Читать книгу Gefangen in Nordkorea - Mark Tabb - Страница 11

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2. Die Verhöre beginnen

Und ich hörte die Stimme des Herrn, wie er sprach: „Wen soll ich senden? Wer will unser Bote sein?“ Ich aber sprach: „Hier bin ich, sende mich!“

(Jesaja 6,8)

„Stehen Sie auf und machen Sie sich fertig!“ Die Stimme schien von oben zu kommen.

Ich schlug die Augen auf. Über mir stand ein junger Mann in Uniform. Für den Bruchteil einer Sekunde wusste ich nicht, wo ich war.

„Sie haben zehn Minuten, um sich zu duschen. Beeilen Sie sich“, fuhr er fort.

Jetzt erinnerte ich mich wieder. Nein, es war kein Albtraum, es war die Realität.

Ich ging mit unsicheren Schritten ins Badezimmer. Duschen – ja, das wäre nicht schlecht. „Zehn Minuten“, wiederholte der Wächter.

Doch die Dusche funktionierte nicht. Also gut, ich ließ warmes Wasser in die Wanne laufen, und dann stellte ich mich hinein und goss mir das Wasser mit einem Eimer über den Kopf. Es war eine etwas unkonventionelle Dusche, aber es tat gut.

Als ich dort in der Wanne stand, begann ich wieder zu beten. Gott, gib mir Kraft! Ich weiß nicht, was dieser Tag bringen wird, aber du weißt es. Gib mir deine Kraft. Lege deine Worte in meinen Mund, damit ich meinen Anklägern recht antworten kann.

Nicht lange nach meiner Dusche kam das Frühstück. Es sah, in Menge und Inhalt, genauso aus wie das Abendessen und ich hatte es bald gegessen. Ich hatte immer noch keinen richtigen Appetit; ich war zu nervös, um an Essen nur zu denken.

Nach dem Frühstück befahl mir der Wächter, sitzen zu bleiben und zu warten. Ich saß auf demselben harten Holzstuhl wie am Abend. Es war immer noch kalt.

Meine Gedanken, die nichts anderes zu tun hatten, sprangen zurück zum vergangenen Tag. Ich hätte mich in den Bauch beißen können, dass ich so unvorsichtig gewesen war und nicht vor der Grenze noch einmal mein Gepäck inspiziert hatte. Ich hatte jede Menge Gelegenheit dazu gehabt, aber während der ganzen Zugfahrt von Dandong nach Yanji hatte ich nicht einmal in meine Aktentasche hineingeschaut. Auch nicht im Hotel in Yanji und auch nicht während der zweistündigen Busfahrt zur Grenze.

Dabei hätte ich mindestens nachschauen müssen, ob auch die Papiere meiner kleinen Reisegruppe alle in Ordnung waren. Stattdessen hatte ich vorne im Bus neben einer Freundin und Missionskollegin gesessen und mich angeregt mit ihr unterhalten. Lisa, wie ich sie hier nennen möchte, gehörte nicht zu unserer Gruppe; sie betreibt ihre eigene humanitäre Arbeit in Nordkorea.

Noch kurz bevor wir über die Grenze gingen, hatte Lisa mir Gelegenheit gegeben, mein Gepäck zu prüfen. Der Bus hatte an einem kleinen Laden angehalten, in dem es auch Gepäckschließfächer gab. Lisa war ausgestiegen. „Ich lasse mein Handy hier“, hatte sie gesagt. „Hast du auch irgendwas, das du besser hierlässt, bevor wir über die Grenze gehen?“

Ohne meine Taschen zu inspizieren, hatte ich geantwortet: „Danke, ich habe nichts.“

Wie hatte ich nur so leichtsinnig sein können!? Wenn dies meine erste Reise nach Nordkorea gewesen wäre und nicht die achtzehnte, hätte ich wahrscheinlich alles noch einmal genau geprüft. Aber als alter Nord­korea-Hase fühlte ich mich mittlerweile so sicher, dass ich gar nicht auf den Gedanken kam, in einer meiner Taschen könnte etwas sein, was ich besser in China ließ.

Wieder und wieder ließ ich die Szene vor meinem inneren Auge ablaufen, während ich dasaß und wartete. (Worauf wartete? Ich wusste es nicht.) Ich stellte mir vor, wie nordkoreanische Regierungsfunktionäre jede Datei auf der Festplatte aufriefen, sich jedes Foto ansahen, jedes Gesicht genau studierten und eine Liste der „Verschwörer“ und „Komplizen“ anlegten, die man sich vornehmen müsste.

Und was passiert, wenn sie die Textdateien übersetzen lassen? Diese Texte dokumentierten meine gesamte Arbeit in China und Nordkorea. Ich wusste: Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie voll im Bilde darüber wären, wer ich war und was ich in Nordkorea machte. Und dann? Was werden sie dann mit dir machen?

Ich wusste, was sie mit anderen Menschen gemacht hatte. Ich war in Südkorea aufgewachsen und hatte sie gehört, die Geschichten, wie man in Nordkorea von jetzt auf gleich spurlos verschwinden konnte.

Aber ich hatte nicht nur Angst um mich selbst. Ich hatte auch Angst um all die Menschen, die mit mir in Kontakt gekommen waren, seit ich vor zwei Jahren meine erste Reisegruppe nach Nordkorea gebracht hatte. Ich musste an Sam denken, den Inhaber des Cafés im Hotel in Rason, wo man mich verhaftet hatte. In China geboren, war er Christ geworden und hatte in meinem Missionszen­trum in Dandong gearbeitet. Jetzt war er mal im chinesischen Dandong, mal im nordkoreanischen Rason. Was konnte ihm nicht alles passieren, wenn sie ihn enttarnten? Sobald die Behörden die Übersetzung meiner Dateien hatten, würden sie Ermittlungen gegen ihn aufnehmen, wegen seiner Beziehung zu mir.

Dann eine andere Nordkoreanerin – Songyi. Ich hatte sie kennengelernt, als sie sich mit einer staatlichen Besuchserlaubnis in China aufhielt. Nach Nordkorea zurückgekehrt, hatte sie versucht, ein christliches Waisenhaus zu gründen. Wegen der Dateien auf meiner Festplatte war auch sie jetzt nicht mehr sicher. Das Regime würde keine großen Schwierigkeiten haben, sie aufzuspüren – und anders als ich genoss sie nicht den Schutz, den die amerikanische Staatsbürgerschaft jemandem gab.

Mein Warten endete damit, dass ein Arzt ins Zimmer kam. „Ich werde Sie eben untersuchen“, erklärte er mir.

Ich fragte mich warum, aber ich ließ ihn gewähren. „Sind bei Ihnen irgendwelche Krankheiten festgestellt worden?“, fragte er.

„Ja“, sagte ich. „Ich habe Diabetes, erhöhten Cholesterinspiegel, Gallensteine, eine vergrößerte Prostata und eine Fettleber. Und vor fünfzehn Jahren habe ich mich bei einem Sturz an der Wirbelsäule verletzt; ich habe heute noch Schmerzen deswegen.“

„Hm, ja.“ Der Arzt notierte sich alles. „Nehmen Sie regelmäßig Medikamente?“

„Ja. Für meinen Diabetes, die Gallensteine und den Cholesterinspiegel.“

„Haben Sie diese Medikamente dabei?“

„Sie sind in meinem Koffer.“

Der Arzt schrieb weiter, dann sagte er: „Okay. Sie dürften bei uns keine Probleme haben.“

Ich fand die Worte nicht beruhigend.

Als der Arzt gegangen war, kam ein anderer Beamter, der ein Verzeichnis vom Inhalt meines Koffers brachte. Dann kam der „Untersuchungsbeamte“, den man mir am Abend vorgestellt hatte. Ich musste mich wieder auf den Holzstuhl vor dem Schreibtisch setzen. Ich hörte, wie einer der anderen ihn mit „Mr Park“ anredete. (Er selbst hat sich mir nie mit Namen vorgestellt. Als ich ihn später einmal fragte, ob er Mr Park hieß, verneinte er das.)

Mr Park schien gut gelaunt zu sein, als er mir gegenüber Platz nahm. Er legte einen nagelneuen Spiralblock vor sich auf den Tisch, um seine Notizen zu machen. Ich kannte diesen Block; vor einem Tag war er noch in meinem Koffer gewesen.

Er fing an: „Haben Sie gut geschlafen?“

„Ja“, log ich. Ich hatte keine Lust, ihm zu sagen, dass ich mich die ganze Nacht hin und her gewälzt hatte vor lauter Sorgen; das hätte wie ein halbes Geständnis ausgesehen.

„Schön“, sagte er. „Wir möchten, dass Sie sich als unser Gast wohlfühlen. Aber jetzt habe ich ein paar Fragen. Wenn Sie kooperieren, dürfte es nicht zu lange dauern.“

Ich nickte. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt nicht vor, mehr auszusagen, als dass ich ein Geschäftsmann war, der durch seine Firma „Nations Tours“ zum wirtschaftlichen Wohlergehen der Stadt beigetragen hatte. Und dass ich schlicht aus Versehen eine externe Festplatte mit ins Land gebracht hatte, die Material enthielt, das man als subversiv deuten konnte, und dass ich nie vorgehabt hatte, diese Dateien irgendjemandem zu zeigen.

Mein Gegenüber fuhr fort: „Ich finde, es ist besser, wenn wir uns hier nicht einfach unterhalten, sondern wenn Sie mir Ihre Antworten schriftlich geben. Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen, und überlegen Sie es sich gut, was Sie uns sagen wollen.“ Mr Park schob mir einen kleinen Stapel Computerpapier hin sowie einen Kugelschreiber. Diesen Kugelschreiber kannte ich doch? Natürlich, er war auch von mir.

„Wir fangen am besten so an, dass Sie uns etwas mehr über sich erzählen.“ Sein Ton und ganzes Verhalten schienen mir das totale Gegenteil von dem des Bujang zu sein, des Direktors, der mir wie ein Mafiaboss vorgekommen war. „Bitte schreiben Sie, aus was für einer Familie Sie kommen. Wer sind Ihre Verwandten, wo wohnen sie, was machen sie beruflich, was haben sie so erlebt? Wenn Sie fertig sind, heben Sie einfach Ihre Hand, und dann komme ich und Sie können mir Ihren Bericht geben.“

Beim letzten Satz kam ich mir plötzlich vor, als ob ich wieder in der Grundschule wäre.

Ich nahm den Kugelschreiber und fing an zu überlegen. Was sollte ich alles erwähnen?

Mr Park erhob sich und ging zurück zur Tür. „Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen“, lächelte er.

~

Ich bin amerikanischer Staatsbürger, aber die Wurzeln meiner Familie liegen in Yongbyon, einer kleinen Stadt knapp hundert Kilometer nördlich von Pjöngjang, im heutigen Nordkorea. Es gab nur ein Korea (damals unter dem Namen Choson), als meine Vorfahren vor über hundertfünfzig Jahren von der Südspitze der koreanischen Halbinsel nach Yongbyon zogen. Die vier Generationen vor meinem Großvater väterlicherseits wohnten und arbeiteten dort.

Während dieser Zeit veränderte das Land sich stark. 1885 kamen die ersten christlichen Missionare nach Korea. Heute wissen viele Menschen im Westen, dass es in Südkorea sehr viele Christen und Kirchen gibt. Was die meisten nicht wissen, ist, dass das Evangelium zuerst im Norden des Landes Fuß fasste. 1907 brach in Pjöngjang eine Erweckung aus, in der Zehntausende zu Jesus Christus fanden.

Doch trotz der Ausbreitung des christlichen Glaubens war es eine schwere Zeit für Korea. 1905 zwangen die Japaner den koreanischen König zu einem Abkommen, das Korea praktisch seiner Unabhängigkeit beraubte. 1910 annektierte Japan die Halbinsel. Die japanische Herrschaft war eine furchtbare Leidenszeit für das Land. Die japanische Kapitulation am Ende des Zweiten Weltkriegs machte das Los des Landes nicht besser. 1945 teilten die USA und die Sowjetunion die koreanische Halbinsel entlang des 38. Breitengrades in zwei Staaten. Jetzt wohnte meine Familie mitten im kommunistischen Norden.

Die Teilung Koreas war als Provisorium gedacht, so lange, bis die Vereinten Nationen freie Wahlen zur Einsetzung einer Regierung für das ganze Land durchführen konnten. Doch die Sowjetunion blockierte diesen Plan; sie baute im Norden eine kommunistische Regierung auf, an deren Spitze Kim Il-sung stand, der sich zum „Großen Führer“ proklamierte und in der Folgezeit ein quasi religiöses System schuf, in welchem er für die Nordkoreaner ein Gott war (und auch nach seinem Tod bis heute ist). 1948 war die Trennung zwischen den beiden koreanischen Staaten (Nord- und Südkorea) eine vollendete Tatsache.

Die kommunistische Ideologie in Nordkorea entwickelte sich im Laufe der Jahre zu dem sogenannten Juche-System. Das Wort bedeutet eigentlich „Selbstständigkeit“, doch das Fundament des Systems ist die Vorstellung, dass der „Große Führer“ alles ist, was die Bevölkerung braucht. Als die Russen 1949 aus Nord­korea abzogen, ließen sie einen bis an die Zähne bewaffneten Kim Il-sung zurück, der alles hatte, was er militärisch brauchte: schwere Artillerie, Panzer, eine Luftwaffe und gut ausgebildete Soldaten.

Es war eine Schicksalswende auch für meine Familie, als am 25. Juni 1950 die Truppen Kim Il-sungs auf breiter Front in Südkorea einfielen. Bereits nach drei Tagen hatten sie Seoul, die Hauptstadt Südkoreas, überrannt. Der amerikanische Präsident Harry Truman schickte sofort Truppen aus Japan nach Korea, die jedoch anfangs wenig ausrichteten. Ende Juli 1950 kontrollierten die Truppen Kim Il-sungs ganz Korea, bis auf einen kleinen Brückenkopf um die Hafenstadt Pusan an der Südspitze der koreanischen Halbinsel. Doch dann kam General Douglas MacArthur.

Am 15. September landeten die US-Marines bei Inchon, etwas südwestlich von Seoul und weit hinter den Linien des Feindes. Unter MacArthurs Kommando gelang es den Truppen der Amerikaner und der UNO binnen weniger Wochen, die Armee Kim Il-sungs hinter den 38. Breitengrad zurückzudrängen. Bis Ende November hatten sie fast ganz Korea eingenommen, bis zur chinesischen Grenze entlang des Flusses Yalu, weit nördlich von Yongbyon, wo meine Familie wohnte. Doch jetzt griff China in die Kämpfe ein und die Front schob sich zurück nach Süden.

Als meine Großeltern väterlicherseits merkten, dass der Krieg zu ihnen zurückkam, lud mein Großvater die Seinen und alle Habe, die sie tragen konnten, auf seinen Lastwagen und fuhr nach Süden, nach Pjöngjang, das damals von Truppen der Vereinten Nationen besetzt war. Meine Urgroßmutter blieb in Yongbyon, um auf das Haus aufzupassen. Mein Großvater und der Rest der Familie dachten nichts anderes, als dass sich die Front in ein, zwei Wochen zurück nach Norden verlagern würde und sie zurück nach Hause könnten. Doch dann zogen sich die UN-Truppen stattdessen weiter Richtung Süden zurück, und unsere Familie musste wohl oder übel mitziehen, wenn sie nicht in die Kampfhandlungen hineingezogen werden wollte; meine Urgroßmutter war immer noch in Yongbyon.

Keiner aus unserer Familie hat sie wiedergesehen.

Meine Familie kam schließlich nach Pusan ganz im Süden. Später, als der Krieg vorbei war, zog sie nach Seoul.

Mein Vater war ganze sechs Jahre alt, als er mit den anderen aus Nordkorea flüchtete. Er wuchs in Seoul auf, wo er auch meine Mutter kennenlernte. Er war ein berühmter Baseballspieler und später einer der besten Base­balltrainer des Landes. Ich wurde 1968 geboren und verbrachte meine ersten sechzehn Lebensjahre in Seoul.

In meinem Bericht für Mr Park ließ ich einen Teil dieser Informationen aus. Wenn er mitbekam, dass meine Familie während des Krieges aus dem Norden in den Süden geflohen war, konnte ihn das gegen mich einnehmen, und ich wollte es mir mit ihm nicht unnötig verderben. So schrieb ich lediglich, dass der Krieg eine schwere Zeit für meine Familie gewesen war und dass wir schließlich in Seoul gelandet waren. Ich erwähnte auch, dass meine Eltern 1985, als ich sechzehn war, mit meiner Schwester und mir in die USA gezogen waren, damit wir die bestmögliche Schulausbildung bekamen.

Wir zogen damals zuerst nach San José (Kalifornien), wo einer meiner Onkel wohnte. Unsere Englischkenntnisse waren minimal, obwohl ich in den letzten Wochen, bevor wir Korea verließen, freiwillig in der Schule ein paar Monate Englisch gelernt hatte. In San José gab es in meiner Highschool nur eine Handvoll koreanische Schüler. Die Lehrer taten sich schwer, meinen Vor­namen, Junho, richtig auszusprechen. Wenn sie mich aufriefen, nannten sie mich immer Juno, was ein Mädchenname ist. (Als ich Jahre später die US-Staatsbürgerschaft bekam, fand ich, dass es Zeit für einen amerikanischen Vor­namen war. Ich entschied mich für Kenneth, weil ich nie erlebt hatte, dass jemand diesen Namen falsch aussprach; ich kannte damals auch keine anderen Kenneths.)

Nach etwa einem Jahr zogen wir von San José nach Torrance um, in die Nähe von Los Angeles. Hier gab es sehr viel mehr Koreaner. Mein Englisch wurde besser, und 1988 schaffte ich den Abschluss an der Highschool.

In dem Sommer, bevor meine Familie mit mir in die Vereinigten Staaten zog, war ich Christ geworden. Unsere kirchliche Jugendgruppe in Seoul hatte einen sehr dynamischen Leiter, der uns Mut machte, Gottes Willen für unser Leben zu suchen. Als ich dies tat, hörte ich, wie Gott zu mir sagte: Hirte. Das war alles – nur dieses eine Wort, Hirte. Und da auch ein Pastor ein Hirte ist, wusste ich: Gott wollte, dass ich, in welcher Form auch immer, ein Pastor wurde.

Dieser Ruf wurde deutlicher im Sommer nach meinem Schulabschluss, als ich auf eine von „Campus für Christus“ organisierte Freizeit ging. Der Gründer des Werkes, Bill Bright, sprach persönlich auf dieser Freizeit und forderte uns unter anderem dazu auf, uns für die Mission in China zu engagieren. Ich spürte wieder: Dies ist Gottes Ruf. Und ich betete: Ja, Herr, ich will für dich nach China gehen.

Im selben Sommer flog ich auch nach Seoul, um meine Verwandten zu besuchen. Ich stürmte in die Buchhandlungen und kaufte jedes Buch über China, das ich kriegen konnte. Dann begann ich mein Studium an der Universität von Oregon. Ich wollte im Hauptfach Psychologie studieren und im Nebenfach Chinesisch, um mich auf meine große Lebensaufgabe vorzubereiten.

Zwei Wochen nach Beginn meines Studiums lernte ich ein Mädchen kennen. Wir verliebten uns und ein Jahr später heirateten wir. An China dachte ich bald nicht mehr.

1990, nicht lange nach unserer Heirat, bekamen wir unser erstes Kind, Jonathan. Ich unterbrach mein Studium, um meine junge Familie finanziell über die Runden zu bringen, aber schließlich – 1996, in dem Jahr, als unsere Tochter Natalie geboren wurde – machte ich mein Examen am San Francisco Bible College. Sechs Jahre später, 2002, legte ich mein Master-Examen in Theologie in St. Louis ab.

Drei Jahre danach zerbrach meine Ehe. Ich verbrachte einige Zeit in Kona auf Hawaii, wo ich erneut Gottes Ruf nach China vernahm. 2006 zog ich nach Dalian in China um, später dann nach Dandong, das direkt am Yalu liegt, einem Grenzfluss zu Nordkorea.

Ich schrieb für den nordkoreanischen Verhörbeamten: „Dann ging ich nach China, um eine Firma für kulturellen Austausch zu gründen. Ich verlegte diese Firma nach Dandong und ergänzte sie durch ein Hotel und ein Touristikunternehmen, ,Nations Tours‘.“ Ich beschrieb weiter, wie ich 2007 in Dandong meine jetzige Frau Lydia kennenlernte, die ein Textilgeschäft betrieb. Wir heirateten 2009. Ich fuhr fort: „Ich habe eine Stieftochter, Sophia.“

Als ich fertig war, hob ich brav die Hand. Ich hatte fünf oder sechs Seiten geschrieben. Aber ich hatte viel ausgelassen. Ich erwähnte nicht, wo ich in Hawaii genau gewesen war – nämlich in einer Jüngerschaftsschule von „Jugend mit einer Mission“. Auch nicht, dass ich ein Mitarbeiter von „Jugend mit einer Mission“ war. Oder dass ich eigentlich vor allem deswegen nach China gegangen war, um dort eine neue Jüngerschaftsschule zu gründen. Ich fand, dass diese Details die Nordkoreaner nichts angingen.

Mr Park kam alsbald ins Zimmer, ohne dass jemand ihn geholt hatte. Aha, die hatten hier Kameras installiert, mit denen sie mich rund um die Uhr beobachten konnten.

„Sehr gut, Bae Junho“, sagte Mr Park, der meinen koreanischen Vornamen benutzte. (Im Koreanischen kommt der Nachname immer zuerst.) „Dann schauen wir mal, was Sie geschrieben haben.“ Er überflog meinen Bericht kurz, dann schob er mir einen neuen Stapel weißes Papier hin.

„Und jetzt erklären Sie uns, warum Sie diese Festplatte in unser großes Land gebracht haben“, sagte er. Er klang ruhig und zwanglos.

Ich nickte. Mr Park ging wieder, meinen ersten „Aufsatz“ in der Hand. Ich saß da und überlegte einen Augenblick, wie ich diesen zweiten Bericht formulieren sollte. Ich hörte, wie Gott mir zuflüsterte: Schreibe einfach die Wahrheit.

Und ich legte los:

Ich habe nie vorgehabt, subversive Materialien über die Grenze zu bringen. Bevor ich eine neue Gruppe ins Land bringe, erkläre ich ihr immer, was sie auf keinen Fall mit über die Grenze nehmen oder im Land zurücklassen darf. Ich schärfe den Leuten ein: „Lassen Sie Ihren Computer zu Hause. Nehmen Sie nichts mit, was unsere freundlichen Gastgeber beleidigen könnte.“ Dies ist meine wichtigste Grundregel, und dass ich sie bei dieser, meiner achtzehnten Reise in das Land verletzt habe, geschah rein aus Zufall.

Kurz bevor ich diese Reise antrat, hatte ich mir einen neuen Laptop gekauft. Ich hatte nicht die Zeit gehabt, sämtliche alten Dateien von meinem alten auf den neuen Computer zu kopieren. Deswegen kaufte ich mir die externe Festplatte. Meine Reisen nach Nordkorea beginnen immer mit einer 21-stündigen Zugfahrt von Dandong nach Yanji (China), und ich hatte vorgehabt, die Dateien während dieser Fahrt zu übertragen. Die externe Festplatte sollte anschließend als Sicherungsspeicher dienen.

Unglücklicherweise schaffte ich es nicht, die Dateien auf den neuen Laptop zu kopieren, da ich meine Zeit damit verbrachte, die Mitglieder meiner Touristengruppe kennenzulernen. Und wenn ich mich nicht mit ihnen unterhielt, arbeitete ich mich in das Filmbearbeitungsprogramm auf meinem neuen Laptop ein. Ich dachte die ganze Zeit, ich könnte den Datentransfer im Hotel in Yanji erledigen, aber als wir in Yanji ankamen, gönnten wir uns erst ein köstliches Abendessen im Restaurant mit gebratener Ente. Als ich endlich auf meinem Hotelzimmer war, rief ich meine Frau an. Wir redeten, bis ich die Augen nicht mehr offen halten konnte. Dann schlief ich auf meinem Bett ein, ohne die Lichter gelöscht zu haben.

Ich schlief wie ein Stein, bis am nächsten Morgen um halb sechs meine Assistentin, Stream, an meine Tür hämmerte und mich daran erinnerte, dass bald der Bus an die Grenze abfuhr; die Fahrt dauert zwei Stunden. Ich dachte nicht mehr an die Festplatte, als ich aus dem Bett sprang, mir hastig das Gesicht wusch und zur Tür hinausrannte. Bevor wir das Hotel verließen, gab ich Stream meinen neuen Laptop und bat sie, ihn in dem Hotelsafe einschließen zu lassen, bis ich nach vier Tagen zurückkäme. Wenn Sie wollen, dürfen Sie ihn gerne inspizieren; Sie werden sehen, dass es auf ihm sehr wenige Dateien gibt.

Ich führte meine Reisegruppe zur Busstation. Als ich das erste Mal meine Aktentasche öffnete, waren wir schon in Nordkorea. Ich erinnerte mich an die Festplatte erst wieder, als ich sie beim Zoll in meiner Aktentasche sah.

Dies war die Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Ich hob wieder die Hand, zum Zeichen, dass ich fertig war. Mr Park kam und nahm meinen Bericht entgegen. „Sehr gut. Ich freue mich schon darauf, Ihre Antworten zu lesen“, sagte er, dann verschwand er ins Nebenzimmer.

Ich hoffte, dass damit alles ausgestanden war. Sicher hatten die Nordkoreaner den Reiseführer, mit dem ich auf allen meinen Reisen im Land zusammengearbeitet hatte, bereits verhört, und er hatte alle meine Angaben bestätigt. Ich war ein Geschäftsmann, der hoch angesehen war in dieser Stadt und der einen Fehler gemacht hatte, der jedem passieren konnte. Das war’s, und damit war die Sache doch wohl erledigt.

Ein Wächter kam mit dem Mittagessen, aber ich brachte kaum einen Bissen herunter.

Kurz nach dem Essen stürmte ein wütender Mr Park ins Zimmer. Sein Gesicht war hochrot. Nein, dies war nicht mehr der höflich lächelnde Mann, der mir am Morgen gegenübergesessen hatte.

„Was soll das hier?“, brüllte er. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich die Wahrheit will und keine Lügen! Stehen Sie auf, jetzt sofort!“ Er zeigte in die eine Ecke des Raumes. „Stellen Sie sich dorthin und rühren Sie sich nicht von der Stelle, bis Sie bereit sind, uns die Wahrheit zu sagen!“

Ich stand auf und ging in die Ecke.

„Legen Sie die Hände an die Seite. Und keine Bewegung! Dies hier ist eine Strafe. Wenn Sie bereit sind, uns die wirkliche Geschichte zu erzählen, dürfen Sie aus der Ecke raus.“

Ich musste an die Filme denken, in denen die Polizei mal das Zuckerbrot und mal die Peitsche einsetzt, um die Spitzbuben geständig zu machen. Mr Park war Zuckerbrot und Peitsche in einer Person.

Während ich dort in der Ecke stand, ging mir ein anderer Film durch den Kopf – einer, von dem ich hoffte, dass er bald wahr werden würde. Ich stellte mir vor: In dem Augenblick meiner Verhaftung wurde der Computerchip in meinem Pass aktiviert. Die US-Marines jenseits des 38. Breitengrades empfingen das Signal, dekodierten es und leiteten es ans Weiße Haus weiter, wo Präsident Obama prompt das rote Telefon in die Hand nahm und dem General am anderen Ende der Leitung den Einsatzbefehl gab. Worauf alsbald ein Team der Navy Seals mit gezogenen Waffen durchs Fenster meines Gefängnisses in Villa 3 stürmen würde. Einer der Soldaten würde zu mir springen und mich fragen: „Sind Sie okay, Mr Bae?“

„Ja, jetzt schon“, würde ich antworten.

„Wir sind auf Befehl des Präsidenten der USA hier, um Sie nach Hause zu bringen, Sir.“ Und die Marines würden mich zur Küste bringen, wo wir mit einem Schlauchboot zum wartenden U-Boot fahren würden.

Ich gehe nach Hause. Danke, Präsident Obama, dass Sie mich gerettet haben.

Ich stand in meiner Ecke, das Gesicht zur Wand, und ließ im Kopf diesen Film spielen. Dabei lächelte ich unwillkürlich.

Sofort stand Mr Park neben mir. „Warum lächeln Sie? Hören Sie auf damit! Das hier ist eine Strafe!“

Seine Worte rissen mich in die Wirklichkeit zurück, aber ich fragte mich doch, ob mein Traum wahr werden würde. Hoffentlich würde er bald wahr werden …

Gefangen in Nordkorea

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