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Am 27. Juli war der letzte Schultag. Stefanies Zeugnis fiel gut aus. In Englisch hatte sie sogar eine Eins bekommen. Der zusätzliche Französischunterricht hatte ihr also nicht geschadet.

»Weißt du, Maman«, erklärte Stefanie weise – sie war gerade dabei, sich das deutsche »Mami« abzugewöhnen, »ich glaube, je mehr Sprachen man lernt, desto leichter wird es. Ich werde einmal alle Sprachen dieser Welt können.« Dann wurde ihr die eigene Hybris bewußt, und sie setzte erschrocken hinzu: »Wenigstens die meisten.«

»Möglichst viele«, dämpfte die Mutter sie.

»Einverstanden.«

Am Morgen des 1. August war es dann soweit. Tags zuvor hatte Sabine noch einen Ausstand für die Mitarbeiter ihrer Abteilung bei der Nord-Süd ausgerichtet und sich von jedem einzelnen verabschiedet. Die Koffer waren längst gepackt.

Überraschend erschien Lisbeth Albers, um zu helfen, obwohl es noch recht früh war. »Vielleicht komme ich«, hatte sie am Telefon gesagt. Doch Sabine hatte nicht mit ihr gerechnet. Die Freude war daher um so größer.

Sabine und Stefanie holten jetzt ihr Gepäck herunter, und Lisbeth übernahm es, alles in Sabines Wagen zu verstauen.

Die beiden Freundinnen umarmten sich zum Abschied, Stefanie, die so etwas nicht liebte, kam mit einem kleinen Knuff davon. Sabine setzte sich hinter das Steuer, Stefanie, eine aufgefaltete Landkarte auf dem Schoß, daneben, und los ging es.

Sabine sah im Rückspiegel, wie Lisbeth ihnen nachwinkte. Sie war gerührt. Als sie die Wohnung hinter sich abgeschlossen hatte, war ihr doch schwer ums Herz geworden.

Wie sie gehofft hatte, hatte der Verkehr noch nicht eingesetzt. So waren sie schon bald auf der Autobahn.

Eine Weile schien es, als ob sie geradewegs in die Alpen hineinfuhren, die sich schroff und klar gegen den hellen Sommerhimmel abzeichneten.

Langsam begann es warm zu werden, und Stefanie kurbelte ihre Fensterscheibe herunter. Der Wetterbericht hatte Temperaturen um dreißig Grad Celsius vorausgesagt.

»Ein herrliches Reisewetter«, meinte Sabine aufmunternd.

Stefanie seufzte. »Ich wäre jetzt lieber im Prinzregenten-Bad.«

»In Genf kannst du im See schwimmen. Das ist bestimmt viel schöner.«

Die Fahrt verlief überwiegend schweigsam. Beide hingen ihren Gedanken nach. Erst nach der Schweizer Grenze entschlossen sie sich, Rast zu machen. Sabine fuhr auf den nächsten Parkplatz.

»Uff«, sagte sie und streckte sich, »mir tun alle Khochen weh.«

»Jetzt haben wir’s doch schon bald geschafft, Maman!« Stefanie zeichnete mit dem Finger die Route auf der Landkarte nach. »Bern, Fribourg, Vevey, Lausanne, und dann sind wir schon in Genf.«

»Und endlich ein kühles Bad im Genfer See!«

»Wirklich?« fragte Stefanie ungläubig. »Können wir heute noch schwimmen gehen?«

»Wohl kaum. War nur ein dummer Scherz von mir.«

»Hab’ ich’s mir doch gedacht.«

Sie stiegen aus, Sabine schloß das Auto ab, nachdem sie Stefanie die Kühlbox mit Erfrischungen in die Hand gedrückt hatte.

»Toll!« bemerkte Stefanie. »Wirklich unheimlich sauber hier. Wie geleckt. Und ich dachte immer, das Getöne von der sauberen Schweiz wäre nur ein Reklamegag.«

Unweit des Parkplatzes fanden sie eine Bank und einen Tisch, die nicht besetzt waren. Sie packten ihren Proviant aus, breiteten Papierservietten aus und picknickten mit Genuß. Danach rauchte Sabine eine Zigarette. Alles, was nicht mehr brauchbar war, wanderte anschließend in einen der Abfallbehälter.

Gestärkt ging es weiter gen Südwesten. Es war ihnen bewußt, daß sie die Heimat jetzt endgültig hinter sich gelassen hatten. Für Reue und Wehmut war es zu spät. Stefanie plauderte munter drauflos, und Sabine zwang sich, auf den Ton ihrer Tochter einzugehen.

Die Fahrt durch das idyllische Berner Oberland war angenehm. Dennoch jubelte Stefanie auf, als endlich glitzerndes Wasser in Sicht kam. »Ist das der See?« Sie hopste hoch und warf dann einen Blick auf die Karte. »Ja, das muß er sein. Lac Léman steht hier. Heißt er so?«

»Ja, das ist sein französischer Name.«

Zwischen Vevey und Lausanne schlängelte sich die Autobahn immer wieder durch Tunnel nah am Ufer entlang. Der Blick war unvergleichlich schön.

»Der See ist ziemlich groß, was?« meinte Stefanie.

»Viel größer, als ich ihn mir vorgestellt habe. Was findest du?«

»Mir geht’s genauso.«

»Da hinten, das muß Montreux sein«, erklärte Stefanie, »und die Berge am anderen Ufer gehören zu Frankreich.«

»Da können wir von Genf aus mal hinfahren.«

»Ja, und wir verschicken eine Menge Ansichtskarten. Damit die zu Hause wissen, wie weit ich in der Welt herumkomme!«

Hinter Lausanne, das sich steil am Ufer hinaufzog, tauchten rechts und links der Autobahn zwischen weitläufigen Weinbergen romantisch wirkende Häuser mit roten Ziegeldächern auf. Stefanie fand alles toll und war sehr dafür, die Autobahn bei Rolle zu verlassen und auf der Landstraße, die nahe am See entlangführte, weiterzufahren.

Die hübsche platanengesäumte Promenade des Städtchens verlockte sie, noch einmal Pause zu machen und sich etwas die Füße zu vertreten. Dann nahmen sie auf der Terrasse eines kleinen Cafés Platz. Sabine bestellte, zum ersten Mal auf französisch, zwei Gläser mit frisch gepreßtem Orangensaft. Sie hatte einen Kloß im Hals, mußte sich ausgiebig räuspern und fand, daß ihre Aussprache furchtbar deutsch klang.

»Was willst du?« tröstete Stefanie sie. »Immerhin hat sie dich verstanden.«

Die Bedienung hätte sich sicher auch mit Deutsch oder Englisch abgefunden, aber Sabine wollte sich so schnell wie möglich an die Landessprache gewöhnen. Insgeheim war sie ein wenig stolz auf sich, als das Mädchen tatsächlich frisch gepreßten Orangensaft brachte. Sabine fragte nach dem Preis, was schon leichter ging, verstand die Summe, zahlte gleich und gab ein großzügiges Trinkgeld. Die junge Frau bedankte sich höflich.

»Auf die hast du einen guten Eindruck gemacht«, fand Stefanie.

»Wollte ich auch. Weil sie bestimmt gemerkt hat, daß wir Deutsche sind.«

Der Saft schmeckte köstlich, war kühl und erfrischend. Sabine, die im Auto nie rauchte, nahm sich eine Zigarette und ließ sich von Stefanie Feuer geben.

Auf dem See tummelten sich Hunderte kleiner Boote mit weißen Segeln, manche hatten leuchtend bunte Spinnaker aufgezogen.

Sabine wandte ihr Gesicht in die Sonne. »Ich fühle mich unheimlich wohl, du auch?«

»Ich glaube, man kann’s hier aushalten«, stimmte Stefanie ihr fröhlich zu.

Es wäre ihnen schwergefallen sich loszureißen, wenn sie nicht doch darauf gebrannt hätten, endlich ihr Ziel zu erreichen. So stiegen sie nach einer guten halben Stunde wieder in Sabines kleinen Wagen und fuhren weiter.

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