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Kapitel 1

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Jan Wilhelm Nordhäusers Wohnung war der Traum eines jeden Maklers: Sanierter Altbau mit Sonnenbalkon, 1-A-Lage, vorne der herrliche Ausblick auf Freiburg, hinten raus der auf den Schauinsland, den Hausberg der Stadt. Dazu die gewundenen Straßen und die Weinstöcke, die dem Ganzen ein südliches Flair verliehen. Jetzt allerdings glich die Traumwohnung einem Schlachtfeld, und auf dem Sonnenbalkon türmten sich die Sachen, die auf den Sperrmüll sollten. Nordhäuser fluchte, als sein Handy klingelte. Bis er es endlich unter dem Bademantel hervorgefischt hatte, hatte es bereits zu klingeln aufgehört. Unbekannter Anrufer. Keine Nummer. Gab es das überhaupt noch? Auch keine Nachricht auf der Mailbox. Garantiert die verdammte Möbelspedition. Fünf Minuten später klingelte es wieder. Er meldete sich gereizt: „Ich will wissen, wo die Umzugskartons bleiben! Ich sitze hier im Chaos. Die sollten doch längst hier sein! Hallo? Hören Sie mich? Wer ist denn da?“

Er bekam keine Antwort. Hörte nur ein Atmen. War das Kriminalhauptkommissarin Karoline Bartels, Karo genannt! Konnte es wirklich sein, dass er sie nur am Geräusch ihres Atems erkannte? Als er schluckte, merkte er, dass sein Hals auf einmal ganz trocken war.

„Ärger mit der Spedition?“, fragte sie schließlich. Ihre Stimme klang so nüchtern und sachlich, dass er sich fragte, ob er sich das mit dem Atem nur eingebildet hatte.

„Ja. Tut mir Leid, ich dachte die melden sich endlich mal.“

„Sie lassen also nicht packen, Nordhäuser? Aus Geiz oder aus Prinzip? Ich weiß, Sie finden, dass wir nicht gut bezahlen, aber so schlecht ja dann doch auch wieder nicht. Oder?“

Wieso nannte sie ihn Nordhäuser? Waren sie nicht schon beim Du gewesen? Karos Ton, der jetzt irgendwo zwischen Ironie und ernsthaftem Interesse lag, irritierte ihn jedenfalls.

„Was gibt’s also, Karo?“, fragte er und verzichtete dabei bewusst darauf, sie zu siezen.

„Erst einmal willkommen im Team, Nordhäuser. Ich freue mich auf unsere Zusammenarbeit und bin sicher, dass auch Ihr Hausstand seinen Weg nach Berlin finden wird.“

Er hätte stundenlang über alles Mögliche mit dieser Frau sprechen können, aber nach Smalltalk stand ihm nicht der Sinn.

„Also, wo brennt’s?“

Auch sie hielt sich jetzt nicht mehr lange mit höflichen Floskeln auf: „Nordhäuser, ich weiß, dass Sie offiziell erst nächste Woche bei uns anfangen. Aber wir sind hier auf etwas gestoßen. Es ist ziemlich bizarr, und wir fürchten, dass eine üble Geschichte dahinter steckt.“

„Geht’s vielleicht auch etwas detaillierter?“, fragte er.

„Es geht um ein ...“, sie zögerte kurz, „Tötungsdelikt. Die ganze Sache ist ein wenig heikel. Aber über die Einzelheiten möchte ich am Telefon nicht sprechen. Es ist ohnehin besser, wenn Sie es sich selber ansehen. Wann können Sie hier sein?“

Er sah sich kurz in seiner Wohnung um. Der Gedanke, alles einfach stehen und liegen zu lassen, erschien ihm ausgesprochen reizvoll. Andererseits hatte er heute Nachmittag bereits das eine oder andere Bier getrunken, und ihm war klar, dass eine alkoholisierte Autofahrt nicht die perfekte Startbedingung für seinen neuen Job in Berlin sein würde. Er rechnete kurz nach, wie lang er für die Tour brauchen würde und sagte dann: “Morgen Abend.“ Das war ein realistisches Angebot, aber er hörte, wie sie scharf die Luft einsog. „Morgen Abend?“ Ihre Stimmlage war um eine Oktave höher geklettert.

„Freiburg-Berlin, das ist kein Pappenstiel! Ich bin Psychologe, kein Zauberer. Das sind mindestens achthundert Kilometer, und ich fahre keinen Rennwagen. Was erwarten Sie?“

„Schon mal was von Fliegen gehört? Oder gibt es da unten keine Flughäfen? Ich brauche Sie hier morgen bis spätestens sechzehn Uhr.“

„Ich fliege nicht“, sagte er.

„Sechzehn Uhr. Spätestens! Die Adresse haben Sie.“ Er starrte das Handy an. Aufgelegt. Das konnte ja heiter werden. Er machte sich noch ein Bier auf. Es dauerte eine Weile, bis sein Ärger über Karos unverfrorenen Befehlston so weit nachgelassen hatte, dass er sich für den Fall zu interessieren begann. Bizarr und übel, das hatte sie gesagt. Das konnte alles oder nichts bedeuten. Im Internet fand er nur das Übliche, die Hauptstadt wartete dieser Tage auf mit ein paar Prügeleien, einem Geisteskranken mit einer Spielzeugpistole in der U-Bahn, einem mittelschweren Raubüberfall, einer Messerstecherei unter Jugendlichen und einem Hausbrand, bei dem zwei Bewohner ums Leben gekommen waren. Alles eher langweilig denn bizarr. Wahrscheinlich aber hatten die Medien von dem Fall auch einfach noch keinen Wind bekommen. Er würde morgen früh zeitig losfahren.

Die Engel am Teufelssee

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