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Diethers Ferientage im Chalet Resi

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Marie-Theres trat leise hinter Diether und freute sich, dass er das Klavier bewunderte. Leicht tippte sie an seine Schulter, um ihn nicht zu erschrecken. In Gedanken versunken zuckte er dennoch merklich zusammen. Er fing sich aber sofort wieder, räusperte sich und sagte: „Ich komme aus einer musikalischen Familie und unser Klavier ist nur zum Spielen da. Dieses Exemplar ist eigentlich zu wertvoll, um darauf zu spielen. In Wien gehe ich in die Meisterklasse der Musikhochschule und musiziere auf dem Cello, dem Klavier und der Geige. Wenn ich mit den Bergkameraden auf der Hütte bin, habe ich meine Gitarre immer dabei“, erklärte er.

„Wollen Sie uns etwas zu Gehör bringen?“, fragte Marie-Theres.

„Gerne, wenn ich darf“, erwiderte er voller Freude. Die Baronin schloss das Piano auf und reichte ihm die Noten. Es waren die Kinderszenen von Robert Schumann. Er schlug die Seite der Träumerei auf und begann zu musizieren – Uschis Lieblingsstück, aber dies wusste er noch nicht. Er spielte dieses Stück mit Grazie und fast mit Zärtlichkeit, wie man es eigentlich immer spielen sollte.

Uschi war still ins Zimmer getreten und wunderte sich, wer da ihr Lieblingsstückerl so auf dem Klavier präsentieren konnte. Eigentlich wollte sie etwas sagen, aber ihre Patentante legte den Finger auf den Mund und so schwieg sie. „Das gibt’s doch nicht“, dachte sie bei sich. „Erst hat uns die Liebe wie ein Blitz getroffen und nun lieben wir beide das gleiche Klavierstück.“ Marie-Theres warf ihr einen wissenden Blick zu. Als Diether geendet hatte, klatschten die Damen Beifall.

„Oh, liabs Herrgöttle von Biberach, Diether, dös is mei Lieblingswerk von Schumann.“ Sie trat hinter ihn, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben.

„Was sagst du da, deines auch? Ich liebe Schumann und besonders seine Lieder für seine Frau Clara, zum Beispiel die Stücke vom Myrtenkranz, die er so beispiellos vertont hat“, erwiderte er und küsste sie zärtlich zurück auf die Wange. Errötend meinte er: „Ich weiß, du bist erst sechzehn Jahre und ich dürfte das gar nicht ...“

„Was darfst du nicht?“, bemerkte Uschi gelassen.

„Dich busseln, meine ich. Madl, du bist mein Schicksal, und dem soll man nicht davonlaufen. Dies hab ich auf dem Parkplatz in Luzern gemerkt, es ist mir durch Mark und Bein gegangen!“

„Mein Gott, mir auch, als hätte mich der Blitz getroffen, Bub“, flüsterte Uschi ihm zu.

„Genauso war’s bei mir auch, so etwas habe ich noch nie erlebt, Uschilein. Habe immer gedacht, dös gibt’s net, und hab gelacht, wenn die Freunde mir so etwas erzählten. Weil ich es nicht glauben wollte, dass es dieses Gefühl wirklich gibt. Wart nur, bis es dich auch erwischt, witzelten die Kameraden – und jetzt hat es mich gepackt. Aber mir ist net zum Lachen zumute, eher zum Weinen, weil es so wunderbar ist“, fügte er hinzu. „Mei Madl, i muss mit deiner Bekannten reden, was meinst du?“

„Ach Diether, mach die Pferd net scheu, mir wird schon was einfallen.“ Er stand in seiner ganzen Länge von der Klavierbank auf, umarmte Uschi, beugte sich zu ihr hinunter und küsste sie herzhaft.

„Na, ihr zwei verliebten Gockeln – oder sage ich besser Hennen, wollt’s nix essen?“, äußerte sich die Baronin lachend.

Klar hatten sie Hunger und ließen sich an der liebevoll gedeckten Tafel nieder. Die Haushälterin beziehungsweise die Köchin Madame Sutter hatte sich wegen des Gastes viel Mühe gegeben. Es gab eine Vorspeise – Lachsterrine gratiniert mit frischem Spargel. Dazu servierte die Hausherrin einen lieblichen Veltliner Weißwein Jahrgang 1956. Als Hauptgang gab es einen Rehrücken mit gefüllten Steinpilzen, Herzoginkartoffeln und Rotkraut. Dazu tranken sie einen Rotwein: Gumpoldskirchner Spätlese Jahrgang 1950. Diether war wie verzaubert, nicht nur vom Abendessen, sondern besonders von der jüngeren Dame. Das Diner war für ihn der Beweis, dass diese Familie Stil besaß. Nicht nur wegen der Atmosphäre des Hauses, sondern es war das Flair im Gesamten, dem er sich nicht entziehen konnte. Marie-Theres schmunzelte und schaute Diether freundlich an: „Na, Diether, Ihnen scheint ja eine Menge durch den Kopf zu gehen: Was ist das für eine Familie, die so ein wunderbares Heim besitzt und in solch einem geschmackvollen Ambiente leben kann, stimmt’s?“

„Können Sie Gedanken lesen?“, fragte er.

„Nein, aber ich konnte in Ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch“, erklärte Marie-Theres.

„Weißt Diether, dös macht sie öfters, indem sie ihrem Gegenüber so lange ins Gesicht schaut und seine Miene studiert, bis sie weiß, was er denkt“, sprach Uschi.

„Was soll ich dazu sagen, dieses Ferienhaus gefällt mir sehr gut. Der Onkel Max meines Freundes Peter besitzt ebenfalls ein Chalet im alpenländischen Stil wie dieses. Allerdings im Kanton Wallis auf der Bettmeralp hoch über dem Rhônetal. Eine Frage hätte ich an Sie, Marie-Theres, was sind Sie von Beruf?“, fragte er.

„Mein kürzlich verstorbener Großvater war Militärattaché in der Deutschen Botschaft in Bern. Ich habe dort eine Stellung als Chefin der Generale Justice Directrice de Unicef.“

„Oh je, da kann ich nicht mithalten, ich stamme nur aus einer Lehrerfamilie. Wie kommen Sie zu Ulli?“

„Meine Familie stammt aus Trostberg an der Alz. Mein Vater hatte viel im Ausland zu arbeiten, und zwar wegen seines diplomatischen Berufes. Er war Botschaftsrat in der Deutschen Botschaft in Bern. Er war daher viel mit meiner Mutter auf Reisen. Darum blieb ich in meinem Heimatort. Ursulas Mutter, Pia-Maria Giebelmeyer geborene von Hartenstein, ist meine beste Freundin. Da meine Eltern viel und oft im Ausland zu tun hatten, durfte ich bei Familie von Hartenstein meine Jugend bis zum Abitur verbringen. Dann kamen wir, Pia und ich, auf eine Höhere Töchterschule in Interlaken. Studiert habe ich an der Dolmetscher Akademie in München, dort absolvierte ich mein Examen für Dolmetscher, um später das Schweizer Büro in der Botschaft zu leiten“, berichtete Mariele.

Doch da wurde sie von Madame Sutter unterbrochen: „Frau Baronin, ich bin fertig mit allem und frage Sie: Werde ich noch hier im Hause gebraucht? Wenn nicht, würde ich gerne in die Dienstwohnung gehen.“

„Nein Frau Sutter, wir brauchen Sie nicht mehr, heute ist alles recht gewesen, dann bis morgen früh um 8 Uhr, gell. Auf Wiederluege, Frau Sutter“, verabschiedete sie die Hausdame.

„Halt! Tante Donatha, kennst mi nimmer?“, rief Uschi.

Frau Sutter schaute ganz erstaunt auf das junge Mädchen. „Uschi, bist du das wirklich? Ich habe dich das letzte Mal in Wuppertal bei meiner Schwägerin gesehen, das war 1955 und Klaus war auch dabei, mein Gott Maidli, ich hab dich bald nimmer kennt! Auf Wiederluege allerseits!“

„Salü, Tante Donatha!“ Uschi musste schallend lachen, als sie Diethers verdutztes Gesicht sah. Wie Frau Sutter Mariele angeredet hatte. „Oh mein Gott, Diether, was machst du für ein zerknirschtes Gesicht? Wegen der Anrede oder des Titels vielleicht, oder weil ich Frau Sutter mit Tante Donatha angeredet habe? Sie ist wirklich eine Tante von mir“, machte Uschi den Vorstoß, damit Diether nicht dachte, er habe ins Fettnäpfchen getreten.

„Bin ich vielleicht in eine adlige Familie hineingeraten, dös hab i net gewusst, oh verflixt“, schimpfte Diether lachend vor sich hin. „Vergebt mir bitte, wenn ihr könnt!“

„Du brauchst dir nichts vorzuwerfen, dös geht vielen so, wer schaut schon auf das Schild neben dem Klingelknopf, wo dann draufsteht: von Trostburg“, fügte Uschi noch immer lachend hinzu.

„Ja mei, i bitt schön um Entschuldigung, Marie-Theres, äh, Frau Baronin“, sagte er grinsend.

„Unterstehen Sie sich, mich jetzt Frau Baronin zu nennen, sonst sage ich zu Ihnen Herr Hofrat, verstanden Diether?“, witzelte Mariele lächelnd.

„Verflixt, da bin ich doch wieder ins Fettnäpfchen getreten“, rief er.

„Nein, Sie brauchen sich um Gottes willen nichts vorzuwerfen, mein Junge, daran bin ich alleine schuld“, entgegnete sie. „Gut, das wäre geklärt und ich kann die Abendtafel aufheben.“

Uschi räumte den Tisch ab und brachte das Porzellan in die Küche. Die Hausherrin ermunterte Diether, ihnen noch etwas auf dem Klavier vorzutragen. Dazu ließ Diether sich nicht lange bitten. Er fand die Noten eines der Klavierkonzerte Mozarts und brachte es zu Gehör. Sein Spiel war ausdrucksvoll und besänftigend zugleich. Dasselbe galt für die anschließend vorgetragene Mondscheinsonate von Beethoven. Sie wurde so gespielt, als hätte der Pianist diese Begegnung mit dem Mond gerade selbst erlebt.

Ursula kam aus der Küche und gesellte sich zu Mariele. Die hatte es sich im Ohrensessel bequem gemacht. Beide lauschten verzückt dem Vortrag des Klavierspiels. Uschi hatte sich leise hinter Diether gestellt und umarmte ihn zärtlich. Die herrlichen Melodien versetzten sie in eine glückliche Stimmung und sie dachte bei sich: „Diese Begegnung war vorherbestimmt, es ist einfach Schicksal.“ Mittlerweile schlug die Uhr zehnmal und Mariele erklärte, dass sie müde sei und gerne zu Bett gehen würde.

Ursula entschuldigte sich und meinte: „Was für ein ereignisreicher Tag ist das heute gewesen, liebe Patentante. Eigentlich bin ich auch müde, Diether vielleicht ebenso? Aber mir ist so nach Singen zumute, geht’s dir genauso wie mir, Großer?“, fragte sie ihn leise.

„Du hast recht, Kleines, in mir singt und klingt es gewaltig. Würdest du denn für uns noch etwas singen?“, bat er ruhig.

„Ja, wenn es meiner Tante recht ist!“

„Natürlich darfst du noch ein Schubertlied singen“, meinte die Baronin.

„Am besten passt jetzt: Meine Ruh ist hin oder gefällt euch ein anderes Stück?“

„Nein, das ist gerade richtig, Schatz!“ Diether hatte das Gefühl, sie einfach so anreden zu dürfen, schlug die Noten auf und begann das Vorspiel.

Ursula sang das Schubertlied: „Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer ...“ Ihre herrliche Sopranstimme brachte Schubert so richtig zur Geltung. Es passte in die Stimmung eines aufregenden Tages. Die jungen Leute erkannten in ihrem Innern die große Gemeinsamkeit ihrer Seelen. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt.

Nach dem Schubertlied, das Uschi mit viel Seele und Gefühl vorgetragen hatte, verabschiedeten sich die drei Menschen liebevoll voneinander. Marie-Theres ging in ihr Zimmer. Uschi und Diether begaben sich in den ersten Stock, wo sich ihre Schlafräume befanden. Sie sagten sich zärtlich gute Nacht. „Schlaf gut, Uschilein.“

„Du auch, Dietherle.“

„Weißt, was man in einem fremden Haus, dort wo gute Freunde wohnen, in der ersten Nacht träumt, das geht in Erfüllung“, erklärte Uschi leise.

„Wenn du das sagst, Schatz, ich lasse ich mich überraschen. Aber wenn du net gut schlafen kannst, Mädele, klopfst bei mir und ich halte dich so lang im Arm, bist wieder einschläfst, gell?“, erwiderte Diether zärtlich und wollte in sein Zimmer gehen.

Doch Ulli hielt ihn an seiner Trachtenjoppe fest und meinte: „Hast du nicht etwas vergessen, krieg i kein Gutenachtbusserl von dir? Dös möcht i schon von dir erhalten, gell!“

So etwas ließ Diether nicht auf sich sitzen. Deshalb küsste er sie ganz sanft und meinte: „Gute Nacht, mein kleiner Schatz, träum schön von mir und schlaf gut, bis morgen früh.“ Er verschwand lachend in seine Schlafstube.

Im Chalet Resi kehrte Ruhe ein. Der Mond zog silberhell seine Bahn und schaute verwundert ins Balkonzimmer: keine Vorhänge zu? Noch keine Fensterläden geschlossen? Da entdeckte er den einsamen Gast auf dem Balkon, der Gottes freie Natur in der dunklen Nacht und die Sterne am Firmament anschaute. Laut dankte er dem Herrn für dieses liebreizende Geschöpf, das Ursula hieß, das Maidli, das sein Schicksal sein würde. Nach fünf Minuten ging er zurück in sein Zimmer, verschloss die Fensterläden und die Balkontüre und legte sich schlafen.

Uschi saß im Erker bei verschlossenen Fensterläden und schrieb noch folgende Sätze in ihr Reisetagebuch:

Habe heute im August 1958 die erste große Liebe meines Lebens kennengelernt: Diether Marchart, stud. phil. aus Wien. Drei Wochen lang werden wir hier auf Rigi Scheidegg verbringen.“

Danach zog sie ihren Pyjama an und legte sich ebenso in das wunderschöne, bemalte Himmelbett wie ihr neuer Freund.

Diether lag noch eine Weile wach und dachte über seinen ersten Ferientag im Chalet Resi nach. „Lieber Gott“, betete er, „du hast mir dieses liebe Mädel aus heiterem Himmel geschickt. Sie wird wohl mein weiteres Leben bereichern. Wir haben schon so viele Gemeinsamkeiten: die Liebe zu den Bergen, zur Musik, sie ist gescheit und kommt aus einer wunderbaren Familie. Eine gute Mischung, um später das Leben mit ihr zu teilen.“ Darum dankte er dem Herrgott für diesen einmaligen Tag in seinem Leben, der ihm beschert worden war, und darüber schlief er schließlich ein.

Am Morgen in der Frühe hörte Ulli die Haustüre. „Ach“, dachte sie bei sich, „Mariele geht mit Bella Gassi. Dann kann ich noch a bisserl weiterschlafen, denn es ist ja erst 7 Uhr.“ Sie drehte sich auf die andere Seite und schlief erneut ein.

Gegen 7:30 Uhr kam die Hausherrin mit ihrer Hündin zurück. Bella bekam ihr Fresschen und freute sich darüber. Danach legte sich sie sich in ihr Hundekörbchen zum Schlafen nieder. Uschi stand unterdessen auf und begann mit ihrer Morgentoilette, anschließend kleidete sie sich an. Dann ging sie zu Diether hinüber, um ihn zu wecken. Sie klopfte. Als sie keine Antwort erhielt, lugte sie vorsichtig in die Schlafstube hinein. Da sah sie, dass das Bett leer war und erschrak. In der Diele hörte sie im Bad die Dusche und nun wusste Ursula, wo er sich befand. Daraufhin eilte sie die Treppe hinunter ins Esszimmer, dort saß am gedeckten Frühstückstisch ihre mütterliche Freundin und begrüßte sie mit einem freundlichen „Guten Morgen, Ursula! Hast du gut geschlafen?“

„Ja, wie a Katz! Diether ist noch im Bad“, antwortete sie glücklich. Die Baronin wünschte zum Frühstück „Guten Appetit“, als Diether ins Wohnzimmer trat. Er hatte gut geschlafen, was man ihm auch ansah, ohne neugierige Fragen stellen zu müssen. Er wünschte daher den Damen einen schönen guten Morgen und einen gesegneten Appetit.

„Gleichfalls, lasse es dir gut schmecken“, meinte Ulli dazu.

Diether strahlte. „Ich hoffe, dass es euch so gut geht wie mir. Aber Sie machen ein betrübtes Gesicht, Marie-Theres, was ist passiert?“, fragte er.

„Ich muss für zwei Tage nach Bern in die Deutsche Botschaft und werde die Ursula hier alleine lassen müssen, was mir eigentlich nicht gefällt. Sie können sich ja denken, warum, Diether“, erwiderte die Botschaftsrätin.

„Ach ja, ich weiß, weil ich noch nicht volljährig bin. Oh Gott, Mariele, hast du Sorgen, und das wegen mir! Meinst du, Diether würde über mich herfallen, während du weg bist, aber das glaubst du doch selbst nicht!“, lachte Ursula.

„Diether, kann ich mich auf Sie verlassen, dass in der Zeit, in der ich fort bin, nichts zwischen euch passiert außer Busseln und Kuscheln?“, fragte die Baronin freundlich.

„Marie-Theres, Sie können sich auf mich verlassen, ein Mann, ein Wort. Wenn ich so ein Versprechen gebe, halte ich das auch, keine Frage“, antwortete Diether der Hausherrin aufgeregt. „Ich werde sorgfältig auf die Ulli aufpassen, als wäre sie meine Schwester. Und ich weiß auch schon, was wir zwei unternehmen: Vielleicht gehen wir wandern, denn die Rigi ist ja das reinste Blumen- und Wanderparadies“, fügte er hinzu.

Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

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