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Der Triumph der Domäne

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Dass sich die mittleren Adelsränge erweitern konnten, lag daran, dass ihnen der allgemeine wirtschaftliche Wandel beim Management ihres wichtigsten Besitzes – ihres Landes – zum Vorteil gereichte. Die Ausweitung einer effizienten Gutswirtschaft wurde zur Herausforderung für den Adel schlechthin. In Westeuropa geschah dies durch eine Kombination aus direkter Ausbeutung und Verpachtung, in Osteuropa durch den Einsatz von Leibeigenen. In Westeuropa wurden die Feudalabgaben – im Einklang mit der zunehmenden Monetarisierung der Gesamtwirtschaft – immer häufiger in Geld geleistet statt in Naturalien, wodurch sie der inflationären Entwicklung ausgesetzt waren. Im Allgemeinen waren die grundherrlichen Einnahmen schon vor 1500 im Verhältnis zum Gesamtwert des Grundbesitzes geringer geworden, und dieser Prozess beschleunigte sich in den nächsten eineinhalb Jahrhunderten. Allerdings warf der Feudalbesitz durchaus noch einigen Wert ab, besonders die quit-rent (oder, im Französischen, cens), die beim bäuerlichen Besitzerwechsel fällig wurde. Außerdem konnte man aus dem Grundbesitz Gewinn schlagen, indem man auf Gemeindeland zugriff oder die Nutzungsrechte daran schmälerte (was örtlichen Widerstand hervorrufen konnte). Die Grundherren bauten auch die eher randständigen wirtschaftlichen Nutzungen ihrer Domänen aus, insbesondere die Wälder und Monopolrechte. Zu jener Zeit gedieh der Holzhandel prächtig, und Bäume ließen sich schnell in Bargeld verwandeln.

Zudem wollte der Adel mehr Land erwerben. Er zahlte dafür hohe Preise und war bereit, um des Landkaufs willen Hypotheken aufzunehmen. Eine wenig zur Kenntnis genommene, aber höchst bedeutsame Triebkraft für den Wandel im frühmodernen Europa war der beispiellose Markt für Gutsland. Die Verkäufe erreichten ein Ausmaß, wie es erst wieder am Ende des 18. Jahrhunderts erreicht werden sollte. Die Herrscher verkauften dem Adel, was die Krone noch an Ländereien besaß, um die Expansion ihrer eigenen Herrschaft im Wettstreit mit anderen Staaten zu finanzieren. Der österreichische Zweig der Habsburgermonarchie veräußerte zwischen 1575 und 1625 den größten Teil seines Kronbesitzes. Als die französische Monarchie dasselbe zu tun gedachte, stieß sie zwar auf den entschlossenen Widerstand der Gerichte, doch ließen sich schließlich gesichtswahrende Rechtsformeln finden, um Krongut ganz gesetzlich zu entfremden, wie während der Religionskriege geschehen.

Nachdem sich die Reformation in Preußen durchgesetzt hatte, wurden die umfangreichen Ländereien der Deutschordensritter 1525 säkularisiert und fielen einem neuen „Herzog in Preußen“ anheim. Einige Güter blieben im Besitz von Ordensrittern, die sich zum Protestantismus bekehrten, andere wurden verkauft. Nachdem Böhmens Versuch, sich der Herrschaft der Habsburger zu entledigen, 1620 gescheitert war, konfiszierte die österreichische Monarchie etwa die Hälfte des böhmischen Kronguts und verkaufte es an ihren Adel. Die Kurfürsten von der Pfalz mussten mit ansehen, wie ihr angestammter linksrheinischer Landbesitz nach ihrer Vertreibung 1621 von den Spaniern konfisziert wurde. Mit ähnlichen Enteignungen drohten die kaiserlichen Streitkräfte in den späteren 1620er-Jahren auf ihrem Vormarsch gen Norden. Weniger als zwei Jahrzehnte später wurden die schwedischen Befehlshaber mit Gütern in den frisch erworbenen pommerschen Landstrichen belohnt. In Deutschland, den Niederlanden und England wurde die Reformation von Landtransfers in erheblichem Umfang begleitet, weil die reformierten Staaten Klostereigentum übernahmen und verkauften. In nicht einmal zwei Jahrzehnten – von 1536 bis 1553 – stand ein Viertel des englischen Grund und Bodens zum Verkauf an.

Unterdessen verstärkte die Tudor-Monarchie in Irland ihre Herrschaft über die einheimischen Clans und ihre Anführer, indem sie einen gescheiterten Aufstand zum Vorwand nahm, das auf das Individuum bezogene englische Besitzrecht einzuführen, mit dem die ganz anders organisierten Clans nichts anfangen konnten. Mit dem Grundsatz „surrender and regrant“ wurde von den Clanchefs der Verzicht auf ihre Erbrechte verlangt, die ihnen dann, allerdings als Kronvasallen des englischen Königs, zurückerstattet wurden (ex dono regis). Diese scheinbar beruhigende Rechtsfiktion war in Wirklichkeit eine massive Enteignung – die Grundlage für das folgende Jahrhundert englischen Kolonialismus in Irland. Der Besitztitel am Land ging vom irischen Lord auf den englischen König über, und was dieser gewährte, konnte er auch wieder fortnehmen und anderen Personen überschreiben. Der anglo-irische Landadel aus der Gegend um Dublin, die bereits von den Engländern beherrscht wurde – The Pale –, übernahm die Führung. Unterstützt durch englische Handelsinteressen drängte er 1557 auf die einseitige Enteignung der Grafschaften Leix und Offaly, die nun zu Queen’s County und King’s County wurden. Zwei Drittel des Landes wurden an englische Siedler neu verliehen. Es war die erste plantation dieser Art. Sie vollzog sich gegen Ende der Regierungszeit von Königin Maria I., einer Katholikin, was zeigt, dass die Religion für die englische Kolonisierung Irlands nicht von entscheidender Bedeutung war, obwohl sie natürlich zunehmend als Vorwand und Rechtfertigung diente.

Englische Adlige bastelten sich Genealogien zurecht, um gemeinsam mit Abenteurern und Verwaltungsbeamten aus dem Pale Besitzrechte auf irisches Land geltend zu machen. Die Clanchefs reagierten mit Aufständen, mussten aber den Streitkräften der Tudor-Monarchie weichen. So folgte auf den Aufstand von Gerald Fitzgerald, Graf von Desmond, der 1586 die Provinz Munster bis hin zu den Wicklow Mountains erfasste, eine weitere plantation, in deren Verlauf fast die gesamte Region enteignet und einer kleinen Gruppe von Spekulanten überlassen wurde. Diese besetzten daraufhin ihre Güter mit englischen Kolonisten und vertrieben die Iren. Nach der Flucht der Earls von Tyrone und Tyrconnell 1609 wurde in Ulster eine weitere halbe Million Morgen an Land enteignet und mit englischen und schottischen (zumeist presbyterianischen) Kolonisten besiedelt. Letztere verbreiterten die soziale Basis der Zuwanderung, da die presbyterianischen Dissenter aus den schottischen Lowlands zumeist nicht den Eliten entstammten.

Das Haus Stuart ließ sich bereitwillig davon überzeugen, dass die Anund Umsiedlungen rechtens waren und funktionierten. Der englische Kronanwalt Sir John Davies erklärte, dass frühere Kolonisierungsversuche fehlgeschlagen seien, weil England es versäumt habe, Irland konsequent militärisch zu erobern und dann das englische Recht durchzusetzen. Eroberung und Rechtsordnung seien jedoch für souveräne Herrschaft unverzichtbar. Irland müsse „zuerst durch Krieg gebrochen werden, bevor es guter Regierung sich fügen“ könne. Die irischen Gesetze und Gebräuche zeigten Davies nur, dass die Iren „kaum besser sind als Kannibalen“: „Alle ihre Besitzungen [sind] unsicher“, und „ein jeder, der über Grundbesitz verfügt, sei er Bastard oder legitimer Abkömmling, hält sich für einen Gentleman“. Die Kolonisierung war gerechtfertigt, nicht nur weil sie Teil der göttlichen Vorsehung für die Protestanten und des königlichen Willens Jakobs I. war, sondern weil sie die Iren zivilisierte. Dergleichen wurde auch in London von der Virginia Company und ihren Unterstützern vorgetragen, um die Kolonisierung in Nordamerika zu rechtfertigen. In den 1620er- und 1630er-Jahren trieben Karl I. und sein Vizekönig in Irland, Sir Thomas Wentworth, die Siedlungspolitik auf die Spitze, indem sie Connaught, Clare und Ormonde konfiszierten, um im mittleren Westen von Irland neue Siedlungen für anglikanische Kolonisten zu gründen. Damit sollten die Presbyterianer in Ulster ein Gegengewicht erhalten und die Rechnungsbücher der Stuarts ausgeglichen werden. Das aber erregte den Zorn sowohl der alteingesessenen Siedler als auch der Iren. Im Oktober des Jahres 1641 kam es zu einem Aufstand, dessen Brutalität von einigen Zeitgenossen mit dem Massaker an englischen Kolonisten in Virginia am 22. März 1622 (Jamestown-Massaker) verglichen wurde, wo es ebenfalls um die Kontrolle über das Land ging.

Bei der spanischen Kolonisierung in Mexiko, Peru und Chile gründete man Latifundien (encomiendas), deren Modell die Gutsbesitzungen waren, die einen wesentlichen Bestandteil der Landwirtschaft der Extremadura im Umland von Sevilla bildeten. Die spanischen Kolonisten (encomanderos) erhielten grundherrschaftliche Rechte über die ihnen „anvertraute“ indigene Bevölkerung. Die portugiesische Kolonisierung in Brasilien war (vor allem ab 1580) durch die Errichtung von Zucker- und später Tabakplantagen gekennzeichnet; hier entstand eine Domänen-Landwirtschaft von bisher unbekannter kommerzieller Größenordnung und Komplexität. In Europa wiederum liefen die Ländereien der katholischen Kirche vor allem dort Gefahr, in Laienhand zu gelangen, wo der Schutz der Kirche vor den Angriffen der Protestanten eine willkommene Rechtfertigung dafür bot. In Frankreich kam es während der Bürgerkriege zu fünf Wellen der Entfremdung von kirchlichem Besitz, wobei jedoch die Möglichkeit des späteren Rückkaufs häufig schon beim Verkauf vorgesehen war. In Spanien verlor die Kirche Hunderttausende von Dörflern, als ihre Domänen verkauft wurden, um die Habsburger in ihren Kriegsbemühungen gegen die Protestanten im Norden materiell zu unterstützen.

Solche Besitztransfers führten nur noch ein weiteres Mal die Bedeutung von Verträgen und der Rechtsmittel zu ihrer Durchsetzung vor Augen. Verträge aller Arten – für Lehrlinge, im Kredit- und Schuldenwesen, für Handelsunternehmungen – förderten ein Denken, das Besitzrechte zunehmend von Landbesitz abstrahierte. „Reichtum“ war nicht mehr automatisch identisch mit „Reichtum an Grundbesitz“. Das Vertragsdenken spielte bald auch in die Politik hinein. Der niederländische Aufstand wurde von zeitgenössischen Theoretikern damit gerechtfertigt, dass Philipp II. vertragsbrüchig geworden sei, indem er die urkundlich garantierten Freiheiten der Niederlande nicht geschützt habe. Ähnliche Argumente wurden von protestantischen politischen Denkern während der Bürgerkriege im Frankreich des späten 16. Jahrhunderts und dann während des englischen Bürgerkriegs vorgetragen. Diese Argumente gewannen umso mehr Gewicht, als manche protestantischen Kreise betonten, dass Gott und sein auserwähltes Volk durch gegenseitige Versprechen und Verpflichtungen auf eine Weise gebunden seien, die sich im Alten Testament in der Beziehung zwischen einem König und dem Volk der Hebräer widerspiegele. Derlei Argumente fielen besonders in jenen Regionen Westeuropas auf fruchtbaren Boden, wo sich der Vertrag nicht zuletzt im Adel als ein Mittel durchgesetzt hatte, um Besitzverhältnisse zu beschreiben.

Von den umfangreichen Landbesitzübertragungen in Europa profitierten der weltliche Adel und vor allem dessen mittlere Ränge. Effizient genutzter Landbesitz war der Schlüssel für das Überleben des Adels im 17. Jahrhundert. Land war gewinnträchtiger als andere Investitionen, auch wenn sein Wert (vor allem in Südeuropa in den 1630er- und 1640er-Jahren) zuweilen schwankte oder sogar fiel. Aber das Land musste gut verwaltet und genutzt werden, weshalb nun die Kompetenz und Vertrauenswürdigkeit des Gutsverwalters in den Vordergrund rückte – wie aus der Menge der entsprechenden Ratgeberliteratur hervorgeht. Deren Autoren betonten, wie wichtig es sei, jährliche Rechenschaftsberichte zu erstellen und sorgfältig zu prüfen und sie dann Jahr für Jahr miteinander zu vergleichen, um Tendenzen erkennen zu können. Die adligen Liegenschaften wurden häufig durch Erbfolgeregelungen zusammengehalten, um Hypothekenaufnahme und Mitgift zu ermöglichen und Familienangehörigen zu helfen, die in Schwierigkeiten geraten waren, doch in Notfällen war Domänenreichtum nur schwierig in Bargeld umzuwandeln. Daraus erklärt sich das besonders in Italien und Spanien um 1640 zu beobachtende Paradox, dass gerade reiche Aristokraten mit umfangreichen Ländereien sich angesichts chronischer Währungsinstabilität und fallender Pachteinnahmen – ganz zu schweigen von all den unerfüllbaren Ansprüchen, die von allen Seiten an sie herangetragen wurden – in der Krise wähnten. Um 1650 steckte ein Teil des Hochadels tatsächlich in der Krise; zum Teil war er seiner eigenen räuberischen Ausbeutung – der Domänen und des Staats gleichermaßen – zum Opfer gefallen. Dagegen war der Adel als Stand gefestigter, mächtiger und dominanter geworden. Ohne ihn hätte der langsame Zerfall des sozialen Kitts in Europa viel schwerwiegendere Folgen gehabt. Der Adel qua Abstammung und Landbesitz war das Fundament für jene Gesellschaftsverträge, die nach 1660 Europas Ancien Régime zugrunde lagen.

Das verlorene Paradies

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