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Begegnung mit Uschi

Ein Samstagnachmittag im August des Jahres 1958: Wolkenlos war der Himmel über Luzern, der Kantonshauptstadt der Zentralschweiz, der berühmten Stadt an der Reuß. Es herrschte reger Betrieb auf dem Parkplatz am äußeren Rande der City. Uschi Giebelmeyer saß am Ende des Platzes auf einer Bank, die im Halbschatten unter einem Baum stand.

Plötzlich näherte sich ein junger Mann, der etwa 1,80 Meter groß und schlank war. Er hatte einen Kletterrucksack dabei, ein Perlonseil über der Schulter und in der Rechten einen Pickel. Er kam langsam auf ihre Bank zu, wischte sich den Schweiß von der Stirn und meinte lakonisch: „Heiß heut, gell?“

Uschi sah ihm neugierig ins braun gebrannte Bubengesicht, ehe sie antwortete: „Ja, sehr, darum sitze ich hier im Halbschatten.“ Sie schaute ihm immer noch mitten in seine lachenden, blauen Augen – und dann traf es sie beide wie ein Blitz. So eine Begegnung nannte man im Volksmund Liebe auf den ersten Blick. Diether fuhr es durch Mark und Bein und Uschi erging es ebenso. Sie reichten sich wie unter einem Zwang die Hände und sprachen gleichzeitig ihre Namen aus.

„Ich heiße Diether Marchart.“

„Und ich bin Uschi Giebelmeyer.“

Zu Diethers Freude ergriff Uschi als Erste das Wort: „Sag amoal, warst beim Klettern, Diether?“

„Ja freili, i war im Alpsteingebirge im Appenzellerland“, entgegnete er.

„Woher kommst denn, bist du aus Österreich?“, fragte Uschi.

„Hört man das? Ja, i bin aus Wien und studiere Germanistik und Philosophie. Bist du aus Bayern?“

„Ja, i mach mit der Freundin meiner Mutter Ferien auf Rigi Scheidegg. Die Freundin ist meine Patentante, sie besitzt dort ein Chalet, das ihren Großeltern gehörte. Nun hat sie es geerbt und musste deswegen in Luzern zum Notar. Dieser hat das Testament in Verwahrung und deshalb hatte meine Patentante dort zu tun. Und weil es mir in der Innenstadt zu heiß war, sitze ich hier und warte auf sie.“

„Wo wohnst du denn in Bayern“, fragte er.

„In Trostberg an der Alz, das ist im Chiemgau, da bin i daheim, fünfundzwanzig Kilometer vom Chiemsee entfernt“, fügte Uschi hinzu.

„Madl, gehst auch in die Berg?“

„Freili, mit meiner Freundin Christel und unseren Bergkameraden Franzl und Fritzl.“ Sie lächelte. „Meistens san mir im Wilden Kaiser auf der Strips, pardon, im Stripsen-Jochhaus der Sektion Kufstein in Tirol. Dort san mir an vielen Wochenenden. Aber auch in den Berchtesgadener-Alpen auf dem Stahl-Haus am Torrener Joch der Sektion Lofer“, ergänzte Uschi ihre Rede.

„Sauber, sag i. Wie lang bist noch in der Schweiz?“, fragte Diether.

Uschi antwortete: „Noch vierzehn Tag, wir wollen noch ein paar Wanderungen im Oberengadin erleben. Dorthin werden wir in der letzten Woche fahren. Dann sind wir im Fextal in einem Ferienhaus untergebracht. Dieses Haus gehört einer Freundin von Marie-Theres, und die hat uns wie jedes Jahr eingeladen. Schau, da kimmt sie selbst!“

Uschi war eine Augenweide in ihrem blau gemusterten Jacquard-Dirndl mit der grünen Seidenschürze und dem blonden, mit Strähnchen durchzogenem Bubikopf. Kein Wunder, dass Diether Feuer gefangen hatte.

Ihre Patentante war dunkelhaarig, die gleiche Haarfrisur wie ihr Mündel. Sie war genauso gekleidet wie Uschi, nur in einem grün gemusterten Dirndl mit gelber Seidenschürze. Marie-Theres kam merklich näher und wunderte sich über ihre Ulli, wie sie ihr Patenkind nannte, die mit einem fremden, jungen Mann sprach. Er hatte einen aufrichtigen Blick, stahlblaue Augen und war gekleidet wie ein Bergsteiger. „Ja, wen haben wir denn da?“, lachte sie.

Diether stellte sich vor, verbeugte sich ritterlich und begrüßte sie mit einem festen Händedruck. „Marie-Theres, glauben Sie an Liebe auf den ersten Blick?“, sprach Diether furchtlos zu ihr.

Sie musste lachen, ob sie wollte oder nicht. „Da hast du mir ja was Schönes eingebrockt, Ursula. Was soll ich jetzt deiner Mama erzählen, die hält mich für verrückt, wenn ich ihr dies berichte. Hören Sie, Diether, das Gör ist erst sechzehn Jahre alt“, erwiderte sie belustigt.

„Macht doch nichts, ich bin achtzehn Jahre alt und studiere in Wien an der Universität.“

„So, so, Sie sind Student. Na ja, dann müssen wir den Tatsachen ins Auge sehen, Ursula, was meinst du?“, lächelte sie. „Dann kommen Sie halt mit nach Rigi Scheidegg und wohnen bei uns im Haus. Platz ist ja eh genug da“, fügte sie freundlich hinzu.

„Bist du mit dem Zug gekommen oder mit dem Auto?“, wollte Uschi nun wissen.

„Ich bin mit dem Wagen da. Mein Volvo steht gleich dahinten.“

„Fahren Sie einfach hinter uns her, Diether. Wir fahren die Straße bis Gersau und dann bis zur Talstation der Luftseilbahn, die fährt nämlich hinauf zur Scheidegg“, erklärte die Patentante.

Diether kehrte zu seinem PKW zurück, der ganz in der Nähe stand. Der Karmann Ghia von Uschis Tante parkte nur drei Autos weiter. Sie stiegen in die Wagen und fuhren zusammen vom Parkplatz in Richtung Vierwaldstättersee. Zwanzig Minuten später hatten beide Autos ihr Ziel erreicht, nämlich den Parkplatz der Rigi-Seilbahn in Chräbel.

Die drei Personen begaben sich zum Eingang der Talstation und Diether löste sich ein Ferienbillett für vierzehn Tage auf Rigi Scheidegg. Die beiden Damen zeigten ihre Billetts vor, Diether nahm sein Gepäck und alle drei stiegen in die Gondelbahn ein. Die Fahrt dauerte etwa fünfundzwanzig Minuten, dann erreichte sie die Bergstation. Sie kletterten aus der Kabine. Vor der Station wurden sie bereits erwartet. Es war die kleine Bella, eine Westhighland-Terrier-Hündin, die sich tierisch auf ihr Frauchen freute. Uschi und Diether wurden zuerst beschnuppert und dann stürmisch begrüßt. Zusammen gingen sie den langen Hang des Weges hinunter zum Chalet Resi.

Das Chalet Resi hatte man im alpenländischen Stil erbaut. Am Haus angekommen schloss Marie-Theres die Haustüre auf. In der Diele stand eine prachtvoll bemalte Truhe mit einem herrlichen Krug aus Gmundener Keramik, befüllt mit einem Strauß bunter Gladiolen. Marie-Theres lud ihren Gast zum weiteren Eintreten ins Haus ein.

Diether betrat dieses Ferienhaus voller Bewunderung. Das Heim von Uschis Tante bot etwa 240 Quadratmeter Wohnfläche. Im Erdgeschoss lagen die Küche mit Essraum, ihr Schlafzimmer, der große Wohnbereich und ihr Arbeitszimmer. Draußen war eine überdachte Terrasse zum Ausruhen, um den Blick über die Berge schweifen zu lassen. Darüber hinaus waren im ersten Stock vier Doppelzimmer mit Bad und WC. Uschi logierte im Erkerzimmer und Diether bekam das angrenzende Balkonstüberl links neben ihr. Alle Räume waren mit Schweizer Arvenmöbeln ausgestattet. In der oberen Diele des ersten Stocks stand ein Familienerbstück – ein alter, bemalter Bauernschrank aus dem bayerischen Rupertiwinkel anno 1878. Im Wohnbereich des Salons erblickte man das Pendant dazu, einen Bauernschrank anno 1880 aus dem Tegernseer Tal, bemalt mit Darstellungen der vier Jahreszeiten. In manchen Ecken des Zimmers sah man alte, bemalte Truhen stehen. Die übrigen Einrichtungsgegenstände waren Biedermeiermöbel.

Rechts neben der Terrassentüre befand sich ein riesiges Blumenfenster. Davor stand ein kleiner Rauchtisch nebst Messingleuchte und ein überaus gemütlicher Ohrensessel, in dem man sich die Hausherrin gut beim Schmökern vorstellen konnte. An der gegenüberliegenden Wand bereicherte ein üppig mit Holzintarsien geschmücktes und aus Kirschholz gebautes Klavier den Wohnbereich. Darauf lagen jede Menge Noten. Außerdem drei kleine Marmor-Büsten: von Beethoven, Haydn und Mozart.

Der Gast des Hauses staunte nicht schlecht über das wertvolle Mobiliar des Chalets. Bei diesen Möbeln konnte man sich die Familie gut beim abendlichen Musizieren vorstellen. Diether kam selbst aus einer musikalischen Familie und spielte ausgezeichnet Cello.

Unerfüllte Träume einer jungen Liebe

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