Читать книгу Grausame Wahrheit - Das dritte Opfer - Marion Selbmann - Страница 2
ОглавлениеKapitel 2
Am nächsten Tag im Präsidium angekommen, ging Hektor ohne Umwege zu seinem Schreibtisch. Wie so oft vergaß er seinen Kollegen einen Guten Morgen zu wünschen.
„Man siehst du Scheiße aus.“
Sein jüngerer Partner zog die Augenbrauen hoch und rümpfte die Nase.
„Wann hast du den zum letzten Mal geduscht?“
„Kai, halt die Schnauze!“
Hektor hatte so gut wie nicht geschlafen. Er hatte stundenlang gegrübelt, ob das Verschwinden des Mehner Jungen eine Parallele zu dem vor sechs Wochen verschwundenem Mädchen ergab.
„Sag mir lieber ob ihr irgendwas Neues erfahren habt. Sei es von der Kleinen aus Adorf, oder von dem aktuell vermissten Jungen.“
„Weder, noch.“
Kai trank einen Schluck Kaffee aus einer übergroßen Tasse mit der Aufschrift “ Arme Sau “.
Er war gerade sechsundzwanzig Jahre alt. Er hatte dunkles, kurz geschnittenes Haar und sah im Gegensatz zu Hektor sehr gepflegt aus.
Er bewunderte seinen Partner, obwohl er seine Vorgehensweise nicht immer gut fand.
„Ich sage dir.....“, der Satz blieb ihm im Hals stecken, weil das Telefon klingelte. Hektor nahm den Hörer ab. Kai bemerkte wie sein Kollege blass wurde.
„Wir kommen sofort. Bitte beruhigen sie sich, Frau Mehner.“
Er legte den Hörer hart zurück.
„Komm, wir müssen los!“
Die Morgensonne schien durch das offene Fenster ins Wohnzimmer der Familie Mehner.
Doris Mehner saß kreidebleich in einem der Sessel. Hinter ihr stand ihr Mann Walter. Er hatte haargenau dieselbe Blässe wie seine Frau. Während er wie eine Statue steif, mit leerem Blick aus dem Fenster starrte, hatte seine Frau ein verweintes Gesicht und schluchzte heftig. Hektor konnte sie kaum verstehen, als sie vom Anruf sprach, welcher vor einer Stunde bei ihnen eingegangen war.
„Eine halbe Million, er will eine halbe Mil...“
Ihr Satz wurde von einem Weinkrampf unterbrochen.
„Sonst wird er unseren Sohn umbringen.“
Herr Mehner vollendete mit rauer Stimme den Satz seiner Frau.
Hektor blickte von einem zum anderen.
„ Hat er bereits irgendwelche Angaben gemacht wann, wo und wie die Übergabe stattfinden soll?“
„ Nein, er will sich noch einmal melden.“. Walter Mehner blickte zu seiner Frau.
„ Ich werde das Geld schon auftreiben, Dora.“
Hektor musterte ihn.
Doras Gatte war ein stattlicher Mann mit dunklem Haar und grauen Schläfen. Er trug einen schwarzen Anzug und ein weißes Hemd. Keinen Schlips wie Hektor feststellte. Herr Mehner bemerkte, dass der Kommissar ihn musterte. Er lächelte ein wenig.
„Ich muss leider gleich wieder weg. Meine Firma expandiert in China und wenn ich nicht fliege platzt das Geschäft.“
Er senkte den Blick und nahm entschuldigend die Hand seiner Frau.
Der Kommissar wandte sich wieder Frau Mehner zu.
„ Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen. Kam Ihnen die Stimme bekannt vor? Waren da irgendwelche Geräusche im Hintergrund?“
Frau Mehner hob den Blick.
„Er hat geflüstert. Ich konnte kaum etwas verstehen. Aber...“ sie machte eine kleine Pause,
„Im Hintergrund hat ein Pfau geschrien.“
„Sind sie sicher dass es ein Pfau war?“ fragte Hektor.
Sie nickte. „Unverwechselbar. Es war ein Pfau.“
Hektor stand auf.
„Es sind fast immer drei Etappen welche die Täter anwenden. Entführung, Verhandlung, Austausch.
Wir werden folgendes tun. Wir installieren eine Fangschaltung und ich werde mich eine Zeitlang bei ihnen einquartieren müssen. Hoffen wir, das der Entführer sich bald wieder meldet.
„Seien sie zuversichtlich. Wir werden ihren Sohn finden.“
Nachdem alles im Präsidium geregelt war und die Techniker eine Fangschaltung installiert hatten, fuhr Hektor zurück zu den Mehners.
Gedanklich war er schon bei Dora und deren Beziehung zu ihrem Mann.
Es begann bereits zu dämmern als er vor dem weißen Haus mit dem schmiedeeisernen Tor parkte. Seltsam still war es im Haus. Doras Mann war nicht da und sie selbst sprach minutenlang kein Wort.
Hektor freute sich trotz des schrecklichen Anlasses in ihrer Nähe sein zu können.
„Übrigens, mein Mann hat das Geld bereits aufgetrieben.“
„Alles?“ Hektor war erstaunt.
Sie nickte und fragte unvermittelt ob er Hunger habe.
„Nun, ein wenig, ehrlich gesagt. Ich will mir nur schnell noch die Hände waschen. Wo befindet sich das Badezimmer? “
Dora stand auf. „Die Treppe hoch und dann links.“
Hektor schaute sich im hellblau, gefliestem Badezimmer um. Alles war peinlich sauber, beinahe steril. Er wusch sich die Hände. Aus dem ovalen Spiegel über dem Waschbecken blickte ihn ein struppiger Kerl an.
„Man, siehst du Scheiße aus.“
Er warf seinem Spiegelbild einen bösen Blick zu. Etwas fiel im Erdgeschoss polternd zu Boden. Hektor lief schnell, immer zwei Stufen nehmend, nach unten.
„Ist was passiert?“
„Nur ein Teller ist kaputt. Nicht der Rede wert.“
Mit spitzen Fingern sammelte sie die Scherben auf. Er sah ihr zu und hatte plötzlich das Gefühl, dass etwas nicht stimmte.
„Haben sie einen Anruf bekommen?“
„Nein! Ich habe uns eine Kleinigkeit zu essen gemacht und dabei ist mir ein Teller herunter gefallen.“
Den Brief, welchen sie gerade in der Post gefunden hatte, erwähnte sie nicht.
Als Kommissar Stark auf dem mit hübschem Bettzeug ausgestattetem Sofa lag und angestrengt zur Decke starrte, malte er sich aus wie es gewesen wäre Dora Mehner unter anderen Umständen kennengelernt zu haben. Diese rätselhafte Anziehung hatte Hektor bisher noch nie bei einer Frau gespürt. Während er noch versuchte dem Geheimnis auf die Spur zu kommen, schlief er ein.
Ein tiefer Schlaf, unruhige Träume. Verwirrend und rätselhaft.
Hektor bekam nichts von den dramatischen Ereignissen der nächsten Stunden mit.