Читать книгу Hotel Sabina - Marie Louise Fischer - Страница 8
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ОглавлениеIhrer Mutter, Marianne Kaschny, mit der sie einmal pro Woche telefonierte, hatte Sabine längst von ihren Entschlüssen berichtet. Frau Kaschny hatte es immer bedauert, daß Sabine ihr Studium abgebrochen und sich so früh gebunden hatte. Deshalb gönnte sie ihr auch die Gelegenheit, jetzt noch etwas von der Welt zu sehen.
Der Vater dagegen war seinerzeit erfreut gewesen über »die gute Partie«, die sie gemacht hatte. Und auch jetzt hätte er es für besser gehalten, daß Sabine da bliebe, wo sie »hingehörte«, nämlich in Bayern.
Die Eltern erwarteten natürlich einen Abschiedsbesuch in Rosenheim, den Sabine immer wieder verschob, obwohl sie ihren Eltern nicht verständlich machen konnte, welchen ungeheuren Anforderungen sie momentan ausgesetzt war.
»Kaum zu glauben, daß man dich doch noch einmal zu Gesicht bekommt«, sagte der Vater denn auch sarkastisch zur Begrüßung.
»Oh, mon cher grand-père«, flötete Stefanie, »sei nicht böse auf uns!«
Immerhin erreichte sie durch die kleine Kostprobe ihres neuerworbenen Wissens, daß er die schmalen Lippen zu einem Lächeln verzog. Peter Kaschny, Beamter im Finanzamt in Rosenheim, war Mitte Fünfzig. Wenn er auch mit den Jahren kleiner geworden war – zusammengeschrumpft, dachte Sabine –, konnte er immer noch als groß gelten. Sein sorgsam über die Stirn gekämmtes Haar hatte sich gelichtet, aber seine erstaunlich blauen Augen, die er seiner Tochter und seiner Enkelin vererbt hatte, blickten herausfordernd und kampfeslustig in die Welt.
Sabine, die ihre Mutter umarmt hatte, entschuldigte sit: »Du ahnst gar nicht, was wir um die Ohren hatten.«
»Ein Fest jagte das andere, wie?«
Stefanie lachte unbekümmert. »So ähnlich!«
»Aber ich hatte auch jede Menge Arbeit! « erklärte Sabine. »In meinem Alter ist es gar nicht so leicht, wieder die Schulbank zu drücken.«
Es war Sonntag nachmittag. Die Mutter hatte einen Kuchen gebacken, und zu Ehren des Besuches war auch Sabines jüngere Schwester Inge, glücklich verheiratet, mit ihrem süßen Baby Josefine erschienen. Walter, der Nachzügler, lebte noch bei den Eltern. Er gesellte sich zu der Kaffeerunde, um sich jedoch möglichst schnell wieder zu verdrücken. »Du hast ganz recht, daß du abhaust«, war sein Kommentar zu Sabines Plänen. Inges Mann hatte sich entschuldigen lassen. »Ihm geht es nicht so gut«, behauptete sie verlegen. Jeder der Anwesenden wußte, daß Charly sich nicht mit dem Schwiegervater vertrug.
Die Mutter hatte alles liebevoll vorbereitet und das Gespräch bei Kaffee und Kuchen plätscherte problemlos dahin. Doch Sabine spürte, daß den Eltern – auch ihrer Mutter – ihre Pläne nicht paßten.
»Wenn du nun da draußen krank wirst«, gab Marianne Kaschny zu bedenken.
»Wann war ich je krank?« gab Sabine zurück.
»Aber in München könnte ich mich um dich kümmern.«
»Weißt du was? Wenn mir was passiert, schicke ich dir einfach ein Flugticket.«
»Mit so etwas soll man nicht scherzen! « wies der Vater sie zurecht. »Genf ist nicht der richtige Ort für eine alleinstehende junge Frau.«
»Warum nicht? Ich habe mir sagen lassen, daß es sie dort zu Tausenden gibt.«
»Außerdem ist Mami nicht alleinstehend«, mischte Stefanie sich eifrig ein, »ich bin bei ihr und paß’ auf sie auf.«
Der Großvater sah sie düster an. »Du? Was kannst du schon ausrichten gegen …« Er stockte.
»Das ist wirklich kein Thema, das man in Gegenwart der Kleinen anschneiden sollte«, sagte seine Frau.
»Was meint ihr?« rief Stefanie prompt.
»Wovon sprecht ihr?« fragte Sabine.
Walter hatte sein letztes Stück Kuchen aufgegessen und war aufgestanden. »Sex und Drogen natürlich, was sonst?«
»Oh, die gibt’s in München auch!« schrie Stefanie.
»Sex und Drogen, jede Menge!«
Walter fuhr ihr im Hinausgehen durch die Haare. »Aber keine Agenten und Spione, Kleine. Von denen wimmelt’s nur so in der Schweiz.«
»Und dann die Ausländer«, ließ Inge sich vernehmen, »die haben wir hier natürlich leider auch. Aber dort sind nichts wie Ausländer.« Sie schauderte. »Schrecklich.«
»Sehr richtig!« pflichtete Peter Kaschny ihr bei. »Ich habe nichts gegen Ausländer. Ich weiß, daß es sehr nette und anständige Menschen unter ihnen gibt. Aber auf die Masse gesehen – also im großen Ganzen – sind sie doch ein Pack. Das organisierte Verbrechen…« Sabine fiel ihm ins Wort. »Vati, ich bitte dich! Du weißt, wie ich dieses Gerede hasse.«
»Jetzt hört mal!« Stefanie klopfte mit dem Löffel gegen die Tasse, und alle sahen sie an. »Wißt ihr, was mir gerade aufgefallen ist? In der Schweiz werden wir die Ausländer sein. Habt ihr Worte?«
»Mein kleiner Schlaukopf!« Sabine beugte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen flüchtigen Kuß. »Du hast’s erfaßt.« Sie nahm die Gelegenheit wahr, das Thema zu wechseln und fragte: »Wie geht’s mit Walter?«
Es hatte harte Auseinandersetzungen mit dem Jungen gegeben, da er sich geweigert hatte, auf dem Gymnasium zu bleiben und das Abitur zu absolvieren.
»Wir hoffen, daß ihm die Lehre Spaß macht«, sagte Marianne Kaschny unsicher.
»Es ist ja nichts aus ihm rauszubekommen«, setzte der Vater hinzu, »man sieht ihn höchstens zu den Mahlzeiten.«
»Aber er ist ein guter Bub«, verteidigte Marianne ihren Sohn, »er ist bloß in einem schwierigen Alter.«
»Und er hat die falschen Freunde.«
»Ja, einen schlechten Umgang.« Marianne Kaschny seufzte. »Und den läßt er sich nicht ausreden. Leider.« Sabine hätte einiges dazu sagen können. Doch sie hielt sich zurück, denn sie wollte keinen Streit aufkommen lassen. Sie mochte ihre Eltern. Aber wie in ihrer Jugend litt sie unter dem Gefühl, nicht verstanden zu werden, auch von Inge. Die Schwester war stets neidisch auf sie gewesen und war es auch wohl immer noch. So waren sich die beiden jungen Frauen niemals wirklich nähergekommen.
»Ich glaube, es wird Zeit für uns«, erklärte Sabine, »wir haben noch viel zu tun.«
Stefanie schnellte wie eine Feder hoch.
»Du kannst ruhig rauchen, Sabine«, sagte die Mutter.
»Danke, ich mag jetzt nicht. Das wäre vielleicht nicht gut für das Baby.«
»Ich kann Josefine nach nebenan bringen«, erbot sich Inge.
»Sehr lieb von dir, aber nicht nötig. Wir müssen jetzt wirklich los.«
»Au revoir, grand-père, au revoir, grand-mère!« Stefanie umarmte ihre Großeltern. »Au revoir, ma tante«, sagte sie zu Inge und gab Josefine einen kleinen Stups auf das Näschen. »Mach’s gut, du süßer kleiner Liebling. Bin schon gespannt, was du alles können wirst, wenn wir wieder zurück sind.«
Sabine und Stefanie atmeten auf, als sie wieder im Auto saßen.