Читать книгу Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang Goethe: Reclam Lektüreschlüssel XL - Mario Leis - Страница 4

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Am 29. April 1890 schrieb Theodor Fontane über Johann Wolfgang von Goethes Schauspiel Iphigenie auf Tauris Folgendes: »Wer mir sagt: ›Ich war gestern in Iphigenie, welch Hochgenuß‹, der lügt oder ist ein Schaf und Nachplapperer.«1

Doch man kann – auch bei berechtigter Kritik an Goethes Schauspiel – dem großen Fontane sehr wohl widersprechen. Die Lektüre oder Aufführung der Iphigenie auf Tauris kann auch heute ein ästhetischer »Hochgenuß« sein, und das Drama vermag auch durch seine moralische und völkerrechtliche Aktualität zu überzeugen.

Iphigenie auf Tauris ist zwar in der Von der Antike bis ins 21. JahrhundertAntike angesiedelt, bezieht sich aber auch auf die Klassische Literaturepoche Deutschlands und berührt seine Leser auch noch im 21. Jahrhundert, weil das Stück genügend dramaturgisches Potenzial besitzt.

Im Mittelpunkt des Dramas steht die Griechin Zentralfigur IphigenieIphigenie, die notgedrungen in der Fremde, auf der Insel Tauris, als Priesterin dient. Sie sehnt sich nach ihrer Heimat, aber der König der Taurer, Thoas, hält um ihre Hand an, sie lehnt ab, deshalb führt er aus Rache wieder Menschenopfer ein: Jeder Fremde, der Tauris betritt, soll von der Priesterin geopfert werden. Prompt tauchen zwei Ausländer auf der Insel auf, die Griechen Orest und Pylades. Orest ist Iphigenies Bruder und er wird von den Rachegöttinnen verfolgt, weil er seine Mutter Klytemnestra getötet hat, um ihren Mord an seinem Vater Agamemnon zu rächen. Iphigenie müsste also ihren eigenen Bruder töten und seinen Freund, ein furchtbares Dilemma für sie, auch weil Thoas kategorisch Gehorsam von ihr einfordert. Der listige Pylades möchte Thoas betrügen, um Iphigenie, sich und seinen Freund Orest, der fast schon wahnsinnig geworden ist, zu retten.


Abb. 1: Orestes wird von Furien gehetzt. Ölgemälde von William-Adolphe Bouguereau, 1862

Iphigenie schwankt zwischen der Lüge – dem geplanten Fluchtversuch – und der Wahrheit; schließlich entscheidet sie sich für die »Iphigenie entscheidet sich für die WahrheitWahrheit« (V. 1919) und beichtet Thoas den Fluchtplan. Er, der »rohe Scythe, der Barbar«, vernimmt ihre »Stimme / Der Wahrheit und der Menschlichkeit« (V. 1937 f.) und schenkt ihr, Orest und Pylades die Freiheit. Dieses gewaltfreie Ende ist erstaunlich, aber passt zu Goethes Sicht: »Darum verzichtete er völlig auf die überlieferten Strafmechanismen mythischer Mächte in Gestalt der Furien. […] Sein herausforderndes Vertrauen in die ethische Verantwortung jedes einzelnen ermöglichte es ihm, die Tragödie göttlicher Schicksalsfügungen umzuwandeln in ein dramatisches Exempel gelingender Humanität.«2 Hier handelt es sich indes um eine humanistische Utopie, die zwar erstrebenswert ist, aber windschief zur Wirklichkeit steht.

Das brachte 1980 der Literaturkritiker Hellmuth Karasek pointiert auf den Punkt: »Denn das Stück, das mit seinen makellos schönen Versen zum Deklamieren einlädt, ist eine Mischung aus klassizistischer Griechenbegeisterung und dem Goetheschen Goethes »Kavaliersglauben«Kavaliersglauben, wilde Männer würden durch zarte Frauenworte gezähmt, die ihnen mit edler Sanftmut die krause Stirne glätten, sie sogar manchmal das blutdurstige Schwert aus der Hand legen lassen.«3

Iphigenie auf Tauris von Johann Wolfgang Goethe: Reclam Lektüreschlüssel XL

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