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Soziale Phasenverschiebungen

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In der Geschichte der Menschheit gab es bislang drei sogenannte „soziale Phasenänderungen“. Der Begriff ist aus der Chemie entlehnt. Dort kennen wir beispielsweise Phasenübergänge zwischen fest, flüssig, gasförmig und Plasma. Wasser kann als Eis, als flüssiges Wasser, als Wasserdampf und als Plasma (in der Sonne) vorliegen. Jede Phase unterscheidet sich in ihren Eigenschaften und kann durch die Kombination äußerer Faktoren wie beispielsweise Temperatur und Druck, die auf den Stoff wirken, erzeugt werden.

Ähnliches spielt sich bei Übergängen von einer Phase der Menschheitsentwicklung in die nächste ab. Gewisse äußere Faktoren beeinflussen den Übergang. Die erste Phasenverschiebung war der Übergang von einer Gesellschaft aus Jägern und Sammlern zu einer sesshaften Agrarkultur. Was sich vordringlich änderte, war, was wir wann als Nahrungsmittel konsumierten. Was sich in zweiter Linie änderte, war die Notwendigkeit, Techniken zu entwickeln, um Landwirtschaft zu betreiben, Grundstücke abzugrenzen, Gesetze zu erstellen, Tiere zu domestizieren, um sie als Transport- und Arbeitstiere einzusetzen und zum Verzehr zu halten. Die Landwirtschaft erlaubte auch die Entstehung größerer Verbände, als es für Nomaden praktisch gewesen wäre, und zwar in Form von Städten. Arbeitsteilung wurde ein weiteres Element in dieser Phase, was wiederum zu Hierarchieunterschieden führte sowie zur Einführung von Geld, Schrift und Militär.

Der zweite Phasenübergang kam mit der industriellen Revolution, die durch unsere Fähigkeit, Energie in bis dato nicht möglichem Ausmaß auszuschöpfen, geprägt war. Von Menschen, Tieren, Wasser- und Windkraft als Energiequellen gingen wir dazu über, Energie aus Kohle mittels Dampf und Elektrizität und in späterer Zeit aus dem Atom oder der Solarenergie zu nutzen. Damit steigerten wir die Produktion und es kam zu einer Abwanderung vom Land in die Städte und Fabriken. Das führte in der ersten Zeit nicht zu einer Erhöhung des Lebensstandards für alle Menschen, sondern zwang viele von einem natürlichen Lebensrhythmus zu einem, der von Maschinen vorgegeben wurde. Und damit brachte es Armut für diejenigen, die sich nicht anpassen konnten oder wollten. Langfristig führten diese Änderungen zu einem steigenden Wohlstand für alle, der auch durch notwendige Änderungen der Fertigkeiten der Menschen ermöglicht wurde. Die Schulpflicht führte die breite Masse der Bevölkerung zu Schreib- und Lesefähigkeit, was wiederum neue Möglichkeiten bot.

Der dritte Phasenübergang, in dem wir uns aktuell befinden, ist der hin zu einer autonomen Zivilisation.1 Im Vergleich zu den vergangenen zwei Phasenübergängen sind die Treiber nichtdinglich, also nichtgreifbar. Es handelt sich dabei um Intelligenz, die wir auf Maschinen verlagern, um Information, die wir durch Maschinen erfassen und verarbeiten lassen, und um Zeit, die wir vorwiegend von der realen in den virtuellen Raum verlegen. Indem wir uns mit dem Fernseher, dem Computer oder dem Smartphone beschäftigen, verbringen wir mehr und mehr unserer Zeit in einem virtuellen Raum. Milliarden von Maschinen und Sensoren erfassen und vermessen die Welt und ergänzen unsere Sinne um zusätzliche Daten. Mit künstlicher Intelligenz erweitern wir den uns zugänglichen und nutzbaren Intelligenzraum.

Jeder Phasenübergang weist unterschiedliche Eigenschaften auf und kann zu problematischen Ergebnissen führen. Wenn Wasser zu Eis gefriert, können Rohre bersten. Verdampfendes Wasser kann zu Verbrühungen führen. Werden die Phasenübergänge richtig kontrolliert und eingesetzt, führen sie zu vorteilhaften Resultaten. Dampf wird zum Antrieb von Dampfmaschinen verwendet und Eis schützt Nahrungsmitteln vor dem Verderben.

Je nachdem, wie die Menschen diese Phasenübergänge erfahren oder vorhersehen, tendieren sie entweder zu einer skeptischen oder optimistischen Sicht der Entwicklung. Aus der Gnade der Spätgeborenen heraus erscheinen uns die ersten beiden Phasenübergänge von den Jägern und Sammlern zur Landwirtschaft und von einer Agrarwirtschaft zu einer industrialisierten Zivilisation als positiv, weil wir von den positiven Auswirkungen profitiert haben. Die negativen Auswirkungen von arbeitslos gewordenen Webern und Kinderarbeit in Fabriken und den damit einhergehenden sozialen Unruhen bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts oder die Mangelernährung der ersten Agrarkulturen kennen wir nicht aus eigener Erfahrung, sondern nur aus den Geschichtsbüchern.

Das führt zu dem Paradox, dass wir meinen, unsere Zeit stehe vor den größten Umwälzungen der Menschheitsgeschichte und würde uns einerseits die schrecklichsten Auswirkungen, andererseits die glänzendste Zukunft bringen. Dystopie hier, Paradies da. Ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt, dass dem nicht so ist. Weder kam es zu einem Zusammenbruch der Zivilisation noch führte sie uns in ein uneingeschränktes Paradies. Auf den nächsten Seiten möchte ich von einigen dieser vergangenen Ängste und Hoffnungen anhand von ausgewählten Erfindungen – die uns heute selbstverständlich und wenig kontrovers erscheinen – berichten. Wir werden somit sehen, dass die Ängste und Hoffnungen, die Argumente für und wider vorhersehbaren Mustern folgen und unsere Diskussionen sich heute nicht von denen unserer Vorfahren unterscheiden.

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