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Artensterben und Umweltveränderung

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Viele Menschen sind besorgt über das Aussterben von Tierarten als Folge von Umweltveränderungen, wie sie oben beschrieben wurden. Das Artensterben an sich ist jedoch für Biologen nichts Ungewöhnliches. Seit es Leben gibt, verschwinden manche Arten unwiderruflich, während andere neu entstehen. Von allen jemals entstandenen Arten (insgesamt fünf bis fünfzig Milliarden) lebt heute nur noch jede tausendste. Zurzeit nimmt die Geschwindigkeit, mit der Arten aussterben, jedoch vermutlich stark zu: Die derzeit aussterbenden Arten sind an die neuen, oft von Menschen geschaffenen Umweltverhältnisse nicht mehr angepasst.

Ewiger Schlummer

Nicht nur Tiere, auch Pflanzen können in Ruhestadien leben oder schlummern. Pflanzen verkapseln jedoch nur ihre Samen, während einfach gebaute Tiere als Ganzes ins Ruhestadium übergehen können (zum Beispiel Amöben als »Zysten« oder Moostierchen als »Tönnchen«). Die Höchstlebensdauer von Pflanzensamen ist dabei nicht minder erstaunlich als die Überlebensleistungen verkapselter Tiere. So können Nachtkerzensamen länger leben als manche Menschen – sie werden bis zu achtzig Jahre alt. Auch Mais, Zwiebeln, Sellerie und Tabak bringen Samen hervor, die immerhin ein halbes menschliches Leben begleiten können. Die bislang bekannten »Bestleistungen« von Pflanzen, die nach überstandenen Samenruhen wieder erblühten:

Wiesenklee 100 Jahre
Kartoffel 200 Jahre
Indische Lotosblume 250 Jahre
Kriechender Hahnenfuß 600 Jahre
Feldspark7 1700 Jahre

Nun übertreffen allerdings die lebenden Pflanzen – in krassem Gegensatz zu lebenden Tieren – ihr eigenes Ruhestadium bei weitem. 400 Jahre alte Kirschbäume, 900 Jahre alte Rotbuchen, 1900 Jahre alte Linden und 4600 Jahre alte Borstenkiefern gibt es wirklich. Die Eiche, deutscher Inbegriff für Knorrigkeit und Beständigkeit, bringt es auf 1300 Jahre. Diese Höchstalter sind natürlich die Ausnahme. Eine »normale« Eiche wird nicht viel älter als 200 bis 300 Jahre und eine gewöhnliche Rotbuche nicht älter als 140 Jahre.8

Pflanzen leben also oft länger als ihre Ruhekapseln. Außerdem kann die lebende Pflanze zahlreiche weitere Keimzellen herstellen, das Ruhestadium nicht.

Auch ein Tier, das sich in sein Ruhegehäuse zurückzieht oder sich komplett in ein solches umbildet, bringt in dieser Zeit keine Nachkommen hervor.

Auch vor unserer Zeit gab es Perioden großer Umweltveränderungen, in deren Folge im Schnitt 65 Prozent aller Arten starben. Eine dieser Katastrophen trat kurz vor der »Kambrischen Explosion« ein. Eine unbekannte Ursache hat damals, auf der Grenze vom Präkambrium (vor sechshundert Millionen Jahren) zum Kambrium (vor etwa fünfhundertsechzig Millionen Jahren), fast das gesamte Leben der Erde ausradiert und eine komplette Lebenswelt, die Biophyten, vernichtet. Die Biophyten, vermutlich weder Pilze noch Pflanzen, noch Tiere, kennen wir nur noch aus präkambrischen Gesteinsabdrücken. Wir sehen in den Fossilien dieser fernen Zeit »Seefedern« oder »scheibenförmige Wurmtiere«, wissen aber nichts über die Biologie dieser Lebensformen.

Mit dem Kambrium verbreiteten sich die Vorläufer der heutigen Lebewesen sehr rasch. Daher die Bezeichnung »Kambrische Explosion«. Ob es zuvor eine wirkliche Explosion auf der Erde gab, die das Massensterben bewirkte, wissen wir nicht. Weitere Massensterben gab es beispielsweise im Mesozoikum vor etwa zweihundertsechzig Millionen Jahren, nach dem Trias vor etwa zweihundertacht Millionen Jahren und während des Übergangs von der Kreidezeit zum Tertiär vor etwa fünfundsechzig Millionen Jahren.

David Raup, Professor für Geophysik an der Universität Chicago, vermutet, dass Meteoriteneinschläge der Grund für diese Katastrophen waren. Im Abstand von etwa sechsundzwanzig Millionen Jahren, so glauben Raup und viele andere Forscher, können erdgeschichtliche Massensterben belegt werden. Als der Physiker Luis Alvarez aus Berkeley im Jahre 1980 erstmals die Idee des Massensterbens durch Meteoriteneinschläge veröffentlichte, glaubte ihm niemand. »Es war«, berichtet Raup, »als hätte jemand behauptet, die Dinosaurier seien von kleinen grünen Männchen aus einem Raumschiff erschossen worden.« Der verblüfften Ablehnung folgte aber rasch eine ernsthafte Diskussion. Es gibt sogar Hinweise darauf, dass riesige, bis zu hundert Kilometer weite Krater genau aus der Zeit dreier der fünf großen erdgeschichtlichen Massensterben stammen. Vielleicht erweisen sie sich eines Tages als Zeugen der vermuteten Meteoriteneinschläge.

Das Massensterben ist aber nicht nur eine Katastrophe, sondern es hat auch einen biologischen Nutzen. So verficht David Raup in seinem Buch Extinction. Bad Genes or Bad Luck (1991) die Idee, dass die treibende Kraft der Evolution durch stufenweise Anpassung neuer Arten an die Umwelt (adaptive Radiation) nur deswegen möglich war und ist, weil nach Massensterben regelmäßig Platz für die neuen, besser angepassten Arten entsteht. Ohne Massensterben, ist sich Raup sicher, wäre die enorme Artenvielfalt auf der Erde nicht zu verstehen.

Für manche Lebewesen sind extreme Umweltveränderungen also Krisen oder Katastrophen, für andere gerade das Gegenteil. Besonders stark betroffen von katastrophalen Umweltveränderungen sind aber immer die von uns so genannten unsterblichen Tierarten, weil sie vollkommen gleichartige, nicht angepasste Nachkommen haben. Andere Lebewesen überleben Umweltveränderungen, weil sie ein Leben mit Sex führen.

Memento Mori

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