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Alles ging dann glatt vor sich. Artie fragte mich, warum ich von Valerie und den Kleinen davongelaufen sei. Er hatte einen neuen Wagen, einen großen Kombi, und seine Frau war schon wieder schwanger. Das würde dann das vierte Kind sein. Ich beglückwünschte ihn zur neuen Vaterschaft und machte mir im Geist eine Notiz, seiner Frau in ein paar Tagen Blumen zu schicken. Und strich dann die Notiz wieder. Man kann nicht einer Frau Blumen schicken, wenn man ihrem Mann Tausende von Dollar schuldig ist. Und wenn man sich von ihm in der Zukunft noch weiter Geld wird pumpen müssen. Artie würde es egal sein, aber seine Frau fand es möglicherweise merkwürdig.

Unterwegs zu dem Appartementhaus in der Bronx, in dem wir wohnten, stellte ich Artie die wesentliche Frage: „Wie steht Vallie jetzt zu mir?“

„Sie begreift“, antwortete Artie. „Sie ist nicht böse. Sie freut sich darauf, dich wiederzusehen. Sieh mal, so schwer ist es gar nicht, dich zu verstehen. Und du hast jeden Tag geschrieben. Und sie ein paarmal angerufen. Du hast einfach einmal Tapetenwechsel nötig gehabt.“ Er sagte es so, als sei das alles ganz normal. Aber ich merkte, daß es ihm gehörig Angst eingejagt hatte, daß ich einen ganzen Monat lang ausgerissen war.

Und dann fuhren wir durch die Wohnsiedlung, die auf mich stets eine deprimierende Wirkung ausübte. Es waren riesige Wohnblocks in Sechseckform, von der Regierung für arme Leute errichtet. Wir hatten eine Wohnung mit fünf Zimmern für fünfzig Böcke, einschließlich Betriebskosten und Heizung. Und während der ersten paar Jahre war es auch okay gewesen. Die Blöcke waren mit Regierungsmitteln errichtet worden, und es hatte eine genaue Auswahl stattgefunden. Die ursprünglichen Mieter waren hart schuftende, gesetzestreue Bedürftige gewesen. Durch ihre Tüchtigkeit waren sie wirtschaftlich aufgestiegen und in private Häuser umgezogen. Und jetzt kriegten wir die eingefleischten Armen, die. niemals ehrlich ihren Lebensunterhalt verdienen konnten oder wollten. Drogensüchtige, Alkoholiker, Familien ohne Vater, die. von der Wohlfahrt lebten, weil der Mann sich abgesetzt hatte. Die meisten dieser Neuzuzüge waren Farbige, darum glaubte Vallie, sie dürfe sich nicht beklagen, weil man sonst denken könnte, sie sei rassistisch eingestellt. Aber ich wußte, wir mußten bald von da weg und in ein weißes Viertel ziehen. Ich wollte nicht schon wieder in einem Waisenhaus versauern. Es kümmerte mich einen Dreck, ob jemand das für Rassismus hielt. Für mich war eines klar: daß wir von einer Überzahl von Leuten überwältigt zu werden drohten, denen unsere Hautfarbe nicht paßte und die recht wenig zu verlieren hatten, egal was sie taten. Mein gesunder Menschenverstand sagte mir, daß dies eine gefährliche Situation sei. Und daß es noch schlimmer kommen würde. Ich mochte die Weißen nicht besonders, warum also sollte ich die Neger lieben? Vallies Mutter und Vater würden uns natürlich die Anzahlung für ein Haus gegeben haben. Aber ich wollte von ihnen kein Geld annehmen. Geld nahm ich nur von meinem Bruder Artie an. Der glückliche Artie!

Der Wagen stoppte. „Komm mit rauf, ruh dich aus und trink ’ne Tasse Kaffee.“

„Ich muß nach Hause“, sagte Artie. „Außerdem will ich mir die Szene ersparen. Geh und schluck deine Brocken wie ein Mann!“

Ich griff auf den Rücksitz und schwenkte den Koffer aus dem Wagen. „Okay“, sagte ich. „Vielen Dank, daß du mich abgeholt hast. In ein paar Tagen komme ich dich besuchen.“

„Okay“, sagte Artie. „Bist du sicher, daß du ’n bißchen Moos hast?“

„Ich hab’ dir doch gesagt, ich komme mit Gewinn heim“, sagte ich.

„Merlin der Zauberer“, sagte er. Und wir lachten beide. Dann ging ich den Weg hinunter, der zum Eingang meines Apartmenthauses führte. Ich wartete darauf, daß sein Motor auf höhere Touren käme, wenn er losfuhr, doch ich nehme an, er blieb sitzen, bis ich in dem Haus verschwunden war. Ich schaute mich nicht um. Ich hatte einen Schlüssel, aber ich klopfte. Ich weiß nicht, weshalb. Es war mir, als hätte ich kein Recht, diesen Schlüssel zu benutzen. Als Valerie mir aufmachte, wartete sie, bis ich drin war und den Koffer in der Küche abstellte, ehe sie mich umarmte. Sie sah sehr ruhig, sehr blaß, sehr bedrückt aus. Wir küßten einander sehr flüchtig, als ob es nichts Besonderes wäre, daß wir in zehn Jahren zum erstenmal getrennt gewesen waren.

„Die Kleinen wollten auf dich warten“, sagte sie. „Aber es war zu spät. Sie sehen dich dann morgen früh, bevor sie zur Schule gehen.“

„Okay“, sagte ich. Ich wäre gerne in ihre Zimmer gegangen, um sie mir anzusehen, aber ich fürchtete, ich könnte sie aufwecken, und dann würden sie nicht wieder einschlafen und Vallie auf die Nerven gehen. Sie sah nun sehr erschöpft aus.

Ich trug den. Koffer in unser Schlafzimmer, sie kam hinter mir her. Sie begann auszupacken, und ich setzte mich aufs Bett und sah ihr zu. Sie machte das sehr geschickt. Die Schachteln, von denen sie wußte, daß sie Geschenke enthielten, legte sie auf den Frisiertisch. Die getragene Wäsche und Kleidung sortierte sie in Stapeln für die Wäsche und die Reinigung. Dann trug sie die schmutzige Wäsche ins Badezimmer und stopfte sie in den Wäschekorb. Sie kam nicht zurück, darum ging ich ihr nach. Sie lehnte gegen die Wand und weinte.

„Du hast mich verlassen“, schluchzte sie. Und ich lachte. Weil es nicht stimmte und weil es nicht paßte, was sie sagte. Sie hätte mir witzig oder rührselig oder schlau kommen können, aber sie erklärte einfach, was sie fühlte. Genauso wie sie ihre Geschichten in der New School zu schreiben pflegte. Und weil sie so ehrlich war, mußte ich lachen. Und ich glaube, ich lachte, weil ich nun wußte, daß ich mit ihr und der ganzen Situation fertigwerden konnte. Ich würde witzig und komisch und zärtlich sein und erreichen, daß sie sich wieder okay fühlte. Ich konnte ihr zeigen, daß es überhaupt nichts zu bedeuten hatte, daß ich sie und die Kleinen verlassen hatte.

„Ich hab’ dir jeden Tag geschrieben“, sagte ich. „Ich hab’ dich mindestens vier-, fünfmal angerufen.“

Sie verbarg ihr Gesicht in meinen Armen. „Ich weiß doch“, sagte sie. „Aber ich war nie sicher, ob du zurückkommst. Es ist mir ja alles egal, ich liebe dich eben, und ich brauche dich bei mir.“

„Mir geht’s genauso“, sagte ich. So sagte es sich am leichtesten.

Sie wollte mir etwas zu essen machen, aber ich lehnte ab. Ich duschte rasch, und sie wartete schon im Bett auf mich. Sie zog immer ein Nachthemd an, auch wenn wir uns lieben wollten und ich es ihr wieder ausziehen mußte. Das kam von ihrer katholischen Kindheit, und mir gefiel das. Es verlieh unserer Liebe einen gewissen zeremoniellen Charakter. Und wie ich sie da so liegen und auf mich warten sah, war ich froh, daß ich ihr treu geblieben war. Ich mußte mit einer ganzen Reihe von Schuldkomplexen fertigwerden, doch jedenfalls nicht mit diesem. Und das war viel wert in jener Situation. Ich weiß nicht, ob das ihr eine Hilfe gewesen ist.

Bei ausgeknipstem Licht, bemüht, keinen Lärm zu machen, damit die Kinder nicht aufwachten, liebten wir uns wie immer in den über zehn Jahren, die wir zusammen waren, Kinder zusammen hatten und, glaube ich, einander auch Liebe entgegenbrachten. Ihr Körper war begehrenswert, ihre Brüste schön, ihr Orgasmus kam natürlich und voller Unschuld. Jede Stelle ihres Körpers reagierte auf Berührung, und sie war in Maßen leidenschaftlich. Wenn wir einander liebten, war das fast immer befriedigend, so auch in dieser Nacht. Hinterher schlief sie tief und fest, hielt meine Hand, bis sie sich zur Seite rollte und die Verbindung abbrach.

Aber ich oder meine innere Uhr waren um Stunden vorangeflogen. Jetzt, da ich wieder sicher zu Hause bei Frau und Kindern war, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, warum ich überhaupt fortgelaufen war. Warum ich fast einen Monat lang in Vegas verbracht hatte, so allein und von allem abgeschnitten. Ich spürte, ‚ wie ich mich entspannte wie ein Tier, das endlich in Sicherheit ist. Es machte mich glücklich, daß ich arm war, gefangen in einer Ehe und mit der Bürde meiner Kinder belastet. Es erfüllte mich mit Freude, daß ich zwar keinen Erfolg hatte, aber im Bett neben einer Frau liegen konnte, die mich liebte und gegen die ganze Welt absicherte. Und dann dachte ich, so müßte wohl Jordan gefühlt haben, ehe er die böse Nachricht erhielt. Aber ich war nicht Jordan. Ich war Merlin der Zauberer, ich würde dafür sorgen, daß alles in Ordnung kam.

Der Trick ist, sich an alles Gute, an alle glücklichen Stunden zu erinnern. Und diese zehn Jahre waren fast durchweg glückliche Jahre gewesen. Nein, einmal stank mir in die Nase, daß ich für meine Möglichkeiten, meine Verhältnisse und meinen Ehrgeiz zu glücklich war. Ich mußte an das leuchtende Casino in der Wüste denken und an Diane, die als Anreißer spielte, ohne jede Chance, zu gewinnen oder zu verlieren, ohne Chance, glücklich oder unglücklich zu sein. Und Cully hinter dem Spieltisch in seiner grünen Schürze, als Dealer für das Haus. Und Jordan tot.

Doch als ich so in meinem Bett lag und die Familie, die ich mir geschaffen hatte, rings um mich atmen hörte, fühlte ich eine erschreckende Kraft in mir. Ich würde sie gegen die Welt absichern, ja sogar gegen mich selbst.

Eine Gewißheit überkam mich. Ich würde ein zweites Buch schreiben können und damit reich werden. Vallie und ich würden für immer und ewig glücklich sein, diese befremdende neutrale Zone, die uns trennte, aufgelöst werden. Ich würde sie niemals betrügen oder meine Zauberkraft benutzen, um tausend Jahre lang zu schlafen. Aus mir würde niemals ein zweiter Jordan werden.

Narren sterben

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