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Abschied auch für mich

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Er hat zugeschlagen, Gevatter Tod. Die Nachricht hat mich ziemlich niedergeschmettert. Mein Vater war die Lebenslust und Erwartung an das Leben in Person pur. Mitten aus dem Leben in einem Moment, den ich so nicht fassen konnte. Leider war keine Zeit, sich nochmals zu verabschieden. So wie im Film: »Meine 3 Töchter, ich möchte euch noch mal sehen …«, wo dann alle händchenhaltend sitzen und »er« seinen letzten Wunsch äußern kann. Leider nein. Der letzte Wunsch bleibt unausgesprochen. Ich stelle einen Kalenderspruch auf und zünde eine Kerze an. Alle schönen Momente und Erinnerungen lässt man nochmals Revue passieren. An seinem »letzten Tag« stand die prachtvolle Yucca in meinem Garten nach 7 Jahren in voller, wunderschönster Blüte. An dieses Bild werde ich mich immer erinnern und an den »letzten Kaffee«, den wir vor 2 Monaten auf seinem Balkon tranken. Er war wieder mal glücklich, mich zu sehen. So möchte ich ihn gerne in Erinnerung behalten.

Wir geben dich frei. Stolz sollst du auf uns alle niederschauen, teilhaben an unserem Glück. Ein nächstes Ur-Enkelchen wird es für dich geben.

Für die Grabrede sprach meine Mutter mit den Worten von Friedrich Nietzsche. Wieso hast du mich verlassen? Liebst du mich nicht mehr? Hörst du die Glocke? Deine Nähe nimmermehr. Oh »Zarathustra«. (Zarathustra, die Romanfigur, war ein persischer Priester, Besitzer eines goldenen Kamels.)

Und nach all den Zeremonien meint man, keinen Bissen herunterzubekommen. Doch es wartet der »Leichenschmaus«, er bedeutet, dass das Leben weitergeht. Wir erinnern uns alle nochmal an gemeinsame Stunden der Freude und versuchen ein wenig zu lachen. Wir lassen langsam los. Mama kocht nun ihr Frühstücksei allein. Papa hatte nicht mehr eingeatmet. Sie hatte versucht, ihm Atem zu spenden, doch sie sagte, es kam nur noch zum Ausatmen! Es ist alles noch zu frisch. Mama braucht jetzt Zeit. Zeit zum Vergessen.

Wir statten Mama schick aus. Es hätte ihm gefallen, sie noch mal so schön zurechtgemacht zu sehen. In den letzten Jahren hatte er aus Altersgründen alle seine Hobbys aufgeben müssen. Als junger Mann ging er morgens, als alle noch schliefen, an den Weiher zum Angeln. Er verpasste kein Spiel seines Lieblingsfußballclubs, manchmal auch live, und hörte die Charts hoch und runter. Musik war auch eine seiner großen Leidenschaften. Zur Hochzeit meiner Tochter erschien er in Jeans und tanzte Rock‘n‘Roll. Als junger Mann, als er noch rauchte, zogen samstags die Rauchschwaden durch die »gute Stube«, und wenn wir die Tür öffneten, flogen alle seine getrockneten Briefmarken durcheinander.

Er war ein höchst terminierter und gut organisierter Mann, ebenso musste das Essen immer pünktlich auf dem Tisch stehen. Doch damit hatte sich meine Mutter über all die vielen Ehejahre längst arrangiert. Mein Vater hatte immer irgendetwas zu tun. Er sammelte alle möglichen und unmöglichen Dinge, die kein Mensch braucht, die er dann hocherfreut allen präsentierte. Schmunzelnd schaute sich Reginald die Bierdeckel und Flaschenverschlüsse an. Die Krone der Sammelleidenschaft war allerdings ein kleines Kistchen voller »Hirnplatten« seiner geangelten Karpfen. Jeder bekam eine als Glücksbringer.

Mein Gott, irgendwo habe ich das Ding noch. Ich werde es suchen. »Sammeln macht glücklich«, hat er immer gesagt. Seinen Fußball-Fan-Schal haben wir ihm zuletzt umgebunden, das hätte ihm sicher sehr gefallen, wenn er es wüsste. Wenn wir wieder etwas gefasst sind, werden wir es ihm erzählen. Ich hoffe, er kann uns da oben hören. Jeder Mensch hinterlässt Spuren. Wir drei Geschwister werden nun daran arbeiten, Oma nach und nach das schöne Lächeln, das sie immer hatte, wieder ins Gesicht zu zaubern. Die Urenkel werden uns dabei helfen.

Etwas gedankenverloren schlenderte ich alle alten Wege meiner Heimatstadt nochmals ab. Erschreckend, wieviel Natur neuen Parkflächen weichen musste. Den steilen Berg der Rodelbahn aus Kindertagen erklomm ich mit seinem alten Kameraden und Angelfreund. – Er ist Busfahrer und hat mich in der Jugendzeit nachts nach der Disko »schwarz« zur nahen Haltestelle mitgenommen. –Oben steht eine alte Eiche und immer noch die alte Bank, die nach so vielen Jahren viel zu erzählen hat. Der erste Kuss, die erste Zigarette … nun Abschied.

Mit seinen alten tränenfeuchten Augen erzählte er mir ein paar Episoden. Er musste nicht viel sagen. Es ist wichtig im Leben, einen treuen Freund zu haben. Einen wirklich zuverlässigen guten Freund, dem man alles erzählen kann, der nicht wertet, sondern zuhört, mit dem man einfach viel erlebt und gelacht hat. Was bleibt? Die alten Initialen in der Borke: »L CH«. Schön, dass Papa so einen Freund hatte. Die beiden waren unzertrennlich trotz ihrer Ehen. Wie zwei Pflanzen, die sich niederließen und gediehen, wo sie sich wohlfühlten.

Sternenflüstern al dente

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