Читать книгу Faust I von Johann Wolfgang Goethe: Reclam Lektüreschlüssel XL - Mario Leis - Страница 7
Fausts Entgrenzungsversuche (Gelehrtentragödie)
ОглавлениеIn der Szene Nacht sitzt Faust monologisierend in seinem »hochgewölbten, engen, gotischen Zimmer«. Er zieht sein Fazit als Wissenschaftler und muss sich eingestehen, dass er trotz seiner leidenschaftlichen Hingabe und der eifrigen Suche nach Erkenntnis immer noch nicht weiß, »was die Welt / Im Innersten zusammenhält« (V. 382 f.).
Ein Ausweg, sein erster Magie als Sinnsphäre?Entgrenzungsversuch, scheint ihm schließlich die heidnische Magie zu sein; er genießt für einen Moment nachdenklich in sich gekehrt das »Zeichen des Makrokosmos«, das die »wirkende Natur« (V. 441) verkörpert. Aber er möchte die Natur leibhaftig erleben, deshalb beschwört er in seinem zweiten Entgrenzungsversuch den Erdgeist, doch dieser stürzt Faust in eine noch tiefere existenzielle Krise, weil er dem Geist nicht gewachsen ist: »Weh! ich ertrag dich nicht!« (V. 485) Faust bricht vor Verzweiflung zusammen. Nur Sekunden später klopft sein Famulus Wagner, ein fleißiger Student und spießig-naiver Vertreter der spätmittelalterlichen Wissenschaft, an seiner Tür.
Der Dialog mit Wagner verstärkt seine existenzielle Krise, er sieht nur noch einen Fausts dritter EntgrenzungsversuchAusweg, den Freitod. Aber in dem Augenblick, als er die Giftschale an den Mund ansetzt, erklingen die Osterglocken. Diese Töne lassen ihn in Jugenderinnerungen schwelgen. Er überdenkt seinen »letzten, ernsten Schritt« (V. 782) und gibt den Todeswunsch auf.
Am ersten Ostertag unternimmt er in der Szene Vor dem Tor mit Wagner einen Spaziergang. Die Menschen – »Spaziergänger aller Art« – begrüßen Faust und zollen ihm Hochachtung. Der anbrechende Frühling und die Natur beleben ihn; seine Stimmung spiegelt sich in der Naturbeschreibung: »Vom Eise befreit sind Strom und Bäche / Durch des Frühlings holden, belebenden Blick« (V. 903 f.). Plötzlich aber taucht ein Pudel auf, er folgt dem Gelehrten und Wagner.
Faust und der Pudel befinden sich nun in der Gelehrtenstube (Studierzimmer I). Faust sitzt konzentriert an der Übersetzung des Johannes-Evangeliums (Neues Testament). Der Pudel hingegen wird unruhig. Der irritierte Gelehrte ahnt nichts Gutes, deshalb beschwört er das Tier magisch und es verwandelt sich in den Teufel. Faust denkt zunächst, er sei ein Student. Mephisto indes stellt sich als der Teufel vor: »So ist denn alles was ihr Sünde, / Zerstörung, kurz das Böse nennt, / Mein eigentliches Element.« (V. 1342–1344) Faust bietet ihm einen Pakt an.
Mephisto hat aber ein anderes Problem, ein unsauber gezeichnetes Pentagramm auf dem Fußboden, ein magisches Zeichen, bannt ihn vorerst im Studierzimmer fest. Erst mit Hilfe einer Beschwörungsformel und einer Ratte kann er aus der Stube fliehen.
Doch bei einem zweiten Treffen (Studierzimmer II) wird der TeufelspaktTeufelspakt geschlossen und mit Blut besiegelt: Sobald es dem Teufel gelingt, dem Gelehrten folgende Sätze abzuringen, ist Faust verloren: »Werd ich zum Augenblicke sagen: / Verweile doch! du bist so schön! / Dann magst du mich in Fesseln schlagen, / Dann will ich gern zugrunde gehn!« (V. 1699–1702) Nun möchte der lebenshungrige Faust, der sich von der Wissenschaft verabschiedet hat (V. 1748 f.), das pralle Leben genießen. Mephisto verhöhnt am Ende der Szene in der sogenannten Universitätssatire in einem Dialog mit einem Schüler die zeitgenössische Wissenschaft.
Der gemeinsame Weg der beiden beginnt dann in Auerbachs Keller in Leipzig. Dort versucht der Teufel, Faust die derben sinnlichen Freuden des Lebens schmackhaft zu machen. Doch der Versuch scheitert, weil Faust von den Sauforgien der jungen Männer angewidert ist.
Nun reisen der Teufel und Faust in die Hexenküche; dort verabreicht die Hexe ihm einen Verjüngungstrank, der ihn obendrein erotisch stimuliert und auf Frauen fixiert. Der animalische und chaotische Kontext in der Hexenküche widert Faust zwar an, aber plötzlich schaut er wie gebannt auf das Spiegelbild einer hübschen Frau, die er im »Zauberspiegel« (V. 2430) sieht; er verliebt sich in sie und möchte sie sofort erobern: »O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel, / Und führe mich in ihr Gefild!« (V. 2431 f.)
Abb. 1: Hexenküche: Faust, Mephisto und die Hexe. Zeichnung von August von Kreling, ca. 1877
In der Szene Straße begegnet Faust Margarete, die gerade aus der Kirche kommt. Er versucht, mit ihr zu flirten; sie lässt sich nicht darauf ein und geht weiter. Kaum ist sie weg, tritt der Teufel auf, und der Verliebte bittet ihn, die Frau für ihn zu beschaffen und ein Geschenk für sie zu besorgen. Damit beginnt Margaretes Tragödie und Fausts vierter Fausts vierter EntgrenzugnsversuchEntgrenzungsversuch, der nun die Liebe und Sexualität als Sinnsphäre testet.