Читать книгу Hotel Sabina - Marie Louise Fischer - Страница 6

2

Оглавление

Ein paar Tage später holte Bernhard Heuss Sabine abends ab. Er hatte Theaterkarten besorgt.

»Schließ die Tür ab«, ermahnte sie Stefanie, »schieb den Riegel vor und laß niemanden mehr herein!«

Stefanie lachte. »Keine Bange, Mami! Ich nehme mich schon in acht vor dem bösen Wolf.«

»Das ist kein Spaß, Liebling!«

»Was soll denn passieren? Ich bin doch schon zigmal allein geblieben.«

»Aber ganz wohl ist mir dabei nie.«

»Quatsch, Mami. Mach dir einen schönen Abend und laß dir keine grauen Haare wachsen. Du siehst übrigens blendend aus.«

Sabine trug ihr »kleines Schwarzes«, ein ganz schlichtes Chiffonkleid, das ihre Figur besonders vorteilhaft betonte. »Danke, Liebes«, erwiderte sie.

»Du übrigens auch, Bernhard.«

Er fuhr sich über das bläuliche Kinn. »Freut mich, wenn ich dir gefalle. Leider hatte ich weder Zeit mich umzuziehen noch mich zu rasieren.« – Sein grauer Anzug war leicht zerknautscht und sein Hemd nicht mehr blütenrein.«

»Macht nichts«, erklärte Stefanie großmütig,»ein Mann muß nicht immer schön sein.«

Sabine lachte über diese altkluge Bemerkung.

»Aber du bist immer noch schön genug«, setzte Stefanie hinzu.

Das stimmte, fand Sabine. Hochgewachsen, mit einem kantigen Kinn und kühlen grauen Augen war er ein Mann, der Eindruck machte.

Ob er sich über Stefanies unverblümte Komplimente freute oder sich aufgezogen fühlte, ließ er sich nicht anmerken. Er drängte zum Aufbruch und half Sabine in ihr Abendcape. Zu einem Drink blieb ohnehin keine Zeit mehr.

Auf der Fahrt in die Innenstadt redeten sie über Belanglosigkeiten. Sabine war es ganz recht so, denn dies war weder die passende Gelegenheit noch der richtige Zeitpunkt, ihr Problem zur Sprache zu bringen. Vor dem Eingang des neben dem Theater gelegenen Hotels hielt er an. Ein rot livrierter Portier eilte herbei und half Sabine beim Aussteigen. Bernhard Heuss gab ihm die Wagenschlüssel und einen Geldschein mit der Bitte, das Auto in der Tiefgarage zu parken. Die wenigen Schritte um die Ecke gingen sie eingehakt und sehr flott. Es blieb ihnen gerade noch Zeit, ihre Garderobe abzugeben und die steile Wendeltreppe zum Zuschauerraum hinaufzueilen. Kaum hatten sie ihre Plätze eingenommen – Bernhard nahm in der Regel Randplätze, so daß sie niemanden zum Aufstehen nötigen mußten –, wurde es auch schon dunkel im Saal, und der Vorhang hob sich.

Es war ein heiteres Stück, das auf der Bühne geboten wurde, eine Komödie voller Verwirrungen und Verwechslungen, und es machte Spaß, Schauspieler, die man von Film und Fernsehen kannte, aus der Nähe zu sehen. Doch Sabine vermochte sich nicht zu entspannen. Sie machte sich Vorwürfe, daß sie Bernhard nicht von Anfang an in Baumgartners Vorschlag eingeweiht hatte. Jetzt würde es viel schwerer sein, davon anzufangen.

In der Pause plauderten sie, ein Glas Wein in der einen, eine Zigarette in der anderen Hand, ausschließlich über die Aufführung. Sabine gab sich begeisterter, als sie tatsächlich war, denn sie wußte, daß er sich nichts aus Boulevardtheater machte und nur ihr zuliebe da war.

Als sie nach der Vorstellung auf den »Promenadeplatz« hinaustraten, war es bereits dunkel. Nur die hohen Bogenlampen verbreiteten ein diffuses Licht.

Spontan umarmte sie ihn. »Das war ein schöner Abend! Ich danke dir!«

Er hielt sie ganz fest. »Das soll doch nicht etwa heißen, daß du schon nach Hause willst?«

Sie fühlte sich an seiner Brust geborgen. »Stefanie erwartet mich.«

»Ich wette, die schläft längst.«

»Ich muß sie wecken, damit sie mich hereinläßt.«

»Ob du das nun etwas früher oder später tust…« Er küßte sie innig. »Komm mit zu mir!«

Sie hätte nachgeben wollen, sie sehnte sich wie er nach Liebe. Doch sie wußte, daß es nicht um diese Stunde ging oder diese Nacht, sondern daß er eine Entscheidung fürs ganze Leben von ihr erwartete.

Mit einem Seufzer machte sie sich frei. »Ich bin noch nicht soweit.«

»Wie lange willst du mich noch warten lassen? Harry liegt seit fast einem Jahr unter der Erde…«

»Seit sieben Monaten«, verbesserte sie ihn sanft, »das ist ein Unterschied.«

»Für mich nicht. Er ist tot. Das Kapitel Harald Meyendorf ist abgeschlossen. Wir müssen einen neuen Anfang machen. Allmählich bezweifle ich, ob du das überhaupt willst.«

Beinahe hätte sie erklärt: »Doch, ich will! Nur nicht so schnell!« Denn der Gedanke, ihn zu verlieren, schreckte sie. Doch dann zwang sie diesen Anflug von Feigheit nieder und gab zu: »Das ist es eben, Bernhard. Ich weiß es nicht. Ich weiß es selbst noch nicht.«

»Wie lange kennen wir uns schon, Sabine?«

»Das hat damit nichts zu tun. Ich war all die Jahre die Frau eines anderen. Aber jetzt hat sich alles völlig verändert. Ich weiß nicht mehr, wo ich stehe.«

»Ich denke, niemand hat mehr Rücksicht auf deine Gefühle genommen als ich«, sagte er steif.

»Bitte, sei mir nicht böse!« flehte sie. »Bitte, laß uns nicht streiten!« Noch eben hatte sie sich geborgen gefühlt, in seinen Armen jetzt plötzlich überkam sie Hilflosigkeit. Sie wagte nicht einmal, ihn zu drängen, sie nach Hause zu fahren, denn dann hätte er erwartet, daß sie ihn mit hinaufbitten würde, und genau das wollte sie nicht.

»Mir scheint, du bist wirklich ziemlich durcheinander«, sagte er ärgerlich, aber gleichzeitig doch einlenkend.

»O ja, das bin ich«, gab sie zu, »mehr noch, als du denkst.«

»Laß uns noch einen Schluck trinken!« schlug er vor.

»Gehen wir ins ›Trader Vic’s‹?«

Sabine stimmte erleichtert zu.

Durch die Drehtür, die der Portier für sie in Bewegung setzte, betraten sie das elegante Foyer des Hotels »Bayerischer Hof«. Bernhard nahm ihr das Cape ab, um es zusammen mit seinem Trench zur Garderobe zu bringen. Sie nutzte die Gelegenheit, ihre Tochter anzurufen. Als er auf dem Rückweg von der Garderobe an ihr vorbeikam, lächelte sie ihm zu. Er gab ihr mit einer Geste zu verstehen, daß er vorausgehen und sich um einen Tisch kümmern wollte. Sie nickte.

Wenige Minuten später folgte sie Bernhard hinunter in die Nachtbar des Hotels.

Wenn man aus der hell beleuchteten Halle ins Trader eintrat, war es im ersten Augenblick so dunkel, daß sie am Fuß der Treppe stehenbleiben mußte, um sich zu orientieren. Sofort tauchte Bernhard neben ihr auf, legte ihr die Hand unter den Ellenbogen und führte sie. »Alles in Ordnung«, erklärte sie, »Stefanie war noch ganz munter. Sie hat einen uralten Film mit Gregory Peck im Fernsehen entdeckt.«

»Na, siehst du.« Er schob einen Sessel an ihre Kniekehlen, und sie setzte sich.

Als ihre Augen sich umgewöhnt hatten, merkte sie, daß es nicht wirklich dunkel war in dem Nachtlokal, sondern nur schummrig. Windlichter auf den Tischen bildeten die einzige Beleuchtung, die den Gästen ungemein schmeichelte. Selbst Bernhards kantiges Gesicht wirkte weich und gelöst. Von irgendwoher erklang gedämpft hawaiianische Musik.

»Ich habe uns Planters Punch bestellt, Liebling. Ich hoffe, daß es dir recht ist.«

»Ja, natürlich.«

Immer neue Gäste kamen die Treppe herunter, lachend, plaudernd, aber nur schemenhaft sichtbar. Man konnte Abendkleider und funkelnden Schmuck eher erahnen als sehen. Balinesische Masken lächelten, umrankt von großblütigen bunten Girlanden, von den Wänden.

»Hier gefällt’s mir«, meinte sie.

»Wenn du willst, können wir öfters ausgehen.«

»Lieb von dir«, sagte sie, ohne ihm zu glauben. Sie zweifelte nicht an seinem guten Willen, aber sie wußte, daß es mit ihm nicht anders sein würde, als mit Harry. Zu oft arbeitete er bis in die Nacht, und zu oft kam es auch noch spät zu einer unvorhergesehenen Besprechung. Sie kannte das.

Die Drinks, üppig mit exotischen Früchten dekoriert, wurden serviert. Sie probierten, tranken sich zu. Bernhard bot Sabine Zigaretten an, gab ihr Feuer und zündete sich ebenfalls eine an.

Sie wußte, er würde nicht auf ihre Auseinandersetzung von vorhin zurückkommen, dazu war er zu diplomatisch. Auch eine Bemerkung, die ihr ermöglichen würde, das Thema noch einmal aufzugreifen und ihm ihren Standpunkt klarzumachen, war nicht von ihm zu erwarten. Stefanie hatte sie versprochen, in einer knappen Stunde zu Hause zu sein. Es blieb Sabine nichts übrig, als ohne große Vorrede die Sache zur Sprache zu bringen. »Ich habe dir noch nicht erzählt«, sagte sie unvermittelt, »daß ich wahrscheinlich für ein Jahr nach Genf gehe.«

Bernhard verzog keine Miene. Wenn diese Eröffnung ein Schlag für ihn gewesen war, so ließ er es sich nicht anmerken.

Wider Willen bewunderte sie ihn für seine gute Haltung und berichtete hastig die Einzelheiten. Jetzt, da das Schlimmste überstanden war, fiel es ihr nicht schwer, die richtigen Worte zu finden.

»Wann?« fragte er endlich.

»Nicht sofort. Anfang August, würde ich sagen. Ich muß ja zuerst noch mein Französisch aufpolieren, aber andererseits sollte Stefanie rechtzeitig zum neuen Schuljahr in der Schweiz sein.«

»Und seit wann weißt du es?«

»Baumgartner hat mir Anfang der Woche das Angebot gemacht.« Versöhnlich legte sie die Hand auf seinen Arm. »Am Telefon konnte ich es dir nicht sagen, und ich wollte mir auch erst darüber klarwerden, was ich selber will.«

Er hob die Augenbrauen und fragte mit leiser Ironie: »Und jetzt weißt du es?«

»Ich wollte immer schon ins Ausland. Schon als Kind habe ich mir das gewünscht. Nicht einfach eine Reise in die Fremde machen, sondern dort leben – in Frankreich, England, Italien oder sonstwo. Jetzt ist eben die Schweiz daraus geworden.«

»Und was ist mit uns?«

»Uns kann ein bißchen Abstand ganz gewiß nur guttun. Unsere Beziehung ist irgendwie – ich weiß nicht, wie ich das ausdrücken soll – festgefahren. Hast du das selbst noch nicht gemerkt?«

»Nein. Keineswegs. Was ich merkte, ist nur, daß du dich mir entziehst.«

»Aber warum sollte ich das? Gib mir einen einzigen plausiblen Grund dafür an!«

»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«

»Du bist mir zu nah, schon zu vertraut, bevor…« Sie unterbrach sich. »Ich weiß jetzt schon, daß ich wahnsinnige Sehnsucht nach dir haben werde. Ich werde dir schreiben. Außerdem gibt es ein Telefon, und natürlich besuchst du uns in Genf. Ein Jahr ist doch gar nichts, weniger als nichts.«

»Und was wird aus deiner Wohnung?«

Sabine hätte unendlich erleichtert sein müssen, daß er so nüchtern reagierte. Doch verwundert stellte sie fest, daß es sie enttäuschte. »Du weißt, sie gehört mir. Harry hat sie gekauft. Ich werde sie natürlich behalten.«

»Du könntest sie möbliert vermieten.«

»Das habe ich mir auch schon überlegt. Aber das will ich nicht. Wenn erst einmal fremde Leute drin waren, würde es nie mehr sein wie früher.«

»Es würde dir einen schönen Batzen Geld bringen.«

»Stimmt. Aber das habe ich zum Glück ja nicht nötig. Wenn ich die Wohnung so lasse, wie sie ist, weiß ich, daß ich jederzeit zurückkommen kann. Vielleicht gefällt’s mir ja auch gar nicht in der Fremde.«

»Das will ich dir trotz allem nicht wünschen.«

Sabine sah ihn aus großen Augen an. »Wirklich nicht?«

»Glaubst du, ich würde wünschen, daß du auf die Nase fällst?« Er lächelte mit schmalen Lippen. »Für so schäbig wirst du mich doch wohl nicht halten.

»Natürlich nicht. Ich weiß, du bist ein wunderbarer Mann! Ich habe nie bezweifelt, daß…«

Bernhard fiel ihr ins Wort. »Das war kein fishing for compliments, Liebling. Hör, bitte, auf damit! Trink aus! Es ist schon spät.« Er winkte dem Ober. »Bitte, zahlen.«

Hotel Sabina

Подняться наверх