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Adlige Vermögen

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Reiche und arme Adlige hatte es immer gegeben, und die Beziehung zwischen beiden Gruppen bestimmte die Entwicklung der adligen Vermögen und auch ihres Verhältnisses zur übrigen Gesellschaft. Hätte es damals schon eine Forbes-Liste der reichsten Menschen im Europa jener Zeit gegeben (ohne Berücksichtigung der regierenden Fürsten), wäre ihr wohl zu entnehmen gewesen, dass die Zahl der sehr reichen Adligen zwischen 1500 und 1650 beträchtlich angewachsen war. Die Möglichkeiten, Reichtum zu erwerben und zu akkumulieren, mehrten sich in dem Maß, in dem der Adel Mittel und Wege fand, die expandierende Staatsmacht zu seinem Vorteil zu nutzen, die Kapitalmärkte anzuzapfen (und dadurch kolossale Schulden anzuhäufen) sowie die Gewinne aus seinem Landbesitz zu maximieren. Der adlige Reichtum hing mit der Macht der Fürsten zusammen, er wuchs mit dieser, und er schwächelte auch mit ihr.

In einer Fotogalerie mit Porträts der reichsten Adligen im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert wäre sicher auch ein Bild von Alonso Pérez de Guzmán el Bueno y Zúñiga, siebter Herzog von Medina Sidonia, zu finden. Als Grande führte er den ältesten und höchsten spanischen Adelstitel. Sein unermesslicher Reichtum beruhte zum Teil auf den riesigen Latifundien, die der Familie in Andalusien gehörten – sie umfassten 90.000 Vasallen, und das Zinsregister verzeichnete 150.000 Dukaten an Einnahmen. Sein Grundbesitz betrug die halbe Fläche der Provinz Huelva. 1588 übertrug ihm Philipp II. nach dem Tod von Álvaro de Bazán, Marqués von Santa Cruz, die Aufgabe, die „Grande y Felicísima Armada“ (die „große und allerglücklichste“ spanische Armada) zu führen. Die Historiker haben über diese Ernennung gerätselt, hatte Guzmán doch selbst eingeräumt, über „keinerlei Kenntnisse noch Erfahrungen des Meeres“ zu verfügen. Was zählte, war sein Reichtum, der es ihm erlaubte, für die Armada als Subunternehmer zu fungieren. Schließlich war er ein fähiger Verwalter seiner Besitzungen und Geschäfte, und auch seine Posten am Königshof trugen zu seinem Reichtum bei. Zuvor hatte er 1574 bereits einen umfangreichen Vertrag für den Bau und Betrieb der spanischen Galeonenflotte bekommen – wozu sicher beigetragen hatte, dass er für den Fall, dass die Schiffe mit den Schatzladungen aus der Neuen Welt nicht rechtzeitig in Cádiz ankamen, keine Zinsen zu berechnen versprach. 1588 versuchte der Herzog zunächst, seine Ernennung abzulehnen, indem er anführte, dass er mit 900.000 Dukaten verschuldet sei. Folglich habe er „nicht einen einzigen real, um die Expedition zu finanzieren“. Irgendwie gelang es ihm dann aber doch, die gewaltige Summe von sieben Millionen maravedís aufzutreiben, um im entscheidenden Augenblick für die schlecht vorbereitete und unterfinanzierte Expedition zu bürgen.

Sein Enkel, Gaspar Alonso, neunter Herzog von Medina Sidonia, tat sich in den 1640er-Jahren schwer damit, das Vermögen zu bewahren. Wegen seiner Verwicklung in die andalusische Rebellion vom Sommer 1641 wurde er seiner Ämter enthoben und aus seinen andalusischen Ländereien exiliert; der Krone musste er ein demütigendes donativo (eine „Spende“) zahlen. Seinen Verwandten, den Marqués von Ayamonte, der zugegeben hatte, Pläne zur Errichtung eines eigenen andalusischen Königreichs unterstützt zu haben, konnte er nicht vor der Hinrichtung retten. Die Exekution Ayamontes hat eine Parallele in Frankreich, wo 1632 der vierte Herzog von Montmorency, Henri II., enthauptet wurde – auch hier wurde ein Exempel statuiert, um andere Adlige mit rebellischen Neigungen abzuschrecken. Doch obwohl der Adel Mitte des 17. Jahrhunderts eine führende Rolle in der Fronde und bei anderen Aufständen spielte, wurde er von den gekrönten Häuptern im Allgemeinen mit Nachsicht behandelt, hatten sie doch erkannt, dass man die Aristokraten politisch besser unter Kontrolle hatte, wenn man sie bei Hofe an der kurzen Leine hielt. Eine Ausnahme bildete hier die englische Aristokratie. Alle ihre Angehörigen verloren nach dem Bürgerkrieg ihre Titel und 1646 auch den Anspruch auf die ihnen bisher zustehenden Feudalabgaben. Ihre Güter und sonstigen Einkünfte wurden mehrheitlich konfisziert. Da die englischen Peers etwa ein Viertel des Landes besaßen (nur in Mitteleuropa befand sich ein vergleichbarer Anteil des Landes in der Hand des höheren Adels), war ihre Enteignung der spektakulärste und konsequenteste Schlag gegen eine aristokratische Elite in Europa vor 1789.

Zu den reichsten europäischen Aristokraten gehörte auch Jan Zamoyski. Als Abkömmling einer Familie des mittleren Landadels in Masuren stieg er zu einem der führenden polnisch-litauischen Magnaten auf. Er war der erste Herr von Zamość und die politisch wohl am stärksten unterschätzte Persönlichkeit jener Epoche. Seine Bildung hatte er an den Universitäten von Paris und Padua erhalten, und er nutzte sie, indem er eine Reihe von Büchern verfasste, darunter De senatu romano (Über den römischen Senat), worin er die römische Senatsherrschaft seinem Land als Vorbild anpries. Sein halbes Leben lang diente er der polnischen Krone: ab 1578 als Großkanzler (verantwortlich für innere und äußere Angelegenheiten) und ab 1581 als Großhetman (zuständig für die Armee). Er gründete die Stadt Zamość nach Plänen des italienischen Architekten Bernardo Morando. Es war eine Modellstadt, in der er sephardische Juden ansiedelte. Im Zentrum erhob sich der Zamoyski-Palast als Herrschersitz für ein aristokratisches Patrimonium von der Größe eines Landes. Als Zamoyski 1605 starb, waltete er als Magnat über elf Städte und 200 Dörfer (in einem Gebiet von 6500 Quadratkilometern). Zudem hatte er ausgedehnte Besitzungen in weiteren 112 Städten und 612 Dörfern. Zamoyski betätigte sich so geschickt als Anführer des reformorientierten mittleren und niederen Adels, dass dieser in manchen Landesteilen als zamojczycy (ein Spiel mit seinem Namen) bekannt wurde. Als Königsmacher stand er im Europa des 16. Jahrhunderts einzig da (er inszenierte die Wahl von drei polnischen Königen). Gegen Ende seines Lebens geriet er in Versuchung, König Sigismund III. Wasa zu entthronen, weil er dessen Neigung zum Absolutismus (und zur schwedischen Krone) nicht schätzte. Daran erinnerten sich die Schweden eine Generation später, als während der „Schwedischen Sintflut“ (1648–1667) die Besitzungen Zamoyskis (wie die anderer polnisch-litauischer Magnaten) von schwedischen Truppen geplündert wurden.

Der Befehlshaber dieser Truppen war Magnus Gabriel de la Gardie, der damals in größter königlicher Gunst stand. Am Ende des Dreißigjährigen Krieges war er General der schwedischen Truppen in Deutschland gewesen (und hatte dafür die fürstliche Belohnung von 22 500 Reichstalern erhalten – mehr als jeder andere schwedische General). Jetzt war er Generalgouverneur von Livland. 1650 machte er Königin Christina anlässlich ihrer offiziellen Krönung einen silbernen Thron zum Geschenk. De la Gardie war einer jener Aristokraten, deren Vermögen aus militärischen Unternehmungen in der Epoche des Dreißigjährigen Krieges entstanden war (wie bei Johan Banér, Bernhard von Sachsen-Weimar oder Louis I. de Bourbon, Fürst von Condé). Sein Einkommen erreichte eine Höhe, die einem Fünftel der schwedischen Staatseinkünfte entsprach, und er steckte es in die Bautätigkeit. Von seinen vielen Schlössern verfügte das größte über 248 Zimmer. 1652 erbte er von seinem Vater den Makalös-Palast in Stockholm, die bei Weitem prächtigste Privatresidenz der Hauptstadt. Er verwandelte sie in eine Schatzkammer für all die wertvollen Gegenstände, die er im Krieg in Mitteleuropa erbeutet hatte. 1675 aber begann der Niedergang, als eine vom König eingesetzte Untersuchungskommission die Vermögen de la Gardies und seiner aristokratischen Freunde unter die Lupe nahm. Die Mitglieder der Kommission kamen schließlich zu der Schätzung, dass vier Millionen Reichstaler an öffentlichen Geldern in die Taschen der adligen Herren geflossen waren und verurteilten de la Gardie zu einer Strafzahlung von 352 159 Talern.

Kardinal Richelieu, der gleichfalls als Adliger mit bescheidenen Mitteln angetreten war, hatte bei seinem Aufstieg mehr Glück: Als er 1642 starb, war ihm die Gunst des Königs nach wie vor hold und sein Reichtum unversehrt. Letzterer bestand aus einem Vermögen von mindestens 20 Millionen livres, darunter vier Millionen an Bargeld – eine Summe, die dem Jahreseinkommen von 4000 seiner adligen Landsleute entsprach. Bereits um 1500 hatten Kardinäle zu den wohlhabendsten Privatpersonen in Europa gezählt, und in dieser Hinsicht scheint es, als hätten die Reformbewegungen des 16. Jahrhunderts gar nicht stattgefunden, denn sie gehörten danach immer noch zu den überaus Reichen. In Richelieus Fall speiste sich das Vermögen allerdings aus einem ganzen Bündel sowohl staatlicher als auch kirchlicher „Beteiligungen“. Sein Nachfolger als Kardinal und regierender Minister, Jules Mazarin, hatte größere Schwierigkeiten, den erworbenen Reichtum zu bewahren. Während der Aufstände der Fronde geriet er in den Verdacht, vom französischen Staat profitiert zu haben, weshalb er vorübergehend ins Ausland floh und, handlich verpackt, an Reichtümern mitnahm, was er konnte (insbesondere Diamanten). Als er starb, hinterließ er ein Vermögen, das auf 18–40 Millionen livres geschätzt wurde.

Allerdings darf unser bisheriger Fokus auf großen Magnatenvermögen und der Kluft zwischen armem und reichem Adel nicht die Bedeutung eines weiteren Phänomens in den Hintergrund drängen: die Konsolidierung und Mehrung der mittleren Adelsränge. Hierbei ging es nicht so sehr um den Erfolg von Individuen als um den von Gruppen. Der Adel behielt seine Stammbäume im Auge, wurde aber mit neuem Blut aufgefrischt und fand neue Möglichkeiten, die gegebenen menschlichen und biologischen Ressourcen auszunutzen. So jedenfalls vermittelt es eine Untersuchung, die dem Adel in der Gegend von Bayeux in der Normandie gewidmet ist. Zwischen 1523 und 1666 wuchs die Gruppe beträchtlich an: 477 Familien kamen dazu, die Hälfte davon aus anderen Gegenden der Normandie zugewandert. Sie ersetzten die Familien, die ausgestorben oder aus dem adligen Stand herausgefallen waren, weil sie sich einen adligen Lebensstil nicht mehr leisten konnten. Allerdings war der Niedergang nicht allumfassend. Im Herzogtum Savoyen konnten um 1700 fast 50 Prozent der Familien glaubhaft machen, dass sie vor 1563 in den Adelsstand erhoben worden waren (bei knapp über 20 Prozent blieb die Herkunft unbekannt). Einer Untersuchung von 1667 zufolge standen in der Beauce den 42 Familien, die nach 1560 in den Adel erhoben worden waren, sage und schreibe 87 Familien mit weiter zurückreichendem Adelsrang gegenüber. Im Laufe des 16. und 17. Jahrhunderts verdoppelte der englische Landadel seinen Anteil am Landbesitz von einem Viertel auf die Hälfte. Der Aufstieg der Gentry war keine rein englische Angelegenheit, verdeutlicht das allgemeinere Phänomen aber am besten.

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