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Das Labor, in dem ich viele Jahre hindurch die Erbsubstanz lebender Menschen untersucht habe, ist nur durch wenige Türen vom Leichenkühlraum des Kölner Universitätsinstitutes für Rechtsmedizin getrennt. Das tägliche Nebeneinander des sichtbar gemachten Lebensbauplanes einerseits und des greifbaren Todes andererseits regte mich dazu an, dieses Buch zu schreiben. Schon während meines Biologiestudiums fragte ich mich: Warum müssen nahezu alle Wesen sterben trotz der langen Entwicklungszeit, die das irdische Leben in Anspruch genommen hat? Wäre Unsterblichkeit nicht ein praktisches und erstrebenswertes Ziel der Evolution?

Auf der Suche nach einer Antwort ging ich den seltsamen Berichten über eingefrorene Köpfe, die in Lagerhallen privater Firmen auf eine Wiedererweckung warten, ebenso nach wie den Forschungen, mit denen man die Alterungsgene ausschalten will. Ich traf Genetiker, die Lebensinformationen verändern, und Mediziner, die uralte Erbsubstanzstücke untersuchen. Ich arbeitete mit Entwicklungsbiologen, die die Entstehung jeder einzelnen Körperzelle eines Tieres durch das Mikroskop beobachtet haben, und fand Rechenmethoden, die scheinbar den Ablauf des Lebens erklären können. In staubigen Bücherbergen entdeckte ich Werke des Erfinders der Biorhythmen und die Lehren von Goethes Leibarzt.

Wie sich zeigte, ist der Wunsch nach ewigem Leben eine grundlegende und uralte Sehnsucht des Menschen. Seit jeher nutzen wir alle technischen Möglichkeiten, um Leben zu erhalten und zu verlängern.

Aber erst die biomedizinische Forschung der letzten Jahre hat uns dem alten Traum vom ewigen Leben ein Stück näher gebracht. Für Hunderte erblicher Krankheiten haben wir tatsächlich schon die auslösenden Gene und damit den möglichen Schlüssel für eine Heilung gefunden.

Seit vergangenem Jahr ist das Erbgut vieler Lebewesen entschlüsselt – zumindest so weit, dass wir damit sinnvoll arbeiten können. Weder die Anzahl der Gene des Menschen noch die Arbeitsweise der nicht kodierenden Erbsubstanzabschnitte ist aber bisher verstanden, und so bleibt es spannend im gerade beginnenden Jahrhundert der Bioforschung. Die Schönheit des Lebens, aber auch dessen zerbrechliche und zufällige Art bleiben dabei für viele Forscherinnen das befriedigendste Beschäftigungsfeld.

In der jetzt wirklichen Umwälzung des biologisch-medizinischen Denkens und Arbeitens geraten einige der im vorliegenden Buch beschriebenen Methoden wie das Tieffrieren menschlicher Körper, der Bau von Einmann-Überlebenswaben zur Besiedlung des Planeten Mars oder die massenhafte Lagerung aller Pflanzensamen zu scheinbaren Beinoten biotechnischen Wirkens. Vielleicht werden aber gerade unter gröberen Ansätzen einmal gedankliche Perlen sein, die uns helfen, Fortschritte zu machen. Zumindest in vielen der sich entwickelnden Ländern, in denen ich in den vergangenen Jahren als Wissenschaftler arbeiten durfte, bleibt der Blick aufs Ganze und Große wichtig.

Der biologische Sinn der Sterbens und die darin enthaltene Schönheit treten angesichts unserer zunehmenden Hinwendung zum Molekularen schärfer hervor als noch vor wenigen Jahren. Ich habe bei der Bearbeitung des deutschen Textes für die vorliegende Taschenbuchausgabe darauf Rücksicht genommen. Der Text wurde zudem gestrafft und aktualisiert.

Ich lade Sie hiermit zum unterhaltsamen und spannenden Blättern, Quer- und Wiederlesen in die Welt der Biologie, (Rechts-)Medizin, Kulturgeschichte und Zukunftsforschung ein. Bitte werfen Sie auch einen Blick in das Literaturverzeichnis. Es liefert Ihnen vielleicht den einen oder anderen Lesetipp.

Eine alte rechtsmedizinische Regel besagt, dass die Wirklichkeit stets einen Deut bunter ist als die Vorstellungskraft. Dieses Buch soll Ihnen zeigen, dass selbst eine Romanphantasie mit der Realität nicht mithalten kann.

Dennoch: Betrachten wir das biologische Wissen, das wir bis heute gesammelt haben, nüchtern, dann stellen wir fest, dass das Leben als Gesamtheit eine hartnäckige Zufälligkeit ist, eine Laune, die immer neue Geschöpfe hervorbringt, um sich selbst zu erhalten, und die eines Tages dort enden wird, wo sie begonnen hat: in der Gluthitze und Eiseskälte des Leblosen. Das Leben ist ein einziger Selbstzweck – aber der wundervollste und raffinierteste, den wir kennen. Sein Programm lautet Anpassung, Ausdehnung und Vervielfältigung. Dieses Buch schaut dem Lebensprogramm derart in die Karten, dass es die Frage nach dem Sinn des Lebens und des Todes derart beantwortet, wie es Wissenschaftler aus Erfahrung am liebsten tun: mit der einfachsten erkennbaren Erklärung.

Mark Benecke

Memento Mori

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