Читать книгу Future Angst - Mario Herger - Страница 11

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Vor einiger Zeit postete eine Freundin eines dieser Fotos, die auch ich zu schießen pflege: von einem Büchertisch in einer Buchhandlung mit dem eigenen, neu erschienenen Sachbuch zwischen einer Reihe anderer Sachbücher. Die Nachbarschaft zu anderen Büchern erhöht die Bedeutung des eigenen. Michaela Ernst zeigte mit dem Bild, mit welchen anderen Titeln ihr absolut empfehlenswertes Buch „Error 404: Wie man im digitalen Dschungel die Nerven behält“ auf dem Tischchen vereint ist.

Was mir allerdings gleich ins Auge stach, war der Tenor der anderen Buchtitel zu digitalen Technologien und Systemen. Die auf dem Tischchen vereinigten Büchertitel waren:

•„Die große Zerstörung: Was der digitale Bruch mit unserem Leben macht“

•„Der Preis des Profits: Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten“

•„Revolte: Der weltweite Aufstand gegen die Globalisierung“

•„Alles könnte anders sein: Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen“

•„Facebook: Weltmacht am Abgrund“

•„Das Leben nach Google: Der Absturz von Big Data und der Aufstieg der Blockchain“

•„Der Spion in meiner Tasche: Was das Handy mit uns macht und wie wir es trotzdem benutzen können“

•„Mindf*ck: Wie die Demokratie durch Social Media untergraben wird“

•„Weltsystemcrash: Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“

•„Der größte Crash aller Zeiten: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft. Wie Sie jetzt noch Ihr Geld schützen können“

•„Nach dem Kollaps: Die sieben Geheimnisse des Vermögenserhalts im kommenden Chaos“

•„Das Zeitalter des Überwachungskapitalismus“

•„Wer schützt die Welt vor den Konzernen? Die heimlichen Herrscher und ihre Gehilfen“

Lässt sich erkennen, was mir ins Auge stach? Welches der Bücher spricht von hoffnungsfrohen Zukunftsszenarien und beschreibt die Gegenwart positiv? Die Antwort lautet: keines. Ich denke, es wird klar, worauf ich hinauswill. Die Prämisse jedes einzelnen abgebildeten Buchtitels ist, dass wir entweder bereits in einer digitalen, technologischen Dystopie leben oder diese unmittelbar bevorsteht, weil das bestehende System kollabieren wird. Kein einziger Titel behandelt die Sichtweise, wie Technologien bereits unser Leben verbessert haben oder es zukünftig verbessern könnten. Man beachte auch, dass jeder der Autoren genau diese Technologien verwendet, um solch ein Buch zu schreiben, zu recherchieren, anzupreisen und zu Vortragsrunden zu reisen.

Es ist mir schon klar, dass dieser eine Büchertisch in einer Wiener Buchhandlung nicht repräsentativ für alle Buchhandlungen im deutschsprachigen Raum ist und der Buchhändler die Auswahl selbst getroffen hat. Doch solch eine Auswahl kommt nicht von ungefähr. Zuerst einmal müssen die Verlage selbst solche Bücher zur Veröffentlichung bestimmen. Hätte der Buchhändler die Wahl, Sachbücher mit den Chancen zu diesen Themen aufzulegen, hätte er es vermutlich gemacht. Und die Verlage publizieren und die Buchhändler legen Bücher auf, die verstärkt gekauft werden. Und da gilt nach wie vor: „Only bad news are good news!“

Je reißerischer der Titel, je dystopischer das Szenario, je böser die Bösewichte, je bunter ausgemalt wird, dass wir in der größten Katastrophe der Menschheitsgeschichte leben, desto eher greifen wir danach und desto besser ist es für die Verkaufszahlen. Menschen sind evolutionär darauf konditioniert, Bedrohungen größere Aufmerksamkeit zu widmen als den positiven Dingen. Ignorierte Bedrohungen können uns das Leben kosten, verpasste gute Dinge holen wir bei nächster Gelegenheit nach.

Und genau das ist das Problem bei uns. Zwar gibt es im Silicon Valley, wo ich seit fast zwei Jahrzehnten wohne, auch Buchtitel dieser Art, doch behandelt ein Drittel bis die Hälfte der Sachbücher die positive Seite und die Chancen dieser Themen. Diese Negativität im deutschsprachigen Raum – und, wenn ich dazusagen darf, auch im französischen – ist ein mentales Hindernis für uns, um Chancen zu ergreifen und Großes zu leisten.

Es ist klar, dass mit jeder Technologie und jedem System Gutes und Schlechtes vollbracht werden kann. Doch Schuld daran hat der Mensch, nicht die Technologie selbst. Dennoch nutzen uns diese Technologien und Systeme mehr, als sie uns schaden. Und die Lösungen auf die geschaffenen Probleme sind zumeist weitere Technologien und Systeme. Das scheint allerdings hier nicht der Tenor zu sein. Der Tenor ist, sich davon zu lösen oder etwas völlig Utopisches zu erwarten: nämlich, dass die Menschen plötzlich alle gut werden, das Beste für andere im Sinne haben und generell radikale Änderungen vornehmen. Doch wie soll eine Gesellschaft, die dem Fortschritt skeptisch gegenübersteht, sich plötzlich radikal wandeln?

Es gibt keine alternative Sicht auf die Zukunft als diese negative, dystopische. Und genau das eine Bild zeigt unsere Zukunftsangst. Zukunft ist eine Bedrohung. Digitale und sonstige Technologien sehen wir vor allem als etwas, was unser Leben und unseren Lebensstil bedroht. Fast alle diese Technologien stammen aus anderen Ländern und wurden nicht von uns daheim erschaffen. Und vielleicht ist das der wahre Grund für unsere Zukunftsangst: Wir gestalten sie nicht mit, wir werden von ihr überrollt, wir haben das Gefühl, keine Kontrolle darüber zu haben, und wir sind vielleicht ein wenig neidisch auf diejenigen, die sie erschaffen. Der einzige Ausweg, den viele von uns zu sehen scheinen, ist, diese Technologien und Systeme schlechtzureden.

Future Angst

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