Warum dauert es so lange, bis die sich so modern fühlenden Zivilisationen überhaupt anfangen, das zu verstehen? Warum geht das so verschlungene Wege mit so viel Leid für diese Menschen und soviel Verlust an Freude für die Blinden?
Petrus: Satan?
Gott: Je nachdem, wie man ihn definiert.
Petrus: Sind deine Wege nicht oft so unergründlich, wie im Ergebnis überaschend kreativ und weltbewegend?
Gott: Diese Schmeichelei scheint einen Vorwurf zu implizieren.