Читать книгу Grausame Wahrheit - Das dritte Opfer - Marion Selbmann - Страница 8
ОглавлениеKapitel 9
Vier Wochen waren vergangen. Der Juni hatte kühl und verregnet begonnen. Seit Tagen blieb der Himmel gleichmäßig grau. Alles Lebendige schien sich verkrochen zu haben.
Still war es auch im Haus der Familie Mehner. Dora war mit den Vorbereitungen für das Begräbnis ihres Sohnes beschäftigt. Die schwarze Kleidung ließ sie noch blasser und zerbrechlicher wirken als sonst. Ihr Haar, durchzogen von feinen weißen Fäden, fiel unfrisiert auf die schmalen Schultern. Sie funktionierte wie ein Roboter, ohne Gefühle zu zeigen. Irgendwie war sie mit ihrem Kind gestorben.
Einmal die Woche kam die Putzhilfe. Henriette Stolz achtete darauf, dass immer alles peinlich sauber war.
Heute versuchte sie mit einer Torte, die sie von zu Hause mitbrachte, Dora zu bewegen etwas zu sich zu nehmen. Henriette goss gerade Kaffee in die hübsch geblümte Tasse, als Dora die Treppe zum Wohnzimmer herunter kam.
„Sie sehen müde aus.“
Die Stimme der untersetzten, grauhaarigen Frau klang besorgt.
Henriette legte demonstrativ ein großes Stück auf den Teller und machte eine energische Handbewegung, worauf Dora sich seufzend setzte.
„Das ist wirklich lieb. Aber ich habe überhaupt keinen Hunger.“
Die Tür zum Wohnzimmer öffnete sich mit einem leisen Knarren.
„Max, wie schön. Setz dich doch zu uns.“
Dora schaute auf ihr Stück Torte. „Möchtest Du vielleicht mein Stück Torte essen?“
Sie blickte lächelnd zu ihrem Sohn.
„Später, Mama. Tu es in den Kühlschrank. Wäre wirklich schade drum. Ich muss noch mal weg. Bin gegen achtzehn Uhr wieder da.“
Er nickte Henriette kurz zu und schloss die Tür hinter sich.
„Der arme Junge.“
Henriette schüttelte den Kopf. Sie setzte sich zu Dora. Schweigend aß diese nun doch wenigsten etwas.