Читать книгу Gefangen in Nordkorea - Mark Tabb - Страница 14
Оглавление5. Die Macht des Gebets
Wenn ihr betet und im Glauben um etwas bittet, werdet ihr es erhalten, was immer es auch sei.
(Matthäus 21,22)
Mr Park stürmte in mein Zimmer, sichtlich wütend. Bis jetzt war mein Morgen recht angenehm verlaufen. Als Erstes hatte ich die Badewanne mit heißem Wasser gefüllt und wohlig die Wärme genossen. Nach nur fünf Minuten musste ich schon wieder hinaus, aber diese fünf Minuten waren Frieden pur.
Nach dem üblichen kargen Frühstück musste ich mich auf einen Stuhl setzen. Das Stillsitzen war als Strafe gedacht, aber ich nutzte die Zeit, um über Gott nachzusinnen und ihn anzubeten. Ohne Telefon, E-Mails und alles Mögliche andere, was mich sonst ablenkte, konnte ich mich auf eine Art auf Gott konzentrieren, die in der Welt draußen nicht möglich gewesen wäre. Ich war jetzt seit einer Woche hier eingesperrt, und die Gemeinschaft mit Gott hatte die Haft in eine Art Einkehrfreizeit verwandelt.
Mein Frieden flog zum Fenster hinaus, als Mr Park hereinstürmte, das Gesicht noch röter als sonst.
„Wir wissen jetzt, was Sie in unserem Land getrieben haben!“ Er spuckte die Worte förmlich aus.
„Das habe ich Ihnen doch schon gesagt“, entgegnete ich. „Ich bin Missionar.“ Ich begriff nicht, warum der Mann so empört war. Bei meinen sämtlichen siebzehn Besuchen hatte ich nie eine Bibel verteilt oder jemanden bekehrt. Ich hatte keine Untergrundgemeinde gegründet und keine subversiven Aktivitäten betrieben. Ich hatte lediglich Reisegruppen aus Nord- und Südamerika, Europa, Afrika, Australien und Asien ins Land gebracht, um im Stillen Gott zu loben und zu beten; alles war ganz unter uns geblieben.
Ich fuhr fort: „Ich bin hierhergekommen, weil ich das Volk von Nordkorea liebe und für es beten wollte. Warum regen Sie sich so auf? Sie glauben doch gar nicht an Gott. Was ist denn schlimm daran, wenn wir zu einem Gott beten, an dessen Existenz Sie nicht glauben?“
„Wir haben einen Gott“, zischte Mr Park, „und sein Name ist Kim Il-sung. Sie sind hierhergekommen, um einen anderen Gott anzubeten, und das ist ein Verbrechen. Sie behaupten, Sie wollten für uns beten, aber ich habe Sie durchschaut! Da Sie an einen anderen Gott glauben, sind Sie hierhergekommen, um gegen uns und gegen unseren Großen Führer zu beten.“
„Wie kann das so gefährlich sein, wenn es meinen Gott gar nicht gibt?“, fragte ich. Ich versuchte wacker, nicht zu grinsen; ich fand dieses Gespräch richtig komisch.
„Was Sie gemacht haben, ist ja nur der Anfang! Ihre ganze Arbeit läuft darauf hinaus, unseren Glauben an unseren Großen Führer zu untergraben und so unser Land zu zerstören.“
„Und wie soll das gehen?“
Mr Park schüttelte den Kopf. „Sie wissen genau, wie“, sagte er leise. „Sie kommen mit Leuten aus dem Westen hierher, mit anderen Christen. Und egal was Sie sagen, diese Leute werden reden. Sie werden den Menschen hier von ihrem Gott erzählen und irgendjemand wird ihre Lügen glauben. Diese Lügen werden unser Volk wie ein Virus infizieren; wenn einer ihn hat, gibt er ihn an zwei andere weiter, und aus diesen zweien werden zehn, dann zwanzig, dreißig und hundert, und aus den hundert werden Tausende. Immer mehr Menschen werden den Glauben an den Großen Führer verlieren. Und das wird das Ende unserer großen Nation sein, und genau dazu sind Sie hierhergekommen.“ Er brach ab und funkelte mich an.
Mann, dachte ich. Der hat kapiert, was für eine Macht das Gebet hat. Und dass die Kraft des Evangeliums ein ganzes Land umkrempeln kann. Der kapiert das. Die alle hier kapieren das. Darum haben sie solche Angst. Ich bin nicht gefährlich, aber Jesus ist gefährlich.
Ich musste an meine Seminare in St. Louis zurückdenken und wie die Professoren versucht hatten, uns zu erklären, was geschieht, wenn der Glaube an Jesus die Menschen wirklich ergreift. Ich weiß nicht, ob die meisten Christen das begreifen, aber in dem abgeschottetsten Land der Welt scheinen es die Machthaber sehr wohl zu begreifen. Sie wissen, was für eine Macht im Glauben an Jesus liegt, und es versetzt sie in Todesangst.
„Also: Was können Sie zu Ihrer Verteidigung sagen, Bae Junho?“, fragte Mr Park.
„Nichts“, erwiderte ich. Alles, was er sagte, stimmte ja, außer seiner Annahme, dass mein großes Ziel der Sturz der nordkoreanischen Regierung war. Ich war nicht gekommen, um ein Regime zu stürzen, sondern um den Menschen zu zeigen, dass Gott sie liebte und sie nicht vergessen hatte. Das war alles.
„Nichts? Sie werden mehr sagen als nichts“, sagte Mr Park. „Ich will haarklein wissen, was Sie in den letzten sechs Jahren getrieben haben. Sie werden mir alles aufschreiben, was Sie in Dalian und Dandong gemacht haben. Schreiben Sie auf, wer Sie dorthin geschickt hat, mit wem Sie zusammengearbeitet haben und alle Ihre Aktivitäten. Sie sind nach Dandong gezogen, das direkt an unserer Grenze liegt. Warum haben Sie das getan? Warum sind Sie nicht in Dalian geblieben? In Dandong, wo Sie Ihr Ausbildungszentrum hatten, gibt es viele Nordkoreaner. Nennen Sie uns die Namen sämtlicher Nordkoreaner, die Sie in Ihrem Zentrum ausgebildet haben.“ Er lächelte sein Zuckerbrot-Lächeln. „Alles, was ich von Ihnen verlange, ist, dass Sie uns die Wahrheit sagen. Bitte keine Lügen mehr! Geben Sie mir die Informationen, die ich brauche, und Ihre Lage wird sich sehr verbessern.“
Er ging, nicht ohne mir das übliche neue Papier und einen neuen Kugelschreiber dazulassen. Meine neue Aufgabe stellte mich vor ein viel größeres Problem als die bisherigen. Der Mann wollte Namen, aber ich konnte ihm unmöglich alle Menschen nennen, die in Dalian oder Dandong mit mir zusammengearbeitet hatte. Doch dann hörte ich wieder Gottes Stimme in meinem Herzen: Sag einfach die Wahrheit. Aber wie sollte ich die Wahrheit sagen und gleichzeitig meine Freunde und Verwandten beschützen?
~
Die Geschichte meiner Missionsarbeit ist nicht eine Geschichte über mich, sondern eine Geschichte über Gottes Treue. Ein Jahr nach meinem Examen am San Francisco Bible College zog ich mit meiner jungen Familie nach St. Louis, wo ich am Covenant Seminary Theologie studierte. Als wir in St. Louis eintrafen, hatte ich ganze fünfzig Dollar in der Tasche. Ich wusste nicht, wie wir es schaffen würden, über die Runden zu kommen. Dann gab Gott mir gleich zwei Jobs – einen als Jugendpastor, den anderen als Hausmeister an einer christlichen Schule. Und nicht lange nach Beginn meines ersten Semesters lag in meinem Postfach im Seminar ein Brief für mich mit fünfzig Dollar und einem Zettel, auf dem stand: „Lieber Kenneth, ich bete seit einiger Zeit für Dich. Der Herr hat mir gesagt, dass ich Dir bis zu deinem Examen jeden Monat 50 Dollar schicken soll, und das werde ich machen.“ Ich weiß bis heute nicht, von wem diese Briefe kamen.
Nach meinem Examen war ich in mehreren Gemeinden eingesetzt, darunter ein Jahr lang in Südkorea. 2003 zogen wir in die USA zurück, wo ich in einer Gemeinde in Georgia die Kinderarbeit machte. Aber nach eineinhalb Jahren trat ich von meinem Amt zurück, weil meine Ehe zerbrach. Ich kam mir vor, als ob ein riesiger Felsbrocken vom Himmel gefallen war und mich unter sich begraben hatte. Als ich merkte, dass meine Ehe nicht gerettet werden konnte, zog ich zu meiner Mutter in Seattle. Ich war fix und fertig.
Eines Abends konnte ich es nicht mehr aushalten. Ich saß da und weinte über meine Familie, als plötzlich Gott zu mir sprach. Du versuchst, das Herz deiner Frau wiederzugewinnen, aber was ist mit meinem Herzen? Suche zuerst mich und meine Gerechtigkeit, dann will ich dir alles andere dazugeben.
Und Gott sprach weiter und erinnerte mich an etwas, was ich ihm vor langer Zeit versprochen hatte. Ich habe dich nach China gerufen und du hast gesagt, du wirst gehen, aber das hast du nicht getan. Die ganze Zeit bist du mir ungehorsam gewesen.
Dies war ein Wendepunkt in meinem Leben. Ich stand von meinem Bett auf mit dem festen Wissen, dass Gottes Treue nie vergeht. Ich war immer noch innerlich zerbrochen, aber jetzt war ich bereit, Heilung zu suchen. Und so kam es, dass ich in Kona auf Hawaii an einer längeren Jüngerschaftsschule von „Jugend mit einer Mission“ teilnahm. Obwohl ich ein abgeschlossenes Theologiestudium vorweisen konnte, lernte ich in dieser Jüngerschaftsschule Dinge über Gottes Wesen und Liebe, die mir aus irgendeinem Grund bisher entgangen waren.
So eine Jüngerschaftsschule besteht aus zwei Teilen: einem Zwölf-Wochen-Intensivkurs und einem darauffolgenden Praktikum, um das Gelernte anzuwenden. So kam ich auf der Reise, die mich über den Fluss Yalu nach Nordkorea brachte, nach Dalian im Nordosten Chinas. Ein Jahr danach kam ich erneut nach Dalian, um mehrere Bekannte zu besuchen, und blieb schließlich dort.
All dies wollte Mr Park also wissen. Dass ich in China und Nordkorea Gottes Ruf gefolgt war, war ihm egal; er wollte wissen, wer mich dorthin geschickt hatte und was ich nach meiner Ankunft alles gemacht hatte.
Tja, was sollte ich schreiben? Ich dachte eine Weile nach und schrieb dann: „Sie haben mich gefragt, wer mich nach China und dann nach Dandong geschickt hat. Die Antwort lautet: Gott und sein Sohn, Jesus Christus, durch den Heiligen Geist.“
Was hatte ich gemacht, als ich in Dalian angekommen war? Als Erstes hatte ich mit einem stetig wachsenden Team ein „J-Haus“ gegründet. Das „J“ steht dabei für Jesus. Das Haus war ein Unterschlupf, wo Missionsteams billig wohnen und gemeinsam Gottesdienste halten und beten konnten, ohne Angst vor irgendwelchen Einschränkungen vonseiten der Regierung. Wir versorgten die Bewohner auch mit Lebensmitteln und den nötigen Kontakten.
Das J-Haus war auch ein Ausbildungszentrum. Wir zeigten den Teams, dass sie nicht einfach auf die Straße gehen und predigen konnten und dass sie auch niemanden zwingen konnten, ihnen zuzuhören. Es galt, stattdessen persönliche Beziehungen zu den Menschen aufzubauen. In einem Café begannen wir eine Veranstaltung mit dem Namen „English Corner“, in der unsere Freiwilligenteams aus aller Welt Kontakte zu chinesischen Studenten knüpfen konnten. Wir konzentrierten uns darauf, den Menschen Gottes Liebe zu zeigen. Wenn jemand uns fragte, warum wir nach China gekommen waren, sagten wir es ihm, und wenn man uns nach Gott fragte, gaben wir ebenfalls Auskunft.
Zur „English Corner“ kamen mit der Zeit englischsprachige Bibelstunden, Eheseminare und Sportangebote. Gleichzeitig gründete ich eine Firma für Kulturaustauch, was es mir ermöglichte, mit einem Arbeitsvisum in China zu bleiben. Das Kulturaustauschprogramm gab auch den Aktivitäten im J-Haus eine legitime Basis, denn offene Missionsarbeit war nicht erlaubt.
Für mich ist die eigentliche Geschichte nicht das, was wir taten, sondern was Gott tat. Als ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Immobilie für unser J-Haus machte, hatte ich gerade einmal dreihundert Dollar zur Verfügung. Ich brauchte ein Haus, das groß genug für die Teams war, die (hoffentlich) zu uns kommen würden. Ich schaute mir sechsunddreißig Wohnungen an, die meisten mit drei oder vier Schlafzimmern, aber Gott sagte: Größer. Schließlich fand ich ein Haus mit acht Schlafzimmern und vier Bädern, das Platz für mindestens dreißig Personen bot. Es hatte ein großes Wohnzimmer, das sich als Gottesdienstraum eignete, und einen Dachboden, den man als Kapelle nutzen konnte.
Aber die Miete betrug pro Jahr 180.000 Yuan (also 24.000 Dollar), zahlbar im Voraus. Ich wusste: Gott wollte, dass wir dieses Haus bekamen, und so betete ich: Herr, wenn dies dein Haus ist und dein Wille, dann ist das auch deine Miete. Und ich fragte Gott gleich weiter, wie viel er denn zu zahlen bereit war. Er sagte mir: 150.000 Yuan (18.000 Dollar).
Ich fragte die Besitzerin: „Könnten Sie mit der Miete auf 150.000 Yuan heruntergehen? Und den ganzen Betrag im Voraus zahlen können wir leider nicht. Könnte ich stattdessen die ersten beiden Monate jetzt sofort bezahlen und danach alle drei Monate eine Rate?“
Die Besitzerin sagte Nein.
„Rufen Sie uns bitte an, falls Sie es sich anders überlegen“, erwiderte ich. Worauf unser ganzes Team eine Woche lang jeden Tag um das Haus herummarschierte und betete, so wie einst die Israeliten um Jericho zogen (nachzulesen im Buch Josua).
Am siebten Tag rief mich die Hausbesitzerin an. Sie erklärte sich bereit, auf 150.000 Yuan im Jahr herunterzugehen, die in Raten von drei Monaten zu zahlen waren. Sofort zahlen brauchten wir nur die ersten beiden Monate.
Als ich meinem Team die gute Nachricht überbrachte, war die Freude groß. Aber dann fuhr ich fort: „Für die beiden ersten Monate brauchen wir 3.000 Dollar, und ich habe erst 300. Wir müssen weiter beten.“
Kurz bevor die erste Mietzahlung fällig war, erhielten wir zwei Spenden. Gott gab uns nicht 3.000 Dollar, nein, er gab uns gleich 6.000 – genug Geld, um gleich auch für alle Mitarbeiter Wohnungen anzumieten.
Das erste J-Haus bildete die Grundlage für meine ganze weitere Arbeit in China. Während ich in Dalian war, fragte ich die Teams, die uns besuchten, immer, ob sie gerne Nordkorea sehen wollten. Fast jeder wollte, worauf ich die Besucher in das vier Stunden entfernt gelegene Dandong brachte, von wo sie von einem Boot aus das nordkoreanische Ufer des Flusses Yalu sehen konnten, allerdings ohne dort zu landen. Die Freunde, die mir nach meinem nächtlichen Abenteuer auf dem Yalu Vorwürfe gemacht hatten, hatten recht: Es war zu riskant, die Verhaftung zu riskieren, nur um sagen zu können, dass man auf Tuchfühlung mit Nordkorea gewesen war. Ich ließ meine Teams einen gebührenden Sicherheitsabstand wahren, während wir für das Land und die in ihm gefangenen Menschen beteten. Bei meiner ersten Fahrt über den Fluss hatte ich Gott gebeten, mich als Brücke zwischen Nordkorea und der Außenwelt zu benutzen, und genau das tat ich jetzt. Mein Ziel war, dass die Missionare aus anderen Ländern Nordkorea sahen und anfingen, für die Menschen dort zu beten.
Die Arbeit in Dalian wuchs zusehends. Während ich dort war, kamen viele chinesische Studenten und andere Menschen zu Christus. Es waren bald so viele, dass wir im Januar eine Mini-Jüngerschaftsschule begannen, wie die, die ich in Kona besucht hatte. Wir machten in den Gemeinden vor Ort Werbung für die Schule und besorgten die nötigen Lehrer. Was fehlte, waren geeignete Räumlichkeiten; das J-Haus war bereits voll.
Wenige Tage, bevor die Jüngerschaftsschule beginnen sollte, besuchte jemand aus unserem Team ein Café in der Stadt (das Starbucks Café), das im Obergeschoss einen kleinen Saal hatte. Das Teammitglied erzählte dem Cafébesitzer von Jesus, worauf dieser Christ wurde. Zwölf Stunden später stellte er den Saal über dem Café als Raum für unsere Jüngerschaftsschule zur Verfügung. Sechsundzwanzig Teilnehmer kamen; einige waren über vierundzwanzig Stunden mit dem Bus oder der Bahn angereist.
Wir hielten in dem Café schließlich „English Corners“ ab, dazu Gottesdienste und alle möglichen anderen missionarischen Veranstaltungen, bis wir 2009 unsere Arbeit nach Dandong verlegten.
Im Jahr 2008 schickte Gott achtzehn Studenten in unser J-Haus, zu unserer ersten Jüngerschaftsschule. Sieben von ihnen waren Chinesen, die aber vor allem Koreanisch sprachen, sechs Chinesen, die Mandarin sprachen, vier Südkoreaner, dazu eine nordkoreanische Frau namens Songyi. Dass wir bei uns chinesische Studenten hatten, war bereits ein großes Risiko; wären die Behörden uns auf die Schliche gekommen, hätten sie mich des Landes verweisen können. Und es kam noch schlimmer: Kurz nach Beginn der Jüngerschaftsschule entdeckten wir, dass Songyis Visum abgelaufen war. Wenn die Polizei sie in unserer Schule fand, würde sie nach Nordkorea abgeschoben werden, wo sie möglicherweise eine lange Gefängnisstrafe oder sogar der Tod erwartete.
In der sechsten Woche der Jüngerschaftsschule schrammten wir knapp an der Katastrophe vorbei, als die Polizei in unser Zentrum kam. Als wir die Beamten sahen, verwandelte sich die biblische Unterweisung in Sekundenschnelle in Englischunterricht. Songyi versteckte sich unter einem Bett, bis die Polizisten wieder weg waren.
Nach der Jüngerschaftsschule blieb Songyi noch weitere sechs Monate bei uns. Sie ging mit, als wir unsere Basis von Dalian nach Dandong verlegten. Ich hatte den Eindruck, dass Gott diesen Umzug wollte, weil fast jedes der Teams, die nach Dalian kamen, früher oder später mit mir nach Dandong fuhr, um vom Ufer des Yalu aus für Nordkorea zu beten. So wie Gott uns auf wunderbare Weise ein Haus in Dalian gegeben hatte, tat er dies in noch größerem Maßstab in Dandong. Statt eines Hauses gab er uns gleich ein ganzes Hotel für unsere Jüngerschaftsschule. In Dandong konnten wir auch mehr Nordkoreaner erreichen, da es in der Stadt viele Arbeiter aus Nordkorea gab.
Ein paar Monate nach dem Umzug nach Dandong beschloss Songyi, in ihre Heimat zurückzukehren. Bevor sie ging, dankte sie uns für alles, was wir für sie getan hatten. Dann eröffnete sie mir, dass sie vorhatte, in ihrer Heimatstadt ein Waisenhaus zu gründen.
„Es gibt dort so viele Straßenkinder, die Hilfe brauchen“, sagte sie. „Ich möchte ihnen ein Zuhause geben und ihnen das beibringen, was ich hier bei euch gelernt habe.“
Der letzte Satz hatte es in sich. Hätte Songyi vorgehabt, ein Waisenhaus zu gründen und sonst nichts – das nordkoreanische Regime hätte sie gewähren lassen. Aber ein Waisenhaus, das christlich geprägt war, wenn auch nur heimlich, das war ein Risiko ersten Grades.
~
In meiner Antwort auf die Frage, was ich in China gemacht hatte, erwähnte ich Songyi vorsichtshalber nicht, doch Mr Park kam ihr auch so auf die Spur. Als ich fertig geschrieben hatte, trat er wieder ins Zimmer, nahm meinen Bericht an sich und ging. Vielleicht eine Stunde danach kam er wieder, mit dem Ausdruck eines Fotos von meiner Festplatte. Er zeigte auf eine Frau auf dem Foto.
„Wer ist das? Ist das jemand von Ihren Leuten?“ Mr Park hatte inzwischen genügend meiner Briefe auf der Festplatte gelesen, um zu wissen, dass in unserem Zentrum auch mindestens ein Nordkoreaner ausgebildet worden war. „Ich weiß, dass Sie diese Frau in China ausgebildet haben. Wer ist sie und wo wohnt sie?“
Mir wurde anders zumute. Wenn er die Wahrheit über Songyi erfuhr, wäre sie in Lebensgefahr. Aber dann erinnerte ich mich an Gottes Versprechen, dass niemandem etwas geschehen würde.
Okay, Gott. Ich vertraue dir. Ich werde ihm sagen, was er wissen will.
Und ich tat es. Nun ja, nicht ganz. Ich sagte: „Sie heißt Songyi und wohnt in der Nähe von Pyongsong.“ Das mit Pyongsong hatte ich auf die Schnelle erfunden.
Mr Park schien mit der Antwort zufrieden zu sein. Er ging, kam aber bald schon wieder. Diesmal waren seine Ohren knallrot und seine Halsadern geschwollen.
„Sie sind ein Lügner, Bae Junho!“, kreischte er. „Wissen Sie nicht, dass wir alles herausfinden? Wie heißt sie wirklich, und wo wohnt sie? Und kommen Sie mir nicht mit der nächsten Lüge!“
Ich sagte ihm also die ganze Wahrheit, während ich innerlich Gott bat, Songyi zu beschützen.
Mr Park hörte mir aufmerksam zu, dann ging er wieder, mit meinen nächsten Ausführungen, an denen ich an diesem Tag gearbeitet hatte, als er mit dem Foto kam. Ich hatte ihm die Wahrheit gesagt. Jetzt musste ich mich ganz auf Gottes Verheißung verlassen, dass niemand zu Schaden kommen würde.
Ein Wächter brachte mir das Mittagessen. Als ich fertig war, sagte er: „Sie können sich jetzt hinlegen. Wir haben Anweisung, Sie etwas ruhen zu lassen.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Nach mehreren Tagen mit fast pausenlosen Verhören ließen die mich mitten am Tag ins Bett gehen? Schon bald war ich fest eingeschlafen.
Als ich aufwachte, brachte der Wächter mich zurück ins Wohnzimmer, wo man mir befahl, mich zu setzen und auf Mr Park zu warten. Ein anderer Beamter, der seit dem ersten Tag da gewesen war, aber mit dem ich bisher kaum zu tun gehabt hatte, trat zu mir.
„Sie sind also ein Missionar?“, fragte er.
Ich nickte.
„Ich möchte Sie etwas fragen. Von Gott habe ich schon gehört, aber noch nie von diesem Jesus. Sagen Sie mir: In welchem Dorf wohnt er? Wohnt er in Nordkorea oder in China?“
Ich musterte den Mann. Wollte der mich aufziehen? Aber nein, es schien ihm ernst zu sein, die Frage war echt. Er wollte wirklich wissen, wo Jesus wohnte und warum ich Kopf und Kragen riskiert hatte, um in ein verschlossenes Land zu gehen und den Menschen dort von Jesus zu erzählen.
Doch bevor ich antworten konnte, kam Mr Park zurück. Er war sichtlich nicht zufrieden mit meinen neuesten Ergüssen. Aber wann war er je zufrieden?
Er schrie den anderen Mann an. „Raus hier!“ Der Mann gehorchte ihm.
Dann drehte Mr Park sich zu mir. „Ich will die Wahrheit!“ Er warf mir die nächsten Blätter Papier auf den Tisch. „Schreiben Sie!“
Also gut, ich fing wieder an. Mr Park war immer noch unzufrieden und so schrieb ich das Gleiche noch einmal. Genauso war es am nächsten Tag. Und am übernächsten. Immer wieder schrie Mr Park mich an, ihm endlich zu sagen, wer mich „wirklich“ nach China und Dandong und schließlich Nordkorea geschickt hatte. Wieder und wieder schrieb ich die Wahrheit nieder, aber er glaubte sie nicht.
Die Tage flossen ineinander. Morgens war ich in Gottes Gegenwart, den Rest des Tages schrieb und schrieb ich, im Wesentlichen immer dasselbe, und musste die Folgen ausbaden, wenn Mr Park wieder nicht zufrieden war. Mr Park machte munter weiter mit seiner Zuckerbrot-und-Peitsche-Taktik, und ich klammerte mich an das, was Gott mir zugesagt hatte an jenem Tag, als meine Hand plötzlich warm geworden war und ich seine Gegenwart körperlich gespürt hatte. Gott war bei mir. Er würde mich durch alles hindurchtragen, und niemandem würde etwas Böses geschehen. Diese Verheißung war alles, was ich hatte, aber sie genügte.